OGH 11Os43/86

OGH11Os43/863.6.1986

Der Oberste Gerichtshof hat am 3.Juni 1986 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kral, Dr. Kießwetter, Dr. Walenta und Dr. Felzmann als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Steinberger als Schriftführer in der Strafsache gegen Gerhard W*** wegen des Verbrechens des Mordes nach dem § 75 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschwornengerichtes beim Landesgericht Innsbruck vom 28.Jänner 1986, GZ 20 Vr 2353/84-78, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Bassler, und des Verteidigers Dr. Bernt Strickner, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird dahin Folge gegeben, daß über den Angeklagten eine Freiheitsstrafe von 20 (zwanzig) Jahren verhängt wird. Gemäß dem § 390 a StPO fallen dem Angeklagten die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde im zweiten Rechtsgang (vgl 11 Os 25/85) der am 26.August 1961 geborene Gerhard W*** des Verbrechens des Mordes nach dem § 75 StGB (1) und des Vergehens des Diebstahls nach dem § 127 Abs 1 StGB (2) schuldig erkannt. Darnach tötete er am 11.Juli 1984 in Innsbruck Rosa H*** durch wuchtige Hammerschläge gegen den Kopf, durch Würgen und durch Zufügen zahlreicher Messerstiche vorsätzlich (1) und stahl ihr anschließend einen Geldbetrag von 100 S und eine Armbanduhr (2). Die Geschwornen bejahten einstimmig die an sie im Sinn der Mordanklage gestellte Hauptfrage 1 und die nach dem Vergehen des Diebstahls gestellte Hauptfrage 2 und verneinten ebenso einstimmig die in Richtung Zurechnungsfähigkeit (zu den Hauptfragen getrennt) gestellten Zusatzfragen 1 und 2.

Rechtliche Beurteilung

Diese Schuldsprüche ficht der Angeklagte mit einer nur auf den § 345 Abs 1 Z 5 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde an; den Strafausspruch bekämpft er mit Berufung.

Der Oberste Gerichtshof wies bereits in seiner Entscheidung vom 19. März 1985, 11 Os 25/85-7, auf die besonderen Auffälligkeiten dieses Straffalles hin, die in der psychologisch nicht eindeutig nachvollziehbaren Motivation und in dem eher teilnahmslosen Verhalten des Angeklagten nach der Tat liegen. Die Verteidigung suchte in Verbindung mit einer ähnlich gelagerten Vorstraftat zu beweisen, daß Gerhard W*** ebenso wie andere (in der Hauptverhandlung teilweise vernommene) Familienmitglieder zu unmotivierten Aggressionsausbrüchen zur Zeit des Vollmondes (der zu den Tatzeitpunkten herrschte) neige und für Straftaten in dieser Zeit nicht verantwortlich sei.

Der einzige im zweiten ebenso wie im ersten Rechtsgang beigezogene psychiatrische Sachverständige führte nach der Urteilsaufhebung durch den Obersten Gerichtshof zunächst eine ergänzende Untersuchung des Angeklagten nach einer allfälligen Mißbildung oder einem Tumor im Gehirn in Form eines Computertomogramms durch (ON 70/II); er kam auch unter Berücksichtigung dieser Untersuchungsergebnisse und seinerzeit verübter Selbstmordversuche neuerlich zum Ergebnis, daß es sich beim Angeklagten um eine geistesgesunde, normal intelligente Persönlichkeit handle, die forensisch-psychiatrisch als durchaus zurechnungsfähig zu beurteilen sei. Die in einer kindlichen Neurose wurzelnden Kontaktprobleme seien nur im geringen Maße schuldmildernd zu bewerten. Auch zu der den Bereich der Geopsychologie zuzuordnenden "Mondsucht" wiederholte dieser Sachverständige seine bereits im ersten Rechtsgang geäußerte Meinung (S 185 bis 198/II), daß ein "gewisses Mitschwingen mit den Mondphasen" nicht zu bestreiten sei, daß sich aber nach den vorliegenden, eher widersprüchlichen und wissenschaftlich nicht gesicherten Forschungsergebnissen kein gravierender Einfluß solcher Anfälligkeiten auf das deliktische Verhalten feststellen lasse, der die strafrechtliche Verantwortlichkeit tangieren könnte (S 299 bis 304/II).

Der Verteidiger hatte schon in der Hauptverhandlung am 13. Dezember 1984 (ON 53) unter Hinweis darauf, daß sich der Sachverständige mit Untersuchungen, die biokosmische, in die Sphäre der Zurechnungsunfähigkeit reichende Einflüsse bejahen, nicht näher auseinandergesetzt habe, die Beiziehung eines zweiten Sachverständigen beantragt, wobei Prof. Dr. Rudolf A*** aus Stuttgart, der sich seit zwanzig Jahren mit derartigen Untersuchungen beschäftige, in Vorschlag gebracht wurde (S 192, 193/II). Unter ausdrücklichem Hinweis auf diese frühere Antragstellung beantragte der Verteidiger nunmehr auch in der Hauptverhandlung am 28.Jänner 1986 (ON 77) die Einholung eines zweiten psychiatrischen Gutachtens zum Beweis dafür, "daß sich der Angeklagte zum Zeitpunkt der Tat in einem die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustand befand, wobei als Gutachter Prof. Dr. Rudolf A***, Stuttgart, vorgeschlagen wird, dem insbesondere die Untersuchung der Familienangehörigen und der Verwandten des Angeklagten aufgetragen werden möge". Zusätzlich wurde gerügt, daß die Untersuchungen des beigezogenen Sachverständigen nicht ausreichend gewesen seien, er habe erst sehr spät die Bedeutung der Selbstmordversuche in seine Begutachtung einbezogen und überdies Teile der Untersuchungen durch Nichtärzte durchführen lassen (S 305/II).

Diesen Beweisantrag lehnte der Schwurgerichtshof mit der Begründung ab, daß das Gutachten klar, widerspruchsfrei und in sich schlüssig sei und der Sachverständige sich in seinem ergänzenden Gutachten sowohl mit den später hervorgekommenen "Selbstmordversuchen" als auch mit den Fragen einer Mondphasenabhängigkeit ausreichend auseinandergesetzt habe (S 306/II).

Durch dieses Zwischenerkenntnis fühlt sich der Angeklagte in seinen Verteidigungsrechten eingeschränkt. Er führt hiezu aus, daß der vernommene Sachverständige sich mit der schon im Hinblick auf widersprüchliche wissenschaftliche Meinungen heiklen Problematik aus persönlicher Voreingenommenheit heraus nicht ausreichend beschäftigt habe. Unter Beachtung der Bestimmung der §§ 134 Abs 1, 118 Abs 2 StPO wäre daher die Begutachtung durch einen zweiten Sachverständigen unbedingt geboten gewesen, zumal das Gutachten (wie näher dargelegt wird) auch in sich nicht widerspruchsfrei sei. Der Verfahrensrüge kommt Berechtigung nicht zu.

Dem Einwand, der dem Verfahren beigezogene Sachverständige Univ. Prof. Dr. P*** habe sich mit der besonderen Problematik dieses Falles nicht genügend auseinandergesetzt, ist zunächst entgegenzuhalten, daß der Sachverständige bereits in dem früheren, zur Darlegung der Gleichartigkeit der (abnormen) Verhaltensweisen des Angeklagten wiederholt genannten Strafverfahren als Gutachter tätig war (ON 18 im Akt 26 Vr 4507/83 des Landesgerichtes Innsbruck). In diesem Strafverfahren wurde er sofort nach Aufdeckung der Tat und Festnahme des Täters (am Tatort) zum Sachverständigen bestellt (S 3/I) und untersuchte den Beschwerdeführer wiederholt (zehn Testuntersuchungen) in verschiedenen Zeitabständen, sodaß sowohl die Zahl der Untersuchungen als auch der Beobachtungszeitraum weit über dem Durchschnitt vergleichbarer Untersuchungen liegen (vgl hiezu S 300/II in Verbindung mit ON 26/I, S 184-198/II, ON 70/II, S 299-305/II). Auf Grund dieser umfangreichen Befundaufnahmen gelangte der als Ordinarius an der Universität Innsbruck tätige und damit fachlich besonders qualifizierte Sachverständige unter Berücksichtigung aller Ergebnisse der Hauptverhandlung (auch der behaupteten Selbstmordversuche des Angeklagten) und nach eingehender Befragung durch den Verteidiger zum Resümee, daß trotz der vorgebrachten Abnormitäten in der Persönlichkeit (des Angeklagten) und der Auffälligkeiten bei Verwandten Zurechnungsunfähigkeit im Sinn des § 11 StGB auszuschließen sei. Diesem Gutachten schlossen sich die Geschwornen an. Im Nichtigkeitsverfahren kann aber die sachliche Richtigkeit und die Überzeugungskraft eines dem Wahrspruch als unbedenklich zugrundegelegten Sachverständigengutachtens nicht - wie die Beschwerde dies unter dem Titel mangelnder "Objektivität" versucht - mit Erfolg angezweifelt oder bestritten werden (EvBl 1959/128, 9 Os 4/84).

Gesetzliche Voraussetzung für die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens wäre gemäß dem § 126 Abs 1 StPO in Verbindung mit dem § 125 StPO, daß das Gutachten des vernommenen Sachverständigen dunkel, unbestimmt, mit sich selbst oder mit erhobenen Tatumständen im Widerspruch ist oder Schlüsse enthält, die aus den gegebenen Vordersätzen nicht folgerichtig gezogen sind, sofern allfällige Bedenken nicht durch nochmalige Befragung des Sachverständigen zu beseitigen waren. Derartige Mängel des Gutachtens lassen sich aber dem Akt nicht entnehmen, weshalb der Schwurgerichtshof den Antrag auf Beiziehung eines zweiten Sachverständigen ohne Verstoß gegen - die Rechte der Verteidigung sichernde - Verfahrensgrundsätze abweisen konnte (SSt 17/165, 11 Os 1/80).

Was nun die - schwergewichtig aufgestellte - Behauptung anlangt, allein die besondere Schwierigkeit des Falles hätte die Beiziehung eines (mit der speziellen Materie der Geopsychologie vertrauten) Sachverständigen erfordert (§§ 134 Abs 1, 118 Abs 2 StPO), ist darauf zu verweisen, daß sich der Sachverständige Dr. P*** auch mit der Problematik der Mondphasenabhängigkeit unter Bezugnahme auf wissenschaftliche Abhandlungen befaßte (siehe insbesondere die Ausführungen S 185-191/II), aber immer wieder erklärte, daß an sich vorhandene biokosmische Einflüsse auf den Menschen niemals zur Ausschaltung der Dispositions- oder Diskretionsfähigkeit führen können.

Eine Schwierigkeit der Beobachtung oder Begutachtung ist aber nur dann gegeben, wenn ein Sachverständiger die ihm vorgelegten Sachfragen entweder gar nicht oder nicht mit Bestimmtheit zu beantworten vermag und sich die Möglichkeit der Beantwortung durch andere Sachverständige nicht von vornherein ausschließen läßt (12 Os 110/79, 13 Os 117/82). Derartige, eine besondere Schwierigkeit der Begutachtung indizierende Umstände wurden im Verfahren nicht aufgezeigt, zumal auch der Verteidiger sich nur auf Erkenntnisse des in Stuttgart lehrenden Univ.Prof. Dr. A*** bezog, ohne - was erforderlich gewesen wäre - auch nur ein konkretes Werk anzugeben, aus dem sich seine Behauptung, eine Mondphasenabhängigkeit könne im Einzelfall so gravierend sein, daß sie die Zurechnungsfähigkeit ausschließe, belegen ließe. Es ist daher auch aus dieser Sicht eine Beeinträchtigung der Verteidigungsrechte nicht zu ersehen (§ 345 Abs 3 StPO). Die Nichtigkeitsbeschwerde war somit zu verwerfen.

Das Geschwornengericht verhängte über den Angeklagten nach den §§ 28, 75 StGB eine lebenslange Freiheitsstrafe und wertete bei der Strafbemessung das Zusammentreffen eines Verbrechens mit einem Vergehen, die einschlägige Vorstrafe und den raschen Rückfall, sowie die brutale und grausame, mit einem qualvollen Tod des Opfers verbundene Handlungsweise als erschwerend, als mildernd hingegen das Geständnis, die mangelnde Persönlichkeitsreife und eine tiefgreifende Neurose.

Dem Berufungsbegehren auf schuldangemessene Milderung der Strafe kommt im Ergebnis Berechtigung zu.

Dem Berufungswerber ist zuzugeben, daß seine Verfehlung nicht so sehr aus dem Rahmen der unter den Tatbestand des Mordes zu subsumierenden Bluttaten fällt, daß der aus den wiederholten zum Tode des Opfers führenden Attacken abgeleitete Erschwerungsumstand der (für das Opfer) besonders qualvollen Handlungsweise (§ 33 Z 6 StGB) schwergewichtig zum Tragen kommen könnte: Nach dem Gutachten des gerichtsmedizinischen Sachverständigen wurde Rosa H*** bereits durch die Hammerschläge gegen ihren Kopf zumindest für eine gewisse Zeit bewußtlos und dann durch die erste der drei Stichserien bereits tödlich verletzt, sodaß die letzten Messerstiche erst nach dem Todeseintritt geführt wurden (S 521 bis 527/I, S 183/II in Verbindung mit S 299/II). Damit bleiben als gewichtige Erschwerungsumstände die einschlägige Vorstraftat und der rasche Rückfall (§ 33 Z 2 StGB), die aber im Zusammenhalt mit dem zu Recht als mildernd gewerteten, in einer tiefgreifenden Neurose wurzelnden und insoweit abnormen Geisteszustand des Angeklagten zu sehen sind. Wie der psychiatrische Sachverständige Univ.Prof. Dr. P*** mehrmals betonte, werden die Spannungszustände des Berufungswerbers durch äußere Einflüsse (hier: Streit mit der Lebensgefährtin, Alkoholgenuß) noch potenziert und führen dann zu Aggressionen gegen sich und die Umwelt, weil der Angeklagte sich in solchen Situationen weniger unter Kontrolle hat als ein psychisch unbelasteter Mensch. Wenngleich dies auch wieder die Gefährlichkeit des Gerhard W*** erhöht (§ 32 Abs 3 StGB), ist auf längere Sicht im Strafvollzug der Eintritt einer Persönlichkeitsreife und damit der Abbau der Aggressionsgefahr zu erwarten (S 303/II).

Unter Abwägung aller Elemente dieser sowohl von großer personaler Täterschuld als auch von hohem sozialen Unwert geprägten Bluttat vermeint der Oberste Gerichtshof, daß als Sanktion eine zeitliche Freiheitsstrafe, und zwar die höchstzulässige, ausreicht, weshalb der Berufung in diesem Umfang Erfolg beschieden war. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die bezogene Gesetzesstelle.

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