OGH 11Os44/96

OGH11Os44/964.6.1996

Der Oberste Gerichtshof hat am 4.Juni 1996 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Lachner als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kuch, Dr.Schindler, Dr.Mayrhofer und Dr.Schmucker als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr.Waldner als Schriftführer, in der Strafsache gegen Johann P***** und andere wegen des Verbrechens des Mißbrauches der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 19.Dezember 1995, GZ 13 Vr 3311/94-27, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr.Jerabek, der Angeklagten Johann P*****, Franz H*****, Roswitha T*****, Franz K*****, Franz P*****, Erwin A*****, Alois K***** und Josef R*****, und des Verteidigers Dr.Kortschak zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das hinsichtlich des Freispruchs des Angeklagten Johann P***** zu Punkt 3. des diesen Angeklagten betreffenden Urteilsspruches unberührt bleibt, im übrigen aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden Johann P*****, Franz K*****, Erwin A*****, Franz H*****, Alois K*****, Josef R*****, Roswitha T***** und Franz P***** von der gegen sie wegen des Verbrechens des Mißbrauches der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB erhobenen Anklage gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Johann P***** wurde - sofern dies unter dem Gesichtspunkt der nicht sämtliche vom Freispruch erfaßten Fakten aufgreifenden Nichtigkeitsbeschwerde der Anklagebehörde bedeutsam ist - zur Last gelegt, als Bürgermeister der Gemeinde A*****, sohin als Beamter, mit dem Vorsatz, die Gemeinde A***** und das Land Steiermark an ihren Rechten, die Errichtung von Wohngebäuden nur auf solchen Grundstücken zu gestatten, die im Flächenwidmungsplan als Bauland ausgewiesen sind, zu schädigen, seine Befugnis, im Namen der Gemeinde als deren Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, dadurch wissentlich mißbraucht zu haben, daß er in Kenntnis der Tatsache, daß eine Umwidmung in Bauland vom Amt der Steiermärkischen Landesregierung nicht genehmigt würde, folgende Widmungs- und Baubewilligung erteilte, und zwar

1./ am 29.Juni 1991 durch Erlassung des Widmungsbewilligungsbescheides für das im Flächenwidmungsplan als Grünland (gemeint: "Freiland" gemäß § 25 Abs 1 Stmk ROG) ausgewiesene Grundstück Nr. 1418/4 KG A***** des Günter und der Margit S*****, und

2./ am 18.Juli 1991 durch Erlassung des Baubewilligungsbescheides zur Errichtung des Neubaus eines Wohnhauses auf diesem Grundstück.

Der Anklagevorwurf gegen die übrigen Angeklagten besteht darin, daß sie im bewußt gemeinsamen Zusammenwirken als unmittelbare Täter am 13. Mai 1994 als Mitglieder des Gemeinderates der Gemeinde A***** bei Ausübung ihrer Tätigkeit als Baubehörde zweiter Instanz in der Gemeinderatssitzung bei der Entscheidung über Berufungen gegen Bescheide des Bürgermeisters als Baubehörde erster Instanz, mithin als Beamte mit dem Vorsatz, die Gemeinde A*****, das Land Steiermark und die Bescheidadressaten an ihren Rechten, nur rechtswidrige Bescheide ersatzlos aufzuheben, Entscheidungen über zulässige Berufungen zu begründen, den Inhalt der Berufung einer materiellen Prüfung zuzuführen, sowie konsenslos errichtete Bauten zu beseitigen bzw die Bauausführungen einzustellen, ihre Befugnis, im Namen der Gemeinde als deren Organe Amtsgeschäfte vorzunehmen, dadurch wissentlich mißbraucht haben, daß sie

1./ den Bescheid vom 8.November 1993, mit dem Margit und Günter S***** die Abtragung ihres auf dem (als Freiland ausgewiesenen) Grundstück Nr. 1418/4 KG A***** errichteten Hauses aufgetragen wurde, und

2./ den Bescheid vom 1.Februar 1994, mit dem Johann und Rosa L***** die Beseitigung des auf den (als Freiland ausgewiesenen) Grundstücken Nr. 921 und 923/2, KG A***** errichteten Rohbaues aufgetragen wurde,

ohne nähere Begründung ersatzlos aufgehoben haben.

Den für die Beurteilung der subjektiven Tatseite maßgeblichen Urteilsannahmen zufolge mißbrauchte Johann P***** wissentlich die ihm als Bürgermeister übertragene Amtsbefugnis, indem er die oben angeführten Bewilligungsbescheide im Bewußtsein der Verletzung zwingender, keinen Ermessensspielraum offenlassender Gesetzesvorschriften erlassen hat (siehe US 9, 20, 33 f); ihm war nach eingeholten Informationen insbesondere bekannt, daß die gesetzeskonforme Umwidmung des vom Ehepaar S***** in Aussicht genommenen Grundstückes in Bauland auch in absehbarer Zukunft ausgeschlossen war (siehe insbesondere US 9). Auch die eingangs genannten Gemeinderäte haben sich nach Überzeugung der Tatrichter über die "geltende Rechtslage" bewußt hinweggesetzt; sie hatten davon Kenntnis, daß das Wohnhaus des Ehepaares S***** im Freiland und der Rohbau des Ehepaares L***** überhaupt konsenslos errichtet worden waren und daß demzufolge die von ihnen (ohne irgendeine Begründung) aufgehobenen Abtragungsbescheide dem Gesetz entsprachen (siehe US 15 f; zum Faktum "S*****" auch US 22, 38 f). Hinsichtlich der das Ehepaar L***** betreffenden Entscheidung war der Schöffensenat dessen ungeachtet aber der Auffassung, daß ein Befugnismißbrauch "nicht zu erkennen sei", weil die Tatbestandsverwirklichung nach § 302 Abs 1 StGB schon in objektiver Sicht ausgeschlossen gewesen wäre (US 39).

Einen Schädigungsvorsatz erachtete das Erstgericht bei keinem der Angeklagten für erweisbar: Johann P***** habe die in Rede stehenden fraglichen Bescheide aus rein "menschlichen Gründen" erlassen, weil das Ehepaar S***** dringend Wohnraum benötigte; er habe einer Abwanderung vorbeugen und solcherart das wirtschaftliche Wohl seiner Gemeinde fördern wollen (US 9 f, 34). Auch den übrigen Angeklagten wurden "menschliche Gründe" zugebilligt, weil sie der Familie S***** helfen wollten (US 15, 22 f, 39).

Rechtliche Beurteilung

Der von der Staatsanwaltschaft gegen den Freispruch erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde kommt Berechtigung zu.

Das Wesen des Tatbestandes nach § 302 Abs 1 StGB besteht im Mißbrauch, dh in der rechtswidrigen Ausübung (oder Nichtausübung) der Befugnis des Beamten, als Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen. Auf der inneren Tatseite wird vorausgesetzt, daß der Mißbrauch dieser Befugnis wissentlich erfolgt und vom zumindest bedingten Vorsatz des Täters getragen ist, dadurch einen anderen an seinen Rechten zu schädigen; hiebei kommt neben der Beeinträchtigung eines privatrechtlichen Anspruchs auch die Schädigung eines konkreten öffentlichen Rechts in Betracht, worunter die Vereitelung einer bestimmten, in der Rechtsordnung festgelegten staatlichen Maßnahme zu verstehen ist, sofern damit der bestimmte Zweck beeinträchtigt werden soll, den der Staat mit der Erlassung der dieser Maßnahme zugrunde liegende Vorschrift erreichen will (SSt 49/48, 65; SSt 57/11, 75 uam). Konkretes öffentliches Recht ist im Sinn gesicherter Rechtsprechung insbesondere auch das durch gesetzliche Normen (hier insbesondereder Stmk Bauordnung und des Stmk ROG) objektivierte Interesse der Allgemeinheit, daß Wohngebäude im Grün-(Frei-)land nur in den gesetzlich umschriebenen Ausnahmefällen errichtet werden dürfen bzw daß vorschriftswidrig errichtete Bauten wieder abzubrechen sind (SSt 51/55, JBl 1992, 56 uam).

Bezogen auf den vorliegenden Urteilssachverhalt kann kein Zweifel daran bestehen, daß die Erteilung der Widmungs- und Baubewilligung zur Errichtung eines Wohn- baues im Freiland ebenso wie die Verhinderung des Abbruchs der auf Freiland errichteten Bauten geradezu zwangsläufig zum Eintritt jenes Schadens geführt haben, den der Gesetzgeber mit den die Errichtung von Gebäuden regelnden Normen abzuwehren getrachtet hat. Wenngleich die Urteilsannahme des wissentlichen Befugnismißbrauches sämtlicher Angeklagten noch nicht zwingend zur Schlußfolgerung auf einen auf diesen schädigenden Erfolg abzielenden Vorsatz berechtigen, so stellt die wissentliche Negierung der konkret anzuwendenden Gesetzesvorschriften bei der gegebenen Fallgestaltung doch ein gewichtiges Indiz für das Vorliegen auch eines (zumindest bedingten) Schädigungsvorsatzes dar. Die in den Entscheidungsgründen dargelegten Erwägungen des Schöffensenates betreffend ein von humanitären Gründen getragenes Täterverhalten sind, weil sie lediglich das strafrechtlich irrelevante Motiv der Angeklagten aufzeigen, zur Entkräftung dieser Indizwirkung nicht geeignet. Die entscheidungswesentliche Frage, ob die Angeklagten die Schädigung des hier aktuellen öffentlichen Rechtes zumindest ernstlich für möglich gehalten und sich damit abgefunden haben, wird hiedurch nicht berührt. Das vom Erstgericht negierte Vorliegen eines Schädigungsvorsatzes ist daher mit dem von der Anklagebehörde relevierten Begründungsmangel (Z 5) behaftet.

Verfehlt ist ferner, wie die Staatsanwaltschaft aus § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO zu Recht rügt, der vom Erstgericht eingenommene Standpunkt, daß die Behebung des den Rohbau des Ehepaares L***** betreffenden Abbruchbescheides zufolge Anwendbarkeit der Ausnahmebestimmung nach § 25 Abs 5 Stmk ROG einer Tatbestandsverwirklichung nach § 302 Abs 1 StGB schon in objektiver Beziehung entgegenstehe. Nach der für den Zeitpunkt der inkriminierten Entscheidung maßgeblichen Sachlage betraf der vom Bürgermeister erlassene Beseitigungsauftrag einen bewilligungslos im Freiland errichteten Rohbau, dessen Beseitigung gemäß § 70 a Abs 1 Stmk BauO zwingend geboten war. Die Negierung dieser Sach- und Rechtslage entspricht zweifelsohne den objektiven Kriterien eines nach § 302 Abs 1 StGB strafbaren Verhaltens; daß in einem weitaus späteren Verfahrensabschnitt die (vom Sachverständigen Amtsrat Ing.Pr***** zuvor verneinten) Voraussetzungen der Ausnahmeregelung nach § 25 Abs 5 Stmk ROG (laut Gutachten des vom Ehepaar L***** beauftragten Sachverständigen Dr.Dipl.Ing.D*****) für gegeben erachtet wurden, ist für die auf den Tatzeitraum abzustellende Prüfung der objektiven Tatbestandsprämissen ohne Belang.

Zu den in der Gegenausführung der Angeklagten zur Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft angestell- ten Erwägungen rechtlicher Natur sei der Vollständigkeit halber noch folgendes bemerkt:

Unbeachtlich sind zunächst jene Erwägungen der Angeklagten, die an die unhaltbare Prämisse anknüpfen, daß Rechte der Steiermärkischen Landesregierung durch das inkriminierte Tatgeschehen nicht beeinträchtigt wurden. Träger des aufgrund der schon erwähnten steirischen Landesgesetze zum Schutzobjekt des § 302 StGB zählenden konkreten Rechts der Verhinderung der Errichtung von Wohngebäuden im Freiland bzw des Rechts auf Abbruch konsenslos errichteter Bauten ist das Land Steiermark, dessen Interessen die Landesregierung als Gemeindeaufsichtsorgan wahrzunehmen hat. Daß das hinsichtlich des Wohnhauses des Ehepaares L***** eingeleitete amtswegige Nichtigkeitsverfahren - im Hinblick auf die möglichste Schonung erworbener Rechte Dritter und im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (siehe dazu die in der Beilagenmappe erliegende Ablichtung des diesbezüglichen Vermerkes des Amtes der Stmk Landesregierung) - letztlich eingestellt wurde, steht ebenso wie der Umstand, daß die den Wohnbau der Eheleute S***** sanktionierende Änderung des Flächenwidmungsplanes Ende 1995 seitens der Stmk Landesregierung (augenscheinlich aus Billigkeitsgründen) doch genehmigt wurde, einer Tatbestandsverwirklichung nach § 302 Abs 1 StGB nicht entgegen. Die Tatsache einer wissentlichen Mißachtung zwingender Gesetzesbestimmungen zum Tatzeitpunkt wird hiedurch nicht berührt. Gleiches gilt schließlich auch für die Ausführungen der Angeklagten zur Frage der verfassungskonformen Beseitigung eines den Abbruchbescheid des Bürgermeisters aufhebenden Bescheides des Gemeinderates.

Da somit aus den dargelegten Gründen eine Verfahrenserneuerung in erster Instanz unumgänglich ist, war in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwalt- schaft spruchgemäß zu erkennen.

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