OGH 11Os171/97

OGH11Os171/9725.11.1997

Der Oberste Gerichtshof hat am 25.November 1997 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kuch als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Ebner, Dr.Schmucker, Dr.Habl und Dr.Zehetner als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag.Kunz als Schriftführer, in der Strafsache gegen Peter Hans P***** wegen des Vergehens des teils versuchten, teils vollendeten Diebstahls nach §§ 127 und 15 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 21.August 1997, GZ 1 b Vr 3031/97-45, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten wird teilweise Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, in seinen Schuldsprüchen II und IV und demgemäß auch im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an den Einzelrichter des Landesgerichtes für Strafsachen Wien verwiesen.

Im übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde zurückgewiesen.

Mit ihren Berufungen werden der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Peter Hans P***** der Vergehen des teils versuchten, teils vollendeten Diebstahls nach §§ 127 und 15 StGB (I), der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB (II), der versuchten Körperverletzung nach §§ 15, 83 Abs 1 StGB (III) und der vorsätzlichen Gefährdung von Menschen durch übertragbare Krankheiten nach § 178 StGB (IV) schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe verurteilt.

Danach hat er

I. in Wien fremde bewegliche Sachen mit dem Vorsatz, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern,

1. am 16.März 1997 der Rosalinde N***** ein Handy im Wert von 4.000 S und Bargeld von 5.000 S weggenommen, und

2. a/ am 22.März 1997 der Firma S***** ein Handy im Wert von 3.990 S und

b/ am 6.Dezember 1996 der Firma M***** einen Rasierer im Wert von 76,90 S wegzunehmen versucht;

II. zwischen 12. und 16.April 1997 in Wien eine Urkunde, über die er nicht verfügen durfte, nämlich den österreichischen Reisepaß des Christopher K*****, mit dem Vorsatz unterdrückt, zu verhindern, daß dieser im Rechtsverkehr zum Beweis eines Rechtes, eines Rechtsverhältnisses oder einer Tatsache gebraucht werde;

III. am 15.Februar 1997 in Thailand versucht, Rosalinde N***** vorsätzlich am Körper zu verletzen, indem er sie mit seinen Händen am Hals würgte;

IV. zwischen Juli und Oktober 1996 in Wien Handlungen begangen, die geeignet waren, eine Gefahr der Verbreitung einer übertragbaren Krankheit, nämlich Aids, unter Menschen herbeizuführen, indem er als HIV-Infizierter eine Lebensgemeinschaft mit Rosalinde N***** einging, während welcher es (auch) zu ungeschütztem Geschlechtsverkehr und zum Austausch von Küssen gekommen ist, ohne daß er Rosalinde N***** über seinen Zustand informierte, sodaß es ihr unmöglich war, Vorkehrungen zur Vermeidung einer Ansteckung zu treffen.

Gegen dieses Urteil richtet sich eine auf die Nichtigkeitsgründe der Z 5 und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten; der Strafausspruch wird von ihm und der Staatsanwaltschaft mit Berufung bekämpft.

Rechtliche Beurteilung

Obwohl sich die Nichtigkeitsbeschwerde ausdrücklich nur gegen die Schuldsprüche II, III und IV richtet, erstrecken sich die Rechtsmittelanträge ("... das angefochtene Urteil aufzuheben ...") auf alle Schuldsprüche. Soweit die Beschwerde damit über den Umfang der Schuldsprüche II bis IV hinausgeht, ist sie schon deshalb unzulässig, weil es ihr an der vom Gesetz vorausgesetzten deutlichen und bestimmten Bezeichnung von gesetzlichen Nichtigkeitsgründen mangelt und sie auch ausdrückliche oder doch durch deutliche Hinweisung angeführte Tatumstände vermissen läßt, die Nichtigkeitsgründe bilden sollen.

Entgegen der Mängelrüge (Z 5) zum Urteilsfaktum III hat das Schöffengericht den Verletzungsvorsatz des Angeklagten ausdrücklich festgestellt (US 7) und diesen mängelfrei auf die Angaben der Zeugin N***** gestützt (US 10).

Ein formeller Begründungsmangel liegt somit diesbezüglich nicht vor.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher in diesem Umfang teils als nicht gesetzmäßig ausgeführt, teils als unbegründet bereits bei der nichtöffentlichen Beratung zurückzuweisen (§ 285 d Abs 1 Z 1 und 2 iVm § 285 a Z 2 StPO).

Im übrigen kommt der Nichtigkeitsbeschwerde jedoch Berechtigung zu:

Zutreffend zeigt der Beschwerdeführer unter dem Nichtigkeitsgrund der Z 5 des § 281 Abs 1 StPO zum Schuldspruch II auf, daß sich die Tatrichter mit seiner (diesbezüglich leugnenden) Einlassung nicht auseinandergesetzt haben. Dieser hat sich nämlich damit verantwortet, er hätte den Reisepaß des Christopher K***** irrtümlich eingesteckt und ihn sofort nach seiner Verständigung zurückgegeben (S 304).

Entgegen dieser Verantwortung hat das Erstgericht - ohne sich mit der Aussage auseinanderzusetzen - Vorsatz in Richtung § 229 Abs 1 StGB angenommen und diesen damit begründet, daß der Angeklagte "offenkundig" von einem Haftbefehl gegen ihn Kenntnis hatte und daher den Reisepaß zur Verschleierung seiner Identität benötigte (US 8).

Dabei handelt es sich aber um eine durch das Beweisverfahren nicht gedeckte Scheinbegründung, welche den Schuldspruch nicht zu tragen vermag, zumal der Zeuge K***** in der Hauptverhandlung nicht einmal vernommen wurde.

Sowohl in der Mängel- (Z 5) als auch in der Rechtsrüge (Z 9 lit a) macht der Rechtsmittelwerber gegen den Schuldspruch IV geltend, es seien keine ausreichenden Feststellungen zur subjektiven Tatseite getroffen worden, der Austausch von Küssen könne das Tatbild nicht verwirklichen und lägen für die Annahme von ungeschütztem Geschlechtsverkehr und Unvorsichtigkeit in Zusammenhang mit Heroinkonsum keine Beweisgrundlagen vor.

Tatsächlich entbehrt die Urteilsannahme, es sei während der Lebensgemeinschaft zu ungeschütztem Geschlechtsverkehr gekommen, einer tragfähigen Begründung. Der Angeklagte und die Zeugin N***** haben übereinstimmend nur geschützten Geschlechtsverkehr behauptet, letztere hat auch vor dem Untersuchungsrichter nichts Gegenteiliges angegeben. Die bekämpfte Feststellung beruht daher nur auf einer willkürlichen Vermutung zu Lasten des Beschwerdeführers. Daran vermag auch nichts zu ändern, daß das Erstgericht der Zeugin keine Glaubwürdigkeit beigemessen hat, weil die von ihr bekundete Angst vor Ansteckung auch andere Ursachen haben kann und daher der von den Tatrichtern gezogenen Schluß nicht zwingend ist.

Diesbezüglich liegt daher der aufgezeigte Begründungsmangel vor.

Die Übertragung einer AIDS-Infektion durch Küsse ist nach derzeitigem Stand der Wissenschaft nur unter besonderen, hier nicht festgestellten Umständen (wie Verletzungen, Bisse u.ä.) möglich. Da das Urteil lediglich den "Austausch von Küssen" annimmt, ohne weitere allenfalls hinzukommende Umstände zu berücksichtigen, die möglicherweise die Angst der Zeugin erklären könnten, liegt hiezu ein Feststellungsmangel vor, der eine abschließende rechtliche Beurteilung nicht zuläßt.

Da somit die Mängel zur objektiven Tatseite eine Aufhebung des betreffenden Schuldspruches erfordern, erübrigt sich ein Eingehen auf das weitere Beschwerdevorbringen.

Daraus folgt, daß sich zu den Urteilsfakten II und IV eine neue Hauptverhandlung nicht vermeiden läßt, sodaß das Urteil in diesem Umfang und demgemäß auch im Strafausspruch bereits bei der nichtöffentlichen Beratung aufzuheben war.

Da durch Nichtannahme von Qualifikationen Gegenstand der Schuldsprüche des Gerichtshofes erster Instanz und des Rechtsmittelverfahrens nur Straftaten waren, die in die sachliche Zuständigkeit des Einzelrichters fallen, war die Sache im Umfang der Aufhebung an den Einzelrichter des Landesgerichtes für Strafsachen Wien zu verweisen (Mayerhofer StPO4 § 288 E 47 und 49 a).

Im erneuerten Verfahren wird der Einzelrichter nach Vernehmung des Zeugen Christopher K***** die subjektive Tatseite zum Vergehen der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB unter Berücksichtigung der Verantwortung des Angeklagten zu beurteilen haben.

Zum Vergehen nach § 178 StGB wird er - allenfalls unter Beiziehung eines medizinischen Sachverständigen - zunächst die objektive Tatseite hinreichend zu klären und sodann darüber zu befinden haben, mit welcher Schuldform der Angeklagte die objektiven Tathandlungen allenfalls gesetzt hat.

Mit ihren Berufungen waren der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf die kassatorische Entscheidung zu verweisen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 390 a StPO.

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