OGH 11Os163/15b

OGH11Os163/15b5.7.2016

Der Oberste Gerichtshof hat am 5. Juli 2016 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger, Mag. Michel und Dr. Michel-Kwapinski und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Jülg, BSc, als Schriftführer in der Strafsache gegen Philipp B***** und einen weiteren Angeklagten wegen des Verbrechens der schweren Erpressung nach §§ 144 Abs 1, 145 Abs 2 Z 1, Z 2 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Angeklagten Philipp B***** und Hermann W***** sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Schöffengericht vom 11. August 2015, GZ 12 Hv 116/14v‑77, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0110OS00163.15B.0705.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Den Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, das auch unbekämpft in Rechtskraft erwachsene Freisprüche beider Angeklagten von weiteren gleichartigen Vorwürfen enthält, wurde Philipp B***** des Verbrechens der schweren Erpressung nach §§ 144 Abs 1, 145 Abs 2 Z 1, Z 2 StGB (I./) und Hermann W***** des Verbrechens der Erpressung nach § 144 Abs 1 StGB (II./) schuldig erkannt.

Danach haben in K***** mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz

I./ Philipp B***** wiederholt gewerbsmäßig K***** W***** durch die Androhung, ihn in die Nervenklinik zu stecken, somit gegen dieselbe Person durch längere Zeit fortgesetzte gefährliche Drohungen mit einer Verletzung an der Freiheit, zu Handlungen genötigt, die diesen in einem Gesamtbetrag von 30.000 Euro am Vermögen schädigten, nämlich

1./ am 15. April 2013 zur Erhöhung eines Kredits bei der K***** Sparkasse, zur Behebung des aufgrund dieser Krediterhöhung gewährten Betrags von 15.000 Euro sowie zur Übergabe dieses Betrags an B*****;

2./ am 16. April 2013 zur Überweisung von 200 Euro auf das Konto von B*****;

3./ am 14. Mai 2013 zur Zahlung der ersten Leasingrate hinsichtlich eines PKWs von B***** in Höhe von 500 Euro;

4./ am 31. Mai 2013 zur Überweisung von 300 Euro auf das Konto von B*****;

5./ am 6. Juni 2013 zur Erhöhung eines Kredits bei der K***** Sparkasse sowie zur Überweisung des aufgrund dieser Krediterhöhung gewährten Betrags von 8.100 Euro auf das Konto von B*****;

6./ am 19. Juni 2013 zur Überweisung von 400 Euro auf das Konto von B*****;

7./ am 21. Juni 2013 zur Aufnahme eines Kredits bei der S***** Bank, zur Behebung des aufgrund dieses Kredits gewährten Betrags von 5.000 Euro sowie zur Übergabe dieses Betrags an B*****;

8./ am 1. Juli 2013 zur Einrichtung eines Dauerauftrags zugunsten B***** sowie zur gleichzeitigen Überweisung eines Betrags von 500 Euro auf dessen Konto;

II./ Hermann W***** vor oder im März 2013 K***** W***** durch die Androhung, ihn in die Nervenklinik zu stecken, somit durch gefährliche Drohung mit einer Verletzung an der Freiheit, zu einer Handlung genötigt, die diesen in einem Gesamtbetrag von 4.000 Euro am Vermögen schädigte, nämlich zur Aufnahme eines Kredits bei der B***** und zur Behebung der Kreditvaluta in der Höhe von zumindest 4.000 Euro sowie zur Übergabe dieses Betrags an Hermann W*****.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 3, 4, 9 lit a und 10 StPO gestützte, gemeinsam ausgeführte Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten.

Die Verfahrensrüge (Z 3) Verletzung des § 252 Abs 1 StPO durch die Verlesung der Angaben des Zeugen K***** W***** im Ermittlungsverfahren vor der Polizei (ON 11 S 3 ff) und im Hauptverfahren vor Gericht (ON 33 S 10 ff) schlägt schon deshalb fehl, weil sich der Zeuge bei seiner – unter Beteiligung und Ausübung des Fragerechts durch den Verteidiger der Angeklagten (§ 252 Abs 1 Z 2a StPO) durchgeführten – Vernehmung in der Hauptverhandlung am 24. Juli 2015 auf diese beiden von ihm zu einem früheren Zeitpunkt getätigten Aussagen berief, die somit jedenfalls verlesen werden durften (ON 68 S 9; vgl Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 230; 12 Os 135/10k mwN sowie Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 232 f, Kirchbacher, WK‑StPO § 252 Rz 86, RIS‑Justiz RS0098303).

Im Übrigen liegt eine aus Z 3 beachtliche Verletzung des § 252 Abs 1 StPO durch die Verlesung der zitierten früheren Angaben des Zeugen K***** W***** nicht vor, weil nach dem unbeanstandet gebliebenen Protokoll über die Hauptverhandlung die beiden Aussagen „gemäß § 252 Abs 2a StPO“ mit Zustimmung der Verfahrensbeteiligten (Kirchbacher, WK‑StPO § 252 Rz 134, 141, 147) vorgetragen wurden (ON 76 S 28). Diese Zustimmung beinhaltet das Einverständnis (§ 252 Abs 1 Z 4 StPO) zum Vorkommen der vom Vortrag umfassten Aktenstücke in der Hauptverhandlung (RIS‑Justiz RS0127712).

Durch Abweisung des in der (fortgesetzten) Hauptverhandlung am 11. August 2015 gestellten Antrags auf „nochmalige“ Vernehmung des Zeugen K***** W***** mit der Begründung, dass der Zeuge „heute den Verhandlungssaal unerwartet vor Abschluss der gänzlichen Zeugeneinvernahme verlassen hat und somit der Hauptverhandlung unentschuldigt ferngeblieben ist und hierdurch das Fragerecht der Verteidigung im Sinne des Artikels 6 MRK eingeschränkt wurde und daher auch eine nochmalige Befragung notwendig“ sei (ON 76 S 24), wurden – entgegen der Kritik der Verfahrensrüge (Z 4) – Verteidigungsrechte nicht verletzt, weil der Antrag ein konkretes Beweisthema vermissen ließ (RIS-Justiz RS0099301, RS0118444). Das den Beweisantrag ergänzende Beschwerdevorbringen hat mit Blick auf das aus dem Wesen des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes resultierende Neuerungsverbot (RIS-Justiz RS0099618) auf sich zu beruhen.

Gegenstand von Rechts- und Subsumtionsrüge ist ausschließlich der Vergleich des zur Anwendung gebrachten materiellen Rechts einschließlich prozessualer Verfolgungsvoraussetzungen mit dem festgestellten Sachverhalt. Den tatsächlichen Bezugspunkt bildet dabei die Gesamtheit der in den Entscheidungsgründen getroffenen Feststellungen. Von diesem Gesamtzusammenhang ausgehend ist klarzustellen, aus welchen ausdrücklich zu bezeichnenden Tatsachen (einschließlich der Nichtfeststellung von Tatsachen) welche rechtliche Konsequenz hätte abgeleitet werden sollen (RIS-Justiz RS0099810; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 581).

Die Behauptungen der Rechtsrüge (Z 9 lit a), „Feststellungen zum Bedeutungsinhalt der Ankündigung, K***** W***** in eine Nervenklinik zu stecken, fehlen komplett“ und „die Frage, wie K***** W***** diese … verstehen durfte, bleibt völlig unbeantwortet“, übergeht – im Übrigen auch in Bezug auf Sinn und Ernstlichkeit der Drohung – die Konstatierungen des Erstgerichts (US 6 iVm US 7). Ob die Drohung beim Opfer tatsächlich Besorgnis erregt (dieses sich also fürchtet), ist ohne Belang (RIS-Justiz RS0092588, RS0092392; Jerabek in WK² StGB § 74 Rz 28 und 33 f).

Die Subsumtionsrüge (Z 10) behauptet für die Annahme der fehlenden Feststellungen Gewerbsmäßigkeit nach § 145 Abs 2 Z 1 StGB, legt jedoch nicht dar, welcher weiteren Konstatierungen (über die auf US 9 auch zum Zeitraum getroffenen hinaus) es bedurft hätte (RIS-Justiz RS0099620, RS0095939). Der Beschwerdeführer leitet weiters nicht aus dem Gesetz ab, weshalb gewerbsmäßige Begehung, die keineswegs zwingend wiederholtes Handeln bedingt (§ 70 StGB aF), nicht bereits bei der ersten Tatausführung gegeben sein sollte (RIS-Justiz RS0108366).

Das auf eine Ausschaltung der Qualifikation nach § 145 Abs 2 Z 2 StGB abzielende weitere Vorbringen erschöpft sich in der bloßen Behauptung, „der festgestellte Tatzeitraum von zweieinhalb Monaten, über die hinweg K***** W***** mehrfach damit bedroht wurde, in eine Nervenklinik zu kommen, entspricht daher selbst bei acht erpressten Vermögensverschiebungen in diesem Zeitraum noch nicht dem Erfordernis der längeren Zeit iSd § 145 Abs 2 Z 2 StGB“, womit die angestrebte rechtliche Konsequenz nicht methodengerecht aus dem Gesetz abgeleitet wird (RIS-Justiz RS0116565).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Erledigung der Berufungen folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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