OGH 11Os5/05b

OGH11Os5/05b8.3.2005

Der Oberste Gerichtshof hat am 8. März 2005 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Mayrhofer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ebner, Dr. Danek, Dr. Schwab und Dr. Lässig als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Kreitner als Schriftführer, in der Strafsache gegen Alfred St***** wegen des Verbrechens nach § 28 Abs 2 vierter Fall, Abs 3 erster Fall SMG und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 22. Oktober 2004, GZ 12 Hv 186/04b-63, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise Folge gegeben, das angefochtene Urteil im Schuldspruch I A 1 und demgemäß im Strafausspruch aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Erstgericht verwiesen. Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde zurückgewiesen. Mit ihren Berufungen werden die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Alfred St***** (zu I A) der Verbrechen nach § 28 Abs 2 vierter Fall, „teilweise Abs 3, erster Fall (Fakten I A 1 bis 4)" SMG und der Vergehen (zu I B) nach § 27 Abs 1 erster, zweiter und dritter Fall SMG, (zu II 1) der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs l, 84 Abs 1 StGB, (zu II 2 und 3) der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB, (zu III) der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB, (zu IV l) der falschen Beweisaussage vor Gericht nach §§ 12 zweiter Fall, 288 Abs 1 StGB, (zu IV 2) der versuchten Begünstigung nach §§ 12 zweiter Fall, 15, 299 Abs 1 StGB, (zu V) der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB sowie (zu VI) der Zuhälterei nach § 216 Abs 2 StGB in der Fassung BGBl I 2002/134 schuldig erkannt.

Danach hat er in Graz

I) den bestehenden Vorschriften zuwider ein Suchtgift

A) in einer großen Menge (§ 28 Abs 6 SMG), teilweise in der Absicht,

sich durch die wiederkehrende Begehung eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen (Fakten l bis 4), in Verkehr gesetzt, indem er nachangeführte Mengen Kokain, welche er zum Teil von Johann F***** gekauft hatte, sowie Marihuana an nachangeführte Personen teils mit Gewinnaufschlag verkaufte, teils - etwa im Zuge gemeinsamen Konsums - unentgeltlich überließ, nämlich

1) von Anfang 1995 bis Ende 1996 60 bis 70 Gramm Kokain an Gerd Klaus G***** gewinnbringend verkaufte,

2) von Mitte 2002 bis Ende 2003 sowie von Anfang 2004 bis Anfang Juli 2004 an Ralph Thomas W***** insgesamt zumindest 20 Gramm Kokain verkaufte,

3) im Jahr 2003 im Zeitraum von acht bis neun Monaten an Michael F***** und Sandra M***** insgesamt zumindest 40 Gramm Kokain gewinnbringend verkaufte,

4) im Zeitraum Frühjahr 2002 bis Anfang August 2002 Silvia L***** etwa 20 Gramm Kokain gewinnbringend verkaufte,

5) im Herbst 2002 bis Sommer 2003 Helga F***** eine nicht näher bekannte Menge Kokain, eine insgesamt nicht näher bekannte Menge Marihuana sowie in einem Angriff eine nicht näher bekannte Menge Psylocybinpilze kostenlos zur Verfügung stellte,

6) zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt in mehreren Angriffen Friedrich U***** eine nicht näher bekannte Menge Kokain kostenlos überließ,

B) über die zu A angeführten, in Verkehr gesetzten Mengen hinaus

erworben, besessen und erzeugt, indem er

1) von 1995 bis 3. Juli 2004 nicht näher bekannte Mengen Kokain konsumierte,

2) im Jahr 2003 eine nicht näher bekannte Menge Psylocybinpilze züchtete,

II) Helga F***** teilweise schwer (Faktum 1) am Körper verletzt,

1) am 16. Mai 2003 durch Versetzen eines Schlages gegen ihren Kopf, wobei die Verletzung an sich schwer war (Riss des linken Trommelfelles),

2) vor dem 23. Dezember 2003 durch Versetzen von Schlägen gegen ihren Körper (Hämatome an beiden Armen und im Bereich des linken Auges),

3) am 3. April 2004 durch Versetzen von Schlägen gegen ihren Körper (Blutergüsse an beiden Unterarmen, beiden Handgelenken, sowie unter dem linken Auge; Kratzwunden im Gesicht, Schwellungen der Lippe),

III) Helga F***** im Oktober 2003 durch die Äußerung: „sich eingraben zu können, sollte er erfahren, dass sie bei Gericht ausgesagt habe", somit durch gefährliche Drohung mit zumindest einer Verletzung am Körper zur Rücknahme ihrer in einem Verfahren des Landesgerichtes für Strafsachen Graz Alfred St***** belastenden Angaben genötigt,

IV) zwischen November 2003 und März 2004 Helga F***** dazu bestimmt,

1) dass sie jeweils vor dem Landesgericht für Strafsachen Graz als Zeugin bei ihrer förmlichen Vernehmung zur Sache am 26. November 2003 vor dem Untersuchungsrichter sowie in der Hauptverhandlung vom 29. März 2004 durch die Angaben, ihre Aussage vor der Gendarmerie, sie habe von Wolfgang L***** 10 Gramm Kokain gekauft, seien falsch gewesen und nur deshalb zu Stande gekommen, weil ihr diese Aussagen die erhebenden Gendarmeriebeamten „in den Mund gelegt" hätten, falsch aussagte,

2) dass sie Wolfgang L*****, der die Verbrechen nach § 28 Abs 2 vierter Fall und Abs 3 erster Fall SMG, sohin mit Strafe bedrohte Handlungen begangen hat, durch die zu IV 1 geschilderte Tat absichtlich der Verfolgung zum Teil zu entziehen versuchte,

V) Helga F***** am 21. Juni 2004 durch mehrere im Urteilsspruch

genannte Äußerungen gefährlich mit zumindest einer Körperverletzung bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen,

VI zwischen Sommer 2003 und April 2004 mit dem Vorsatz, sich aus der Prostitution der Helga F***** eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, die Genannte ausgebeutet, indem er sie zwang, den Großteil der ihr verbleibenden Einkünfte aus der Prostitution an ihn abzuliefern und sie durch die zu II 1 und 2 angeführten Tathandlungen einschüchterte.

Das Schöffengericht verurteilte den Angeklagten nach §§ 28 StGB, 28 Abs 3 SMG zu einer Freiheitsstrafe und ordnete ua gemäß § 20 Abs 1 Z 1 StGB die Abschöpfung der Bereicherung hinsichtlich eines sichergestellten Geldbetrags von 2.000 Euro an.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 3, 4, 5, 5a und 11 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten; sie ist teilweise im Recht.

Der - nur zum Faktum I A 1 bedeutsame - Zeuge Gerd Klaus G***** wurde in der Hauptverhandlung vom 14. Oktober 2004 durch den Vorsitzenden des Schöffengerichts gemäß § 152 Abs 5 StPO über sein Entschlagungsrecht nach § 152 Abs 1 Z 1 StPO belehrt (S 187 f/II). Nach Mitteilung des Zeugen, im Jahr 2004 kein Kokain mehr konsumiert zu haben, erklärte der Vorsitzende, dass ihm in diesem Fall kein Entschlagungsrecht mehr zustehe. Darauf gab der Zeuge an, dass gegen ihn seines Wissens ein Strafverfahren nach dem Suchtmittelgesetz anhängig sei und er daher nicht aussagen wolle (S 189/II). Hierauf wurde seine Vernehmung ohne weitere richterliche Belehrung oder Maßnahme nach § 160 StPO beendet. In der Hauptverhandlung vom 22. Oktober 2004 gab der Vorsitzende bekannt, dass das Strafverfahren gegen den Zeugen von der Staatsanwaltschaft Leoben laut Mitteilung vom 15. Oktober 2004 am 19. August 2004 eingestellt worden sei. Sodann fasste das Schöffengericht einen Beschluss, wonach sich der Zeuge in der Hauptverhandlung vom 14. Oktober 2004 zu Unrecht der Aussage entschlagen habe, worauf der Vorsitzende - ungeachtet des Widerspruchs des Verteidigers - die Angaben des genannten Zeugen vor der Sicherheitsbehörde (S 85 ff/I) unter Berufung auf § 252 Abs 1 Z 3 StPO verlas (S 265/II).

Wie die Verfahrensrüge (Z 3) zutreffend aufzeigt, verstieß diese Verlesung in nichtigkeitsbegründender Weise gegen § 252 Abs 1 StPO. Nach Z 3 leg cit ist die Verlesung des Protokolls über die Vernehmung eines Zeugen zulässig, wenn dieser, ohne dazu berechtigt zu sein, die Aussage verweigert. Diese Berechtigung ist grundsätzlich anhand der in § 152 Abs 1 und Abs 2 StPO genannten Kriterien auf Basis der dem vernehmenden Richter zum Zeitpunkt der Vernehmung zur Verfügung stehenden Tatsachengrundlage zu prüfen. Räumt der vernehmende Richter dem Zeugen ein Entschlagungsrecht ein und anerkennt dieses (hier:

indem er ihn über darüber belehrt und die nachfolgende Erklärung des Zeugen, sich der Aussage entschlagen zu wollen, durch Unterlassung einer weiteren Belehrung oder einer Maßnahme nach § 160 StPO letztlich akzeptiert), kann aber - losgelöst von der Frage der inhaltlichen Berechtigung iSd § 152 Abs 1 (hier: Z 1) StPO - von einer eine Verlesung rechtfertigenden unberechtigten Entschlagung iSd § 252 Abs 1 Z 3 StPO jedenfalls nicht die Rede sein (vgl RIS-Justiz RS0097939).

Der Zeuge G***** hat somit am 14. Oktober 2004 nicht die Aussage verweigert, ohne dazu berechtigt zu sein, woran ein am 22. Oktober 2004 auf Basis neuer Tatsachengrundlage gefasster Beschluss des Schöffengerichts nichts zu ändern vermochte. Die Verlesung der Angaben des Zeugen vor der Sicherheitsbehörde war daher unzulässig, zumal auch keine kontradiktorische Vernehmung erfolgt ist und kein Verlesungseinverständnis der Parteien vorlag.

Das Urteil war daher im maßgebenden Schuldspruch I A 1 wie auch im Strafausspruch aufzuheben und die Sache in diesem Umfang an das Erstgericht zu verweisen (§ 285e StPO).

Im Übrigen versagt die Nichtigkeitsbeschwerde.

Die Verfahrensrüge nach Z 4 kritisiert die Abweisung des - nur zum Faktum I A 3 bedeutsamen - Antrags auf Vernehmung des Zeugen Albert „Ali" H***** zum Beweis dafür, dass Helga F***** von diesem Suchtgift bezogen und es an Sandra M***** weiterveräußert habe. Hiedurch werde erwiesen, dass der Angeklagte kein Suchtgift an M***** und F***** verkauft habe. Der Beschwerde zuwider steht aber - wie bereits das Erstgericht zutreffend erkannt hat - ein möglicher Kokainverkauf H***** an M***** über F***** dem zu I A 3 festgestellten - von den Tatrichtern im Übrigen, was die Beschwerde übersieht, vor allem auf die Aussagen des Zeugen F***** gestützten (US 20) - Sachverhalt keineswegs entgegen (vgl auch Aussage M***** S 107/I über gesonderten Ankauf von einem „Ali"). Die begehrte Zeugenaussage war daher nicht geeignet, das vom Antragsteller behauptete Ergebnis einer Widerlegung des Suchtgiftverkaufs des Angeklagten an M***** und F***** herbeizuführen.

Die Mängelrüge (Z 5), die sich nur auf den Schuldspruch zu I A 1 bezieht, wird auf die diesbezüglich kassatorische Entscheidung verwiesen.

Die Tatsachenrüge (Z 5a) vermag mit den Behauptungen, das Erstgericht hätte aus dem Gutachten des gerichtsmedizinischen Sachverständigen Dr. G***** andere Schlüsse über die Glaubwürdigkeit der Zeugin F***** treffen sollen und es sei nicht lebensnah, dass diese Zeugin bei wesentlichen Vorwürfen die Unwahrheit, bei unbedeutenderen jedoch die Wahrheit gesagt habe, keine erheblichen Bedenken des Obersten Gerichtshofs gegen die Richtigkeit der Urteilsfeststellungen zu den Schuldsprüchen III und IV zu wecken. Dem Gericht steht es frei, eine Aussage selbst dann in bestimmten Punkten als tragfähig anzusehen, wenn es demselben Zeugen in anderen Punkten nicht zu folgen vermag, doch ist in solchen Fällen regelmäßig eine insoweit differenzierende, logisch und empirisch fehlerfreie (Z 5) sowie intersubjektiv nachvollziehbare (Z 5a). Begründung unerlässlich (Mayerhofer/Hollaender StPO5 § 258 E 89d). Eine solche bietet das Ersturteil in eingehender Weise (US 22 f, insb 26 f). Die Sanktionsrüge (Z 11) ist nicht gesetzmäßig ausgeführt, weil sie mit der inhaltsleeren Behauptung, das Erstgericht hätte nach § 20a Abs 2 StGB von einer Abschöpfung der Bereicherung absehen müssen, weder angibt, auf welchen der drei Rechtsgründe der zitierten Gesetzesstelle sie sich beruft, noch ein Sachverhaltssubstrat für ihre Behauptung dartut.

Soweit die Nichtigkeitsbeschwerde eine Aufhebung des Urteils auch im Umfang des inhaltlich jedoch nicht angefochtenen Teils des Schuldspruchs begehrt, ist sie nicht gesetzmäßig ausgeführt. Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher, soweit ihr nicht Folge gegeben wurde, teils als nicht gesetzmäßig ausgeführt, teils als offenbar unbegründet bei nichtöffentlicher Beratung zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

Mit ihren Berufungen waren die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte auf die teilweise kassatorische Entscheidung zu verweisen. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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