European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0120OS00011.20I.0414.000
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Dem Angeklagten Erwin B***** fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil, das auch unbekämpft in Rechtskraft erwachsene Freisprüche dieses Angeklagten und der Angeklagten Eveline B***** enthält, wurde Erwin B***** eines Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1, Abs 3 erster Fall StGB sowie mehrerer Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (I./), der Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (II./) sowie jeweils mehrerer Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 1 StGB (III./) und der Blutschande nach § 211 Abs 1 StGB (IV./) schuldig erkannt.
Danach hat er in W***** und an anderen Orten
I./ mit unmündigen Personen den Beischlaf und eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung unternommen, und zwar
1./ von 2000 bis zum 19. Mai 2004 in einer nicht mehr feststellbaren Anzahl von Angriffen mit seiner am ***** geborenen Tochter Y***** B*****, indem er regelmäßig Geschlechtsverkehr mit ihr durchführte;
2./ von Sommer 2007 bis Mitte 2008 in drei Angriffen mit seiner am ***** geborenen Tochter S***** B*****, indem er Vaginalverkehr mit ihr durchführte und sie ein Mal dazu veranlasste, einen Oralverkehr an ihm durchzuführen, wobei die Tat in einem Fall eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1) des Opfers, nämlich eine posttraumatische Belastungsstörung, zur Folge hatte;
II./ außer dem Fall des § 206 StGB geschlechtliche Handlungen an seiner am ***** geborenen, somit unmündigen Tochter S***** B***** vorgenommen, indem er sie oberhalb der Kleidung an der Brust und im Intimbereich streichelte, und zwar
1./ von Mitte 2005 bis Sommer 2007 in mehreren Angriffen und
2./ im Sommer 2008 in einem Angriff;
III./ mit minderjährigen Personen, mit denen er in absteigender Linie verwandt ist, geschlechtliche Handlungen vorgenommen, und zwar
1./ von 2000 bis Sommer 2008 mit seinen Töchtern Y***** B*****, geboren am ***** und S***** B*****, geboren am *****, durch die zu I./ und II./ beschriebenen Handlungen;
2./ vom 20. Mai 2004 bis zum 19. Mai 2008 mit seiner am ***** geborenen Tochter Y***** B*****, indem er regelmäßig Geschlechtsverkehr mit ihr durchführte;
IV./ von 2000 bis Mitte 2008 durch die zu I./ und III./2./ beschriebenen Handlungen mit Personen, die mit ihm in gerader Linie verwandt sind, nämlich mit seinen Töchtern, den Beischlaf vollzogen.
Rechtliche Beurteilung
Der dagegen aus § 281 Abs 1 Z 5, 9 lit a und 10 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten kommt keine Berechtigung zu.
Entgegen dem zu I./2./ erhobenen Einwand offenbar unzureichender Begründung (Z 5 vierter Fall) des konstatierten (Eventual‑)Vorsatzes des Angeklagten in Bezug auf den Eintritt der schweren Tatfolge in Form einer posttraumatischen Belastungsstörung bei S***** B***** (US 14, 20), gründeten die Tatrichter diese Feststellungen zur subjektiven Tatseite – zulässigerweise und unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden (vgl RIS‑Justiz RS0098671, RS0116882) – auf das objektive Tatgeschehen und auf den Umstand, dass der Angeklagte mit seinen Übergriffen nicht aufhörte, obwohl ihm laut eigener Aussage die Selbstbeschädigungen seiner Tochter auffielen (US 19 f; ON 92 S 17 f).
Die relevierte Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) durch das Fehlen einer Auseinandersetzung mit den „gegen die Glaubwürdigkeit der Zeugen sprechenden Umständen“ liegt nicht vor.
Die Rüge moniert in diesem Zusammenhang, das Erstgericht habe sich nicht mit den gegen die Glaubwürdigkeit des Zeugen Werner B***** sprechenden Beweisergebnissen auseinandergesetzt, weil es das divergente Aussageverhalten dieses Zeugen, der im gegen den Angeklagten geführten Ermittlungsverfahren im Jahr 2009 die Kenntnis von sexuellen Übergriffen des Angeklagten noch verneint und bei seiner neuerlichen Vernehmung im Jahr 2019 von einer Falschaussage gesprochen habe, nicht berücksichtigt. Sie übersieht jedoch, dass die Tatrichter dazu erwogen, dass Werner B***** im Ermittlungsverfahren im Jahr 2009 deshalb nichts über die ihm von seiner damaligen Ehefrau Y***** B***** anvertrauten sexuellen Übergriffe durch ihren Vater angegeben hat, weil ihn seine Ehefrau darum ersucht hatte (US 11 f), die Angaben dieses Zeugen zu einem von Y***** B***** heimlich angefertigten Video (US 12) durch die Aussagen der Zeugen S***** B***** und Kurt M***** bestätigt wurden und bei den Zeugen Werner B***** und Kurt M*****, die einander nicht kennen, kein Motiv für eine Falschbelastung zutage kam (US 18).
Mit dem Vorbringen, der Umstand, dass der Zeuge Werner B***** „wissentlich seine eigene Tochter in den letzten zehn Jahren bei einem Gefährder untergebracht“ habe (vgl jedoch US 18, wonach es dem Genannten „offensichtlich gleichgültig“ war, dass sein Kind bei den Großeltern lebte), stehe im Widerspruch mit der Aussage des Zeugen, er hätte im Jahr 2009 umgehend Anzeige erstatten wollen, wobei „Gleiches“ auch für den Zeugen M***** gelte, bekämpft der Beschwerdeführer bloß unzulässig die Beweiswürdigung des Erstgerichts nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung.
Inwiefern der Aspekt, dass Y***** B***** „trotz des Erlebten“ ihre eigenen Kinder bei den Großeltern beließ und sie damit „wissentlich der Gefährdung ausgesetzt hätte“, den inkriminierten Tathandlungen erörterungsbedürftig entgegenstehen soll (Z 5 zweiter Fall; RIS‑Justiz RS0098646 [insb T8]) legt die Rüge nicht dar.
Mit der Kritik, die „Begründung“ für die vom Schöffensenat attestierte Glaubwürdigkeit der Zeugin S***** B***** (vgl US 16 bis 18) sei „nicht ausreichend“, wird kein formaler Begründungsmangel iSd Z 5 dargetan, sondern bloß mit eigenen – teils spekulativen – Beweiswerterwägungen (zum „häufigen Lügen“ der S***** B*****, zu möglichen Gründen ihres Auszugs aus dem Elternhaus, zum Fehlen des vom Opfer und von Zeugen „in unterschiedlicher Art“ geschilderten Videos sowie zu den Angaben der Zeugen Petra F*****, Manuela B*****, Andreas Ma***** und Bernhard B*****, denen „keine Beweiskraft“ zukomme, da sich S***** B***** ihnen erst „kurz vor der Anzeigenerstattung“ anvertraut habe und diese nur „Zeugen vom Hörensagen“ [zur prinzipiellen Zulässigkeit vgl Hinterhofer/Oshidari, Strafverfahren Rz 2.195, 7.523] seien) erneut in unzulässiger Weise die tatrichterliche Beweiswürdigung bekämpft.
Die gegen die Annahme der Qualifikation nach § 206 Abs 3 erster Fall StGB gerichtete Rüge zu I./2./ (nominell Z 9 lit a, der Sache nach Z 10) behauptet das Fehlen von Feststellungen zur Kausalität der Tathandlungen des Angeklagten für die eingetretene schwere Körperverletzung der S***** B***** (in Form einer posttraumatischen Belastungsstörung), weil nur konstatiert worden sei, dass die Tathandlungen „die Symptomatik deutlich verschlimmert“ haben.
Entgegen dem Beschwerdevorbringen – das sich nicht an der Gesamtheit der Entscheidungsgründe orientiert (vgl aber RIS‑Justiz RS0099810) – haben die Tatrichter konstatiert, dass eine der zu I./2./ angeführten Taten eine posttraumatische Belastungsstörung der S***** B***** zur Folge hatte und das Opfer, wenngleich diese psychische Erkrankung ihren Ausgang bereits im Kindesalter nahm, die inkriminierten Tathandlungen als traumatisierend erlebte, diese die Symptomatik deutlich verschlimmerten und das Opfer unter Waschzwängen litt und Einschlaf- und Durchschlafstörungen sowie Albträume auftraten (US 10 iVm US 17 f). Weshalb darin keine Feststellung, dass eine der inkriminierten Taten mitursächlich für den Eintritt der schweren Körperverletzung war (vgl Burgstaller in WK2 StGB § 80 Rz 68; Philipp in WK² StGB § 201 Rz 30) zu erblicken sein soll, gibt die Rüge nicht bekannt.
Darüber hinaus legt die Rüge nicht dar, weshalb die konstatierte Mitkausalität des vorgeworfenen Verhaltens für die eingetretenen (schweren) Verletzungsfolgen zur Begründung deren strafrechtlicher Zurechnung nicht ausreichen sollte (vgl RIS‑Justiz RS0091997 [T1, T2], RS0089343).
Soweit die Rüge (nominell Z 9 lit a, der Sache nach Z 10) zu I./2./ kritisiert, das Erstgericht habe weder einen „Misshandlungsvorsatz“ noch „das Wissen um die fahrlässige Tatbildverwirklichung“ festgestellt, weshalb es an dem „vom Gesetz geforderten subjektiven Tatbestandsmerkmal“ für eine Verurteilung nach der Qualifikationsnorm des § 206 Abs 3 erster Fall StGB fehle, legt sie nicht prozessordnungsgemäß aus dem Gesetz abgeleitet dar (vgl RIS‑Justiz RS0116565), weshalb die Urteilskonstatierungen zur subjektiven Tatseite (vgl US 14, 20) nicht hinreichend deutlich den (Eventual‑)Vorsatz auf den Eintritt einer schweren Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) zum Ausdruck bringen sollten und welche weiteren Feststellungen, über die getroffenen hinaus, für die rechtsrichtige Subsumtion des Sachverhalts unter die genannte Qualifikation noch erforderlich gewesen wären.
Der Vollständigkeit halber bleibt festzuhalten, dass die angesprochene Bestimmung eine Erfolgsqualifikation darstellt, für deren Verwirklichung gemäß § 7 Abs 2 StGB fahrlässige Herbeiführung der (schweren) Tatfolge genügt (Burgstaller/Schütz in WK2 StGB § 7 Rz 27 und § 6 Rz 96 ff; Philipp in WK2 StGB § 201 Rz 30, § 206 Rz 16; vgl auch RIS‑Justiz RS0089253).
Mit Blick auf § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO bleibt zum Schuldspruch IV./ hinzuzufügen, dass unter „Beischlaf“ im Sinn des § 211 StGB ausschließlich der „natürliche“ vaginale Beischlag zu verstehen ist (vgl Philipp in WK2 StGB § 211 Rz 7). Aus der verfehlten Subsumtion des Oralverkehrs am Angeklagten durch seine Tochter S***** B***** (I./2./) auch nach § 211 Abs 1 StGB resultierte jedoch kein konkreter Nachteil für den Angeklagten (vgl Ratz, WK‑StPO § 290 Rz 22 f), weshalb sich der Oberste Gerichtshof nicht zu amtswegigem Vorgehen veranlasst sah.
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO). Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen (§ 285i StPO).
Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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