OGH 11Os26/94

OGH11Os26/9419.4.1994

Der Oberste Gerichtshof hat am 19. April 1994 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Lachner als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hager, Dr. Schindler, Dr. Mayrhofer und Dr. Schmucker als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Jannach als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Walter Z* wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht Linz vom 3.Dezember 1993, GZ 33 Vr 1360/93‑43, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generanwalt Dr. Hauptmann, und des Verteidigers Dr. Schima, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1994:0110OS00026.940000.0419.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

 

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

 

Rechtliche Beurteilung

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde Walter Z* (zu 1.) des Verbrechens des Beischlafes mit Unmündigen nach § 206 Abs. 1 StGB; (zu 2.) des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs. 1 StGB und (zu 3. und 4.) des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB schuldig erkannt.

Darnach hat er in Leonding

(1.) von Mitte Juni 1992 bis Juni 1993 in zahlreichen Angriffen mit der am 15.Juni 1981 geborenen, somit unmündigen Herta R* den außerehelichen Beischlaf unternommen;

(2.) von Mitte Juni 1992 bis Juni 1993 dadurch, daß er die am 15.Juni 1981 geborene Herta R* oftmals im Brust‑ und Geschlechtsbereich abgriff, mit der Zunge daran leckte und sie veranlaßte, seinen Penis in den Mund zu nehmen, eine unmündige Person auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht mißbraucht;

(3. und 4.) am 22.Juni 1993 Heidemarie V* und Herta R* jeweils durch die Abgabe mehrerer gezielter Schüsse aus einem Kleinkalibergewehr vorsätzlich getötet.

Die Geschworenen hatten die (anklagekonformen) Hauptfragen nach den bezeichneten Verbrechen jeweils stimmeneinhellig bejaht; Eventual‑ oder Zusatzfragen wurden nicht gestellt.

Nur den Schuldspruch wegen Mordes an Herta R* bekämpft der Angeklagte mit einer auf die Gründe der Z 5, 6 und 8 des § 345 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde.

Entgegen dem Vorbringen in der Verfahrensrüge (Z 5) wurden Verteidigungsrechte durch die Abweisung des Antrages des Verteidigers, den Geschworenen (nach Befragung) die Verbesserung des Wahrspruches aufzutragen (235/II und verso), nicht verletzt: Zwar kann die Unterlassung eines Verbesserungsauftrages, zu welchem der Schwurgerichtshof bei Behauptung eines bei der Abstimmung unterlaufenen Mißverständnisses durch einen oder mehrere Geschworene, bei Undeutlichkeit, Unvollständigkeit oder innerer Widersprüchlichkeit des Wahrspruches oder bei Vorliegen eines Widerspruches zwischen dem Inhalt der im § 331 Abs 3 StPO bezeichneten Niederschrift und dem Wahrspruch verpflichtet ist (§ 332 Abs 4 StPO), nicht nur unter den Voraussetzungen der Z 9 oder 10 des § 345 Abs 1 StPO mit Nichtigkeitsbeschwerde bekämpft werden; vielmehr kann in diese Nichtigkeitsgründe nicht verwirklichenden Fällen, insbesondere unter der ‑ im vorliegenden Rechtsmittel aufgestellten ‑ Behauptung eines Widerspruches zwischen dem Wahrspruch und der Niederschrift der Geschworenen, die Verfahrensrüge (§ 345 Abs 1 Z 5 StPO) erhoben werden (Mayerhofer‑Rieder StPO3 § 332 E 37; § 345 Z 10 E 2). Im Fehlen einer Bezugnahme in der Niederschrift auf eine den Geschworenen gar nicht gestellte ‑ daher von ihnen weder zu beantwortende noch in der Niederschrift nach § 331 Abs 3 StPO zu erörternde ‑ Frage (nämlich die Eventualfrage nach § 76 StGB, welche ihnen nach Auffassung des Beschwerdeführers hinsichtlich der Urteilstat 4 zu stellen gewesen wäre), kann jedoch eine Unvereinbarkeit mit dem Wahrspruch nicht erblickt werden; der auf diesen Umstand gestützte Antrag des Beschwerdeführers auf Einleitung des Moniturverfahrens wurde daher zu Recht abgewiesen.

Einen Verstoß gegen die Vorschriften über die Fragestellung (Z 6) erblickt der Beschwerdeführer im Unterbleiben der Stellung einer Eventualfrage nach § 76 StGB. Bei diesem Einwand übersieht er jedoch, daß in der Hauptverhandlung Tatsachen, nach denen die dem Angeklagten als Verbrechen des Mordes zur Last gelegte Tat unter die privilegierende Bestimmung des § 76 StGB fiele, nicht vorgebracht worden sind (§ 314 Abs 1 StPO). Das Verbrechen des Totschlages nach § 76 StGB begeht, wer sich in einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung dazu hinreißen läßt, einen anderen zu töten. Allgemein begreiflich ist die heftige Gemütsbewegung ‑ also der Affekt ‑ dann, wenn auch ein durchschnittlich rechtstreuer Mensch von der geistigen und körperlichen Beschaffenheit des Täters in der spezifischen Situation in jenen psychischen Ausnahmezustand geraten wäre (Leukauf‑Steininger Komm3 § 76 RN 5 ff; Mayerhofer‑Rieder StGB3 § 76 E 8). Ist dem Täter ein sittlicher Vorwurf daraus zu machen, daß er überhaupt in den psychischen Ausnahmezustand geriet, fehlt es an der allgemeinen Begreiflichkeit der Gemütsbewegung; abnorme Charaktereigenschaften des Täters wie Stimmungslabilität, leichte Erregbarkeit, mangelnde Beherrschung und gesteigerte Aggressivität, aber auch verwerfliche Leidenschaften oder Neigungen schließen als Ursache der Gemütsbewegung die Unterstellung der Tat unter § 76 StGB aus (aaO E 8 a, 9 a bis 12 a).

Der Beschwerde zuwider kann in der Verantwortung des Angeklagten, der einerseits ein Tötungsvorhaben bezüglich Herta R* bestritt (188, 199, 203, 205, 207/II), andererseits die Tat als Kurzschlußhandlung hinstellte und auf seine schlechte nervliche Verfassung hinwies, in welcher er "durchgedreht" habe (vgl erneut 199, 203, 207/II), sofern sie überhaupt als Eingeständnis einer vorsätzlichen Tötung der Genannten aufgefaßt werden kann (in diesem Sinne 25/I und f, 199/II), kein Indiz für eine allgemeine Begreiflichkeit des der Tat zugrundeliegenden Affekts erblickt werden. Aus diesen Angaben ergibt sich vielmehr, daß der Angeklagte gegen Herta R* aus Wut (siehe insbesondere 199/II) über deren angebliche Provokation (203, 207/II) vorging, welche er darin erblickte, daß das 12‑jährige Mädchen seine Vorhalte, sie sei an allem ‑ dh am sexuellen Mißbrauch durch ihn, aber auch an der Ermordung der Mutter ‑ schuld und habe vor ihm andere Männer gehabt, bestritt. Zu diesem Anlaß in Verhältnis gesetzt, kann die tatkausale heftige Gemütsbewegung des Angeklagten aber nicht als eine solche gewertet werden, in welche auch ein rechtstreuer Mensch ähnlichen geistigen und körperlichen Zuschnitts in der spezifischen Tatsituation verfallen wäre; lagen ihr doch besonders verwerfliche Leidenschaften des Angeklagten zugrunde. Der Schwurgerichtshof hat daher den Antrag der Verteidigung auf Stellung einer Eventualfrage nach § 76 StGB zu Recht schon mangels allgemeiner Begreiflichkeit des Täteraffekts abgewiesen (233/II).

Damit versagt aber auch die Instruktionsrüge (Z 8).

Im Hinblick auf das Unterbleiben der ‑ nach dem Vorgesagten nicht indizierten ‑ Eventualfragestellung bestand ‑ dem weiteren Beschwerdevorbringen zuwider ‑ auch kein Anlaß zur Belehrung der Geschworenen über die Voraussetzungen einer Tatbeurteilung nach § 76 StGB; denn Gegenstand der schriftlichen Rechtsbelehrung im Sinne des § 321 Abs 2 StGB und damit auch ihrer Anfechtung nach § 345 Abs 1 Z 8 StPO können nur Rechtsausführungen im Zusammenhang mit solchen Fragen sein, die den Geschworenen auch tatsächlich gestellt wurden (Mayerhofer‑Rieder aaO § 345 Z 8 E 20 und 23 a).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Das Geschworenengericht verhängte über den Angeklagten nach §§ 2875 StGB eine lebenslange Freiheitsstrafe.

Dabei wertete es als erschwerend das Zusammentreffen von drei Verbrechen, das Vorliegen zweier Mordtaten, drei einschlägige Vorstrafen, den langen Tatzeitraum bei den Unzuchtsdelikten und das planmäßige Vorgehen bei der Tötung der Heidemarie V*, als mildernd das Geständnis (hinsichtlich der Unzuchtsdelikte und des Mordes an Heidemarie V*) bzw. das Tatsachengeständnis (hinsichtlich des Mordes an Herta R*), die nicht auszuschließende Betreibung der Unzuchtshandlungen durch Herta R*, die Erregung vor der Tötung der Herta R*, den Umstand, daß sich der Angeklagte selbst gestellt hat sowie dessen eingeschränkte Dispositionsfähigkeit.

Mit seiner Berufung strebt der Angeklagte eine "Strafreduktion" (der Sache nach die Verhängung einer zeitlichen Freiheitsstrafe an Stelle einer lebenslangen) an; indes zu Unrecht.

Die Berufung vermag nämlich keine Gründe darzulegen, die Anlaß für ein derartiges Vorgehen böten. Der objektiven Schilderung der Mordtat an Herta R* durch den Angeklagten kann die Bedeutung eines Geständnisses nicht beigemessen werden. Der Aktenlage sind Anhaltspunkte für eine berücksichtigungswürdige Provokation des Angeklagten durch sein Opfer nicht zu entnehmen. Daß er in seiner Dispositionsfähigkeit gemindert war, zum Zeitpunkt der Morde in einem gewissen Affektstau handelte und die Unzuchtshandlungen auch auf Betreiben der Unmündigen stattfanden, hat das Geschworenengericht ohnedies seinen Strafzumessungserwägungen mitzugrunde gelegt.

Angesichts der besonderen Schwere der personalen Täterschuld (§ 32 StGB) kann die Verhängung einer (bloß) zeitlichen Freiheitsstrafe im vorliegenden Fall ‑ auch unter Bedachtnahme auf die in der Berufung vorgebrachten Argumente ‑ nicht in Betracht gezogen werden. Es mußte darum auch der Berufung ein Erfolg versagt bleiben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390 a StPO.

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