Spruch:
Durch den Beschluß des Oberlandesgerichtes Graz vom 1. Juli 1999, AZ 10 Bs 258/99, wurde George E***** im Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt.
Dieser Beschluß wird aufgehoben.
Gemäß § 8 GRBG wird dem Bund der Ersatz der Beschwerdekosten von 8.000 S zuzüglich der darauf entfallenden Umsatzsteuer auferlegt.
Text
Gründe:
Im Rahmen der beim Landesgericht für Strafsachen Graz geführten Voruntersuchung gegen den 16-jährigen unbescholtenen George E*****, einen Staatsangehörigen von Sierra Leone, wegen des Verdachtes der Begehung des Verbrechens nach § 28 Abs 2 und Abs 3 (erster Fall) SMG in eventu des Vergehens der Geldwäscherei nach § 165 (Abs 2) StGB sowie des Vergehens des Diebstahls nach § 127 StGB wurde über den Genannten am 29. Mai 1999 die Untersuchungshaft gemäß § 180 Abs 1 und Abs 2 Z 1, 2 und 3 lit b StPO verhängt (ON 6).
Nach Durchführung einer Haftverhandlung wurde mit Beschluß vom 10. Juni 1999 die Fortsetzung der Untersuchungshaft aus denselben Haftgründen in Verbindung mit § 35 JGG verfügt (ON 10).
Mit dem angefochtenen Beschluß gab das Oberlandesgericht der dagegen erhobenen Beschwerde des Beschuldigten nicht Folge und ordnete neuerlich die Fortsetzung der Untersuchungshaft aus den erwähnten Haftgründen an, wobei es die Dauer des Haftgrundes der Verdunkelungsgefahr mit Ablauf des 29. Juli 1999 begrenzte (ON 23).
Bei dieser Entscheidung zitiert das Beschwerdegericht zunächst den vom Erstgericht als dringlich angesehenen Verdacht, wonach der Beschuldigte
"1. in Graz und Wien den bestehenden Vorschriften zuwider gewerbsmäßig ein Suchtgift in einer großen Menge, und zwar Kokain an bislang unbekannte Abnehmer verkauft und somit in Verkehr gesetzt, in eventu
2. in Graz und Wien einen Vermögensbestandteil im Wert von 27.500 S, der aus einem Verbrechen eines anderen, nämlich der gewerbsmäßigen Inverkehrsetzung einer großen Menge von Suchtgift im Sinne des § 28 Abs 2 und 3 SMG herrührt, verborgen gehalten habe, sowie
3. am 25. November 1998 in Wien eine fremde bewegliche Sache in einem 25.000 S nicht übersteigenden Wert, nämlich ein Handy der Marke Ericsson dem Markus G***** mit dem Vorsatz weggenommen habe, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern."
Die Annahme der Dringlichkeit des Tatverdachtes wird vom Oberlandesgericht (undifferenziert, ersichtlich aber zu Punkt 1.) als zutreffend bezeichnet und darauf gestützt, daß die beim Beschuldigten in kleiner Stückelung sichergestellten Banknoten im Wert von 27.500 S Kokainanhaftungen aufwiesen sowie die Verantwortung des George E***** zahlreiche Ungereimtheiten enthielt. Die Beschwerdeargumente verwarf es mit dem Hinweis, daß Suchtgift nicht notwendigerweise bei einem Verdächtigen gefunden werden müsse und der Beschwerdeführer übersehen habe, daß das Erstgericht aus der Höhe des sichergestellten Bargeldbetrages und dessen Stückelung auf die ("ihre") Suchtgiftmenge und den Verkauf an Endabnehmer schließen konnte.
Gegen die Beschwerdeentscheidung des Oberlandesgerichtes richtet sich die rechtzeitige Grundrechtsbeschwerde.
Rechtliche Beurteilung
Vorauszuschicken ist, daß deren Ausführung fast ausschließlich eine wortgleiche Wiederholung des bereits in unterer Instanz behandelten Rechtsmittelvorbringens darstellt und sich mit der Argumentation des Beschwerdegerichtes nicht auseinandersetzt. Insoweit war auf diese Beschwer- depassagen nicht näher einzugehen (vgl Hager/Holzweber GRBG § 3 E 5).
Soweit sich zwei eingefügte Absätze tatsächlich mit der angefochtenen Entscheidung befassen, ist die Bekämpfung der Dringlichkeit des Tatverdachtes (im Ergebnis) berechtigt.
Zutreffend vertritt nämlich die Beschwerde die Auffassung, daß für eine Kokainverkaufstätigkeit des Beschuldigten keine ausreichend konkreten Anhaltspunkte vorhanden sind. Die Begründung des Oberlandesgerichtes begnügt sich vielmehr mit der Widerlegung der Verantwortung des Beschwerdeführers und mit dem Hervorkehren der belastenden Tatsachen, die jedoch nur für die (dringliche) Annahme ausreichen, daß George E***** in seinem Seesack einen Erlös von Kokainverkauf in der Höhe von 27.500 S verwahrt hatte. Gründe, die mit einem höheren Grad von Wahrscheinlichkeit dafür sprechen, daß der Beschuldigte - wie ihm angelastet - selbst Kokain in Verkehr gesetzt habe, führt aber weder der erstgerichtliche Beschluß noch die Beschwerdeentscheidung an, noch ergeben sich solche aus dem bisherigen Akteninhalt. Bloße Vermutungen reichen aber zur Annahme eines dringenden Tatverdachtes nicht hin (vgl Mayerhofer StPO4 § 180 E 8 und 8ab).
Ebenso verhält es sich mit der Schlußfolgerung aus der Höhe des sichergestellten Bargeldes auf die große Suchtgiftmenge (§ 28 Abs 6 SMG). Denn bei einem Verkauf an Endabnehmer, die üblicherweise für durchschnittliche Straßenqualität höhere Grammpreise als Großabnehmer zu bezahlen haben, ist das Erreichen der Grenzmenge von 15 Gramm Kokain Reinsubstanz keineswegs gesichert. Letztlich wurde der Versuch einer Begründung, welche Umstände die vorgeworfene Gewerbsmäßigkeit dringlich erscheinen lassen, überhaupt nicht unternommen.
Am Rande sei auch erwähnt, daß die Staatsanwaltschaft Graz am 24. Juni 1999 (am 29. Juni 1999 beim Landesgericht eingelangt) bezüglich dieses Faktums dem Beschuldigten nur die Vergehen nach §§ 165 Abs 2 StGB, 27 Abs 1 SMG angelastet hat (ON 17), wovon aber das Oberlandesgericht nach der Aktenlage keine Kenntnis gehabt haben dürfte.
Was nun die Dringlichkeit des Verdachtes in Richtung des Vergehens der Geldwäscherei anlangt, wozu sich das Beschwerdegericht nicht ausdrücklich geäußert hat, ist auch nach Wegfall der 100.000 S-Grenze (des § 165 Abs 1 StGB aF) unter anderem Voraussetzung der Strafbarkeit, daß der Täter die Herkunft des Vermögensbestandteiles aus einem Verbrechen in seinen Vorsatz mitaufnimmt. Bei den bereits zum vorgeworfenen Verbrechen nach § 28 Abs 2 und Abs 3 SMG erörterten Umständen ist von einem höheren Grad der Wahrscheinlichkeit zum Vorliegen dieses Tatbestandsmerkmales wohl nicht auszugehen.
Im übrigen könnte selbst bei einer allfälligen Verurteilung nach dem Vergehen gemäß § 165 Abs 2 StGB, das mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen bedroht ist, auch unter Berücksichtigung des (zu Recht als nicht haftbegründend anzusehenden) Diebstahls-(in eventu Hehlerei)faktums die über ein Monat andauernde Untersuchungshaft bei einem 16-jährigen Ersttäter nicht mehr als verhältnismäßig zu der (bei Anwendung des § 5 Z 4 JGG) zu erwartenden Strafe beurteilt werden.
Durch die Anordnung der Fortdauer der Untersuchungshaft mit dem Beschluß des Oberlandesgerichtes Graz wurde demnach George E***** im Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt (§ 2 Abs 1 GRBG).
Die Kostenersatzpflicht des Bundes gründet sich auf § 8 GRBG.
Gemäß § 7 Abs 2 GRBG sind die Gerichte verpflichtet, mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich einen die Rechtsauffassung des Obersten Gerichtshofes entsprechenden Zustand herzustellen.
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