OGH 11Os96/94

OGH11Os96/9430.8.1994

Der Oberste Gerichtshof hat am 30.August 1994 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Lachner als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hager, Dr. Schindler, Dr. Holzweber und Dr. Schmucker als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Kriz als Schriftführer, in der Strafsache gegen Franz H* wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes St. Pölten als Schöffengericht vom 13. April 1994, GZ 16 Vr 79/94‑28, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Hauptmann, des Angeklagten und des Verteidigers Dr. Schobel zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1994:0110OS00096.9400000.0830.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird teilweise Folge gegeben und ein Teil der Freiheitsstrafe im Ausmaß von 20 (zwanzig) Monaten gemäß § 43 a Abs 4 StGB unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen. Im übrigen wird der Berufung nicht Folge gegeben.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

 

Gründe:

 

 

Rechtliche Beurteilung

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Franz H* des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB schuldig erkannt, weil er am 27. Dezember 1993 in N* (seine Lebensgefährtin) Melitta R* durch eine gegen sie gerichtete Drohung mit gegenwärtiger schwerer Gefahr für Leib oder Leben, indem er ihr ein geöffnetes Taschenmesser an der rechten Bauchseite ansetzte und äußerte "sei ruhig, sonst passiert was", zur Duldung des Beischlafes nötigte.

Gegen den Schuldspruch richtet sich die auf die Z 9 lit b und 10 des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, die nicht berechtigt ist.

Auf die Unterstellung der Tat unter § 201 Abs 2 StGB abzielend, behauptet der Angeklagte, das Erstgericht habe ‑ die zur verläßlichen rechtlichen Abgrenzung der Tatbestände des ersten und des zweiten Absatzes des § 201 StGB gebotenen ‑ Feststellungen darüber unterlassen, in welchem Zustand (geöffnet oder zugeklappt), an welchem Ort und aus welchem Grund das als Tatwaffe verwendete Messer vom Angeklagten abgelegt worden war. Hätte das Erstgericht die durch die (gemäß § 252 Abs 1 Z 2 a StPO in der Hauptverhandlung in technischer Aufzeichnung vorgeführte) Aussage der Zeugin Tamara R* (ON 10) indizierte Feststellung getroffen, daß der Angeklagte auf Drängen der Melitta R* vor Durchführung des Beischlafes das Taschenmesser zusammengeklappt auf den Schreibtisch im Zimmer ihrer Tochter gelegt hatte, dann hätte es nach Auffassung des Angeklagten lediglich den Tatbestand nach § 201 Abs 2 StGB ‑ bezüglich dessen die "Ermächtigung" zur (gemeint: der in § 203 Abs 1 StGB vorausgesetzte Antrag auf) Verfolgung nicht aufrecht sei ‑ als verwirklicht erkennen können.

Der vom Beschwerdeführer vermissten Feststellungen bedarf es allerdings für die rechtsrichtige Beurteilung der Tat nicht; hiezu reicht nämlich der vom Erstgericht festgestellte Sachverhalt aus. Diesem zufolge wurde Melitta R* unter dem Eindruck der Drohung des Angeklagten derart in Furcht und Unruhe versetzt, daß sie dem Vollzug des Geschlechtsverkehrs zustimmte. Der Angeklagte legte "schließlich" (also erst danach) das Messer weg und vollzog an Melitta R*, deren Widerstand unter dem Eindruck der Drohung mit dieser Waffe völlig gebrochen war, zumal sie noch niemals unter derart massiver Drohung mißbraucht worden war, im Wohnzimmer den Geschlechtsverkehr (US 4). Die Drohung mit schwerer Gefahr für Leib und Leben zur Erzwingung des Beischlafs war den weiteren ‑ wenn auch im Rahmen der rechtlichen Beurteilung (US 5) nachgeholten ‑ Urteilsfeststellungen zufolge vom Angeklagten durchaus gewollt, weil er sich angesichts der häufigen Weigerungen seiner Lebensgefährtin bewußt war, sie nur durch eine derart massive Drohung mit dem Tod (im Zusammenhalt mit früheren Äußerungen, sie und sich selbst umzubringen) gefügig machen zu können.

Damit hat das Erstgericht hinreichende Feststellungen getroffen, um die Erfüllung aller Tatbestandsmerkmale des § 201 Abs 1 StGB sowohl in objektiver als auch in subjektiver Hinsicht zu bejahen: Die durch das Ansetzen eines geöffneten Taschenmessers an der rechten Bauchseite unterstützte verbale Drohung war objektiv durchaus geeignet, als Ankündigung eines unmittelbar bevorstehenden, in besonderem Maß das Leben, die Gesundheit oder die körperliche Unversehrtheit beeinträchtigenden Übels (Leukauf‑Steininger Komm3 § 201 StGB RN 15) verstanden zu werden; sie wurde vom Angeklagten gerade wegen dieser Eignung eingesetzt, um die Duldung des Beischlafs zu erzwingen. Daß der Angeklagte, nachdem er sein Ziel erreicht ‑ also den Widerstand des Opfers gebrochen und dessen Einwilligung in den Geschlechtsverkehr erlangt ‑ hatte, sich vor dem Vollzug des Beischlafs seiner Waffe entledigte, ändert nichts am Ursachenzusammenhang zwischen dem qualifizierten Nötigungsmittel und der Duldung des Beischlafes durch das Opfer. Die näheren Umstände, unter denen das (laut US 6 jedenfalls in räumlicher Nähe des Angeklagten verbliebene) Taschenmesser abgelegt wurde, sind unerheblich, weil sie weder gegen die angenommene Intensität der Drohung noch gegen deren finale Verknüpfung mit der Duldung des Geschlechtsverkehrs sprechen. Eine ‑ im Sinn des Beschwerdevorbringens ‑ "laufend abnehmende" (und daher nicht nach § 201 Abs 1 StGB qualifizierte) Drohung wäre auch nicht auf Grund der vom Beschwerdeführer vermissten Tatsachenfeststellungen anzunehmen gewesen, weil der Angeklagte nach der (für ihn erkennbaren) Aufgabe des Widerstandes seitens des Opfers keiner weiteren Drohung und daher zu deren Betonung auch keiner Waffe mehr bedurfte. Eine fortgesetzte Anwendung der schweren Gewalt oder der qualifizierten Drohung gegen das Opfer bis (unmittelbar) zur Vornahme des erzwungenen Beischlafes (oder der diesem gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung) ist für die Verwirklichung des Tatbestands nach § 201 Abs 1 StGB nicht erforderlich; sind diese Nötigungsmittel derart erfolgreich, daß dem Vorhaben des Täters kein Widerspruch mehr entgegengesetzt wird, dann bleibt es rechtlich bedeutungslos, ob der Täter den Beischlaf sofort oder nach Verstreichen einer kurzen ‑ für die Wiedererlangung der Widerstandsfähigkeit und des Widerstandswillens jedenfalls noch nicht ausreichenden ‑ Zeitspanne, in welcher keine weiteren Gewaltakte oder Drohungen erfolgen, vollzieht. Soweit der Beschwerdeführer zur Stützung seiner abweichenden Rechtsauffassung, mangels Äußerung einer Drohung und mangels eines "räumlichen Naheverhältnisses" zur Waffe zum Zeitpunkt des Beischlafes den Tatbestand des § 201 Abs 1 StGB nicht erfüllt zu haben, den Justizausschußbericht zur Strafgesetznovelle 1989, BGBl 242 (927 BlgNR 17.GP , 3) zitiert, wonach eine Drohung im Sinne dieser Gesetzesstelle in der glaubhaften Ankündigung des unmittelbar bevorstehenden (qualifizierten) Übels bestehen muß, mißversteht er den Justizausschuß, der insoweit die durch Verwendung des Adjektivs "gegenwärtig" vorausgesetzte Imminenz der Drohung, also die Kürze der Zeitspanne zwischen Ankündigung und Eintritt des Übels, umschrieb, nicht aber ‑ über die ohnehin vorausgesetzte finale Verknüpfung hinaus ‑ ein unmittelbares Aufeinanderfolgen und einen engen räumlichen Zusammenhang der Nötigungshandlung und des abgenötigten Verhaltens verlangte.

Durch die rechtsrichtige Beurteilung der Tat als Verbrechen nach § 201 Abs 1 StGB ist dem Einwand, es fehle ein Antrag der verletzten Person, der nach § 203 Abs 1 StGB nur für die Verfolgung von nach §§ 201 Abs 2 und 202 StGB bedrohten Taten am Ehegatten oder am Lebensgefährten (uU) vorausgesetzt wird, der Boden entzogen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war sohin zu verwerfen.

Hingegen ist die eine Herabsetzung der Freiheitsstrafe und die Gewährung teilbedingter Strafnachsicht anstrebende Berufung des Angeklagten zum Teil berechtigt.

Das Schöffengericht hat bei der Strafzumessung als erschwerend keinen Umstand, als mildernd "die gezeigte Schuldeinsicht" gewertet und davon ausgehend eine Freiheitsstrafe von zweieinhalb Jahren als tatschuldangemessen erachtet, wobei es ersichtlich unter Hinweis auf die "völlig ablehnende Haltung des Angeklagten gegenüber der Intimsphäre anderer Menschen" die Gewährung einer teilbedingten Strafnachsicht ablehnte.

Die Berufung vermag vom Erstgericht nicht berücksichtigte Umstände mildernder Natur nicht darzutun; der bloße Hinweis auf das Alter des (62‑jährigen) Angeklagten stellt keinen zusätzlichen Milderungsgrund dar. Im übrigen hat das Erstgericht die Strafzumessungsgründe im wesentlichen vollständig festgestellt und auch zutreffend gewürdigt. Es hat ‑ bei der aktuellen Strafdrohung des § 201 Abs 1 StGB von einem bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe -auch nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes eine Unrechtsfolge geschöpft, die sowohl dem Unrechtsgehalt der Tat als auch der nicht unerheblichen personalen Täterschuld des Berufungswerbers Rechnung trägt und somit nicht reduktionsbedürftig ist.

Der Berufung ist allerdings beizupflichten, daß weder general- noch spezialpräventive Erwägungen gegen die Anwendung des § 43 a Abs 4 StGB sprechen; besteht doch im Hinblick auf das glaubhaft dargelegte Vorhaben des Angeklagten, nach seiner Entlassung aus der Haft die Lebensgemeinschaft mit Melitta R* zu beenden, im Zusammenhang mit dem bisher (erstmals) verspürten Haftübel die hohe Wahrscheinlichkeit, daß von der Androhung des Vollzuges der (restlichen) Freiheitsstrafe die notwendige tatabhaltende Wirkung erwartet werden kann. Daß die bedingte Nachsicht eines Teiles der Freiheitsstrafe andere potentielle Täter auf den Plan rufen könnte oder unter Berücksichtigung der Gesamtumstände als unzureichende Unrechtsfolge zu empfinden wäre, ist bei der gegebenen Sachlage nicht anzunehmen.

Es war daher wie im Spruch zu entscheiden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390 a StPO.

 

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