OGH 11Os48/12m

OGH11Os48/12m24.5.2012

Der Oberste Gerichtshof hat am 24. Mai 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab, Mag. Lendl, Mag. Michel und Dr. Oshidari als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Brandstetter als Schriftführer, in der Strafsache gegen Tuncay Ü***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1, Abs 2 erster, dritter und vierter Fall StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 20. Dezember 2011, GZ 18 Hv 58/11h-216, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Tuncay Ü***** des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1, Abs 2 erster, dritter und vierter Fall StGB (1) und der Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1, Abs 2 StGB (2) schuldig erkannt, zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und überdies gemäß § 21 Abs 2 StGB seine Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher angeordnet.

Danach hat er - soweit für das Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde von Bedeutung - am 11. Oktober 2001 in H***** und anderen Orten als Mittäter des bereits rechtskräftig verurteilten (12 Os 25/03) Ali P***** Dr. Kalibsen A***** mit Gewalt und durch Entziehung der persönlichen Freiheit zur Duldung des Beischlafs genötigt, indem er dieser gemeinsam mit P***** vor deren Wohnung auflauerte, sie gegen ihren Willen und trotz ihrer Gegenwehr durch Anwendung von Körperkraft gewaltsam in den Pkw des P***** zerrte, in einer etwa 15-minütigen Fahrt zu einem bereits zuvor bereitgestellten Wohnmobil brachte und sie sodann durch Anwendung von Körperkraft gewaltsam in dessen Inneres verbrachte, wo Ü***** sie schließlich durch Anwendung weiterer Gewalt zur Duldung des Beischlafs nötigte, und hat sie durch die Tat längere Zeit hindurch in einen qualvollen Zustand versetzt sowie in besonderer Weise erniedrigt, indem er sie an den Händen und Beinen mit Seilen fesselte, ihr den Mund und den Kopf mit einem Klebeband verklebte, ihr mehrfach Faustschläge und Tritte gegen den Körper versetzte, ihr schließlich die Hose und Unterhose herunterriss und den vaginalen Geschlechtsverkehr mit ihr vollzog, während er mit einer Hand ihren Mund und ihre Nase zuhielt, sodass sie Erstickungsangst hatte, wobei die Tat eine schwere Körperverletzung, nämlich eine länger als 24 Tage dauernde Gesundheitsschädigung (posttraumatische Belastungsstörung sowie andauernde Persönlichkeitsänderung) der Dr. A***** zur Folge hatte.

Gegen den Schuldspruch 1 und die Unterbringungsanordnung richtet sich die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten aus § 281 Abs 1 Z 4, 5, 9 [lit] b, 10 und 11 StPO.

Die Verfahrensrüge moniert die Abweisung des Antrags auf Einholung eines weiteren psychiatrischen Gutachtens zur Gefährlichkeitsprognose (ON 215 S 27 f).

Rechtliche Beurteilung

Die Anordnung einer Maßnahme nach § 21 StGB stellt einen Ausspruch nach § 260 Abs 1 Z 3 StPO dar, der grundsätzlich mit Berufung und nach Maßgabe des § 281 Abs 1 Z 11 StPO auch mit Nichtigkeitsbeschwerde bekämpft werden kann. Dabei sind Überschreitung der Anordnungsbefugnis (Z 11 erster Fall) und Ermessensentscheidung innerhalb dieser Befugnis zu unterscheiden. Gegenstand der Nichtigkeitsbeschwerde ist die Überschreitung der Anordnungsbefugnis, deren Kriterien der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit höheren Grades beruhende Zustand und dessen Einfluss auf die Anlasstat sowie die Mindeststrafdrohung für die Anlasstat nach § 21 StGB sind. Hinsichtlich dieser für die Sanktionsbefugnis entscheidenden Tatsachen ist neben der Berufung auch die Bekämpfung mit Verfahrens-, Mängel- oder Tatsachenrüge (§ 281 Abs 1 Z 11 erster Fall iVm Z 2 bis 5a StPO) zulässig.

Werden die gesetzlichen Kriterien für die Gefährlichkeitsprognose verkannt oder die Prognosetat verfehlt als solche mit schweren Folgen beurteilt, kommt eine Anfechtung nach § 281 Abs 1 Z 11 zweiter Fall StPO in Betracht. Der Sanktionsausspruch ist dann nichtig, wenn im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose eine der in § 21 StGB genannten Erkenntnisquellen (Person, Zustand des Rechtsbrechers und Art der Tat) vernachlässigt wird oder die Feststellungsgrundlage die Ableitung der schweren Folgen als willkürlich erscheinen lässt (RIS-Justiz RS0118581, RS0113980, RS0090341).

Das ausschließlich auf Einholung eines weiteren Gutachtens abzielende Begehren stellt sich sohin als im Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde unbeachtliches Berufungsvorbringen dar (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 680, 693, 715 ff, 723; Ratz in WK² Vorbem zu §§ 21 bis 25 Rz 8, 9).

Die Bestreitung des Vorliegens der geistigen und seelischen Abartigkeit höheren Grades zu Tat- und Urteilszeitpunkt (richtig: Z 11 erster Fall iVm Z 5, vgl oben) verkennt hinsichtlich diverser Aussagen des Angeklagten (nominell Z 5 fünfter Fall, der Sache nach Z 5 zweiter Fall) das Wesen von Aktenwidrigkeit (vgl instruktiv dazu Fabrizy, StPO11 § 281 Rz 47) und übergeht die Gesamtheit der erstgerichtlichen Entscheidungsgründe (US 16 ff zu den Aussagen des Angeklagten in der Hauptverhandlung; US 14 iVm US 1 und US 20 zur zeitlichen Komponente).

Die Rechtsrüge (Z 9 lit b) zur gegenüber der Auslieferung (vgl ON 156) durch Annahme zusätzlicher Qualifikationen erweiterten rechtlichen Beurteilung legt nicht dar, inwiefern dies Einfluss auf die sich lediglich auf die Tat als Lebenssachverhalt beziehende Spezialität einer Auslieferung ausüben könnte (vgl RIS-Justiz RS0087147).

Die Subsumtionsrüge (Z 10) gegen das Vorliegen der Qualifikation der besonderen Erniedrigung des Opfers übergeht prozessordnungswidrig die Gesamtheit der zum Tathergang getroffenen erstgerichtlichen Feststellungen US 9 ff, wonach der trotz jahrelanger Ablehnung eine eheliche Verbindung mittels gezielter „Entehrung“ anstrebende Angeklagte sein Opfer für seine Zwecke geradezu verdinglichte, und bleibt überdies eine juristisch fundierte Ableitung dafür schuldig, aus welchem Grund die in Rede stehende Qualifikation nicht bereits durch das - unbekämpfte - Versetzen der Frau für längere Zeit in einen qualvollen Zustand hergestellt war (vgl Philipp in WK² § 201 Rz 32).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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