Spruch:
Im Verfahren 11 EVr 635/00 des Landesgerichtes Leoben verletzt der der Strafberufung Folge gebende Teil des Urteils des Oberlandesgerichtes Graz vom 17. Oktober 2001, GZ 10 Bs 296/01 (= ON 23 des Strafaktes) das Gesetz in der Bestimmung des § 477 Abs 2 zweiter Satz iVm § 489 Abs 1 StPO.
Text
Gründe:
Mit Urteil des Landesgerichtes Leoben vom 31. Mai 2001, GZ 11 EVr 635/00-16, wurde Alexander M***** (ohne gesonderte Annahme eines zusätzlichen Vergehenstatbestandes nach § 83 Abs 1 StGB) des Vergehens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1 und 84 Abs 1 StGB schuldig erkannt und gemäß §§ 43a Abs 2, 43 Abs 1 StGB zu einer (unbedingten) Geldstrafe von 200 Tagessätzen á 180 S sowie zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt, welche unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehen wurde. Während der Angeklagte mit der gegen dieses Urteil (nur von ihm) ergriffenen Berufung wegen Nichtigkeit und Schuld erfolglos blieb, gab das Oberlandesgericht Graz seiner Berufung wegen Strafe, in welcher er die "weitestgehende Herabsetzung" der über ihn verhängten Strafenkombination sowie eine Reduktion der Höhe des Tagessatzes der Geldstrafe begehrte, dahingehend Folge, dass es - ohne eine entsprechende Zustimmung des Angeklagten einzuholen - den erstgerichtlichen Strafausspruch aufhob und dem Berufungswerber - unter Anwendung des § 37 Abs 1 StGB - eine unbedingte Geldstrafe von 240 Tagessätzen, im Nichteinbringungsfall 120 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, auferlegte, wobei der einzelne Tagessatz (neuerlich) mit 180 S bemessen wurde.
Nach Ansicht des Oberlandesgerichtes Graz war die Einholung der Zustimmung des Angeklagten zu dieser Vorgangsweise deshalb entbehrlich, weil anstelle der vom Erstgericht gewählten Strafenkombination im Sinn des § 43a Abs 2 StGB von der Bestimmung des § 37 Abs 1 StGB Gebrauch gemacht und die erstgerichtliche, einem fiktiven Strafausmaß von sechs Monaten und 10 Tagen entsprechende Sanktion durch die einer nur viermonatigen Ersatzfreiheitsstrafe entsprechenden Geldstrafe ersetzt wurde (S 9 f dE).
Rechtliche Beurteilung
Diese Auffassung des Berufungsgerichtes steht, wie der Generalprokurator mit seiner deshalb erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrheit des Gesetzes zutreffend aufzeigt, mit dem Gesetz nicht im Einklang.
Gemäß dem (dem Regelungsinhalt des § 295 Abs 2 StPO entsprechenden) zweiten Absatz des § 477 StPO kann, wenn die Berufung lediglich zu Gunsten des Angeklagten ergriffen worden ist, das Rechtsmittelgericht keine strengere Strafe verhängen, als das erste Urteil ausgesprochen hat. Nach dem zweiten Satz dieser Bestimmung kann jedoch auf Antrag des Angeklagten oder mit seiner Zustimmung anstelle einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe eine Geldstrafe verhängt werden, die nicht bedingt nachgesehen wird.
Mit der letztgenannten - durch das Strafrechtsänderungsgesetz 1987, BGBl Nr 605, in den Rechtsbestand eingeführten - (Ausnahme-)Regelung sollte das mit dem Inkrafttreten des Strafgsetzbuches immer bedeutender gewordene Problem gelöst werden, wie dem Verschlechterungsverbot in jenen Fällen Rechnung getragen werden soll, in denen das Erstgericht eine Freiheitsstrafe verhängt, diese aber bedingt nachsieht, während das Berufungsgericht in Entsprechung eines nur vom Beschuldigten ergriffenen Rechtsmittels zwar anstelle einer Freiheitsstrafe eine entsprechende oder geringere Geldstrafe für angemessen hält, nicht jedoch eine bedingte Nachsicht dieser Strafe, wobei dem Rechtsmittelwerber (kein Wahlrecht zwischen Geld- und Freiheitsstrafe eingeräumt, aber) die Möglichkeit eines in jeder Hinsicht lediglich auf seinen Vorteil ausgerichteten Rechtsmittels offen gehalten werden sollte (JAB 359 BlgNR XVII. GP , 46 f). Das Verbot der reformatio in peius erstreckt sich somit seit dieser Gesetzesänderung punktuell auf jedes einzelne Übelskriterium einer Sanktion, also auf Strafart, Strafmaß und bedingte Strafnachsicht, in jeweils gesonderter Bewertung, wobei aber dem Angeklagten die Möglichkeit eingeräumt ist, im Interesse einer von ihm angestrebten Milderung der Strafart (Freiheitsstrafe) prozessual ausnahmsweise auch eine teilweise Verschärfung der über ihn verhängten Sanktion, jedoch nur in Bezug auf deren sofortige Vollstreckbarkeit, zu beantragen oder in Kauf zu nehmen (RZ 1990/67).
Durch die Berufungsentscheidung des Oberlandesgerichtes Graz wurde über den Angeklagten eine gegenüber der in der erstgerichtlichen Entscheidung ausgesprochenen unbedingten Geldstrafe (von 200 Tagessätzen) um 40 Tagessätze höhere unbedingte Geldstrafe verhängt, demnach eine bedingt nachgesehene Freiheitsstrafe (von drei Monaten) durch einen unbedingt ausgesprochenen Teil einer Geldstrafe ersetzt. Dies hätte aber entweder eines Antrages des Berufungswerbers oder dessen Zustimmung bedurft. Durch das Unterbleiben einer solchen für den Angeklagten insgesamt nachteiligen Vorgangsweise wurde daher das Gesetz in der Bestimmung des § 477 Abs 2 zweiter Satz iVm § 489 Abs 1 StPO verletzt.
Weil sich dieser Normverstoß, wie aus der im Gerichtstag erklärten Zustimmung des Verurteilten hervorgeht, nicht zu dessen Nachteil auswirkt, kann es mit der Feststellung der Gesetzesverletzung sein Bewenden haben.
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