Spruch:
Jasmin Ha***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.
Die Grundrechtsbeschwerde wird abgewiesen.
Text
Gründe:
Die am 3. März 1990 geborene Jasmin Ha***** befindet sich im Verfahren AZ 151 Hv 59/09t des Landesgerichts für Strafsachen Wien seit 13. Juli 2008 in Untersuchungshaft.
Die von der Staatsanwaltschaft beim Landesgericht für Strafsachen Wien gegen sie eingebrachte Anklageschrift ist seit 30. Juni 2009 rechtswirksam (ON 139).
Ein (Unzuständigkeits-)Urteil dieses Gerichts als Jugendschöffengericht vom 3. November 2009 (ON 181) wurde hinsichtlich aller Angeklagten mit Beschluss des Obersten Gerichtshofs vom 2. März 2010 aufgehoben und dem Erstgericht aufgetragen, sich der Verhandlung und Urteilsfällung zu unterziehen (AZ 11 Os 213/09x; ON 195).
Mit dem in der Haftverhandlung am 13. April 2010 gefassten Beschluss wies das Erstgericht, nunmehr durch eine andere Vorsitzende den Enthaftungsantrag der Angeklagten Jasmin Ha***** ab und setzte die Untersuchungshaft aus dem Haftgrund des § 173 Abs 2 Z 3 lit a und b StPO iVm § 35 Abs 1 zweiter Satz JGG fort (ON 200).
Mit dem angefochtenen Beschluss gab das Oberlandesgericht Wien der Beschwerde der Angeklagten nicht Folge, wobei es seinerseits die Untersuchungshaft aus dem selben Haftgrund fortsetzte (ON 208).
Mit Urteil des Schöffengerichts vom 11. Mai 2010 wurde Jasmin Ha***** mittlerweile - nicht rechtskräftig - der Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und Abs 2 StGB, der Erpressung nach §§ 15, 144 Abs 1 StGB, des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 dritter Fall StGB sowie der Vergehen der Freiheitsentziehung nach § 99 Abs 1 StGB und der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB schuldig erkannt, zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt und gemäß § 21 Abs 2 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen (ON 213/S 49).
Rechtliche Beurteilung
Der gegen den Haftfortsetzungsbeschluss des Oberlandesgerichts gerichteten Grundrechtsbeschwerde der Jasmin Ha***** kommt Berechtigung nicht zu.
Dem Beschwerdevorbringen zuwider ging das Oberlandesgericht Wien zutreffend davon aus, dass jener Vorsitzende, der an dem in der Folge aufgehobenen Unzuständigkeitsurteil mitgewirkt hat, gemäß § 43 Abs 2 StPO vom weiteren Hauptverfahren und demnach auch von der gemäß § 32 Abs 3 StPO außerhalb der Hauptverhandlung in die Zuständigkeit des Vorsitzenden fallenden Beschlussfassung über die Haft ausgeschlossen ist. Denn § 43 Abs 2 StPO lässt nach seinem eindeutigen Wortlaut keinen interpretativen Spielraum für eine Differenzierung zwischen Formal- und Sachurteilen (argumentum: „an einem Urteil mitgewirkt“) zu, sodass beide gleichermaßen erfasst sind (Lässig, WK-StPO § 43 Rz 24, RIS-Justiz RS0125375; jüngst 12 Os 40/10i); dies unbeschadet der Judikatur zu der - anderslautenden - Vorgängerbestimmung des § 68 Abs 2 StPO aF.
Mit der unsubstantiierten Behauptung „schleppender“ Gutachtenserstattung durch die Sachverständige DDr. Gabriele W***** legt die Beschwerde nicht einmal ansatzweise dar, inwiefern dem Oberlandesgericht, das sich - wie auch die Beschwerdeführerin einräumt - unter dem Aspekt des Beschleunigungsgebots mit der Frage der Dauer des Ermittlungsverfahrens und des nachfolgenden Hauptverfahrens ausführlich auseinandergesetzt hat (BS 7 ff), ein Beurteilungsfehler unterlaufen wäre.
Auch das von der Beschwerdeführerin ins Treffen geführte Erfordernis eines weiteren Rechtsgangs nach Aufhebung eines Unzuständigkeitsurteils bietet - entgegen der Beschwerdeargumentation - nicht per se einen Grund für die Annahme einer dem Beschleunigungsgebot widerstreitenden Säumigkeit. Im Übrigen erfolgte dieses Unzuständigkeitsurteil - dem Beschwerdevorbringen zuwider - keineswegs „zwingend“ aufgrund einer „Ausdehnung der Anklage“. Denn die Staatsanwaltschaft hat in der Hauptverhandlung der Sache nach lediglich zum Ausdruck gebracht, unter welchen (weiteren) Qualifikationstatbestand die unverändert den Gegenstand der Anklage zu A./III./ bildende Tat der Angeklagten ihrer Auffassung nach zu subsumieren wäre (vgl ON 181/S 13). An diese Rechtsansicht war das Jugendschöffengericht jedoch nicht gebunden. Damit gehen die spekulativen und nicht nachvollziehbaren Beschwerdeerwägungen zu möglichen Manipulationen der Staatsanwaltschaft betreffend die Person des Vorsitzenden von vornherein ins Leere.
Soweit die Grundrechtsbeschwerde - erstmals - moniert, das Oberlandesgericht habe - in Ansehung der im Ermittlungsverfahren gefassten, in Rechtskraft erwachsenen Haftfortsetzungsbeschlüsse - das Fehlen einer Begründung für die Zulässigkeit der Fortsetzung der Untersuchungshaft über eine Dauer von mehr als sechs Monaten hinaus (§ 178 Abs 2 StPO) lediglich als formalen Verstoß bezeichnet (s hiezu aber Kirchbacher/Rami, WK-StPO § 178 Rz 12), verfehlt sie den Gegenstand der Grundrechtsbeschwerde (§ 1 Abs 1 GRBG). Zur Klarstellung sei jedoch festgehalten, dass die Fristen des § 178 Abs 1 und 2 StPO nur bis zum Beginn der Hauptverhandlung gelten. Danach ist die Dauer der Untersuchungshaft nur noch am Verhältnismäßigkeitsgebot (§ 177 Abs 1 StPO) zu messen (Kirchbacher/Rami, WK-StPO § 178 Rz 7 f, 13).
Von einer Unverhältnismäßigkeit der Haft kann angesichts der mittlerweile erfolgten Verurteilung in erster Instanz zu einer zehnjährigen Freiheitsstrafe keine Rede sein.
Entgegen der pauschalen Beschwerdekritik hat sich das Oberlandesgericht auch mit der Möglichkeit der Substituierbarkeit der Untersuchungshaft durch gelindere Mittel, darunter auch eine von der Beschwerdeführerin geforderte, jedoch nicht näher spezifizierte „stationäre Therapie“, eingehend auseinandergesetzt, diese aber im Rahmen des ihm zukommenden Ermessens verneint (BS 15).
Somit wurde die Angeklagte im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt, weshalb ihre Beschwerde ohne Kostenausspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen war.
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