OGH 11Os34/22t

OGH11Os34/22t3.5.2022

Der Oberste Gerichtshof hat am 3. Mai 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Fischer als Schriftführerin in der Strafsache gegen * M* wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB idF BGBl I 116/2013 und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Schöffengericht vom 15. November 2021, GZ 48 Hv 53/21p‑51, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0110OS00034.22T.0503.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

 

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil im Schuldspruch wegen der Verbrechen der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 4 StGB und im Strafausspruch aufgehoben, eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache dazu an das Landesgericht Wiener Neustadt verwiesen.

Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde zurückgewiesen.

Mit den Berufungen wegen des Ausspruchs über die Strafe werden der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf die Aufhebung des Strafausspruchs verwiesen.

Die Berufung des Angeklagten wegen des Ausspruchs über die privatrechtlichen Ansprüche wird zurückgewiesen.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Schöffengericht vom 23. März 2021, GZ 37 Hv 3/21d‑37, wurde * M* des Vergehens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1 StGB (I/), der Vergehen der Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung nach § 205a Abs 1 StGB (II/a/) und des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB idF BGBl I 2013/116 (II/b/) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er zu I/

zwischen 1. Mai 2019 und 10. Juli 2020 in L* und anderen Orten gegen * K* eine längere Zeit hindurch fortgesetzt Gewalt ausgeübt, indem er

a/ der Genannten oftmals wiederholt Tritte und Schläge versetzte und sie an den Haaren zog, wodurch sie Hämatome, Prellungen, eine Rippenverletzung und eine Verstauchung des linken Unterarms erlitt,

b/ am 18. April 2020 eine großteils gefüllte Wasser-Plastikflasche gegen sie schleuderte sowie sich am 10. Juli 2020 auf sie setzte und ihr mehrere Schläge versetzte, wodurch sie jeweils einen Bruch des linken Kleinfingers, mithin eine an sich schwere Verletzung mit einer 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigung, erlitt,

c/ ihr mit dem Bügeleisen und ihrem Mobiltelefon gegen die Stirn schlug,

d/ mit dem Stecker des Bügeleisens gegen ihren Oberschenkel schlug,

e/ sie zumindest einmal vor ihrer Nachbarin an den Haaren zurück in die Wohnung zog,

f/ ihr Mobiltelefon regelmäßig nach Nachrichten an Dritte oder von Dritten durchsuchte, ihr Kontaktaufnahmen mit Dritten untersagte, sie wiederholt zur Folgeleistung seiner Anweisungen unter der Androhung, ihr ansonsten „Angst in die Knochen zu jagen“ und sie zu schlagen, veranlasste.

[3] Gemäß § 369 Abs 1 StPO wurde * K* ein Betrag in der Höhe von 3.000 Euro zuerkannt. Mit ihren darüber hinaus gehenden Ansprüchen wurde sie gemäß § 366 Abs 2 StPO auf den Zivilrechtsweg verwiesen. Diese beiden Aussprüche erwuchsen unbekämpft in Rechtskraft.

[4] Mit Erkenntnis des Obersten Gerichtshofs vom 14. September 2021, GZ 11 Os 76/21t‑10 (ON 47 in den Hv‑Akten), wurde in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft dieses Urteil, das im Übrigen unberührt blieb, im Schuldspruchpunkt I/b/, in der diesen miteinbeziehenden Subsumtionseinheit nach § 107b Abs 1 StGB und demzufolge im Strafausspruch aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Wiener Neustadt verwiesen.

 

[5] Mit dem nunmehr angefochtenen Urteil wurde der Angeklagte (im zweiten Rechtsgang) wegen der zu I/b/ dargestellten Vorfälle zweier Verbrechen der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 4 StGB schuldig erkannt (III/) und hiefür unter Einbeziehung der nach der erwähnten Entscheidung des Obersten Gerichtshofs rechtskräftigen Schuldsprüche (bei der nach § 107b Abs 1 StGB gebildeten Subsumtionseinheit ohne das Faktum I/b/ des ersten Rechtsganges) gemäß § 28 StGB nach § 201 Abs 1 StGB idF BGBl I 116/2013 zu einer Freiheitsstrafe verurteilt.

Rechtliche Beurteilung

[6] Dagegen richtet sich die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten aus § 281 Abs 1 Z 3, 5, 8 und 9 lit b StPO.

[7] Das Urteil des ersten Rechtsganges wurde im gesamten Schuldspruch I/b/, also auch in dessen Sachverhaltsgrundlage (und nicht bloß hinsichtlich einer [unterbliebenen] Subsumtion) aufgehoben und in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an die Tatrichter verwiesen. Diese haben in einem solchen Fall hinsichtlich dieses angeklagten Sachverhalts (neuerlich) volle Kognitionsbefugnis; Bindung im Sinne von § 293 Abs 2 StPO bezieht sich auf die Rechtsansicht des Obersten Gerichtshofs aufgrund des ihm vorgelegten Sachverhalts und bedeutet gerade nicht eine Beschränkung auf die Subsumtionsfrage (Fabrizy/Kirchbacher, StPO14 § 293 Rz 2, Ratz, WK‑StPO § 293 Rz 2, 13 und 16, Hinterhofer/Oshidari, Strafverfahren Rz 9.278).

[8] Dies verkennend fühlten sich die Tatrichter an die Feststellungen des Ersturteils des ersten Rechtsganges gebunden und verzichteten deshalb auf neue Feststellungen und eine neue Beweiswürdigung (US 12).

[9] Der die fehlende Begründung des Schöffengerichts für die von ihm der Subsumtion zugrunde gelegten Feststellungen (des Urteils des Schöffengerichts aus dem ersten Rechtsgang) einwendenden Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) kommt daher Berechtigung zu und musste mit Aufhebung und (neuerlicher) Rückverweisung im spruchgemäßen Umfang vorgegangen werden, ohne dass die weiteren Ausführungen dazu und in der auf dieses Faktum bezogenen Verfahrensrüge (Z 3) erörterungsbedürftig wären.

[10] Zur Sicherheit wird für den dritten Rechtsgang auf die prozessuale Situation nach dem ersten Rechtsgang hingewiesen, wonach nämlich die angeklagten Vorgänge laut dem nunmehr aufgehobenen Schuldspruch III/ neu zu verhandeln und die entsprechenden Verfahrensergebnisse zu würdigen sind.

[11] Aus Z 8 behauptet die Nichtigkeitsbeschwerde weiters eine Überschreitung der Anklage, aus Z 9 lit b einen Verstoß gegen das Verbot wiederholter Strafverfolgung (§ 17 Abs 1 StPO, Art 4 7. ZPMRK), weil das Erstgericht den rechtskräftigen Schuldspruch des ersten Rechtsganges (I/ und II/) wiederholt habe.

[12] Es ist zwar richtig, dass auf einen in Rechtskraft erwachsenen Schuldspruch in einem sogenannten Ergänzungsurteil bloß Bezug zu nehmen ist und ein neuerlicher förmlicher, mit dem schon rechtskräftig gewordenen deckungsgleichen Schuldspruch rechtlich verfehlt wäre (RIS‑Justiz RS0098685). Im Gegenstand zeigt sich die Ausdrucksweise der Tatrichter zwar als denkbar ungeschickt, das Urteil lässt aber dennoch insgesamt (vgl oben zur – wenngleich dort falschen – Überzeugung der Bindung an das Urteil des ersten Rechtsganges) erkennen, dass der kritisierten Wiederholung in Tenor und Gründen nicht die Bedeutung einer neuerlichen Verurteilung zukommt, sondern eine lediglich deklarative Wiedergabe der früheren rechtskräftigen Entscheidung in dieser Sache darstellt (RIS‑Justiz RS0100041 [T5, T11, T12], RS0124619 [T2]; Ratz, WK‑StPO § 293 Rz 6).

[13] Da das oben erwähnte Vorbringen aus Z 8 und Z 9 lit b, aber auch jenes aus Z 3 (soweit nicht oben erwähnt) wegen der Relevierung einer bereits durch eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs rechtskräftig gewordenen Verurteilung gegen § 293 Abs 4 StPO verstößt, war die Nichtigkeitsbeschwerde in diesem Umfang bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO, Ratz, WK‑StPO § 293 Rz 21).

[14] Gleiches gilt für die Berufung des Angeklagten wegen des Ausspruchs über die privatrechtlichen Ansprüche. Denn auch die – erneut ungeschickte – Wiederholung der diesbezüglichen Aussprüche im Urteil des zweiten Rechtsganges stellt lediglich eine deklarative Wiedergabe der bereits rechtskräftigen Entscheidung über die privatrechtlichen Ansprüche aus dem ersten Rechtsgang dar, womit das Berufungsrecht in der Richtung, in der es in Anspruch genommen wurde, nicht (mehr) zusteht (§ 294 Abs 4 StPO).

[15] Die Berufungen wegen des Ausspruchs über die Strafe wurden durch die Aufhebung des Strafausspruchs obsolet.

 

[16] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte