OGH 11Os83/16i

OGH11Os83/16i13.9.2016

Der Oberste Gerichtshof hat am 13. September 2016 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger, Mag. Michel und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Rathgeb als Schriftführerin in der Strafsache gegen M***** wegen Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 8. Juni 2016, GZ 31 Hv 44/16i‑29, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0110OS00083.16I.0913.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld werden zurückgewiesen.

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Ausspruch über die Konfiskation und die Einziehung aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung (wegen des Strafausspruchs und des Ausspruchs über die privatrechtlichen Ansprüche) werden die Akten vorerst dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, das auch einen rechtskräftigen Freispruch des Angeklagten von gleichartigen Vorwürfen enthält, wurde M***** mehrerer Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach §§ 207 Abs 1, 15 StGB (I), mehrerer Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach §§ 212 Abs 1 Z 1, 15 StGB (II) und der pornografischen Darstellung Minderjähriger nach § 207a Abs 3 zweiter Satz StGB (III) schuldig erkannt.

Danach hat er in Wien

I) außer dem Fall des § 206 StGB an seiner Tochter *****, geboren am ***** 2001, sohin an einer unmündigen Person, geschlechtliche Handlungen

A/ vorgenommen, und zwar von 17. April 2011 bis 18. Februar 2015, indem er sie in etwa 14‑tägig wiederkehrenden Angriffen an den nackten Brüsten streichelte;

B/ vorzunehmen versucht (§ 15 StGB), und zwar im Jahr 2014, indem er ihr in die Unterhose griff, wobei ***** eine Berührung der Vagina dadurch verhindern konnte, dass sie ihre Hand darauf presste;

II) durch die zu I geschilderten Taten mit einer mit ihm an absteigender Linie verwandten minderjährigen Person, nämlich mit seiner Tochter geschlechtliche Handlungen, vorgenommen (I/A) und vorzunehmen versucht (§ 15 StGB; I/B);

III) zwischen 24. Februar 2015 und 22. Juni 2015 pornografische Darstellungen unmündiger minderjähriger Personen, nämlich 312 Bilddateien mit kinderpornografischen Inhalten, die männliche Unmündige mit erigiertem Penis, weibliche Unmündige und männliche Erwachsene beim gegenseitigen Oral‑, Vaginal‑ und Analverkehr zeigen und auf denen weibliche Unmündige mit gespreizten Beinen unbekleidet dargestellt sind, also die Genitalien oder die Schamgegend unmündiger Minderjähriger abgebildet sind, wobei es sich um reißerische verzerrte, auf sich selbst reduzierte und von anderen Lebensäußerungen losgelöste Abbildungen handelte, die der sexuellen Erregung des Betrachters dienen, besessen, indem er diese auf seiner externen Festplatte abspeicherte.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die aus § 281 Abs 1 Z 3 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

Die Verfahrensrüge (Z 3) wendet ein, der Angeklagte leide unter intensiven Zukunftsängsten verbunden mit Panikattacken und Schlafstörungen, zufolge derer er der Hauptverhandlung nicht hinreichend folgen habe können.

Die Verletzung oder Missachtung einer Vorschrift, deren Einhaltung in der Hauptverhandlung das Gesetz bei sonstiger Nichtigkeit anordnet (Z 3), wird damit nicht behauptet. Eine die Verhandlungsunfähigkeit bewirkende (geistige) Erkrankung kann Urteilsnichtigkeit nur im Fall unbegründeter Ablehnung eines entsprechenden Vertagungsantrags bewirken (RIS‑Justiz RS0097803). Auf einen Antrag des (durch einen Verteidiger vertretenen) Angeklagten, dem das Schöffengericht nicht entsprochen hätte (Z 4), beruft sich die Beschwerde nicht.

Dass die DVD über die kontradiktorische Vernehmung des Opfers in der Hauptverhandlung nur zum Teil vorgeführt wurde, kann angesichts der Zustimmung der Verfahrensbeteiligten (ON 28 S 18 f) keine Nichtigkeit bewirken (vgl auch RIS‑Justiz RS0127712).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher gemäß § 285d Abs 1 StPO schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen. Die Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld war gleichfalls zurückzuweisen (§§ 294 Abs 4, 296 Abs 2 StPO), weil ein derartiges Rechtsmittel gegen kollegialgerichtliche Urteile im Gesetz nicht vorgesehen ist (§ 283 Abs 1 StPO; RIS‑Justiz RS0098904, RS0100080).

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde überzeugte sich der Oberste Gerichtshof jedoch, dass dem Urteil im Ausspruch über die Konfiskation und die Einziehung nicht geltend gemachte, gemäß § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO von Amts wegen aufzugreifende, Nichtigkeit aus § 281 Abs 1 Z 11 StPO anhaftet:

Gegenstände, die der Täter zur Begehung einer vorsätzlichen Straftat verwendet hat, die von ihm dazu bestimmt worden waren, bei der Begehung dieser Straftat verwendet zu werden, oder die durch diese Handlung hervorgebracht worden sind, sind zu konfiszieren, wenn sie zur Zeit der Entscheidung erster Instanz im Eigentum des Täters stehen. Feststellungen zu den Eigentumsverhältnissen an dem vom Erstgericht konfiszierten Personalcomputer sind dem Urteil nicht zu entnehmen (vgl US 7; § 281 Abs 1 Z 11 erster Fall StPO).

Die Einziehung nach § 26 Abs 1 StGB setzt voraus, dass diese vorbeugende Maßnahme nach der besonderen Beschaffenheit des betroffenen Gegenstands geboten erscheint, um der Begehung mit Strafe bedrohter Handlungen durch den Täter selbst oder durch andere Personen entgegenzuwirken. Dabei spricht das Wort „geboten“ die Deliktstauglichkeit des Gegenstands an. Eine solche ist in Ansehung einer Festplatte, auf der Bildmaterial mit pornografischen Darstellungen Unmündiger im Sinne des § 207a Abs 4 StGB gespeichert ist, grundsätzlich zu bejahen (vgl RIS‑Justiz RS0121298). Selbst in einem solchen Fall ist aber gemäß § 26 Abs 2 StGB dem Berechtigten angemessen Gelegenheit zu geben, diese besondere Beschaffenheit auf welche Weise immer (vorliegend etwa durch Löschung der relevanten Daten) zu beseitigen (RIS‑Justiz RS0121299 [T3]). Dass dem Beschwerdeführer diese Möglichkeit eingeräumt wurde oder eine (unwiederbringliche) Beseitigung im konkreten Fall unmöglich wäre, ist den Feststellungen nicht zu entnehmen.

Da die Berufung des Angeklagten weder gegen das Konfiskations‑ noch das Einziehungserkenntnis gerichtet ist (§ 294 Abs 2 StPO), kann das Oberlandesgericht darüber nicht entscheiden (RIS‑Justiz RS0119220 [T9, T10]). In diesem Umfang war das Urteil daher aufzuheben und dem Erstgericht die neuerliche Verhandlung und Entscheidung aufzutragen (§ 285e StPO).

Die Entscheidung über die Berufung kommt dem Oberlandesgericht Wien zu (§ 285i StPO).

Der Kostenausspruch, der die amtswegige Maßnahme nicht umfasst ( Lendl , WK‑StPO § 390a Rz 12), gründet sich auf § 390a StPO.

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