OGH 11Os71/88

OGH11Os71/8828.6.1988

Der Oberste Gerichtshof hat am 28.Juni 1988 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter, Dr. Walenta, Dr. Felzmann und Dr. Rzeszut als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Doblinger als Schriftführer, in der Strafsache gegen Ratko K*** wegen des Vergehens der schweren Körperverletzung nach den §§ 83 Abs 1, 84 Abs 1 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 15.März 1988, GZ 3 d Vr 845/86-63, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch wegen des Vergehens der schweren Körperverletzung nach den §§ 83 Abs 1, 84 Abs 1 StGB und demgemäß auch im Strafausspruch sowie im Adhäsionserkenntnis aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an den Einzelrichter des Landesgerichtes für Strafsachen Wien zurückverwiesen. Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 20.März 1943 geborene Gastwirt Ratko K*** - insoweit abweichend von der (nach rechtskräftigem Unzuständigkeitsurteil des Einzelrichters vom 22. April 1986, ON 18, eingebrachten) auf das Verbrechen der schweren Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen nach den §§ 83 Abs 1, 84 Abs 1, Abs 2 Z 1, 85 Z 1 StGB gerichteten Anklageschrift vom 2. Juni 1987 (ON 31) - des im Urteilsspruch zwar unrichtig, indessen sanktionslos (vgl SSt 47/33 ua) als "Verbrechen" bezeichneten Vergehens der schweren Körperverletzung nach den §§ 83 Abs 1, 84 Abs 1 StGB schuldig erkannt. Darnach hat er am 20.Oktober 1985 (in dem damals von ihm geführten Gasthaus in Wien 16., Hellgasse 3) den Milan V*** vorsätzlich am Körper verletzt, indem er ihm mit einer halbgefüllten Einliter-Mineralwasserflasche einen Schlag gegen den Kopf versetzte, wobei die Tat eine an sich schwere Verletzung, nämlich einen offenen Schädeldachbruch sowie eine mittelgradige Schwerhörigkeit am linken Ohr, zur Folge hatte (I. des Urteilssatzes). Weiters erging ein unangefochtener Schuldspruch wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach dem § 88 Abs 1 und Abs 4, erster Fall, StGB (II. des Urteils). Gegen dieses schöffengerichtliche Urteil meldete der Angeklagte durch seinen Verteidiger (versehentlich) das Rechtsmittel "der vollen Berufung, also Berufung punkto Nichtigkeit, Schuld und Strafe" an (AS 297/298), führte aber in der Folge fristgerecht unter Hinweis auf einen der Kanzlei des Verteidigers bei der Anmeldung unterlaufenen - als offenkundiges bloßes "Vergreifen im Ausdruck" jedenfalls unschädlichen - Irrtum die Rechtsmittel der Nichtigkeitsbeschwerde und der (Straf-)Berufung an. Mit seiner auf die Z 4 des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde bekämpft der Angeklagte der Sache nach nur den Schuldspruch (I.) wegen des Vergehens der schweren Körperverletzung nach den §§ 83 Abs 1, 84 Abs 1 StGB.

Rechtliche Beurteilung

Die Nichtigkeitsbeschwerde ist berechtigt.

Der Angeklagte verantwortete sich in der Hauptverhandlung (AS 93 f, 253 ff) - im wesentlichen gleichlautend mit seinen früheren Angaben - dahin, in seinem Gastlokal von dem ihm als gefährlich bekannten Milan V*** im Zuge eines heftigen Streitgesprächs (nach bereits vorausgegangenen drohenden Äußerungen) mit den Worten: "jetzt werde ich dir den Schädel abdrehen" neuerlich bedroht worden zu sein; als V*** dabei "aufgesprungen" ("aufgestanden") bzw sich "erhoben" habe, um auf ihn loszugehen, habe er sich "aus Angst" nur zur Wehr gesetzt und "in seiner Panik" dem Angreifer mit einer (zufällig) in Reichweite auf dem Schanktisch stehenden Mineralwasserflasche "auf den Kopf geschlagen". In der mit dem angefochtenen Urteil zum Abschluß gebrachten Hauptverhandlung vom 15.März 1988 stellte der Verteidiger den Antrag auf Vernehmung der (Tat-)Zeugen Sima Z*** und Bogdan S*** (dessen Familienname in den Akten in den verschiedensten

Schreibweisen vorkommt: vgl AS 11, 12: S***, AS 82, 218: S***,

AS 268: S***) "zum Beweise dafür, daß sich der Vorfall so abgespielt hat, wie ihn der Angeklagte geschildert hat". Diesen Beweisantrag wies das Schöffengericht "wegen Unerheblichkeit und Spruchreife" ab (AS 271). In den Urteilsgründen wird hiezu lediglich ergänzend angeführt, daß der Antrag abzuweisen war, "da das bisherige Beweisverfahren, insbesondere auch die Angaben des Angeklagten selbst eine ausreichende Grundlage für eine Entscheidung geboten" hätten (AS 289 letzter Absatz). Demgegenüber ist den Entscheidungsgründen an anderer Stelle (AS 282) zu entnehmen, daß das Erstgericht, welches das Vorliegen einer tatsächlichen oder auch nur vermeintlichen Notwehrsituation in tatsachenmäßiger Beziehung verneinte, "der Verantwortung des Angeklagten auf Grund der Ergebnisse des Beweisverfahrens zum Faktum I./ des Schuldspruches überhaupt nicht folgen konnte", woraus erhellt, daß es die Verantwortung schon auf Grund der vorliegenden Verfahrensergebnisse - mit einer sich im übrigen z.T. selbst widersprechenden Begründung - für widerlegt erachtete (AS 283 f) und deshalb die Aufnahme der angebotenen Beweise nicht mehr für erforderlich hielt.

Zutreffend erblickt der Beschwerdeführer in dieser Vorgangsweise einen Verfahrensmangel. Denn die dargelegten Erwägungen des Schöffengerichtes lassen erkennen, daß es die vom Angeklagten im Zusammenhang mit seiner Notwehrverantwortung angebotenen Entlastungsbeweise vor allem deshalb zurückwies, weil es die vorliegenden Belastungsbeweise bereits für ausreichend hielt. Ein solches die vollständige Sachaufklärung hinderndes Vorgehen stellt sich aber als ein unzulässiger, weil mit den Prozeßgrundsätzen in Widerspruch stehender Akt vorgreifender Beweiswürdigung dar (vgl Mayerhofer-Rieder2 ENr 78, 80, 81, 87 ua zu § 281 Z 4 StPO), der im Umfang der Anfechtung Urteilsnichtigkeit nach dem § 281 Abs 1 Z 4 StPO bewirkt.

Da sich sohin zeigt, daß die Anordnung einer neuen Hauptverhandlung nicht zu vermeiden ist und eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofes in der Sache selbst noch nicht einzutreten hat, war über die Nichtigkeitsbeschwerde gemäß dem § 285 e StPO bereits bei der nichtöffentlichen Beratung spruchgemäß zu erkennen. Dabei war zu beachten, daß die dem Angeklagten zur Last gelegten strafbaren Handlungen gemäß dem Art XX Abs 4, letzter Satz, StRÄG 1987 infolge (wenn auch nur teilweiser) Aufhebung des Schuldspruches nunmehr jedenfalls in die funktionelle Zuständigkeit des Einzelrichters fallen (§ 13 Abs 2 StPO idF des Art II Z 4 StRÄG 1987).

Mit seiner durch die Aufhebung auch des Strafausspruches gegenstandslos gewordenen Berufung war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.

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