OGH 12Os115/96

OGH12Os115/9612.9.1996

Der Oberste Gerichtshof hat am 12.September 1996 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Horak als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Rzeszut, Dr.Schindler, Dr.E.Adamovic und Dr.Holzweber als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag.Stitz als Schriftführer, in der Strafsache gegen Martin B***** wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen den Beschluß des Bezirksgerichtes St.Pölten vom 18. Jänner 1996, AZ 5 U 1071/92, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr.Schroll, jedoch in Abwesenheit des Verurteilten, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In der Strafsache gegen Martin B***** wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB, AZ 5 U 1071/92 des Bezirksgerichtes St.Pölten, verletzt der Beschluß vom 18.Jänner 1996, mit dem die mit Urteil vom 15.Dezember 1992 (ON 4) unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehene Freiheitsstrafe endgültig nachgesehen wurde, das Gesetz in dem im XX.Hauptstück der Strafprozeßordnung verankerten Grundsatz der materiellen Rechtskraft.

Dieser Beschluß wird aufgehoben.

Text

Gründe:

Martin B***** wurde mit Urteil des Bezirksgerichtes St.Pölten vom 15. Dezember 1992, GZ 5 U 1071/92-4, des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB schuldig erkannt und hiefür nach § 83 Abs 1 StGB zu einer gemäß § 43 Abs 1 StGB unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Dauer von acht Wochen verurteilt.

Rechtliche Beurteilung

In der Folge wurde er mit Urteil des Landesgerichtes St.Pölten vom 18. Juni 1993, GZ 29 E Vr 1189/92-16, des Vergehens der schweren Körperverletzung nach den §§ 83 Abs 1, 84 Abs 1 StGB schuldig erkannt und unter Bedachtnahme auf das eingangs bezeichnete Urteil des Bezirksgerichtes St.Pölten gemäß §§ 31, 40 StGB zu einem Monat Zusatzstrafe verurteilt. Zugleich widerrief das Landesgericht St.Pölten die zu AZ 5 U 1071/92 des Bezirksgerichtes St.Pölten gewährte bedingte Strafnachsicht. Dabei wurde allerdings sowohl im Beschluß gemäß § 494 a StPO iVm § 55 StGB als auch in der Endverfügung vom 30.Juni 1993 versehentlich auf AZ 5 U 107/92 des Bezirksgerichtes St.Pölten abgestellt, wodurch eine sachgerechte Verständigung des Bezirksgerichtes St.Pölten von dem das Verfahren AZ 5 U 1071/92 betreffenden Widerrufsbeschluß unterblieb.

Mit Beschluß des Landesgerichtes St.Pölten vom 16.Mai 1994, GZ 15 BE 4/94-4, wurde Martin B***** am 7.Juni 1994 gemäß § 46 Abs 2 StGB unter anderem auch aus der zu 5 U 1071/92 des Bezirksgerichtes St.Pölten ausgesprochenen, für den Anschlußvollzug vorgesehenen, tatsächlich jedoch noch nicht vollzogenen Freiheitsstrafe unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt entlassen. Dazu wurde das Bezirksgericht St.Pölten gesetzeskonform auch verständigt (GZ 5 U 1071/92-12 bzw 13).

Dessenungeachtet sprach das Bezirksgericht St.Pölten mit (unjournalisiert zum Akt genommenem) Beschluß vom 18.Jänner 1996 die endgültige Strafnachsicht aus, ohne den aus der eingeholten Strafregisterauskunft ersichtlichen Widerruf der bedingten Strafnachsicht zu AZ 29 E Vr 1189/92 des Landesgerichtes St.Pölten und die darauf hinweisenden Berichte der Justizanstalt St.Pölten über die bedingte Entlassung zu beachten.

Im Sinn der von der Generalprokuratur zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde trifft es zu, daß der Beschluß des Bezirksgerichtes St.Pölten vom 18.Jänner 1996, AZ 5 U 1071/92, womit die über Martin B***** verhängte Freiheitsstrafe von acht Wochen endgültig nachgesehen wurde, das Gesetz in dem im XX.Hauptstück der Strafprozeßordnung verankerten Grundsatz der materiellen Rechtskraft verletzt. Der vom Landesgericht St.Pölten am 18.Juni 1993 zu AZ 29 E Vr 1189/92 gefaßte Widerrufsbeschluß entfaltete ebenso wie der Beschluß des Landesgerichtes St.Pölten vom 16.Mai 1994, GZ 15 BE 4/94-4, mit dem Martin B***** gemäß § 46 StGB aus der Strafhaft bedingt entlassen und der Rest der Strafen (darunter auch die zu AZ 5 U 1071/92 des Bezirksgerichtes St.Pölten ausgesprochene) unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde, insofern eine Bindungs-(Sperr-)wirkung, als es für kein Gericht ohne vorangegangene Aufhebung dieser Beschlüsse zulässig war, über den bereits abgesprochenen Entscheidungsgegenstand neuerlich zu erkennen. Das Bezirksgericht St.Pölten nahm daher durch seine Beschlußfassung vom 18.Jänner 1996, AZ 5 U 1071/92, prozeßordnungswidrig eine im damaligen Zeitpunkt nicht mehr eröffnete Entscheidungskompetenz in Anspruch. Der solcherart gesetzwidrige Beschluß konnte weder den schon vorher rechtskräftig und rechtswirksam beschlossenen Widerruf der bedingten Strafnachsicht beseitigen, noch sonst Rechtsfolgen für den Verurteilten, insbesondere keine Verkürzung der nunmehr bis 7. Juni 1997 offenen Probezeit auslösen. Da der Beschluß des Bezirksgerichtes St.Pölten vom 18.Jänner 1996 weder für Martin B***** noch sonst Rechtswirkung entfalten konnte, war er - so gesehen ohne Nachteil für den Verurteilten - ersatzlos aufzuheben.

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