OGH 12Os115/93

OGH12Os115/9323.9.1993

Der Oberste Gerichtshof hat am 23.September 1993 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Horak als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Rzeszut, Mag.Strieder, Dr.Mayrhofer und Dr.Rouschal als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Schmidt als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Andrzej F***** und einen anderen wegen des Vergehens des teils vollendeten, teils versuchten schweren Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs. 1 Z 4 und 15 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen das Urteil des Einzelrichters des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 21.April 1993, GZ 6 d E Vr 3873/93-21, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr.Wasserbauer, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 21.April 1993, GZ 6 d E Vr 3873/93-21, verletzt das Gesetz in den (nur) den Angeklagten Andrzej F***** betreffenden Aussprüchen

1. über die (gesonderte) rechtliche Beurteilung der ihm zu den Punkten A und B 1 zur Last liegenden Tathandlungen als Verbrechen (hier richtig: Vergehen) des versuchten schweren Diebstahls nach §§ 15, 127, 128 Abs. 1 Z 4 StGB und als Verbrechen des Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 129 Z 3 StGB in der Bestimmung des § 29 StGB;

2. er habe den im Urteilsspruch unter Punkt B 1 beschriebenen Diebstahl durch Aufbrechen einer Sperrvorrichtung begangen, in der Bestimmung des § 129 Z 3 StGB.

Dieses Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, wird im Ausspruch, Andrzej F***** habe den im Urteilsspruch unter Punkt B 1 beschriebenen Diebstahl durch Aufbrechen einer Sperrvorrichtung begangen, und in der rechtlichen Beurteilung der ihm zu den Punkten A und B 1 zur Last liegenden Tathandlungen als (zweifaches) Verbrechen des versuchten Diebstahls nach §§ 15, 127, 128 Abs. 1 Z 4 StGB und als Verbrechen des Diebstahls nach §§ 127, 129 Z 3 sowie demgemäß in dem den Andrzej F***** betreffenden Strafausspruch (mit Ausnahme der Aussprüche über den Kostenersatz und über die Vorhaftanrechnung) aufgehoben und es wird gemäß §§ 288 Abs. 2 Z 3, 292 StPO im Umfang der Aufhebung in der Sache selbst erkannt:

Andrzej F***** hat durch die unter den Punkten A und B 1 des Urteilsspruchs beschriebenen Taten das Vergehen des teils vollendeten, teils versuchten schweren Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs. 1 Z 4 und 15 StGB begangen und wird hiefür sowie für die ihm nach dem unberührt bleibenden Teil des Schuldspruchs weiterhin zur Last fallenden Vergehen der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs. 1 StGB und der Fälschung besonders geschützter Urkunden nach §§ 223 Abs. 2, 224 StGB nach §§ 28 Abs. 1, 128 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 5 (fünf) Monaten verurteilt.

Die Aussprüche über den Kostenersatz und über die Vorhaftanrechnung werden aus dem Ersturteil übernommen.

Text

Gründe:

Mit dem im Spruch bezeichneten Urteil wurde der polnische Staatsangehörige Andrzej F*****, (zu A) des Verbrechens (isoliert betrachtet richtig: Vergehens) des versuchten schweren Diebstahls nach §§ 15, 127, 128 Abs. 1 Z 4 StGB, (zu B 1) des Verbrechens des Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 129 Z 3 StGB sowie der Vergehen (zu B 2) der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs. 1 StGB und (zu B 3) der Fälschung besonders geschützter Urkunden "nach dem § 224 StGB" (richtig: nach §§ 223 Abs. 2, 224 StGB) schuldig erkannt und hiefür unter Anwendung des § 28 Abs. 1 StGB nach § 129 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von acht (laut Aktenvermerk S 109 jedoch zehn) Monaten verurteilt.

Inhaltlich des erstgerichtlichen Schuldspruchs liegt dem Andrzej F***** als Diebstahl zur Last, in Wien mit unrechtmäßigem Bereicherungsvorsatz

A/ (zu ergänzen: am 10.Februar 1993) gemeinsam mit Grzegorz K***** (als Mittäter) den PKW der Marke VW Golf mit dem Kennzeichen W

395.591 in einem 25.000 S übersteigenden Wert der Elisabeth H***** wegzunehmen versucht und

B 1/ am 22.August 1990 alleine einen Lederrucksack im Wert von 398 S Verfügungsberechtigten der Firma "W***** Lederwaren" durch Aufbrechen einer Sperrvorrichtung, "nämlich durch Durchzwicken der Rucksackschlaufe, mit der dieser an einem Ständer gesichert war", weggenommen zu haben.

Gegen dieses Urteil meldete der (damals anwaltlich nicht vertretene) Angeklagte sogleich "volle Berufung" an und beantragte zugleich "die Beigebung eines Verfahrenshelfers" (S 104). Die vom bestellten Verfahrenshelfer in der Folge fristgerecht ausgeführte Berufung wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe (ON 25) zog der Angeklagte jedoch am 28. Juni 1993 zurück (S 181), sodaß das Urteil in Rechtskraft erwuchs.

Andrzej F***** wurde (nach einer vom Obersten Gerichtshof telefonisch eingeholten Auskunft) mit Beschluß des Landesgerichtes Ried im Innkreis vom 16.Juli 1993, BE 222/93, am 19.Juli 1993 aus der Freiheitsstrafe bedingt entlassen und in der Folge nach Polen abgeschoben.

Rechtliche Beurteilung

Das bezeichnete Urteil des Einzelrichters verletzt, wie der Generalprokurator in seiner gemäß § 33 Abs. 2 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zu Recht ausführt, das Gesetz in zweifacher Richtung:

1. Zufolge des im § 29 StGB verankerten Zusammenrechnungsprinzips sind alle in einem Verfahren demselben Täter zur Last fallenden Diebstähle - mögen sie auch weder örtlich noch zeitlich zusammenhängen oder jeder für sich rechtlich verschiedener Art sein - bei der rechtlichen Beurteilung zu einer Einheit zusammenzufassen. Einem Täter, der mehrere strafbare Handlungen derselben Art begeht, von denen ein Teil vollendet, ein Teil bloß versucht wurde, ist daher auch bei Tatbestandsverwirklichung in verschiedenen Begehungsformen ungeachtet dessen, daß strafsatzqualifizierende Umstände lediglich bei einzelnen Fakten oder auch nur bei einer im Versuchsstadium gebliebenen Tathandlung erfüllt sind, nur ein Delikt anzulasten (EvBl. 1983/78, 11 Os 107/90 ua). Die im erstgerichtlichen Urteil vorgenommene Aufspaltung in ein Verbrechen (isoliert betrachtet richtig: Vergehen) des versuchten schweren Diebstahls nach §§ 15, 127, 128 Abs. 1 Z 4 StGB (A) und in ein (gesondertes) Verbrechen des Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 129 Z 3 StGB (B 1) stellt demnach einen Verstoß gegen die Bestimmung des § 29 StGB dar, der aber im vorliegenden Fall dem Verurteilten nicht zum Nachteil gereichte, weil daraus erkennbar keine unrichtigen, für ihn nachteiligen Strafzumessungstatsachen (§ 281 Abs. 1 Z 11 zweiter Fall StPO) abgeleitet wurden (vgl. 13 Os 127/89).

2. Nach den zum Urteilsfaktum B 1 getroffenen Feststellungen (US 5 unten bis 6 oben) im Zusammenhalt mit dem diesen Diebstahl betreffenden Verfahrensergebnissen (S 12 f) stahl der Angeklagte Andrzej F***** am 22.August 1990 in Wien einen mit einer Sicherungskette an einem vor einem Geschäft aufgestellten Ständer befestigten Leinenrucksack, indem er die Rucksackschlaufe (mit einer Beißzange) durchtrennte.

Die Auffassung des Erstgerichtes, diese Vorgangsweise entspreche dem "Aufbrechen einer Sperrvorrichtung" und begründe deshalb die Qualifikation des § 129 Z 3 StGB, ist rechtsirrig. Denn von einer in dieser Gesetzesstelle vorausgesetzten "Sperrvorrichtung" kann nur dann gesprochen werden, wenn dem die Sache gegen Wegnahme sichernden Verschluß eine Sperrfunktion zukommt. Dies trifft aber nur auf einen mit einem Sperrmechanismus (Schloß) verbundenen Verschluß, wie etwa auf Vorhangschlösser, Kettenschlösser, Nummernschlösser, Lenkrad- und Zündschlösser zu, nicht aber auf Schraubverschluß oder bloße Schnappschlösser (vgl. Leukauf-Steininger Komm.3 RN 31 und Kienapfel BT II2 Rz 79 ff jeweils zu § 129). Das Fehlen eines solchen für ein Schloß typischen Sperrmechanismus steht der Einordnung einer bloßen (Leder- oder Stoff-)Schlaufe unter den Begriff "Sperrvorrichtung" entgegen, weshalb deren Durchtrennung (Zwicken) nicht geeignet ist, die Diebstahlsqualifikation nach der Z 3 des § 129 StGB zu begründen (12 Os 94,95/92).

Demgemäß war in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes das erstgerichtliche Urteil, das im übrigen unberührt zu bleiben hat, in den im Spruch näher bezeichneten Aussprüchen aufzuheben und gemäß §§ 288 Abs. 2 Z 3, 292 StPO bei Andrzej F***** die Strafe nach §§ 28 Abs. 1, 128 Abs. 1 StGB neu zu bemessen. Dabei fielen die Begehung mehrerer strafbarer Handlungen derselben und verschiedener Art sowie eine Vorverurteilung wegen versuchter Entwendung nach §§ 15, 141 StGB als erschwerend ins Gewicht; mildernd war dagegen das teilweise Geständnis des Angeklagten und die Tatsache, daß es beim Diebstahl einmal beim Versuch geblieben war. Unter Abwägung der Zahl und des Gewichtes der aufgezählten Strafzumessungsgründe sowie unter Berücksichtigung der allgemeinen Grundsätze der Strafbemessung (§ 32 StGB) erachtet der Oberste Gerichtshof eine fünfmonatige Freiheitsstrafe für tat- und schuldangemessen. Die Verübung mehrerer (verschiedener) Straftaten trotz der zum AZ 6 U 553/90 des Strafbezirksgerichtes Wien erfolgten Verurteilung und des seit August 1990 (zusätzlich) anhängigen Verfahrens (wegen des Rucksackdiebstahls) verbieten die Gewährung der bedingten Strafnachsicht gemäß § 43 Abs. 1 StGB.

Somit war wie aus dem Spruch ersichtlich zu erkennen.

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