OGH 12Os119/93

OGH12Os119/9331.8.1993

Der Oberste Gerichtshof hat am 31. August 1993 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Mag. Strieder als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Rzeszut und Dr. Mayrhofer als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Weigl als Schriftführerin in der bei dem Landesgericht Salzburg zum AZ 25 Vr 1.142/93 anhängigen Auslieferungssache gegen Dina T* wegen in der Bundesrepublik Deutschland verübter strafbarer Handlungen, die nach österreichischem Recht als Verbrechen des gewerbsmäßigen schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 3, 148 StGB zu beurteilen wären, über die Grundrechtsbeschwerde der Auszuliefernden gegen die Modalitäten ihrer Übernahme aus der Untersuchungshaft zu AZ 41 E Vr 1.125/93 des Landesgerichtes Salzburg in die Auslieferungshaft nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1993:E31598

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

 

Durch den angefochtenen "Ablauf der richterlichen Verfügungen" zur Übernahme der Dina T* aus der Untersuchungshaft im Strafverfahren AZ 41 E Vr 1.125/93 des Landesgerichtes Salzburg in Auslieferungshaft zu AZ 25 Vr 1.142/93 desselben Gerichtes wurde die Genannte im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

 

 

Gründe:

 

Die (nach eigenen Angaben ausschließlich) kanadische und (inhaltlich der Haftbefehle der Amtsgerichte Heidelberg und Offenburg auch) deutsche Staatsbürgerin Dina T* befand sich im Strafverfahren 27 Vr 1.125/93 des Landesgerichtes Salzburg seit 24. April 1993 in Untersuchungshaft. In diesem Verfahren wurde sie schließlich am 22. Juli 1993 (nunmehr zu AZ 41 E Vr 1.125/93) rechtskräftig wegen des Vergehens des schweren Betruges nach den §§ 146, 147 Abs 2 StGB zu elf Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Neun Monate dieser Freiheitsstrafe wurden unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen, wobei der verbliebene unbedingte Strafteil von zwei Monaten durch die urteilsmäßige Anrechnung der bis dahin erlittenen Vorhaft bereits vollzogen war.

Schon während der Anhängigkeit des vorerwähnten Strafverfahrens war mit Beschluß vom 28. April 1993 zu AZ 25 Vr 1.142/93 des Landesgerichtes Salzburg gegen Dina T* ein Auslieferungsverfahren eingeleitet worden, dem zunächst nur der Haftbefehl des Amtsgerichtes Heidelberg vom 21. August 1992, AZ 11 Gs 652/92, wegen des Verdachtes zahlreicher in der Bundesrepublik Deutschland verübter Darlehensbetrügereien mit einem Gesamtschadensbetrag von 265.800 DM zugrunde lag. Zu diesem Auslieferungsverfahren beantragte die Staatsanwaltschaft bereits am 27. April 1993 "für den Fall der Aufhebung der inländischen Untersuchungshaft zu 27 Vr 1.125/93" die Verhängung der Auslieferungshaft über Dina T* gemäß § 29 ARHG "zur Abwendung der Fluchtgefahr". Dementsprechend ersuchte der mit dem Auslieferungsverfahren befaßte Richter am 28. April 1993 schriftlich "um umgehende Verständigung von der Aufhebung der Untersuchungshaft" zu AZ 27 Vr 1.125/93 (1a); dieses Begehren wiederholte er am 14. Juli 1993 zu AZ 41 E Vr 1.125/93 (schriftlich) (1c).

In der Folge ersuchte das Justizministerium Baden‑Württemberg nicht nur wegen der dem Haftbefehl des Amtsgerichtes Heidelberg zugrundeliegenden Straftaten, sondern auch wegen weiterer Betrugsakte mit einem Gesamtschadensbetrag von ca 140.000 DM laut Haftbefehl des Amtsgerichtes Offenburg vom 10. Dezember 1992, AZ 11 Ls 19/92, um Bewilligung der Auslieferung der Dina T* in die Bundesrepublik Deutschland.

Im Verfahren AZ 41 E Vr 1.125/93 des Landesgerichtes Salzburg erklärte T* nach der Urteilsverkündung in der Hauptverhandlung am 22. Juli 1993 Rechtsmittelverzicht, worauf der Einzelrichter nach Ende der Hauptverhandlung (13.30 Uhr) die Untersuchungshaft aufhob. Gegen den Widerspruch ihres Verteidigers, der die faktische Durchführung der Enthaftung bereits im Verhandlungssaal anstrebte, ordnete der Einzelrichter die Abführung der Verurteilten in das Gefangenenhaus an, von wo sie um 14.10 Uhr (63c) dem für das Auslieferungsverfahren zuständigen - inzwischen von der Aufhebung der Untersuchungshaft verständigten - Untersuchungsrichter vorgeführt wurde. Dieser verhängte im Sinn der staatsanwaltschaftlichen Antragstellung vom 27. April 1993 über Dina T* die Auslieferungshaft gemäß § 29 ARHG (§ 180 Abs 1 und 2 Z 1 StPO), was diese nach Rechtsmittelbelehrung beschwerdelos zur Kenntnis nahm (63).

Rechtliche Beurteilung

Mit ihrer dennoch erhobenen Grundrechtsbeschwerde, die sich ausdrücklich nicht gegen die Verhängung der Auslieferungshaft, sondern allein gegen die "faktischen" richterlichen Verfügungen wendet, mit denen im Zeitraum zwischen dem Ende der Hauptverhandlung (13.30 Uhr) und der Vorführung zum Untersuchungsrichter (14.10 Uhr) die Übernahme der Verurteilten in Auslieferungshaft vollzogen wurde, macht Dina T* eine Verletzung im Grundrecht auf persönliche Freiheit im wesentlichen mit der Begründung geltend, die von der Aufhebung der Untersuchungshaft bis zur Verhängung der Auslieferungshaft erlittene Zwischenhaft habe jedweder Rechtsgrundlage entbehrt.

Der - hier aus der Sicht des § 1 Abs 1 GRBG nicht vorweg unzulässigen - Beschwerde kommt keine Berechtigung zu.

Gemäß § 29 Abs 2 ARHG darf die Untersuchungshaft nicht verhängt oder aufrechterhalten werden, wenn die Haftzwecke durch eine gleichzeitige gerichtliche Untersuchungshaft oder Strafhaft erreicht werden können. Da nach dem Gesetz somit eine zeitliche Überschneidung der Auslieferungshaft und der Untersuchungshaft grundsätzlich nicht in Betracht kommt, ist die Auslieferungshaft regelmäßig nicht vor Aufhebung der Untersuchungshaft zu verhängen. Bei - wie hier - nicht auf ein richterliches Organ beschränkter Entscheidungskompetenz zu beiden Haftkomplexen ist die Abwicklung einer Haftmutation der in Rede stehenden Art zwangsläufig auf überbrückende Vorkehrungen angewiesen, die im konkreten Fall - dem Beschwerdestandpunkt zuwider - den gesetzlichen Rahmen nicht verließen. Abgesehen davon, daß der Beschwerdeführerin bereits am 7. Mai 1993 mit dem Beschluß auf Einleitung des Auslieferungsverfahrens die im Fall der Aufhebung der Untersuchungshaft (im Sinn des Antrages der Staatsanwaltschaft) bevorstehende Verhängung der Auslieferungshaft ebenso eröffnet wurde wie der internationale Haftbefehl des Amtsgerichtes Heidelberg (und in der Folge auch jener des Amtsgerichtes Offenburg) und solcherart aus der Tatsache der Aufhebung der Untersuchungshaft nach Ende der oben erwähnten Hauptverhandlung allein eine gutgläubige Enthaftungserwartung nicht abzuleiten war, normiert § 29 Abs 1 in Verbindung mit § 9 Abs 1 ARHG, daß auf die Auslieferungshaft, soweit sich aus den Bestimmungen des ARHG nichts anderes ergibt, die Haftbestimmungen der Strafprozeßordnung sinngemäß anzuwenden sind. Soweit die Beschwerde davon ausgehend den geltend gemachten Gesetzesverstoß darin erblickt, daß vorliegend im Auslieferungsverfahren die analoge Anwendung des § 175 StPO und die Erlassung eines darauf gestützten Haftbefehles unterblieb, genügt schon der Hinweis auf § 177 Abs 1 StPO, wonach die vorläufige Verwahrung des eines Verbrechens (oder Vergehens) Verdächtigen zum Zweck der Vorführung vor den Untersuchungsrichter wegen Gefahr im Verzug (ua) auch durch einen zur Untersuchung nicht zuständigen Richter ohne schriftliche Anordnung vorgenommen werden kann. Da bei Anberaumung einer Hauptverhandlung im Regelfall für den erkennenden Richter nicht abzusehen ist, wann (geschweige denn zu welcher Uhrzeit) der weitere Verfahrensfortgang zur Aufhebung der Untersuchungshaft führen wird, ist eine den Verhandlungsablauf durchgehend begleitende Bereithaltung des für die Verhängung der Haft im Auslieferungsverfahren zuständigen Richters sinnvoll nicht zu bewerkstelligen. Aus dieser Sicht stellt daher der hier vom Einzelrichter gewählte Weg, dem hiefür zuständigen Untersuchungsrichter die sofortige Vorführung der aus der Untersuchungshaft Entlassenen zum Zwecke der (dieser bereits vorangekündigten) Verhängung der Untersuchungshaft zu ermöglichen, indem er ihn umgehend über die Aufhebung der Untersuchungshaft informierte und die kurzfristige Rückführung der Verurteilten in das Gefangenenhaus anordnete, eine nach der oben zitierten Verfahrensbestimmung gesetzlich gedeckte wie auch grundrechtskonforme Provisorialmaßnahme zur Sicherung der für das Auslieferungsverfahren bestimmenden Haftzwecke dar. Daß der vom Untersuchungsrichter ab seiner Verständigung bis zum Beginn der Vernehmung der Dina T* benötigte Zeitraum von 15 Minuten (AV vom 22. Juli 1993 vor 1d iVm 63) der Annahme säumnisfreien Vorgehens nicht widerstreitet, bedarf keiner weiteren Erörterung.

Da sohin die unmittelbar nach Aufhebung der Untersuchungshaft durch den erkennenden Einzelrichter und den mit dem Auslieferungsverfahren befaßten Untersuchungsrichter einvernehmlich (auf der Basis bereits kundgemachter internationaler Haftbefehle) initiierte Vorführung der (soeben) Verurteilten zur Verhängung der Auslieferungshaft gegenüber der in der Beschwerdeausführung vermißten formalen Verhängung der kurzfristigen vorläufigen Verwahrungshaft keine gesetzwidrige Beschwer bedeutete, wurde die Beschwerdeführerin hiedurch auch nicht im Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt.

Ein Ausspruch über den Ersatz der Beschwerdekosten hatte demnach zu entfallen (§ 8 GRBG).

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