Spruch:
Die vom Bezirksgericht Spittal an der Drau am 7.Mai 1984 gegen Herbert B*** wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach dem § 88 Abs. 1 und Abs. 4, erster Fall, StGB erlassene Strafverfügung, GZ U 536/84-4, verletzt das Gesetz in den Bestimmungen des § 460 Abs. 1 StPO und des § 88 Abs. 1 und Abs. 4, erster Fall, StGB.
Gemäß dem § 292 StPO werden diese Strafverfügung und alle darauf beruhenden Anordnungen und Verfügungen aufgehoben, und es wird dem Bezirksgericht Spittal an der Drau die Einleitung des gesetzlichen Verfahrens aufgetragen.
Text
Gründe:
Mit der (in Rechtskraft erwachsenen) Strafverfügung des Bezirksgerichtes Spittal/Drau vom 7.Mai 1984, GZ U 536/84-4, wurde über den am 16.September 1953 geborenen Angestellten Herbert B*** wegen Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach dem § 88 Abs. 1 und Abs. 4, erster Fall, StGB eine Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 110 S, für den Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von zwanzig Tagen, verhängt, weil er am 17. Februar 1984 im Skigebiet Katschberg, Gemeinde Rennweg, Bezirk Spittal/Drau, als Skilehrer einer (fünfköpfigen) Schülergruppe bei der Abfahrt auf der Piste Aineck eine "zu hohe" Geschwindigkeit "vorgegeben" und dadurch einen Zusammenstoß seiner Schüler Hannes P*** und Michael H*** mit der Skiläuferin Edna F*** "ermöglicht" hatte, wobei Hannes P*** eine Rißquetschwunde über der Stirn sowie Nasen- und Brustkorbprellungen, Michael H*** einen Bruch des rechten Unterarmes und Schnittwunden im Gesicht und Edna F*** einen Unterschenkelbruch, mehrere Rippenbrüche und eine Platzwunde am Kopf erlitten.
Dieser Strafverfügung liegt nach dem Inhalt des Aktes AZ U 536/84 des Bezirksgerichtes Spittal/Drau folgender Sachverhalt zugrunde:
Der Beschuldigte Herbert B*** - damals Skilehrer einer Gruppe von fünf Schülern im Alter zwischen 12 und 13 Jahren - fuhr am 17.Februar 1984 gegen 15,30 Uhr im Skigebiet Katschberg, Gemeinde Rennweg, Bezirk Spittal/Drau, mit dieser Schülergruppe die Aineck-Abfahrt ab. Der letzte Hang der Abfahrt geht in ein Flachstück über, das zur Talstation der Aineck-Doppelsesselbahn führt (S 7 d.A). Diesen letzten Hang vor dem Flachstück befuhr der Beschuldigte an der Spitze seiner Gruppe in "Schußfahrt", um mit entsprechendem Schwung durch das Flachstück und ohne Stockeinsatz zur Talstation des Sesselliftes gelangen zu können (S 46 d.A). Seine Schülergruppe folgte ihm ebenfalls in Schußfahrt. Dabei kam es auf der dort etwa 16 m breiten, von oben gut einzusehenden Abfahrtspiste knapp vor dem Übergang in das Flachstück zwischen dem zur Schülergruppe des Beschuldigten gehörigen, damals noch nicht 14-jährigen Schüler Hannes P*** und der am 3.März 1944 geborenen Skifahrerin Edna F*** zum Zusammenstoß. Der knapp hinter P*** kommende 13-jährige Schüler Michael H*** aus der Gruppe B*** fuhr gegen die beiden vor ihm gestürzten Personen und stürzte gleichfalls. Bei diesem Zusammenstoß, der sich hinter dem Rücken des voranfahrenden Beschuldigten ereignete, erlitten Edna F*** (Unterschenkelbruch und Rippenbrüche) sowie Michael H*** (Unterarmbruch) dem Grad nach schwere Verletzungen; Hannes P*** wurde leicht verletzt.
Während sich der Zusammenstoß nach Darstellung der Edna F*** und ihres Ehegatten Michael F*** - von oben
gesehen - am linken Pistenrand ereignet haben soll (Edna F*** sei dort stehend von den beiden Schülern gerammt worden - S 35 und 47 d.A), behauptete der Beschuldigte, daß die Skifahrerin (Edna F***), als er (B***) auf dem letzten Hang der Aineck-Abfahrt an der Spitze seiner Schülergruppe zur Schußfahrt angesetzt hatte, - von ihm aus gesehen - auf der rechten Seite quer zur Piste standen (S 46 d.A). Daß Edna F*** unmittelbar vor dem Zusammenstoß mit Hannes P*** und Michael H*** auf diesem letzten Teilstück der Abfahrt knapp vor dem Flachstück die Piste (von oben gesehen von rechts nach links) querte und hiebei von den beiden in Schußfahrt herabkommenden Skifahrern Hannes P*** und Michael H*** erfaßt wurde, bestätigten auch die beiden unbeteiligten Tatzeugen Christian F*** (S 41 d.A) und Franziska S*** (S 43 d.A).
Rechtliche Beurteilung
Die angeführte Strafverfügung des Bezirksgerichtes Spittal/Drau vom 7.Mai 1984 steht mit dem Gesetz (§ 460 Abs. 1 StPO und § 88 Abs. 1 und 4, erster Fall, StGB) nicht im Einklang:
Der den Beschuldigten laut dieser Strafverfügung treffende Fahrlässigkeitsvorwurf erschöpft sich darin, seiner Schülergruppe auf dem letzten Teilstück der Abfahrt eine zu hohe Geschwindigkeit vorgegeben zu haben. Darin kann aber nach Lage des Falles ein vorwerfbarer objektiver Sorgfaltsverstoß als Voraussetzung fahrlässigen Handelns im Sinn des § 6 Abs. 1 StGB und damit für die Tatbestandsverwirklichung nach dem § 88 Abs. 1 und 4, erster Fall, StGB (noch) nicht erblickt werden.
Da bisher in Österreich allgemein verbindliche Rechtsvorschriften für das Verhalten auf Skipisten fehlen, ist zur Feststellung der einem Skifahrer unterlaufenen objektiven Sorgfaltswidrigkeit auf die vom Internationalen Skiverband (FIS) erstellten Verhaltensregeln auf Skiabfahrten (sogenannte FIS-Regeln) und auf die darauf fußenden, inhaltlich im wesentlichen gleichlautenden Pistenregeln des Österreichischen Kuratoriums für alpine Sicherheit zurückzugreifen. Es handelt sich hiebei zwar um keine Rechtsnormen, aber um die Zusammenfassung allgemein anerkannter Regeln für das Verhalten auf Skipisten und damit der beim Skilauf zu beachtenden Sorgfaltsgrundsätze, die das erlaubte Risiko des Skifahrers abgrenzen. Diesen Regeln kommt für die Ermittlung der objektiven Sorgfaltswidrigkeit und damit als Beurteilungsmaßstab für fahrlässiges Handeln beim Skifahren eine wesentliche Bedeutung zu (vgl Burgstaller, WK, Rz 46 und 47 zu § 6 StGB; Pichler, Pisten, Paragraphen, Skiunfälle, Anhang F; derselbe in ZVR 1985, 258).
Nach den erwähnten FIS-Regeln (Punkt 1. und 2.) hat jeder Skifahrer sich so zu verhalten, daß er keinen anderen gefährdet oder schädigt, und seine Geschwindigkeit und Fahrweise seinem Können und den Gelände- und Witterungsverhältnissen anzupassen. Daraus kann ein generelles Verbot von Schußfahrten auf einer Skipiste nicht abgeleitet werden. Maßgebliches Kriterium für einen sich aus einem Regelverstoß ergebenden Fahrlässigkeitsvorwurf ist vielmehr, ob dadurch eine (vorhersehbare) Gefährdung oder Schädigung anderer herbeigeführt werden kann. Hiebei kommt es neben der gewählten Geschwindigkeit, den sportlichen Fähigkeiten und dem Fahrkönnen des Skifahrers (hier: der vom Beschuldigten als Skilehrer betreuten Schülergruppe) auch auf die Geländeverhältnisse und letztlich auch darauf an, ob und in welchem Ausmaß die (einsehbare) Skipiste von anderen Skifahrern frequentiert ist.
Nach dem Gesagten ist das in der Strafverfügung des Bezirksgerichtes Spittal/Drau vom 7.Mai 1984 dem Beschuldigten angelastete Verhalten, nämlich bei der Abfahrt seiner Schülergruppe eine zu hohe Geschwindigkeit vorgegeben zu haben, für die Bejahung eines ihn als Skilehrer treffenden objektiven Sorgfaltsverstoßes - und damit für einen Schuldspruch wegen Vergehens nach dem § 88 Abs. 1 und Abs. 4, erster Fall, StGB - nicht ausreichend. Der Strafverfügung läßt sich vor allem nicht entnehmen, ob das Gericht davon ausging, daß die an dem Skiunfall beteiligte Edna F*** zunächst (aus der Sicht des Beschuldigten) auf der rechten Seite der Skipiste stand und sodann ohne Beachtung der von oben in Schußfahrt herankommenden Schülergruppe den Hang querte. In diesem Fall müßte ihr nämlich ein Verstoß gegen Punkt 5 der FIS-Regeln zum Vorwurf gemacht werden, wonach sich jeder Skifahrer, der in eine Abfahrtsstrecke einfahren oder ein Skigelände queren will, (vorher) nach oben und unten vergewissern muß, daß er dies ohne Gefahr für sich und andere tun kann (vgl ZVR 1985/165). Für die Beurteilung der (objektiven) Vorhersehbarkeit der Gefährlichkeit seines Verhaltens und damit eines ihn treffenden Fahrlässigkeitsvorwurfes kommt es entscheidend auf die Situation an, die sich dem Beschuldigten bot, als er sich auf dem letzten Teilstück der Abfahrtsstrecke zur Schußfahrt entschloß und so die ihm anvertraute Schülergruppe zur gleichen Fahrweise veranlaßte. Ein der erwähnten Pistenregel widersprechendes plötzliches Losfahren eines zunächst (am Pistenrand) stehenden Skifahrers mit Queren der Abfahrtsstrecke war vom Beschuldigten von vornherein nicht ins Kalkül zu ziehen, als er den Entschluß zur Schußfahrt faßte. Es kann aber auch auf Grund der bisherigen Erhebungsergebnisse nicht vorweg gesagt werden, daß die von ihm vorgegebene Geschwindigkeit (in einer derzeit unbekannten Größenordnung) dem Fahrkönnen der von ihm geleiteten Schülergruppe oder den damaligen Pisten- und Schneeverhältnissen nicht entsprochen habe. Es steht schließlich bisher nicht fest, ob sich zur Unfallszeit, abgesehen von der am Unfall beteiligten Skifahrerin Edna F*** und ihrem Ehegatten, auch noch andere Skifahrer in diesem Bereich der Skipiste aufhielten. Der Strafverfügung des Bezirksgerichtes Spittal/Drau vom 7. Mai 1984 fehlt daher für die Annahme eines dem Herbert B*** als verantwortlichem Skilehrer einer Schülergruppe vorwerfbaren (objektiven) Sorgfaltsverstoßes und damit eines zur Tatbestandsverwirklichung nach dem § 88 Abs. 1 und Abs. 4, erster Fall, StGB erforderlichen fahrlässigen Verhaltens (noch) eine ausreichende tragfähige Sachverhaltsgrundlage, weshalb die Erlassung dieser Verfügung unzulässig war (vgl § 460 Abs. 1 StPO). Bemerkt sei noch, daß eine Verjährung der Tat des Beschuldigten nicht in Betracht kommt (vgl SSt 51/12 = EvBl 1980/196). Der von der Generalprokuratur gemäß dem § 33 Abs. 2 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes war daher Folge zu geben und gemäß dem § 292 StPO wie im Spruch zu erkennen.
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