European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0110OS00083.22Y.1115.000
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das sonst unberührt bleibt, im Ausspruch über die Einziehung aufgehoben und die Sache in diesem Umfang an das Bezirksgericht Favoriten verwiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten vorerst dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
[1] Soweit im Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde relevant wurde * M* mit dem angefochtenen Urteil der Verbrechen des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach § 205 Abs 1 StGB (I) sowie der Vergehen der pornographischen Darstellungen Minderjähriger nach § 207a Abs 3 zweiter Satz StGB (II) schuldig erkannt.
[2] Danach hat er in W* und N*
I) im Zeitraum zwischen 20. Februar 2021 und 16. Juli 2021 an 17 verschiedenen Tagen, teilweise auch an mehreren Zeitpunkten pro Tag, mit * L*, die aufgrund einer nicht näher festzustellenden tiefgreifenden Bewusstseinsstörung unfähig war, die Bedeutung des Vorgangs einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln, unter Ausnützung dieses Zustands dadurch sexuell missbraucht, dass er mit ihr mehrfach den Beischlaf und an ihr eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung vornahm, indem er mit ihr vaginalen Geschlechtsverkehr durchführte und ihr zumindest einen Finger in die Scheide und den After einführte;
II) bis zum 9. August 2021 pornographische Darstellungen minderjähriger Personen, und zwar 437 Bilddateien mit wirklichkeitsnahen Abbildungen geschlechtlicher Handlungen durch unmündige Personen und an unmündigen Personen im Sinn des § 207a Abs 4 Z 1 StGB und von Geschehen im Sinn des § 207a Abs 4 Z 2 StGB sowie der Genitalien und der Schamgegend Minderjähriger, wobei es sich um reißerisch verzerrte, auf sich selbst reduzierte und von anderen Lebensäußerungen losgelöste Abbildungen handelt, die der sexuellen Erregung des Betrachters dienen, nämlich Abbildungen von Genitalien sowie von Vaginal-, Oral- und Handverkehr von und mit unmündigen Personen (US 10), sich verschafft und bis zur Hausdurchsuchung besessen, indem er diese auf seinem Laptop und seinen internen Festplatten speicherte.
Rechtliche Beurteilung
[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 3 und 5 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.
[4] Die Verfahrensrüge (Z 3) reklamiert einen Verstoß gegen § 252 Abs 1, Abs 2a StPO, weil auf Datenträgern des Angeklagten aufgefundene Videofilme – die sexuelle Handlungen des Genannten am Opfer zeigen – und Bilddateien (kinder-)pornographischen Inhalts, die „gemäß § 51 Abs 2 StPO“ nicht der Akteneinsicht unterlegen seien, (auch) in der Hauptverhandlung nicht dargetan worden seien, sodass sich der Angeklagte dazu nicht rechtfertigen konnte (vgl jedoch zur teilweisen Vorführung des Filmmaterials in der Hauptverhandlung ON 62 S 57).
[5] Sie scheitert schon daran, dass es sich bei diesem Bildmaterial nicht um Ton‑ und Bildaufnahmen über die Vernehmung von Mitbeschuldigten oder Zeugen im Sinn des § 252 Abs 1 StPO handelt. Mit Nichtigkeit bedroht ist die prozessordnungswidrige Verlesung der in § 252 Abs 1 StPO angeführten Aktenteile sowie die Verletzung des daran gekoppelten Umgehungsverbots (§ 252 Abs 4 StPO), nicht hingegen – soweit die Beschwerde überhaupt Schriftstücke über eine Inaugenscheinnahme der Bild- und Videodateien und nicht diesen Vorgang selbst anspricht – die (auch) behauptete Missachtung des § 252 Abs 2 iVm Abs 2a StPO (vgl Kirchbacher, WK‑StPO § 252 Rz 11).
[6] Im Übrigen wurde in der Hauptverhandlung der gesamte Akteninhalt gemäß § 252 Abs 2a StPO einverständlich vorgetragen (ON 62 S 83) und wurde die Vorführung oder Inaugenscheinnahme (zur „Vorführung“ von Beweisen vgl Kirchbacher/Sadoghi, WK‑StPO § 246 Rz 202 ff) des Bildmaterials nicht beantragt.
[7] Ein Urteil ist nach § 281 Abs 1 Z 5 dritter Fall StPO nichtig, wenn der Ausspruch des Gerichtshofs über entscheidende Tatsachen (§ 270 Abs 2 Z 4, Z 5 StPO) – mit anderen Worten die aus Erkenntnis (§ 270 Abs 2 Z 4 [§ 260 Abs 1 Z 1] StPO) und Entscheidungsgründen (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) gebildete Summe der im Urteil genannten entscheidenden Tatsachen (vgl RIS‑Justiz RS0117264) – mit sich selbst im Widerspruch steht. Abweichungen des Erkenntnisses zwar nicht in Hinsicht auf entscheidende Tatsachen, wohl aber mit Bezug auf sonstige Individualisierungsmerkmale sind hingegen Gegenstand der Z 3 des § 281 Abs 1 StPO (RIS‑Justiz RS0117402).
[8] Soweit die Rüge einen Widerspruch (Z 5 dritter Fall) hinsichtlich des im Tenor zum Schuldspruch zu I) und in den Gründen festgestellten Beginns des Tatzeitraums (… „zwischen 20. 2. 2021 und 16. 7. 2021“… [US 2]; „Ab April oder Mai 2021 …“ [US 5] „In diesem Zeitraum …“ [US 6]) reklamiert, spricht sie mangels Relevanz des Zeitpunkts der ersten Tatbegehung keine entscheidende Tatsache an.
[9] Unter dem Aspekt der Z 3 wären Unklarheiten über die Tatzeit nur dann beachtlich, wenn – was vorliegend mit Recht nicht behauptet wird – die Individualisierung der Tat davon betroffen wäre (vgl RIS‑Justiz RS0117498 [T2]).
[10] Der Kritik unzureichender Begründung (Z 5 vierter Fall) zuwider gründeten die Tatrichter die Feststellungen zu dem vom Schuldspruch zu II) umfassten Verhalten auf die geständige Verantwortung des Angeklagten (ON 62 S 5) und das Ergebnis der Auswertung der sichergestellten Datenträger (US 11; ON 62 S 53 ff), was unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden ist.
[11] Denn weder die – angesichts des der Hauptverhandlung beigezogenen Dolmetschers (ON 62 S 1) bloß – behauptete Sprachbarriere noch der Umstand, dass sich der Sachverständige bei 435 der 437 Fotos nicht festlegen konnte, ob diese vom Angeklagten „heruntergeladen“ wurden (vgl ON 62 S 63) odereine Tätigkeit des Angeklagten als IT‑Dienstleister machen das Geständnis unschlüssig (RIS‑Justiz RS0120171).
[12] Warum gegenüber dem durch einen Verteidiger vertretenen Angeklagten eine Manuduktionspflicht des Gerichts (in Form der Erteilung einer Rechtsbelehrung zum subjektiven Tatbestand des § 207a Abs 3 StGB) bestanden haben soll, lässt die Rüge offen (vgl RIS‑Justiz RS0096569).
[13] Schließlich legt die Rüge mit der Kritik, das Geständnis sei keiner inhaltlichen Überprüfung unterzogen worden (der Sache nach Aufklärungsrüge – Z 5a), nicht dar, weshalb der Beschwerdeführer an einer darauf abzielenden Antragstellung (Z 4) gehindert war (vgl RIS‑Justiz RS0115823).
[14] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – im Einklang mit der Generalprokuratur – bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).
[15] Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde überzeugte sich der Oberste Gerichtshof, dass dem Urteil im Ausspruch über die Einziehung (US 4) nicht geltend gemachte, gemäß § 290 Abs 2 zweiter Satz erster Fall StPO von Amts wegen aufzugreifende Nichtigkeit aus § 281 Abs 1 Z 11 erster Fall StPO anhaftet.
[16] Einziehung nach § 26 Abs 1 StGB setzt voraus, dass diese vorbeugende Maßnahme nach der besonderen Beschaffenheit des betroffenen Gegenstands geboten erscheint, um der Begehung mit Strafe bedrohter Handlungen durch den Täter selbst oder durch andere Personen entgegenzuwirken. Dabei spricht das Wort „geboten“ die Deliktstauglichkeit des Gegenstands an. Eine solche ist bei Datenträgern, auf denen Bildmaterial mit pornografischen Darstellungen Unmündiger im Sinne des § 207a Abs 4 StGB gespeichert ist, zu bejahen (vgl RIS‑Justiz RS0121298 [T11]). Selbst in einem solchen Fall ist aber dem Berechtigten gemäß § 26 Abs 2 StGB angemessen Gelegenheit zu geben, diese besondere Beschaffenheit (vorliegend durch Löschen der Daten) zu beseitigen (RIS-Justiz RS0121299 [T3]).
[17] Feststellungen dazu oder zu einer fehlenden Möglichkeit der Beseitigung der besonderen Beschaffenheit enthält das Urteil ebenso wenig wie zu Rechtsansprüchen nicht beteiligter Personen an den eingezogenen Datenträgern (vgl nämlich US 10 wonach nicht festgestellt werden kann, „dass sich sämtliche sichergestellten Datenträger im Eigentum das Angeklagten befanden“).
[18] In diesem Umfang war das Urteil – ebenso in Übereinstimmung mit der Generalprokuratur – aufzuheben (§ 285e StPO) und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das sachlich und örtliche zuständige Gericht (§§ 445 Abs 3 bzw 445a StPO, 288 Abs 2 Z 3 letzter Satz StPO; Fuchs/Tipold, WK‑StPO § 443 Rz 92 f, § 445 Rz 18; 11 Os 81/18y) zu verweisen.
[19] Zunächst wird das Oberlandesgericht über die Berufungen zu entscheiden haben (§ 285i StPO).
[20] Die Kostenentscheidung, die sich nicht auf die amtswegige Maßnahme bezieht (Lendl, WK‑StPO § 390a Rz 12), beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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