Spruch:
In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerden und aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht verwiesen.
Mit ihren Berufungen werden Siegfried F***** und Daniel W***** auf die kassatorische Entscheidung verwiesen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurden Siegfried F*****, Daniel W***** und Timea P***** des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach § 205 Abs 1 StGB, letztere als Beitragstäterin nach § 12 dritter Fall StGB, schuldig erkannt.
Danach haben im Februar oder März 2006 in E*****
1. Siegfried F***** und Daniel W***** im bewussten und gewollten Zusammenwirken als unmittelbare Täter Lydia M*****, die durch übermäßigen Alkoholgenuss bewusstlos war, sohin eine wehrlose Person unter Ausnützung dieses Zustands dadurch missbraucht, dass sie an ihr geschlechtliche Handlungen vornahmen, indem sie ihr die Unterhose hinunterzogen, an ihrer Scheide manipulierten, einer von beiden den Penis auf ihr Gesicht legte, ihre Scheide und ihre Brust entkleideten und von diesen Handlungen mit dem Mobiltelefon des Siegfried F***** mehrere Videos anfertigten;
2. Timea P***** zu den zu Punkt 1. beschriebenen Handlungen der unmittelbaren Täter Siegfried F***** und Daniel W***** dadurch beigetragen, dass sie das Mobiltelefon, mit dem die Aufnahmen angefertigt wurden, teilweise bediente, die Szenen teilweise filmte und durch anfeuerndes bzw zustimmendes Gelächter einen psychischen Tatbeitrag leistete.
Rechtliche Beurteilung
Diesen Schuldspruch bekämpfen die Angeklagten F***** und W***** mit einer auf Z 4 und 10 des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde.
1. Im Vorverfahren war ein Gutachten zur Zurechnungsfähigkeit im Tatzeitpunkt der sich mit alkoholbedingten Erinnerungslücken verantwortenden Angeklagten eingeholt worden. Der psychiatrische Sachverständige Dr. H***** kam darin nach Untersuchung der Angeklagten zusammengefasst zum Ergebnis, dass bei ihnen „unter Berücksichtigung des anzunehmenden Alkoholkonsums das Bild einer vollen Berauschung mit Aufhebung von Diskretions- und Dispositionsfähigkeit vorgelegen hat" (S 131). Aufgrund von zwischenzeitlich beigeschafften Bild- und Tonaufnahmen der von der Angeklagten P***** gefilmten Tathandlungen ergänzte der Sachverständige sein Gutachten dahin, dass er nicht in der Lage sei, den „seinerzeit angenommenen Vollrausch mit Diskretions- und Dispositionsunfähigkeit, ..., eindeutig auszuschließen" (S 173). Der vom Gericht zusätzlich hinzugezogene Sachverständige für Psychiatrie und Neurologie Dr. Friedrich R***** erachtete eine eigene psychiatrische Untersuchung der Angeklagten nicht für notwendig und schloss aufgrund der Sichtung des Filmmaterials, „dass alle drei Beschuldigten zu den Tatzeitpunkten zwar merklich alkoholisiert, jedenfalls aber in völlig ausreichendem Umfang diskretions- und dispositionsfähig, somit schuldzurechnungsfähig, waren" (S 195). In der Hauptverhandlung vom 6. Juni 2008 hielt der Sachverständige Dr. H***** sein Gutachten im Wesentlichen aufrecht, wobei er bei seinen Erwägungen von den von den Angeklagten angegebenen konsumierten Alkoholmengen ausging und aufgrund der Sinnlosigkeit der Handlungen und der Persönlichkeitsstruktur der Untersuchten eine Alkoholisierung von über drei Promille, somit einen „Vollrausch" annahm (S 294 ff). Zum Gutachten des Sachverständigen Dr. R*****, der an der Teilnahme an der Hauptverhandlung verhindert war (ON 37), führte er aus, seiner Ansicht nach sei das Filmmaterial nicht ausreichend, um die Zurechnungsfähigkeit der Angeklagten beurteilen zu können (S 302).
Der daraufhin von der Verteidigung gestellte Antrag, „infolge der Widersprüchlichkeiten der Aussage(n) der Sachverständigen Dr. R***** und Dr. H***** ein Drittgutachten einzuholen, um die Frage abschließend zu klären, ob bei den Angeklagten zum Tatzeitpunkt ein die Zurechnungsfähigkeit ausschließender Zustand vorgelegen hat" (S 307), wurde vom Schöffengericht mit der Begründung abgewiesen, die Antragsteller hätten nicht dargetan, „welche Widersprüchlichkeiten oder Unschlüssigkeiten zwischen den Gutachten bestehen sollen" (S 308). Die in der Folge unternommene Darstellung der aus Sicht der Angeklagten bestehenden Widersprüche durch die Verteidigerin führte zu keiner weiteren Beschlussfassung durch das Gericht. Der weiters gestellte Antrag auf Beiziehung des Sachverständigen Dr. H***** während des Abspielens der Videodateien („weil sich aus dem Video etwaige ergänzende Fragen ergeben könnten"; S 309) wurde - in der Hauptverhandlung am 31. Juli 2008 - mit der Begründung abgewiesen, es handle sich um einen Erkundungsbeweis (S 430). In diesen Vorgängen erblicken die Rechtsmittelwerber eine Verkürzung ihrer Verteidigungsrechte (Z 4).
2. Weichen die Angaben zweier Sachverständiger über die von ihnen wahrgenommenen Tatsachen oder die hieraus gezogenen Schlüsse erheblich voneinander ab und lassen sich die Bedenken nicht durch Befragung beseitigen, so ist ein weiterer Sachverständiger beizuziehen (§ 127 Abs 3 StPO).
Demnach sind Divergenzen zweier Experten zunächst durch deren abermalige Befragung zu beseitigen. Erst nach erfolglos gebliebenem Verbesserungsversuch ist das Gutachten eines dritten Sachverständigen einzuholen (RIS-Justiz RS0120023). Gerade auf die Durchführung eines solchen Verbesserungsverfahrens durch nochmalige Befragung des Sachverständigen Dr. H***** unter Bezugnahme auf die vom zweiten Sachverständigen als wesentlich erachtete Befundgrundlage zielte die Antragstellung der Verteidigung aber inhaltlich ersichtlich ab. Angesichts der nicht nur im methodischen Ansatz, sondern auch in den aus dem Befund gezogenen Schlüssen divergierenden Gutachten wäre das Schöffengericht daher verpflichtet gewesen, die Widersprüche durch Befragung der Sachverständigen zu beseitigen und im Falle der Erfolglosigkeit des Verbesserungsversuchs ein weiteres Gutachten einzuholen. Durch die Ablehnung der darauf gerichteten Antragstellung wurden Grundsätze eines die Strafverfolgung und die Verteidigung sichernden, fairen Verfahrens hintangesetzt (§ 281 Abs 1 Z 4 StPO). Das angefochtene Urteil war daher in Ansehung des Erst- und Zweitangeklagten sowie, da die angeführten Gründe auch der Drittangeklagten zustatten kommen, auch in dem diese betreffende Schuldspruch (§ 290 Abs 1 StPO) aufzuheben und es war die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zu verweisen. Eine Behandlung der Subsumtionsrüge erübrigt sich daher. Mit ihren Berufungen waren die Angeklagten auf diese Entscheidung zu verweisen.
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