OGH 11Os71/95

OGH11Os71/9530.5.1995

Der Oberste Gerichtshof hat am 30.Mai 1995 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Lachner als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Prof.Dr.Hager, Dr.Mayrhofer, Dr.Rouschal und Dr.Schmucker als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Svatek als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Reinhard M***** und andere wegen des Verbrechens des teils vollendeten, teils versuchten schweren gewerbsmäßigen Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127 ff und 15 StGB sowie einer anderen strafbaren Handlung über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom 13. März 1995, AZ 6 Bs 96,97/95, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr.Tiegs, und des Verteidigers Dr.Winkler, jedoch in Abwesenheit des Verurteilten Dieter H***** zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Im Verfahren zum AZ 34 Vr 3716/94 des Landesgerichtes Innsbruck verletzt der Beschluß des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom 13.März 1995, AZ 6 Bs 96,97/95, womit der Haftbeschwerde des Beschuldigten Dieter H***** Folge gegeben und seine Enthaftung angeordnet wurde, das Gesetz in der Bestimmung des § 181 Abs 1 StPO.

Text

Gründe:

Im Strafverfahren gegen Reinhard M***** ua wegen des Verbrechens des teils vollendeten, teils versuchten schweren gewerbsmäßigen Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127 ff und 15 StGB und einer anderen strafbaren Handlung, AZ 34 Vr 3716/94 des Landesgerichtes Innsbruck, hat der Untersuchungsrichter über den Beschuldigten Dieter H***** am 17.Dezember 1994 gemäß § 180 Abs 2 Z 3 lit b StPO die Untersuchungshaft - mit Wirksamkeit des Haftbeschlusses bis 28. Dezember 1994 - verhängt (ON 9). Am 21.Dezember 1994 wurde Rechtsanwalt Dr.Michael L***** zum Verfahrenshilfeverteidiger (§ 41 Abs 2 StPO) bestellt (ON 14). Schon zuvor - nämlich am 19.Dezember 1994 - war der gemäß § 42 Abs 2 StPO bestellte Pflichtverteidiger Rechtsanwalt Dr.Thomas P***** vom Termin der Haftverhandlung am 28. Dezember 1994 verständigt worden. Der in dieser Haftverhandlung im Beisein des Pflichtverteidigers ergangene (längstens bis 28.Jänner 1995 wirksame) Beschluß auf Fortsetzung der Untersuchungshaft (ON 19) erwuchs in Rechtskraft.

Im Hinblick auf einen Enthaftungsantrag des Verfahrenshilfeverteidigers (ON 30), gegen den sich die Staatsanwaltschaft Innsbruck aussprach, beraumte das Landesgericht Innsbruck eine neuerliche Haftverhandlung für den 26.Jänner 1995 an, wovon es irrtümlich (statt des nunmehr bestellten Verfahrenshilfeverteidigers wiederum) den Pflichtverteidiger verständigte.

In dieser Haftverhandlung erging (unter Anführung des 26.März 1995 als Ablauftag der Haftfrist) abermals ein Beschluß auf Fortsetzung der Untersuchungshaft, gegen welchen der Beschuldigte (im Beisein des Pflichtverteidigers) auf ein Rechtsmittel verzichtete (ON 36). Nach Zustellung des Beschlusses an den Verfahrenshilfeverteidiger erhob dieser jedoch Haftbeschwerde (ON 45). Von der Untersuchungsrichterin wurde die Vorlage dieser Beschwerde an das Oberlandesgericht unterlassen und in der Folge für den 20.Februar 1995 abermals eine Haftverhandlung - diesmal unter Verständigung des Verfahrenshilfeverteidigers - anberaumt. Der gegen den Beschluß vom 20. Februar 1995 auf Fortsetzung der Untersuchungshaft (ON 50) vom Verfahrenshilfeverteidiger erhobenen (mit einer Beschwerde nach § 15 StPO verbundenen) Beschwerde (ON 51) gab das Oberlandesgericht Innsbruck am 13.März 1995 zum AZ 6 Bs 96,97/95 - entgegen der Stellungnahme der Oberstaatsanwaltschaft - Folge, sprach aus, daß der angefochtene Beschluß gesetzwidrig war, und ordnete die Enthaftung des Beschuldigten an; zu einer aufsichtsbehördlichen Maßnahme sah es keinen Anlaß.

Das Oberlandesgericht Innsbruck ging, der Argumentation des Beschwerdeführers folgend, davon aus, daß bis zu seiner Entscheidung (nicht drei, sondern) lediglich eine Haftverhandlung (nämlich am 28. Dezember 1994) stattgefunden und die Haftfrist somit am 28.Jänner 1995 geendet habe, weil die der ersten Haftverhandlung folgenden gesetzwidrig gewesen seien. Bei der Haftverhandlung am 26.Jänner 1995 sei der Beschuldigte nämlich nicht durch seinen Verfahrensverteidiger vertreten gewesen; die weitere - am 20.Februar 1995 durchgeführte - Haftverhandlung habe die Untersuchungsrichterin zu Unrecht angeordnet, statt die Beschwerde gegen ihren Beschluß vom 26.Jänner 1995 gemäß § 182 Abs 4 StPO dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorzulegen.

Rechtliche Beurteilung

Gegen den genannten Beschluß des Oberlandesgerichtes Innsbruck richtet sich die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes, in welcher der Generalprokurator zu Recht die Verletzung der Bestimmung des § 181 Abs 1 StPO aufzeigt.

Das Oberlandesgericht Innsbruck ist zwar darin im Recht, daß die Bestellung des Pflichtverteidigers nach § 42 Abs 2 StPO nur bis zum Einschreiten eines Verfahrenshilfe- oder eines Amts- bzw Wahlverteidigers aufrecht bleibt; die Untersuchungsrichterin war daher nicht befugt, den Pflichtverteidiger statt des bereits für den Beschuldigten einschreitenden Verfahrenshilfeverteidigers vom Haftverhandlungstermin zu verständigen. Es trifft auch zu, daß die Untersuchungsrichterin die vom Verfahrenshilfeverteidiger eingebrachte Beschwerde gegen den Fortsetzungsbeschluß vom 20.Februar 1995 ungeachtet des Rechtsmittelverzichts des Beschuldigten dem gemäß § 182 Abs 4 StPO allein zur Entscheidung berufenen Gerichtshof zweiter Instanz vorzulegen gehabt hätte.

Die Konsequenzen, die das Oberlandesgericht Innsbruck aus den Gesetzesverletzungen durch die Untersuchungsrichterin zieht, sind jedoch durch das Gesetz nicht gedeckt.

Das Einschreiten des Pflichtverteidigers statt des bestellten (und somit an sich vertretungsbefugten) Verfahrenshilfeverteidigers in der Haftverhandlung widerspricht zwar der Bestimmung des § 42 Abs 3 StPO, vermag aber die Wirksamkeit eines Haftbeschlusses nicht in Frage zu stellen, weil durch eine solche Gesetzesverletzung konkrete Verteidigungsrechte des Beschuldigten nicht beeinträchtgt werden. Eine solche Beeinträchtigung läßt sich nämlich - der Auffassung des Oberlandesgerichtes Innsbruck zuwider - weder aus der Verwendung des Possessivpronomens "sein" (als Attribut zu "Verteidiger") im § 182 Abs 1 und Abs 3 StPO gewinnen (zumal nach Abs 2 der selben Bestimmung der Beschuldigte in der Haftverhandlung lediglich "durch einen Verteidiger vertreten sein" muß) noch daraus, daß der (an sich vertretungsbefugte) Verfahrenshilfeverteidiger den Beschuldigten - möglicherweise - von einem Rechtsmittelverzicht abgehalten hätte. Vielmehr läßt sich aus der zu § 281 Abs 1 Z 1 a StPO ergangenen Judikatur (Mayerhofer-Rieder StPO3 ENr 4 und 10) erschließen, daß ein irrtümliches Tätigwerden eines Pflichtverteidigers anstelle eines Verfahrenshilfeverteidigers keinen wesentlichen, also konkrete Verteidigungsrechte beeinträchtigenden Mangel darstellt.

Dem Gesetzgeber kam es bei der Einführung der Institution des Pflichtverteidigers durch das StPÄG 1993 vor allem darauf an sicherzustellen, daß einem in Untersuchungshaft Angehaltenen ehestens ein Verteidiger zur Seite steht. Nach den Gesetzesmaterialien soll der Pflichtverteidiger "grundsätzlich lediglich in der Haftverhandlung und zu deren Vorbereitung sowie nur dann tätig werden, wenn nicht ein gewählter Verteidiger einschreitet", und seine Tätigkeit so lange fortsetzen, "bis ein Verfahrenshilfe- oder Amtsverteidiger einschreitet" (JAB StPÄG 1993, 1157 BlgNR XVIII.GP, 5). Auf den demnach provisorischen Charakter der Pflichtverteidigerbestellung - nicht auf eine (die Verteidigungsrechte des Beschuldigten berührende) geringere Wertigkeit der Tätigkeit eines Pflichtverteidigers - sind die Regelungen des § 42 Abs 2 und Abs 3 StPO zurückzuführen, die lediglich den reibungslosen Wechsel in der Person des Verteidigers bzw dessen Vertretungsbefugnis sicherstellen sollen. Sohin mangelt es an einer gesetzlichen Grundlage dafür, der Verhandlung vom 26.Jänner 1995 den Charakter einer Haftverhandlung sowie der Beschlußfassung des Untersuchungsrichters in dieser Verhandlung jegliche Wirksamkeit abzusprechen. Das Oberlandesgericht Innsbruck hätte daher sowohl hinsichtlich des Beschlusses vom 26.Jänner 1995 als auch hinsichtlich des Beschlusses vom 20.Februar 1995 die materiellen Haftvoraussetzungen zu prüfen gehabt und hätte nicht ohne weiteres - lediglich weil "das Gesetz unrichtig angewendet wurde" - die Enthaftung des Beschuldigten (inhaltlich nach § 181 Abs 1 letzter Satz StPO) anordnen dürfen.

Da diese Beschwerdeentscheidung aber dem Beschuldigten nicht zum Nachteil gereicht, konnte sich der Oberste Gerichtshof auf die (bloße) Feststellung der Gesetzesverletzung beschränken.

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