Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerden werden verworfen.
Den Berufungen wird nicht Folge gegeben.
Gemäß dem § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 23. Juni 1969 geborene Hilfsarbeiter Mustafa D*** auf Grund des Wahrspruchs der Geschwornen des Verbrechens des Raubes nach dem § 142 Abs 1 StGB (Punkt A/ des Schuldspruches) und des Vergehens des versuchten Diebstahls nach den §§ 15, 127 StGB (Punkt B/ des Schuldspruches) schuldig erkannt, weil er
A/ am 5. November 1987 in Ternitz im einverständlichen Zusammenwirken mit dem gesondert verfolgten Ahmet A*** mit Gewalt gegen eine Person und durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben dem Peter W*** fremde bewegliche Sachen, nämlich eine Geldbörse mit 300 S, mit dem Vorsatz, sich durch die Sachzueignung unrechtmäßig zu bereichern, weggenommen bzw. abgenötigt hat, indem Ahmet A*** dem Peter W*** Schläge versetzte und ihm mit einer scharfen Konservendose blutende Verletzungen am Kopf zufügte und dem schließlich bewußtlosen Peter W*** die Geldbörse wegnahm, während Mustafa D*** vor der Tür Aufpasserdienste leistete;
B/ am 6. November 1987 in Ternitz versucht hat, der Anna H*** Geld und Wertgegenstände mit dem Vorsatz wegzunehmen, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, indem er nach ihrer Handtasche griff.
Rechtliche Beurteilung
Von weiteren Anklagepunkten wegen vollendeten sowie versuchten schweren Raubes wurde Mustafa D*** teils gemäß dem § 259 Z 2 StPO, teils gemäß dem § 259 Z 3 StPO (richtig: § 311 sowie § 336 StPO) freigesprochen.
Dieses Urteil wird von der Staatsanwaltschaft und vom Angeklagten Mustafa D*** mit Nichtigkeitsbeschwerde (und im Strafausspruch jeweils mit Berufung) bekämpft.
Die Anklagebehörde behauptet Nichtigkeitsgründe nach den Z 1 und 8 des § 345 Abs 1 StPO, ist mit ihrem Vorbringen jedoch nicht im Recht.
Den erstgenannten Nichtigkeitsgrund erblickt die Staatsanwaltschaft darin, daß für zwei zur Hauptverhandlung nicht erschienene Geschworne zwei Ersatzgeschworne herangezogen worden sind und dies zudem nicht in der Reihenfolge der Dienstliste (§ 300 Abs 4 StPO) geschehen ist, sondern offensichtlich gemäß einer an die Anfangsbuchstaben der Zunamen der Laienrichter geknüpften alphabetischen Reihung.
Nach ständiger Judikatur liegt der angerufene Nichtigkeitsgrund einer nicht gehörigen Besetzung der Geschwornenbank - von den Sonderbestimmungen für Jugendstrafsachen abgesehen - nur vor, wenn nicht die erforderliche Anzahl von Laienrichtern tätig war oder zum Geschwornenamt unfähige Personen herangezogen worden sind, wobei letztere Voraussetzung sich nicht schon aus der bloß reihungswidrigen Befassung der in die Dienstliste Eingetragenen ergeben kann (siehe hiezu Mayerhofer-Rieder, StPO2, ENr. 3, 6, 7, 8, 10 und 19 zu § 345 Z 1; zuletzt in bezug auf Schöffen: 13 Os 7/88). Somit wird von der Staatsanwaltschaft ein der Nichtigkeitssanktion unterliegender Sachverhalt gar nicht bezeichnet. Auch eine Überbesetzung der Geschwornenbank lag nicht vor, weil im Gegensatz zu dem in der Entscheidungsveröffentlichung EvBl 1984/94 behandelten Fall - bei welchem der Hauptverhandlung insgesamt 10 Laienrichter ohne Differenzierung nach Hauptgeschwornen und Ersatzgeschwornen beigewohnt hatten - in der vorliegenden Strafsache ohnehin vom Anfang an bei Protokollierung der anwesenden Richter zwischen acht Geschwornen und einer Ersatzgeschwornen unterschieden wurde (S 393). Nur zur Klarstellung und nicht unter dem Aspekt eines für den angerufenen Nichtigkeitsgrund bedeutsamen Umstandes sei noch bemerkt, daß die genannte Entscheidung bei richtigem Verständnis keinen Anhaltspunkt für die von der Staatsanwaltschaft verfochtene, aber mit dem Gesetz (§§ 35 Abs 2, 39 Abs 1 und 40 Abs 2 Geschwornen- und Schöffenlistengesetz) unvereinbare These bietet, das Amt des Ersatzgeschwornen diene nicht dazu, "bereits vor Beginn der Hauptverhandlung verhinderte oder nicht erschienene Hauptgeschworne zu ersetzen."
Gegen den gemäß dem § 259 Z 3 (§ 336) StPO ergangenen Freispruch des Angeklagten - er betrifft die Anklagevorwürfe eines am 29. Juni 1987 in Gesellschaft der gesondert Verfolgten Ahmet A*** und Atilla M*** verübten vollendeten sowie eines Ende September 1987 in Gesellschaft des Ahmet A*** und eines am 6. November 1987 in Gesellschaft des Atilla M*** jeweils versuchten Raubes - wendet die Anklagebehörde eine Unvollständigkeit der Rechtsbelehrung ein, worin der Nichtigkeitsgrund nach der Z 8 des § 345 Abs 1 StPO erblickt wird.
Dabei verkennt die Staatsanwaltschaft aber grundlegend den Umfang der gesetzlichen Belehrungspflicht, welche die Darlegung der gesetzlichen Merkmale der den Fragegegenstand bildenden strafbaren Handlung, eine Auslegung der in den einzelnen Fragen vorkommenden Ausdrücke des Gesetzes und eine Klarstellung des Verhältnisses der einzelnen Fragen zueinander sowie der Folgen der Beantwortung umfaßt (§ 321 Abs 2 StPO). Die bei Beteiligung mehrerer Täter gegebenenfalls aktuelle Funktion des "Aufpassers" und die Verrichtung von "Aufpasserdiensten" im Tatortbereich sind demgegenüber jedoch keine Merkmale der strafbaren Handlung des Raubes sowie auch keine gesetzlichen Begriffe, sodaß es dem Beschwerdestandpunkt zuwider diesbezüglicher gezielter Erörterungen in der Rechtsbelehrung nicht bedurfte. Das Eingehen auf die zur Beurteilung stehende Strafsache ist nämlich in der Rechtsbelehrung nicht vorgesehen und bleibt in Form einer Zurückführung der in den Fragen aufscheinenden gesetzlichen Merkmale der strafbaren Handlung auf den ihnen zugrunde liegenden Sachverhalt der gemäß dem § 323 Abs 2 StPO abzuhaltenden Besprechung vorbehalten.
Soweit die Staatsanwaltschaft - Aufpasserdienste im Sinn der bisherigen "Raubgenossenschaft" zunächst selbst als Mittäterschaft wertend - später unterstellt, die Geschwornen hätten rechtsirrig einen "Tatbeitrag" des Angeklagten in Form von Aufpasserdiensten verneint, muß ihr erwidert werden, daß die Rechtsbelehrung nur zu den tatsächlich gestellten Fragen zu erteilen ist und die Entscheidung über eine allfällige Beitragstäterschaft (§ 12 dritter Fall StGB) des Angeklagten im Sinn des § 314 Abs 1 StPO allein im Wege der Aufnahme von Eventualfragen in das Fragenprogramm herbeizuführen gewesen wäre. Mangels Stellung derartiger Eventualfragen durfte sich die (ungerügt gebliebene) Rechtsbelehrung auf die allgemeine Erläuterung der Mittäterschaft (§ 12 erster Fall StGB) beschränken, ohne auf die Täterschaftsform des sonstigen Tatbeitrages (§ 12 dritter Fall StGB) eingehen zu müssen. Beigefügt sei noch, daß die gemäß dem § 331 Abs 3 StPO verfaßte Niederschrift über die Erwägungen der Geschwornen zur einstimmig verneinten Hauptfrage I keineswegs - wie die Staatsanwaltschaft vermeint - auf eine unrichtige Gesetzesanwendung hindeutet, sondern vielmehr auf die Annahme der Geschwornen, daß die Verantwortung des Angeklagten in der Hauptverhandlung - wonach es sich um eine nicht vom gemeinsamen Vorsatz getragene Tat des A*** gehandelt hat - unwiderlegt geblieben ist.
Die Nichtigkeitsbeschwerde der Anklagebehörde erweist sich daher als unbegründet.
Der Angeklagte Mustafa D*** wendet sich mit seiner Nichtigkeitsbeschwerde nur gegen den Schuldspruch wegen Raubes (Punkt A des Schuldspruches), indem er eine Verletzung der Vorschriften über die Fragestellung im Sinn der Z 6 des § 345 Abs 1 StPO geltend macht.
Dem Beschwerdestandpunkt zufolge hätten bestehende Zweifel am Raubvorsatz des Angeklagten anläßlich seiner Mitwirkung an der Tat zur Stellung einer Eventualfrage nach Hehlerei führen müssen. Hier übersieht der Beschwerdeführer zunächst, daß über den Raubvorsatz allein anläßlich der Beantwortung der entsprechenden Schuldfrage (Nummer II) und nicht unter Zuhilfenahme einer Eventualfrage abzusprechen war. Außerdem muß Grundlage einer Eventualfrage im Sinn des § 314 Abs 1 StPO ein entsprechendes Vorbringen in der Hauptverhandlung sein, welches unter der Annahme seiner Richtigkeit der Tatbeurteilung nach einem anderen Strafgesetz, das nicht strenger ist als das in der Anklageschrift angeführte, eine vollständige rechtliche Deckung bieten kann. Imv vrliegenden Fall hätte überhaupt nur eine Tatsachenbehauptung, wonach dem Angeklagten keine strafrechtliche Beteiligung am Raub zur Last falle, Anlaß für eine Eventualfrage in Richtung Hehlerei bieten können (siehe hiezu Leukauf-Steininger, StGB2, RN 4 zu § 164). Solche Umstände werden jedoch vom Beschwerdeführer mit der Wiedergabe seiner Verantwortung in der Hauptverhandlung schon deshalb nicht dargelegt, weil er dabei im ersichtlichen Bestreben, seinen damaligen Raubvorsatz in Zweifel zu setzen, eine wesentliche Passage der Aussage modifiziert. Darin kommt nämlich nicht zum Ausdruck, daß der Angeklagte und A*** bloß vereinbart hätten, an die Türe des W*** zu klopfen und darüber hinaus allein der Entschluß des A*** darauf gerichtet gewesen sei, das Opfer zu packen und ihm das Geld wegzunehmen, sondern es ergibt sich aus der Schilderung des Angeklagten eindeutig ein diesbezüglicher gemeinsamer Täterwillen (".... haben wir ausgemacht." - S 401). Die wegen unvollständiger Zitierung prozeßordnungswidrigen Beschwerdeausführungen bezeichnen somit kein Tatsachenvorbringen in der Hauptverhandlung, demzufolge Mustafa D*** damals nicht entschlossen gewesen wäre, an einer gewaltsamen Geldwegnahme mitzuwirken. Daß der Angeklagte im weiteren Verlauf der Versuchshandlungen aus Angst vor dem Opfer die Flucht ergriffen haben will, kann unter den konkreten Umständen nicht als Behauptung eines ursprünglich fehlenden Raubvorsatzes verstanden werden und wäre ferner im Hinblick auf die Vollendung des gemeinsam begonnenen Raubes durch A*** rechtlich bedeutungslos (EvBl 1982/97). Demgemäß bestand kein Anlaß für die vom Beschwerdeführer angestrebte Erweiterung des Fragenschemas, weshalb der eingewendete Mangel nicht vorliegt.
Beide Nichtigkeitsbeschwerden waren daher zu verwerfen. Das Geschwornengericht verhängte über den Angeklagten nach dem § 142 Abs 1 StGB unter Bedachtnahme auf den § 28 StGB eine Freiheitsstrafe in der Dauer von 15 Monaten, wobei gemäß den §§ 43 Abs 1, 43 a Abs 3 StGB ein Anteil von 10 Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Es wertete bei der Strafbemessung als erschwerend das Zusammentreffen strafbarer Handlungen verschiedener Art, als mildernd hingegen das reumütige Geständnis, das Alter des Angeklagten unter 21 Jahren, den Umstand, daß es beim zweiten Faktum (Vergehen des Diebstahles) beim Versuch blieb, die Anstiftung durch (den gesondert verfolgten) Ahmet A*** sowie die volle Schadensgutmachung.
Der Angeklagte strebt mit seiner Berufung eine Herabsetzung der Strafe unter außerordentlicher Strafmilderung nach dem § 41 StGB und die Ausdehnung der bedingten Strafnachsicht auf die gesamte Freiheitsstrafe an, während die Staatsanwaltschaft eine Erhöhung des Strafausmaßes und die Ausschaltung des Ausspruches nach den §§ 43 Abs 1, 43 a Abs 3 StGB begehrt.
Auch den Berufungen kommt keine Berechtigung zu.
Zwar weist der Angeklagte zutreffend darauf hin, daß ihm auch noch die bisherige Unbescholtenheit als mildernd zustatten kommt. Doch vermag dies seinem Begehren weder in bezug auf das Strafausmaß noch in bezug auf den Umfang der gewährten Strafnachsicht zum Erfolg zu verhelfen. Denn im Ergebnis fand das Geschwornengericht mit der eingangs erwähnten Strafe - und dies ist zugleich als Antwort auf das Berufungsvorbringen des öffentlichen Anklägers zu verstehen - eine allen Besonderheiten dieses Falles Rechnung tragende, dem Unwert der Tat und der Schwere der Schuld des Täters adäquate Sanktion, und zwar auch unter dem Gesichtspunkt der Anwendbarkeit bedingter Strafnachsicht.
Zu einer Abänderung des Strafausspruches besteht daher nach keiner Richtung hin ein Anlaß.
Insgesamt war deshalb wie aus dem Spruch ersichtlich zu erkennen. Die Kostenentscheidung findet in der angeführten Gesetzesstelle ihre Begründung.
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