Spruch:
Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Kreisgericht Leoben verwiesen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurden die Justizwachebeamten Alois A,
geboren am 21.Mai 1948, Otto B, geboren am 26.Juli 1954, Herwig C,
geboren am 20.April 1942, und Helmut D, geboren am 7. März 1944, von
der Anklage, es haben in Graz vorsätzlich I.) alle vier Angeklagten
am 3.November 1976
(unter Ausnützung ihrer Amtsstellung) 1.) im bewußt gemeinsamen
Zusammenwirken als Mittäter den Strafgefangenen Erich E durch
Versetzen von Faustschlägen, Fußtritten und Schlägen mit einem
Gummiknüppel auf den Kopf, die Brust, die oberen Extremitäten und
die rechte Hals-
Schulterregion am Körper verletzt und ihm dabei verschiedene
Blutunterlaufungen an den Oberarmen, Blutungen an den Lippen und
an der Nase, sowie eine Lähmung des rechtsseitigen
Armnervengeflechtes zugefügt, 2.) die unter 1.) angeführte Tat in
verabredeter Verbindung begangen, 3.) als Justizwachebeamte des
landesgerichtlichen Gefangenenhauses Graz, die dienstlichen Zugang
zum Strafgefangenen Erich E hatten, durch die angeführten
Tathandlungen, durch die sie dem Genannten länger fortdauernde,
sich wiederholende Schmerzen bereiteten und ihn durch das
gemeinsame Betreten der Haftzelle und die gleichzeitige
Gewaltanwendung in einen Angstzustand versetzten, dem Erich E
körperliche und seelische Qualen zugefügt;
II.) Alois Neubauer allein am 17.September 1976
den (minderjährigen Stiefsohn) Hans F durch Versetzen von Schlägen mit den Händen und Hieben mit einem Besenstiel am Körper verletzt, wodurch der Genannte Striemen und Blutunterlaufungen im Bereich des rechten Oberarmes, der rechten Schulter, am rechten Oberschenkel, beiderseits am Gesäß sowie an den rechten Augenlidern erlitt, und hiedurch zu I.) 1.) und 2.) das Verbrechen (richtig: Vergehen) der schweren Körperverletzung nach den §§ 83 Abs 1, 84 Abs 2 Z 2 StGB und zu I.) 3.) das Vergehen des Quälens oder Vernachlässigung eines Gefangenen nach dem § 312 Abs 1 StGB, sowie Alois A überdies zu II.) das Vergehen der Körperverletzung nach dem § 83 Abs 1 StGB begangen, gemäß dem § 259 Z 3 StPO freigesprochen.
Diese Freisprüche bekämpft die Staatsanwaltschaft unter Anrufung der Nichtigkeitsgründe der Z 5 und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO
Rechtliche Beurteilung
Die Nichtigkeitsbeschwerde ist begründet.
Zum Urteilsfaktum I.):
Mit Recht erblickt die Beschwerdeführerin einen Mangel der Urteilsbegründung darin, daß das Erstgericht auf wesentliche, den Ausspruch über entscheidende Tatsachen betreffende Umstände nicht eingegangen ist, und seine Beweiswürdigung nicht hinreichend begründet hat, obwohl es bei einer mängelfreien Erörterung (auch) des belastenden Beweismaterials auch zu einer anderen Lösung der Schuldfrage hätte gelangen können.
Nach dem im § 258 Abs 2 StPO umschriebenen Grundsatz der freien Beweiswürdigung hat das Gericht die Beweismittel auf ihre Glaubwürdigkeit und Beweiskraft sowohl einzeln als auch in ihrem inneren Zusammenhang sorgfältig und gewissenhaft zu prüfen. über die Frage, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen sei, entscheidet das Gericht nicht nach gesetzlichen Beweisregeln, sondern nach seiner freien, aus der gewissenhaften Prüfung aller für und wider die Annahme dieser Tatsache vorgebrachten Beweismittel gewonnenen überzeugung. Die vom Gericht bei der freien Beweiswürdigung zu entfaltende Tätigkeit ist nach dem Gesetz eine Verstandes-, nicht aber eine Gefühlstätigkeit; denn das erkennende Gericht hat im Sinne des § 270 Abs 2 Z 5 StPO im Zusammenhang mit § 281 Abs 1 Z 5 StPO überprüfbar, schlüssig und zureichend zu begründen, welche Umstände die überzeugung von der Wahrheit oder Unwahrheit einer tatsächlichen Behauptung hervorgerufen haben. Es genügt sohin nicht, daß das Gericht seine Auffassung über das Endergebnis des Beweisverfahrens in mehr oder weniger allgemein gehaltenen Schlußfolgerungen zum Ausdruck bringt, zumal wenn diese sich mit aufgezählten Einzelergebnissen nicht decken oder gar hiezu in krassem Widerspruch stehen; es muß sich vielmehr mit allen wichtigen Verfahrensergebnissen auseinandersetzen und bei Begründung der von ihm vorgenommenen Beurteilung der Beweislage auch dartun, warum es die dieser Beurteilung entgegenstehenden Beweisergebnisse für belanglos oder nicht überzeugend hält. (Zum Wesen der freien Beweiswürdigung und zur Begründungspflicht unter dem Gesichtspunkt des § 281 Abs 1 Z 5 StPO vgl. u.a. Gebert-Pallin-Pfeiffer III/2, Nr.19, 20 u. 20 a zu § 258 StPO bzw. Nr.25, 25 a, 64 b zu § 281 Abs 1 Z 5 StPO).
Im vorliegenden Fall begründete das Erstgericht seinen Freispruch im wesentlichen damit, daß auf Grund der einander widersprechenden Darstellungen der Angeklagten und im Hinblick darauf, daß die volle Glaubwürdigkeit der (zum Teil widersprüchlichen) Aussage des Zeugen E nach dem in der Hauptverhandlung gewonnenen Eindruck in Zweifel zu ziehen sei, Feststellungen über den tatsächlichen Ablauf des Geschehens und über ein (im Sinne des § 84 Abs 2 Z 2 StGB) verabredetes oder bewußtes und gewolltes Vorgehen der Angeklagten nicht hätten getroffen werden können.
Im übrigen werden in den Urteilsgründen zwar die mit ihrer Verantwortung in der Hauptverhandlung divergierenden Angaben der Angeklagten vor dem Untersuchungsrichter, sowie die des Angeklagten B bei seiner zweiten Vernehmung durch den Leiter des landesgerichtlichen Gefangenenhauses Graz im wesentlichen wiedergegeben. Wie die Staatsanwaltschaft zutreffend geltend macht, blieb jedoch unerörtert, aus welchen Gründen das Schöffengericht diesen Angaben, mit denen sich die Angeklagten zum Teil selbst, zum Teil gegenseitig belasteten - ungeachtet dessen, daß sie mit der vom Erstgericht (für sich allein) als nicht glaubwürdig erachteten Aussage des Zeugen E in wesentlichen Punkten übereinstimmten -, für nicht beweiskräftig beurteilte und auf Grund welcher Erwägungen es den späteren Widerruf dieser Verantwortung in der Hauptverhandlung für beachtlich und die von den Angeklagten hiefür ins Treffen geführten Beweggründe für glaubwürdig hielt.
In diesem Zusammenhang verwies das Erstgericht lediglich auf die Aussage des Zeugen Oberst G (vgl. S.251 f d.A.), die nach Auffassung des Gerichtes ein falsches Geständnis des Angeklagten B möglich erscheinen lasse; mit Stillschweigen überging es hingegen die Aussage des Justizwachegruppeninspektors Herbert H, wonach der Angeklagte B nach seiner ersten Vernehmung durch den Leiter des landesgerichtlichen Gefangenenhauses Graz diesem Zeugen gegenüber - konform mit seinem späteren Geständnis - eine im einverständlichen Zusammenwirken erfolgte Mißhandlung des Strafgefangenen E mit der Einschränkung zugab, daß er (in weiterer Folge) als einziger dem Geschehen Einhalt geboten habe (vgl. S.27, 250 d.A.).
Schließlich verwies das Erstgericht bei Würdigung der Aussage des Zeugen E einerseits auf - Nebenumstände betreffende - Widersprüche und andererseits auf dessen Bestreben, die bei der tätlichen Auseinandersetzung erlittenen Verletzungen zu aggravieren. Soweit es sich hiebei auf die Aussage des Zeugen I und das Gutachten des dem Verfahren beigezogenen gerichtsmedizinischen Sachverständigen DDDr.Erich J stützte, ließ es jedoch unberücksichtigt, daß letzterer zwar selbst eine Lähmung des rechten Armes des E nicht mehr feststellen konnte, seinem Gutachten aber den Befund der psychiatrischneurologischen Universitätsklinik Graz zugrundelegte, aus dem die Tatsache der Lähmung des rechten Armnervengeflechtes zweifelsfrei hervorgeht, und eine Simulation des Zeugen E demnach (im Gegensatz zu den - lt.
A 253 allerdings erst einige Zeit nach der Tat gemachten - Beobachtungen des Zeugen I) bloß für den Zeitpunkt der Erstellung seines (des Sachverständigen) Befundes (6.12.1976) nicht ausschloß (vgl. S.259 d.A.).
Schon aus diesen Gründen erweist sich das Urteil in seinem das Faktum I.) betreffenden Teil als mit formellen Begründungsmängeln im Sinne der Z 5 des § 281 Abs 1 StPO behaftet und, ohne daß auf die weiteren Beschwerdeeinwände noch eingegangen zu werden braucht, die Anordnung einer nochmaligen Hauptverhandlung als unvermeidlich.
Zum Urteilsfaktum II.):
Mit Beziehung auf den Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO macht die Beschwerdeführerin geltend, das Erstgericht habe die Frage der Tatbestandsmäßigkeit dieses Tatverhaltens des Angeklagten A nach dem § 83 Abs 1 StGB zu Unrecht mit der Begründung verneint, daß die Tathandlung 'gerade noch' nicht als überschreitung des ihm zustehenden Züchtigungsrechtes zu werten sei, weil sich sein minderjähriger Stiefsohn Hans F durch die Begehung unzüchtiger Handlungen mit seiner ehelichen Tochter einer sehr schweren Verfehlung schuldig gemacht habe, was eine großzügige Auslegung des Züchtigungsrechtes für gerechtfertigt erscheinen lasse.
Die Rüge ist begründet.
Denn da der Angeklagte A den Urteilsfeststellungen zufolge seinem Stiefsohn - einem 11jährigen Hilfsschüler -, über dessen unsittliches Verhalten erzürnt, u.a. mit einem Besenstiel (nach Behauptung des Minderjährigen mit einem Gummiknüppel /vgl. S.27 und 31 in ON 22 sowie S.251 d.A./) mehrere Schläge versetzte, sodaß dieser (leichte) Verletzungen erlitt und deswegen 10 Tage in der chirurgisch-orthopädischen Kinderklinik Graz stationär behandelt wurde (vgl. S.27 f in ON 22 d.A.), kann von einer maßvollen, mit einem herkömmlichen Erziehungsmittel erfolgten rechtfertigenden Ausübung des Züchtigungsrechtes nicht mehr die Rede sein, selbst wenn man dem Angeklagten A erzieherische Absicht zubilligen wollte (vgl. SSt.43/22 u.a.; ferner Leukauf-Steininger, 47 f). Auf der subjektiven Tatseite erfordert die rechtliche Annahme des Tatbestandes der Körperverletzung nach dem § 83 Abs 1 StGB den Vorsatz des Täters, einen anderen am Körper zu verletzen oder an der Gesundheit zu schädigen, nach dem § 83 Abs 2 StGB den Vorsatz, diesen am Körper zu mißhandeln, sowie Fahrlässigkeit hinsichtlich der in der zitierten Gesetzesstelle bezeichneten Folgen. Da im angefochtenen Urteil - infolge der rechtsirrigen Annahme, A habe in Ausübung rechtfertigender Züchtigung gehandelt - eindeutige Feststellungen in dieser Richtung nicht getroffen wurden, ist dieses insoweit mit Feststellungsmängeln im Sinne der Z 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO behaftet, die eine Aufhebung des Urteils auch in diesem Umfang erforderlich machen.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Im erneuerten Verfahren werden zum Urteilsfaktum I.) u.a. mängelfrei begründete Feststellungen darüber zu treffen sein, ob die Angeklagten den Strafgefangenen Erich E in verabredeter Verbindung von mindestens drei Personen (§ 84 Abs 2 Z 2 StGB) oder im einverständlichen Zusammenwirken (als Mittäter) vorsätzlich am Körper verletzen (§ 83 Abs 1 StGB) bzw. vorsätzlich mißhandeln wollten (§ 83 Abs 2 StGB). Dabei wird zu beachten sein, daß Mittäter unmittelbare Täter (im Sinne der ersten Alternative des § 12 StGB) sind und daher Ausführungshandlungen setzen müssen. Mittäterschaft verlangt die Herbeiführung des Deliktserfolges durch bewußtes und gewolltes, das heißt von einem gemeinsamen Vorsatz getragenes Zusammenwirken; jeder an der Tatausführung Beteiligte haftet dabei strafrechtlich - über die von ihm selbst gesetzten Ausführungshandlungen hinaus - für den gesamten Verletzungserfolg. Anders liegt aber die rechtliche Situation beim Tatbild des § 84 Abs 2 Z 2 StGB Denn bei Tatbegehung in verabredeter Verbindung von mindestens drei Personen ist es - im Gegensatz zum Fall der ersten Alternative des § 12 StGB - nicht erforderlich, daß jeder der Verabredeten unmittelbar an den Angegriffenen Hand anlegt oder sonst an der Tatausführung unmittelbar aktiv mitwirkt. Auch wer verabredungsgemäß durch seine bloße Anwesenheit am Tatort seinen Willen zum allfälligen Eingreifen in den Ereignisablauf ausdrückt, haftet nach § 84 Abs 2 Z 2 StGB, mag er auch im Einzelfall keine unmittelbar zu Verletzungen führenden Aktivitäten gesetzt haben (12 Os 21/77 = ÖJZ-LSK 1977/192;
im gleichen Sinne Leukauf-Steininger, Komm., 431 und Foregger-Serini in Erläuterung VI zu § 84 StGB2).
Konkrete Feststellungen, welcher Angeklagte dem Erich E im einzelnen Verletzungen zufügte, bedürfte es - sofern nicht etwa die Voraussetzungen des § 91 StGB vorliegen (vgl. EvBl 1976/56, LSK 1975/120 u.a.) -
demnach nur dann, wenn die Beteiligten den tatbestandsmäßigen Erfolg (in Form der sogenannten Nebentäterschaft) gemeinschaftlich herbeigeführt haben sollten, ohne subjektiv durch einen gemeinsamen Tatentschluß verbunden zu sein (vgl. SSt.43/22, LSK 1976/267). Gegebenenfalls wird neuerlich zu prüfen sein, ob die als Folge von Mißhandlungen bei E entstandene Lähmung des rechten Armnervengeflechtes nach der Erheblichkeit des dadurch bewirkten gesundheitlichen Nachteils - komplette oder Teil-Lähmung - als an sich schwere oder bloß leichte Verletzung zu werten ist (vgl. S.256 ff d.A.).
In rechtlicher Hinsicht wird das Erstgericht außerdem zu beachten haben, daß die Zufügung körperlicher oder seelischer Qualen im Sinne des § 312 Abs 1 StGB einen mit der (hier primär in Betracht kommenden) Mißhandlung einhergehenden längere Zeit fortdauernden oder sich wiederholenden Zustand erheblicher physischer oder psychischer Beeinträchtigung erfordert (vgl. Leukauf-Steininger, 471); auch in dieser Richtung bedarf es allenfalls noch ausreichender Tatsachenfeststellungen (die in den Gründen des angefochtenen Urteils fehlen).
Sollten die im erneuerten Verfahren getroffenen Feststellungen eine Unterstellung der Tat unter den Tatbestand des Quälens oder der Vernachlässigung eines Gefangenen nach dem § 312 Abs 1 StGB zulassen, wird schließlich zu berücksichtigen sein, daß bei Bedachtnahme auf die Strafdrohungen des Abs 3 dieser Gesetzesstelle Idealkonkurrenz dieses Tatbestandes mit einem vorsätzlichen Körperverletzungsdelikt jedenfalls dann angenommen werden könnte, wenn die Strafdrohung des Verletzungsdeliktes strenger wäre, was etwa bei Nichtvorliegen der Voraussetzungen des § 312 Abs 3 StGB (erster oder zweiter Fall), aber Vorliegen jener des § 84 Abs 2 Z 2 StGB zuträfe (vgl. Dokumentation, 131
in Verbindung mit 238 und Leukauf-Steininger, 473
in Verbindung mit 1219 unten).
Schließlich stellt die Begehung einer Tat unter Ausnützung einer Amtsstellung gemäß dem § 313 StGB nach der Judikatur des Obersten Gerichtshofes (vgl. LSK 1977/334) keine eine Veränderung des Strafsatzes bewirkende Deliktsqualifikation dar; vielmehr handelt es sich bei der genannten Bestimmung - ebenso wie bei der des § 39 StGB - nur um eine fakultativ anzuwendende Strafbemessungsvorschrift, die im Urteilsspruch lediglich bei tatsächlicher Anwendung zu zitieren ist.
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