OGH 11Os18/20m

OGH11Os18/20m8.5.2020

Der Oberste Gerichtshof hat am 8. Mai 2020 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, der Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski und der Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl im Verfahren zur Unterbringung des Mag. H***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB, AZ 22 Hv 7/18k des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über den Antrag des Genannten auf Erneuerung des Strafverfahrens nach Anhörung der Generalprokuratur gemäß § 62 Abs 1 zweiter Satz OGH‑Geo 2019 den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0110OS00018.20M.0508.000

 

Spruch:

Der Antrag auf Erneuerung der Strafverfahrens wird zurückgewiesen.

 

Gründe:

Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 14. November 2018, GZ 22 Hv 7/18k‑350, wurde die Unterbringung des Mag. H***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB angeordnet, weil er in W***** und andernorts unter dem Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustands (§ 11 StGB), der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad, nämlich einer anhaltenden wahnhaften Störung beruht, Taten begangen hat, die als Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1, Abs 2 erster und zweiter Fall StGB und Verbrechen des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 2 letzter Fall iVm Abs 1 letzter Fall StGB jeweils mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht sind.

Nach Zurückweisung der Nichtigkeitsbeschwerde des Untergebrachten mit Beschluss des Obersten Gerichtshofs vom 21. Mai 2019, GZ 14 Os 41/19i‑10, gab das Oberlandesgericht Wien seiner auf Aufhebung oder bedingte Nachsicht der Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher abzielenden Berufung mit Urteil vom 21. August 2019, AZ 17 Bs 168/19h (ON 389 der Hv‑Akten), nicht Folge. Zusammengefasst verwies das Berufungsgericht auf die diesbezüglich auf die Expertise des beigezogenen Sachverständigen und das Anlassverhalten gegründeten – als „mustergültig“ bezeichneten – Ausführungen des Erstgerichts zur geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad und zur Gefährlichkeitsprognose.

Im (von der ausgewiesenen Vertreterin des Betroffenen zunächst nicht unterzeichneten [ON 427 und 425 – vgl § 363b Abs 2 Z 1 StPO], jedoch im anwaltlich unterschriebenen, nahezu wortgleich wiederholten) „Antrag auf Erneuerung des Verfahrens gemäß § 363a StPO“ vom 20. Februar 2020 wird insoweit eine Verletzung von Art 6 MRK releviert, als sich das Berufungsgericht nicht mit den in der mündlichen Berufungsverhandlung am 21. August 2019 „erneuerten“, bereits im erstinstanzlichen Verfahren gestellten „Anträgen, vor allem nicht mit jenem auf Einholung eines neuen Sachverständigengutachtens auseinandergesetzt“ hätte. In weiteren gegen den Einschreiter anhängigen Verfahren wäre – teils bereits vor der hier in Rede stehenden Berufungsverhandlung – ein anderer, als der im gegenständlichen Verfahren beigezogene Sachverständige Dr. J***** bestellt worden, was Bedenken an dessen Gutachten indiziere. Die Entscheidung des Oberlandesgerichts Wien vom 21. August 2019 stünde zudem im Widerspruch zur Entscheidung zu AZ 17 Bs 71/19a des genannten Gerichts, wonach aufgrund der (ursprünglich in der – insofern in der Hauptverhandlung jedoch zurückgezogenen [ON 304 S 7] – Anklageschrift angeführten) Opferstellung des Sachverständigen Dr. J***** im Zeitpunkt der Gutachtensbeauftragung Nichtigkeit (§ 126 Abs 4 StPO iVm § 47 Abs 1 Z 1 StPO iVm § 281 Abs 1 Z 3 StPO) bestünde. Die Unschlüssigkeit des Gutachtens Dris. J***** würde sich zudem bei einem Vergleich mit der Stellungnahme des psychiatrischen Dienstes der Justizanstalt G***** ergeben und wäre der diesbezüglich begehrten Vernehmung von Dr. O***** stattzugeben gewesen.

Überdies sei dem Einschreiter entgegen dessen Antrag keine Kopie des in der Berufungsverhandlung hinsichtlich der nicht bestehenden Befangenheit des erkennenden Senats verlesenen Aktenvermerks des Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien übermittelt worden und wäre – wie bereits in der Hauptverhandlung releviert –Befangenheit der Schöffinnen zufolge Ablehnung der Anträge auf Einholung eines weiteren Gutachtens sowie auf Vernehmung Dris. O***** gegeben.

 

Rechtliche Beurteilung

Ein Erneuerungsantrag, der sich – wie hier – nicht auf eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte berufen kann, ist zulässig (RIS‑Justiz RS0122228), muss aber allen gegenüber dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte normierten Zulässigkeitsvoraussetzungen der Art 34 und 35 MRK sinngemäß entsprechen (RIS‑Justiz RS0122737, RS0128394; Reindl‑Krauskopf, WK‑StPO § 363a Rz 31).

Dabei hat ein Erneuerungsantrag unter anderem deutlich und bestimmt darzulegen, worin eine behauptete – vom Obersten Gerichtshof sodann selbst zu beurteilende –Grundrechtsverletzung im Sinn des § 363a Abs 1 StPO zu erblicken sei. Er muss sich mit der als grundrechtswidrig bezeichneten Entscheidung in allen relevanten Punkten auseinandersetzen (RIS‑Justiz RS0124359, RS0128393; Reindl‑Krauskopf, WK‑StPO § 363a Rz 32).

Diesen Anforderungen wird der Erneuerungsantrag insoweit nicht gerecht, als dem Protokoll über die Berufungsverhandlung am 21. August 2019 die behauptete „Erneuerung“ von „sämtliche[n] vom Einschreiter bereits im erstinstanzlichen Verfahren eingebrachten Anträgen“ nicht zu entnehmen ist und sich solches – ebenso wenig wie das weitere Antragsvorbringen – aus dem (protokollierten) Vortrag der schriftlichen Berufung (ON 387 S 3 iVm ON 378 S 15 f) nicht ergibt. Der in der Berufungsverhandlung pauschal und undifferenziert erfolgte Verweis auf „die schriftlichen Eingaben des Angeklagten“ (ON 387 S 3) genügt den gebotenen Erfordernissen an ein deutlich und bestimmt formuliertes Antragsbegehren nicht (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 311; RIS‑Justiz RS0118060 [T1]; vgl 11 Os 82/18w).

Zudem steht in Strafsachen, in denen der Oberste Gerichtshof in zweiter Instanz entschieden hat (hier 14 Os 41/19i – ON 384 der Hv‑Akten), dessen unmittelbarer (wie fallbezogen nicht auf einer Entscheidung des EGMR gründenden) Anrufung mittels Erneuerungsantrags die Zulässigkeitsbeschränkung des Art 35 Abs 2 lit b erster Fall MRK entgegen, weil der Antrag solcherart „im Wesentlichen“ mit einer schon vom Obersten Gerichtshof geprüften „Beschwerde“ übereinstimmt (RIS‑Justiz RS0122737; Reindl‑Krauskopf, WK‑StPO § 363a Rz 36).

Dies betrifft die in der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom 21. Mai 2019 (ON 384) jeweils behandelten Befangenheitseinwände zum Sachverständigen Dr. J***** infolge dessen behaupteter Opfereigenschaft, sowie hinsichtlich der beiden Schöffinnen aufgrund deren Mitwirkung an der Abweisung von Parteianträgen und im Übrigen auch die (in der Hauptverhandlung) begehrte Beiziehung eines weiteren Sachverständigen und auf Vernehmung von Dr. O***** als Zeugen.

Weiteres Vorbringen wurde in der Berufungsverhandlung am 21. August 2019 (ON 387) nicht – und zwar auch nicht durch Vortrag der schriftlichen Berufung – erstattet (ON 387 S 3 iVm ON 378 S 15 f), womit dem Gebot, den Rechtsweg auch horizontal auszuschöpfen (Art 35 Abs 1 EMRK), nicht entsprochen wurde.

Die „auf ausdrückliches Verlangen des Einschreiters“ auf „Art. 137 B VG“ und „Art. 47 GRC“ („Art. 267 AEUV“) bezogene Antragstellung übersieht, dass ein Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens auch im erweiterten Anwendungsbereich des § 363a StPO – dessen Wortlaut folgend – nur wegen Verletzung der MRK oder eines ihrer Zusatzprotokolle gestellt werden kann (RIS‑Justiz RS0132365).

Der Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens war demnach – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – zurückzuweisen (§ 363b Abs 2 Z 3 StPO).

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