OGH 11Os209/09h

OGH11Os209/09h2.3.2010

Der Oberste Gerichtshof hat am 2. März 2010 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher, Dr. Schwab, Mag. Lendl und Dr. Bachner-Foregger als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Kleibel als Schriftführer, in der Strafsache gegen Roman S***** wegen der Verbrechen der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Schöffengericht vom 14. Juli 2009, GZ 17 Hv 178/08i-30, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Roman S***** der Vergehen der sexuellen Belästigung nach § 218 Abs 1 Z 1 StGB (I./) und der Verbrechen der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB (II./) schuldig erkannt.

Danach hat er im Juli 2006 in K***** die am 2. März 1991 geborene K***** F*****

„I./ in zumindest sechs Angriffen durch eine geschlechtliche Handlung an ihr belästigt, indem er ihr unter der Kleidung auf die Brust sowie in den Schambereich griff;

II./ mit Gewalt zur Duldung einer geschlechtlichen Handlung genötigt, indem er

1./ sich in zwei Angriffen auf sie legte, sie festhielt und sich - den Geschlechtsverkehr nachahmend - an ihr rieb;

2./ sie an den Handgelenken erfasste, an die Wand presste und jeweils in einem Fall

a./ seinen bekleideten Penis an ihr rieb;

b./ seinen entblößten Penis an ihr bis zum Samenerguss rieb.“

Rechtliche Beurteilung

Gegen dieses Urteil richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 4 und 5a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, die ihr Ziel verfehlt.

Die Verfahrensrüge (Z 4) stützt sich auf den in der Hauptverhandlung (ON 26 S 3, 19) gestellten Antrag auf „Beiziehung eines EDV-Sachverständigen zum Beweis dafür, dass das Schreiben [der K***** F***** an ihre Freundin Agata O***** vom 15. Juli 2006, ON 3 S 71] nicht auf dem Computer des Angeklagten verfasst wurde“, ohne darzulegen, inwieweit das behauptete Ergebnis schuld- und subsumtionsrelevant gewesen wäre.

Die Abweisung dieses Antrags schmälert die Verteidigungsrechte nicht, weil die Frage, wann und wie das Schreiben vom Opfer verfasst wurde, für die Feststellungen zu den Schuldsprüchen I./ und II./ nicht erheblich ist (§ 55 Abs 2 Z 1 und Z 2 StPO). Zielt das Beweisthema - wie hier - letztlich bloß in Richtung einer Überprüfung der Glaubwürdigkeit der Zeugin, betrifft der begehrte Verfahrensschritt nur dann einen erheblichen Umstand, der also geeignet ist, die Feststellung entscheidender Tatsachen maßgeblich zu beeinflussen (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 340 f), wenn sich aus dem Antragsvorbringen ergibt, dass dieser Zeuge etwa bereits wegen Verleumdung verurteilt wurde, zum Verfahrensgegenstand falsche Angaben gemacht hat oder sein bisheriges Verhalten eine habituelle Falschbezichtigungstendenz erkennen lässt (RIS-Justiz RS0120109; Fabrizy, StPO10 § 55 Rz 4).

Die in der Beschwerde nachgetragenen Gründe für die Antragstellung, die vorwiegend die Glaubwürdigkeit des Opfers anzweifeln, verstoßen gegen das für die Prüfung eines Zwischenerkenntnisses geltende Neuerungsverbot (RIS-Justiz RS0099618, RS0099117).

Nominell als Tatsachenrüge (Z 5a), inhaltlich und teilweise auch formell auf § 281 Abs 1 Z 5 StPO bezogen, moniert der Nichtigkeitswerber, dass sich das Erstgericht nicht hinreichend mit seiner, den Schuldsprüchen widersprechender Verantwortung sowie Ungereimtheiten in den Aussagen der ihn belastenden Zeuginnen auseinandersetzte.

Z 5a des § 281 Abs 1 StPO will als Tatsachenrüge nur geradezu unerträgliche Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen, somit zu schuld- oder subsumtionserheblichen Tatumständen, und völlig lebensfremde Ergebnisse der Beweiswürdigung durch konkreten Verweis auf aktenkundige Beweismittel verhindern. Tatsachenrügen, die außerhalb solcher Sonderfälle auf eine Überprüfung der Beweiswürdigung abzielen, beantwortet der Oberste Gerichtshof ohne eingehende eigene Erwägungen (RIS-Justiz RS0118780).

Überdies verlangt die Tatsachenrüge nach dem Gesetz eine Bezugnahme auf konkrete Beweismittel („aus den Akten“, RIS-Justiz RS0117446), woran es jenem Teil des Vorbringens mangelt, das den Erwägungen des Erstgerichts bloße Spekulationen über das „nach menschlicher Erfahrung“ zu erwartende Verhalten von Müttern missbrauchter Kinder bzw dieser selbst gegenüberstellt. Hiemit verlässt der Angeklagte den gesetzlichen Anfechtungsrahmen.

Das umfängliche Vorbringen zu „eklatanten Widersprüchlichkeiten“ in den Aussagen der Zeuginnen K***** und D***** F***** bezieht sich zwar auf wörtlich wiedergegebene Passagen in deren Aussagen, kehrt aber in Wahrheit bloß Nebensächliches (etwa die Fluchtrichtung des Opfers nach dem „Stiegenvorfall“ [II./1./b./] oder den Zeitpunkt deren Abreise nach Polen) hervor. Überdies ist der zur Überzeugung der Tatrichter von der Glaubwürdigkeit einer Zeugin aufgrund des von dieser in der Hauptverhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks führende kritisch-psychologische Vorgang als solcher einer Anfechtung aus der Z 5a des § 281 Abs 1 StPO entzogen (RIS-Justiz RS0099649).

Das Schöffengericht legte den Beschwerdeausführungen zuwider dar, dass die Verantwortung des Angeklagten nicht zu überzeugen vermochte, und ging in weiterer Folge ausführlich auf die übrigen - belastenden und entlastenden - Beweisergebnisse ein (US 9 bis 13). Insgesamt misslingt es dem Rechtsmittelwerber, beim Obersten Gerichtshof sich aus den Akten ergebende erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zugrunde liegenden entscheidenden Tatsachen zu wecken.

Insoweit der Beschwerdeführer mit der Aufklärungsrüge (Z 5a) vermeint, das Erstgericht wäre verpflichtet gewesen, die Aussagen des Angeklagten, es handle sich um „einen fehlgeschlagenen Erpressungsversuch“, genauer zu hinterfragen und „amtswegig einen zweiten [gemeint offenbar gerichtspsychologischen]“ Sachverständigen beizuziehen, unterlässt er darzutun, aus welchem Grund er an einer darauf abzielenden Frage- oder Antragstellung (Z 4) gehindert gewesen wäre (RIS-Justiz RS0115823). Zu dem auch hier thematisierten „EDV-Sachverständigen“ ist der Nichtigkeitswerber auf das im Rahmen der Verfahrensrüge Ausgeführte zu verweisen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher gemäß § 285d Abs 1 StPO schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen, woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).

Anzumerken bleibt, dass die - nicht geltend gemachte - in der Anwendung des (ausschließlich im Strafrahmen geänderten) § 202 Abs 1 StGB idF BGBl 2009/40 gelegene Urteilsnichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 11 erster Fall StPO für eine amtswegige Maßnahme nach § 290 Abs 1 StPO keinen Anlass bietet, weil der Fehler (US 14) ohnehin vom zur Entscheidung über die vom Angeklagten erhobene Berufung zuständigen Oberlandesgericht zu berücksichtigen ist (RIS-Justiz RS0109969, RS0112518; Ratz, WK-StPO § 285i Rz 6, § 290 Rz 29). Dabei besteht nämlich keine dem Berufungswerber zum Nachteil gereichende Bindung des Oberlandesgerichts an den Ausspruch des Erstgerichts über das anzuwendende Strafgesetz nach § 295 Abs 1 erster Satz StPO (RIS-Justiz RS0118870).

Die Kostenersatzpflicht des Angeklagten beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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