Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Den Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen - auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden - Urteil wurden der Erstangeklagte Otto K***** des Vergehens der kriminellen Vereinigung nach § 278 Abs 1 StGB (I/A), des Verbrechens der (versuchten) Überlieferung an eine ausländische Macht als Beteiligter nach §§ 12 zweiter Fall, 15, 103 Abs 1 StGB (IV/A) und des Verbrechens des Mordes (als Beteiligter) nach §§ 12 zweiter Fall, 75 StGB (IV/B), der Zweitangeklagte Suleyman D***** des Vergehens der kriminellen Vereinigung nach § 278 Abs 1 StGB (I/B), des Verbrechens der (versuchten) Überlieferung an eine ausländische Macht nach §§ 15, 103 Abs 1 StGB (II/A) und des Verbrechens des Mordes (als Beteiligter) nach §§ 12 dritter Fall, 75 StGB (III/A) sowie der Drittangeklagte Turpal Y***** des Verbrechens der (versuchten) Überlieferung an eine ausländische Macht nach §§ 15, 103 Abs 1 StGB (II/B) und des Verbrechens des Mordes (als Beteiligter) nach §§ 12 dritter Fall, 75 StGB (III/B) schuldig erkannt.
Danach haben
I) Nachgenannte von Anfang November 2008 bis 13. Jänner 2009 im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter mit dem abgesondert verfolgten Letscha B***** eine kriminelle Vereinigung, die als ein auf längere Zeit ausgelegter Zusammenschluss von mehr als zwei Personen darauf ausgerichtet war, dass von mehreren ihrer Mitglieder eine Straftat gegen Leib, Leben und persönliche Freiheit des Umar I***** mit dem Ziel, sich des Genannten gewaltsam zu bemächtigen, ihn in weiterer Folge außer Landes zu verbringen und in die Gewalt von Verantwortlichen der russischen Teilrepublik Tschetschenien zu übergeben, alternativ ihn für den Fall des Scheiterns dieses Tatplans vorsätzlich zu töten, mithin die Verbrechen der Überlieferung an eine ausländische Macht nach § 103 Abs 1 StGB, in eventu des Mordes nach § 75 StGB, begangen werde, gegründet und sich daran beteiligt, und zwar
A) (Hauptfrage 7) Otto K*****, indem er die Gesamtverantwortung für die Operation, deren logistische Vorbereitung und Koordinierung „innehatte“ und Kontakt zur tschetschenischen Führung hielt;
vor dem 15. Dezember 2008 Suleyman D***** den Auftrag erteilte, Umar I***** zu observieren, um dessen Lebensgewohnheiten auszukundschaften;
von zumindest 5. bis 12. Jänner 2009 in St. Pölten und anderen Orten in zahlreichen persönlichen Treffen und Telefongesprächen mit Suleyman D***** und Letscha B***** die Tat plante und vorbereitete und den Genannten zu diesem Zweck vom 6. bis zum 13. Jänner 2009, zuletzt in der Nacht vom 12. auf den 13. Jänner 2009, wiederholt in seiner Wohnung in St. Pölten Quartier gab;
am 7. Jänner 2009 in St. Pölten den außer Verfolgung gesetzten Schamchan M***** beauftragte, zwei anonyme Telefonwertkartenpakete „BOB SIM Package“ anzukaufen, wovon er eines an B***** übergab und eines selbst verwendete, um so die Telekommunikation innerhalb der Tätergruppe zu anonymisieren und zu verschleiern und in der Folge unter Verwendung der Wertkarte zahlreiche Telefongespräche zur Tatplanung und -vorbereitung führte;
„am 13. Jänner 2009 nach telefonischer Mitteilung von der Tötung des I***** mit dem im Besitz von B***** stehenden Kfz BMW, Kennzeichen *****, von St. Pölten nach S***** fuhr, D***** und B***** darin aufnahm und ihnen so die weitere Flucht ermöglichte;
mit den Genannten zumindest in Grundzügen sein Aussageverhalten besprach, ehe er sich gezwungen sah, sich der Polizei zu stellen“;
B) (Hauptfrage 8) Suleyman D*****, indem er gemeinsam mit Otto K***** und Letscha B***** in St. Pölten und anderen Orten die Tat in zahlreichen persönlichen Treffen und Telefongesprächen mit K***** und B***** plante und vorbereitete, wobei ihm die Observation des Umar I***** an dessen Wohnadresse sowie die unmittelbare Unterstützung der ausführenden Täter oblag;
sich zumindest am 15., 19., 22., 25., 26., 27. und 31. Dezember 2008 sowie am 2., 3., 4., 5., 10., 11. und 2. Jänner 2009 in unmittelbarer Nähe der Wohnadresse des I***** in ***** aufhielt, um für die Tatplanung relevante Erkenntnisse über den Tagesablauf und die Lebensgewohnheiten des Genannten zu gewinnen;
in der Nacht vom 12. auf den 13. Jänner 2009 im Zuge eines Aufenthalts in der KFZ-Werkstätte des Kosum Y***** in S***** dessen Bruder Turpal Y***** für die Tatausführung anwarb;
„am 13. Jänner 2009 nach der vorsätzlichen Tötung des I***** mit Turpal Y***** telefonischen Kontakt hielt, um die Aufnahme des Genannten sowie von B***** in das von ihm gelenkte Fahrzeug zu koordinieren, beide darin aufnahm und bis zum Parkplatz ***** brachte, von wo aus sie gemeinsam ihre Flucht fortsetzten“;
II) Nachgenannte am 13. Jänner 2009 im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit dem abgesondert verfolgten Letscha B***** den in Wien aufhältigen Umar I***** ohne dessen Einwilligung mit Gewalt Verantwortlichen der russischen Teilrepublik Tschetschenien, sohin einer ausländischen Macht, zu überliefern versucht, wobei die Tatausführung am unerwarteten Widerstand des Opfers scheiterte, und zwar
A) (Hauptfrage 1) Suleyman D*****, indem er am Morgen Turpal Y***** wiederholt telefonisch kontaktierte und ihn aufforderte, mit seinem Fahrzeug zu ihnen nach Wien zu kommen;
ab 06:30 Uhr die Wohnadresse des I***** vom Parkplatz ***** aus observierte und sich bereithielt, in Umsetzung des arbeitsteiligen Tatplans als Fahrer den I***** nach dessen Bemächtigung durch B***** und Y***** zu verbringen, jedenfalls aber die Genannten für den Fall des Scheiterns dieses Vorhabens aufzunehmen und ihnen die Flucht zu ermöglichen;
um 11:53 Uhr den Y*****, der sich mit B***** für den Zugriff auf I***** bereithielt, telefonisch davon in Kenntnis setzte, dass dieser soeben sein Wohnhaus verlassen hatte;
sein Fahrzeug im unmittelbaren Anschluss daran in die Nähe von B***** und Y***** repositionierte und sich bereithielt, um die Genannten sowie allenfalls auch I***** darin aufzunehmen und zu verbringen;
B) (Hauptfrage 2) Turpal Y*****, indem er sein Fahrzeug über Anweisung durch D***** und B***** im Bereich ***** im Nahebereich des Eingangs zum Wohnhaus des Umar I***** positionierte, um die Aufnahme des I***** nach dessen Überwältigung darin zu ermöglichen;
sich gemeinsam mit B***** im Bereich ***** im Besitz einer Faustfeuerwaffe bereithielt, I***** zu überwältigen und zu verbringen;
nach der Erstansprache gemeinsam mit B***** den flüchtenden I***** mit gezogener Faustfeuerwaffe verfolgte und kurzfristig stellte, wobei es dem Genannten gelang, sich zu befreien und weiter zu flüchten, bis er von den Schüssen des B***** tödlich getroffen zusammenbrach;
III) Nachgenannte dadurch dazu beigetragen, dass der abgesondert verfolgte Letscha B***** am 13. Jänner 2009 in Wien, nachdem der primär auf die Entführung des Umar I***** gerichtete Tatplan gescheitert war, in Umsetzung der auf dessen Tötung gerichteten Tatplanalternative den Genannten durch Abgabe mehrerer Schüsse aus einer Faustfeuerwaffe, wodurch dieser Durchschüsse im Bereich der linken Hüfte und der Bauchhöhle sowie einen Steckschuss, dessen Schusskanal vom Rücken links der Wirbelsäule schräg bis in den Brustkorb verlief, in die Bauchhöhle eindrang, das Zwerchfell eröffnete, Milz und Magen durchschlug und tödliche Einblutungen in Bauch- und Brusthöhle verursachte, erlitt, vorsätzlich tötete, und zwar
A) (Hauptfrage 4) Suleyman D***** durch die im Punkt II/A (Hauptfrage 1) dargestellten Tathandlungen;
B) (Hauptfrage 5) Turpal Y***** durch die im Punkt II/B (Hauptfrage 2) dargestellten Tathandlungen.
IV) Otto K***** in St. Pölten und anderen Orten, indem er zu nicht mehr festzustellenden Zeitpunkten zwischen Ende Oktober 2008 und 13. Jänner 2009
Suleyman D***** und Letscha B***** den Auftrag erteilte, sich des Umar I***** gewaltsam zu bemächtigen, ihn in weiterer Folge außer Landes zu verbringen und in die Gewalt von Verantwortlichen der russischen Teilrepublik Tschetschenien zu übergeben (Hauptfrage 3) oder Umar I***** für den Fall des Scheiterns des primär auf dessen Entführung gerichteten Tatplans vorsätzlich zu töten (Hauptfrage 6);
am 13. Jänner 2009 den Genannten das auf ihn zugelassene Kfz Volvo, Kennzeichen *****, zur Tatausführung zur Verfügung stellte;
während des Vormittags in laufendem telefonischem Kontakt mit B***** und D***** stand, die sich gemeinsam mit Y***** im Nahebereich der Wohnadresse des I***** zur Tatausführung bereithielten, um die Tatausführung zu überwachen und zu koordinieren;
Kosum Y*****, der ihn wiederholt telefonisch kontaktierte, um zu erreichen, dass sein Bruder Turpal Y***** den Tatort verlasse, vertröstete und B***** mehrfach telefonisch anwies, dafür Sorge zu tragen, dass Turpal Y***** samt seinem Fahrzeug dort verbleibe;
sich bereithielt, die Genannten nach der Tatausführung bei der Flucht zu unterstützen,
Suleyman D***** und den abgesondert verfolgten Letscha B***** bestimmt und zu deren Tatausführung beigetragen, und zwar zu
A) der im Punkt II/A (Hauptfrage 1) dargestellten Tat;
B) der im Punkt III/A (Hauptfrage 4) dargestellten Tat.
Die Geschworenen hatten die genannten Hauptfragen bejaht, weshalb die Beantwortung von Eventualfragen in Richtung Nötigung und Freiheitsentziehung entfiel.
Dagegen richten sich die Nichtigkeitsbeschwerden des Erst- und Zweitangeklagten aus § 345 Abs 1 Z 5, 6, 8, 10a und 11 [lit] a StPO sowie des Drittangeklagten aus Z 5 und 10a leg cit; der Erstangeklagte macht überdies den Nichtigkeitsgrund nach § 345 Abs 1 Z 1 StPO geltend.
Rechtliche Beurteilung
Zu den Verfahrensrügen (Z 5), den Tatsachenrügen (Z 10a) allgemein und den Rechtsrügen (Z 11 lit a):
In der Hauptverhandlung am 19. November 2010 (ON 1283 S 5 f) ersuchte der Vorsitzende des Schwurgerichtshofs um Stellung allfälliger Beweisanträge am 22. November 2010.
Mit dem Erstangeklagten wurde in der Folge erörtert (ON 1284 S 67 f), ob dieser aufgrund seiner persönlichen Kontakte mit dem Präsidenten der russischen Teilrepublik Tschetschenien Ramzan Ka***** einen Beitrag zur zeugenschaftlichen Vernehmung des Genannten im gegenständlichen Verfahren leisten könnte.
In der Hauptverhandlung am 26. November 2010 (ON 1301 S 9 f) beantragte der Verteidiger des Erstangeklagten (der bereits schriftliche Anträge eingebracht hatte - ON 1286) unter anderem „die zeugenschaftliche Vernehmung des Ramzan Ka*****, Präsident der russischen Teilrepublik Tschetschenien, zum Beweis dafür, dass dieser K***** keinen Mordauftrag oder Überlieferungsauftrag hinsichtlich Umar I***** bestanden [gemeint: erteilt] hat. Weiters zum Beweis dafür, dass K***** bei seinem Aufenthalt in Tschetschenien bis Anfang Jänner 2009 bei dem Treffen mit dem Zeugen in seinem privaten Wohnhaus Gespräche hinsichtlich des erfolgten Wiederaufbaus in Tschetschenien geführt habe und K***** nicht im Auftrag des Zeugen (S 15 der Anklageschrift unten) Informationen über in Österreich aufhältige Landsleute gesammelt und an die tschetschenische Führung übermittelt habe“; „weiters die zeugenschaftliche Vernehmung des Shaa Tu*****, dessen Ladung oder allfällige Vernehmung im Rechtshilfeweg durch die zuständige Behörde der russischen Teilrepublik Tschetschenien vorgenommen werden wolle, zum Beweis dafür, dass ein tschetschenisches Interesse an der Überlieferung des Umar I***** nicht bestand und dass der Grund der Reise nach Österreich im Oktober 2008 medizinische Behandlung/Untersuchung gewesen ist und dass eine solche zwecks Abklärung der Anfertigung einer neuen Beinprothese stattfand. Weiters, dass bei dem Aufenthalt K*****s in Tschetschenien bis im Jänner 2009 das Treffen mit Ka***** von Tu***** arrangiert wurde, da sich K***** über den erfolgten Wiederaufbau in Tschetschenien informieren wollte. Weiters zum Beweis dafür, dass K***** kein Auftrag von diesem zur Überlieferung des Umar I***** nach Tschetschenien mit der Eventualhandlung dessen Ermordung erteilt worden ist.“
Die Verteidiger des Zweit- und des Drittangeklagten äußerten kein derartiges Begehren; der Verteidiger des Drittangeklagten schloss sich „dem Antrag bezüglich der zeugenschaftlichen Vernehmung des Letscha B***** an“ (ON 1301 S 13 f). Ein solcher Antrag war allerdings von keinem der beiden anderen Angeklagten, wohl aber vom Staatsanwalt „zum Beweis der unmittelbaren Täterschaft sowie der Beteiligung von Otto K*****, Suleyman D***** und Turpal-Ali Y*****“ gestellt worden (ON 1301 S 3).
Der Zweitangeklagte ist somit zur Verfahrensrüge (Z 5) gegen die vom Schwurgerichtshof beschlossene „Abweisung der diesbezüglichen Beweisanträge wegen Undurchführbarkeit“ (ON 1354 S 15 - gemeint waren die zum Inhalt eines Rechtshilfeersuchens an die russische Föderation gemachten Anträge, vgl ON 1312, 1319, 1333 und Urgenz ON 1343 sowie ON 1350 S 11 f) schon formell nicht legitimiert (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 309).
Dies gilt gleichermaßen hinsichtlich des Drittangeklagten bezüglich der in der Beschwerde genannten Zeugen Ka*****, Tu***** und S*****; zum Zeugen B***** steht dem Rechtsmittelerfolg das im Hinblick auf den Schuldspruch als erwiesen geltende Beweisthema entgegen (§ 55 Abs 2 Z 3 StPO).
Der Erstangeklagte rügt (Z 5) die - trotz der missverständlichen Protokollierung „Es werden keine weiteren Anträge betreffend Russland oder sonstiges mehr gestellt. Alle bisher gestellten Anträge werden einverständlich nach Umfrage zurückgezogen“ (ON 1354 S 13) ergangene - Entscheidung des Schwurgerichtshofs hinsichtlich der Zeugen Ka***** und „Sa*****“ (gemeint offenbar: Shaa Tu***** - vgl ON 1286 und ON 1301 S 9).
Der Antragsteller versäumte jedoch darzulegen, welchen Beitrag das Beweisthema, von Ramzan Ka***** habe kein „Mordauftrag oder Überlieferungsauftrag hinsichtlich Umar I***** bestanden“, zur Lösung der Schuld- und Subsumtionsfrage hätte leisten können (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 341 mwN). Diese Präzisierungspflicht bestand aufgrund der notorischen politischen Zustände in Tschetschenien nach zwei in jüngster Zeit stattgehabten kriegerischen Auseinandersetzungen mit den entsprechenden Auswirkungen auf das Sozialgefüge insgesamt und die keineswegs in eine bestimmte Richtung festzumachende Gewaltbereitschaft in demselben, zumal das Opfer sich Feinde in nicht nur einem Lager gemacht haben soll. Unter diesem Gesichtspunkt entbehrt auch das erste Beweisthema zum Zeugen Tu***** ausreichender Konkretisierung und überdies der Darlegung, aus welchem Grund dieser Zeuge Auskunft geben könne über ein (unspezifiziertes) „tschetschenisches Interesse“ sowie zur Nichterteilung von Aufträgen Ka***** an K***** betreffend „Überlieferung“ in eventu Ermordung des Umar I*****. Gespräche über den Wiederaufbau in Tschetschenien haben sinnfällig ebenso keinen Bezug zu den angeklagten Straftaten wie ein allfällig an K***** erteilter Auftrag zur Weiterleitung von „Informationen über in Österreich aufhältige Tschetschenen an die tschetschenische Führung“ und mögliche medizinische Gründe der Reise des Shaa Tu***** nach Österreich im Oktober 2008.
Ein Eingehen auf die Überlegungen der Beschwerdeführer zur Durchführbarkeit der Beweisaufnahmen (vgl dagegen überdies die eigene negative Einschätzung des Erstangeklagten ON 1350 S 13) erübrigt sich somit.
Die auf die Niederschrift der Geschworenen (§ 331 Abs 3 StPO) bezugnehmenden Ausführungen der Tatsachenrügen (Z 10a) sind vom Ansatz her verfehlt, weil diese Niederschrift eine Begründung für die Beweiswürdigung darstellt und somit nicht gleichzeitig deren Gegenstand bilden kann (Ratz, WK-StPO § 345 Rz 16 mwN).
Insofern die Rechtsmittelwerber das angebliche Fehlen aktenkundiger Beweisergebnisse für die Schuld der Angeklagten, nicht aber gegen deren Schuld sprechende Umstände relevieren, gelangen die Tatsachenrügen nicht zur prozessförmigen Darstellung und entziehen sich somit meritorischer Erwiderung (13 Os 28/09f, 11 Os 127/09z ua).
Der formelle Nichtigkeitsgrund nach § 345 Abs 1 Z 10a greift seinem Wesen nach erst dann, wenn Beweismittel, die in der Hauptverhandlung vorkamen oder vorkommen hätten können und dürfen, nach allgemein menschlicher Erfahrung gravierende Bedenken gegen die Richtigkeit der im Wahrspruch der Geschworenen festgestellten entscheidenden Tatsachen aufkommen lassen, maW intersubjektiv gemessen an Erfahrungs- und Vernunftsätzen eine unerträgliche Fehlentscheidung qualifiziert nahelegen. Eine über die Prüfung erheblicher Bedenken hinausgehende Auseinandersetzung mit der Überzeugungskraft von Beweisergebnissen - wie sie die Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld des Einzelrichterverfahrens einräumt - wird dadurch nicht ermöglicht. Die Tatsachenermittlung im kollegialgerichtlichen Verfahren bleibt den Richtern erster Instanz vorbehalten, die unter dem Eindruck der unmittelbaren, mündlichen und kontradiktorischen Beweiserhebung entscheiden. Beweiswürdigende Detailerwägungen diesseits der Schwelle erheblicher Bedenklichkeit - wie in Erledigung einer Berufung wegen Schuld - sind dem Obersten Gerichtshof somit verwehrt und auch in einer Tatsachenrüge nicht statthaft (RIS-Justiz RS0118780, RS0119583).
Die Rechtsrügen (Z 11 lit a) des Erst- und des Zweitangeklagten zielen auf die Subsumtion des in den Hauptfragen 7 und 8 enthaltenen Sachverhalts unter § 277 StGB und das Zurücktreten dieser strafbaren Handlung als Vorbereitungsdelikt zu den beiden verurteilten Verbrechen, lassen jedoch eine Auseinandersetzung damit vermissen, dass ein Komplott auf gemeinsame unmittelbare Täterschaft abstellt (vgl Plöchl in WK² § 277 Rz 5 mit Judikaturnachweisen), wovon die Feststellungen zur Schuldspruchgruppe I gerade nicht ausgehen (zum Verhältnis des § 278 Abs 1 StGB zu §§ 75, 103 Abs 1 StGB siehe die Regierungsvorlage zum Strafrechtsänderungsgesetz 2002 1166 der BlgNR XXI. GP, 35 und RIS-Justiz RS0119763 sowie Fabrizy, StGB10 § 278 Rz 5a; vgl aber auch Plöchl in WK² § 278 Rz 65).
Der Verweis des Erstangeklagten darauf, „dass im gesamten Urteil kein Hinweis auf das tatsächlich festgestellte Motiv zur Außerlandesbringung enthalten ist“, ist sinnfällig keine prozessordnungsmäße Darstellung materiellrechtlicher Nichtigkeit.
Zur übrigen Nichtigkeitsbeschwerde des Erstangeklagten:
Aus § 345 Abs 1 (gemeint:) Z 1 StPO bringt der Nichtigkeitswerber vor, „mehrere Geschworene ... [seien] ... bei der Verhandlung nicht völlig unbefangen“ gewesen, weil die Privatbeteiligtenvertreterin „mehrmals mit den Geschworenen und mit dem ermittelten [sic!] Beamten Kaffee getrunken“ habe; überdies habe ein Geschworener „manchmal während der Hauptverhandlung geschlafen“. Dieses Vorbringen ist sachlicher Erwiderung nicht zugänglich, weil aus ihm nicht hervorgeht, dass diese Tatumstände dem Beschwerdeführer erst nach der Hauptverhandlung bekannt geworden wären, er also seiner Rügeobliegenheit (§ 345 Abs 2 StPO) nicht gesetzesgemäß nachkommen konnte.
Aus § 345 Abs 1 Z 5 StPO moniert der Erstangeklagte weiter, er habe „insgesamt vier Mal eine Erklärung anbringen [wollen], was ihm untersagt wurde, und war es ihm in der Sache nicht möglich umfassend und ungehindert auszusagen“. Mangels jedweder Konkretisierung entzieht sich auch diese Rüge der meritorischen Erledigung (vgl RIS-Justiz RS0124172). Die Behauptungen, „es sei zu Verletzungen der Unschuldsvermutung gekommen“, er sei „systematisch beleidigt“ und „mit dem Tode bedroht“ worden, Justizwachebeamte hätten ihm „mitgeteilt, dass er massive Probleme hätte“ und ihn „ausgelacht“, können mit Verfahrensrüge nicht aufgegriffen werden. Nichts anderes gilt für Mutmaßungen des Erstangeklagten über bestimmte Ermittlungen und deren Ergebnisse, die allesamt keine entscheidenden Tatsachen betreffen. Den behaupteten Antrag auf Vorlage von „Originalen ... der Telefongespräche, die der Angeklagte geführt haben soll“ (statt „Excel-Listen“) versäumt der Beschwerdeführer - trotz vieler hunderter Protokollseiten über eine Vielzahl von Verhandlungstagen - auch nur irgendwie zu präzisieren (siehe neuerlich RIS-Justiz RS0124172). Genauso wenig konkret bleibt die Hypothese, „fälschlicherweise [seien] in Protokollen Antworten des Angeklagten festgehalten [worden], welche dieser niemals gegeben hatte“.
Die Fragenrüge (Z 6) lässt eine Ausrichtung am Gesetz vermissen. So behauptet sie im - unerklärten - Widerspruch zu § 12 StGB und unter Außerachtlassung der Möglichkeit nach § 330 Abs 2 zweiter Satz StPO, die „der Anklage zu Grunde liegende strafbare Handlung“ sei „in beiden Fällen Bestimmungstäterschaft“ und „wären daher nur die dem Angeklagten zugeschriebenen rechtlich relevanten Bestimmungshandlungen aufzunehmen und sämtliche rechtlich relevanten Beitragshandlungen wegzulassen gewesen“. Genauso wenig methodisch aus dem Gesetz abgeleitet erweist sich die Rüge des Verweises der Hauptfrage 6 auf die Tathandlung der Hauptfrage 4 (Tötungshandlung durch B*****; vgl allgemein zu Verweisungen Ratz, WK-StPO § 281 Rz 579). Letztlich bleibt der Beschwerdeführer ein Argument dafür schuldig, aus welchem Grund eine „während des Verfahrens vorgelegte Niederschrift“, aus der „ersichtlich ist, dass bereits längst vor der tatsächlichen Ermordung des Herrn I***** Aktivitäten gegen ihn aus seiner Exheimat geplant waren, die in keinstem Zusammenhang mit den hier Angeklagten stehen und standen“, einen „weiteren Milderungsgrund ergeben hätte“, der zu einer Zusatzfrage nach § 316 StPO führen hätte müssen.
Die Belehrungsrüge (Z 8) moniert eine Unrichtigkeit der Information der Geschworenen im Zusammenhang mit der Bestimmung eines „alias facturus“ (vgl die Rechtsbelehrung S 6), ohne allerdings - über die bloße Behauptung der Möglichkeit der „Verwechslung von Bestimmungs- und Beitragshandlungen“ hinaus - fallaktuell darzulegen, inwiefern sich die mitgeteilte Rechtsansicht (psychische Beihilfe als sonstiger Tatbeitrag - vergleiche zur herrschenden Ansicht allerdings RIS-Justiz RS0109797 sowie Fabrizy in WK² § 12 Rz 78) angesichts der konkreten Formulierung der Hauptfrage 6 zum Nachteil des Beschwerdeführers auf die Entscheidung der Geschworenen ausgewirkt haben könnte (Ratz, WK-StPO § 345 Rz 62, 65). Das Vorbringen, „darüber hinaus wird aus der Rechtsbelehrung das Zusammenspiel der vom Schwurgerichtshof gestellten Fragen nicht hinlänglich deutlich“, lässt das Anfechtungsziel im Dunkeln und entzieht sich somit meritorischer Erledigung.
Soweit der Erstangeklagte aus § 345 Abs 1 Z 10a StPO geltend macht, nicht nur am Tattag, sondern auch sonst mit B***** „und vielen anderen Personen“ Telefonate geführt und nicht nur an B*****, sondern auch an andere Personen SIM-Karten verschenkt sowie „Handys an diverse Asylwerber weitergegeben“ zu haben, erweckt er beim Obersten Gerichtshof keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der im Wahrspruch der Geschworenen festgestellten entscheidenden Tatsachen.
Zur übrigen Nichtigkeitsbeschwerde des Zweitangeklagten D*****:
Mit der Behauptung, in der Hauptfrage 1 seien „Sachverhaltselemente, wie die telefonische Kontaktierung des Mitangeklagten Y*****, die mangels Unmittelbarkeit als Vorbereitungshandlungen zu qualifizieren sind und weitere Sachverhaltselemente, die mit dem angefragten Delikt nach §§ 15, 103 StGB weder im sachlichen noch im rechtlichen Zusammenhang stehen“, aufgenommen worden, legt die Interrogationsrüge (Z 6) nicht dar, inwiefern dies eine Verletzung der in den §§ 312 bis 317 StPO enthaltenen Vorschriften darstellen soll (vgl überdies 15 Os 67/92, SSt 61/109 und Fabrizy in WK² § 12 Rz 83). Hinsichtlich der Hauptfrage 4 wird deren Verweis auf die in der Hauptfrage 1 dargestellten Tathandlungen kritisiert: Es läge „auf der Hand, dass weder eine telefonische Kontaktierung des Mitangeklagten am Morgen des 13. 9. 2009 noch eine Repositionierung des Fahrzeuges und das Bereithalten zur Bemächtigung und Überlieferung an eine ausländische Macht ohne weiteres bereits einen Tatbeitrag zur Ermordung des Umar I***** darstellen kann“. Aus welchem Grund jedoch „daher ... die Hauptfrage 4 nicht im Sinne der Vorschrift des § 312 ausgeführt“ sei, lässt die Beschwerde im Dunkeln (zu Verweisen vgl neuerlich Ratz, WK-StPO § 281 Rz 579). Zur Forderung einer Eventualfrage in Richtung eines als Begünstigung zu beurteilenden Sachverhalts bringt der Nichtigkeitswerber lediglich vor, er habe „jegliche Beteiligung an der Ermordung des Umar I***** und jegliche Kenntnis eines diesbezüglichen alternativen Tatplanes durchgehend in Abrede gestellt“. Damit wird aber nicht dargetan, dass in der Hauptverhandlung Tatsachen vorgebracht wurden, wonach die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat unter ein anderes Strafgesetz (hier § 299 Abs 1 StGB) fiele (§ 314 Abs 1 StPO). Nur ein tatsächliches Substrat, nicht jedoch abstrakt denkbare Möglichkeiten und Mutmaßungen können nämlich Gegenstand einer Eventualfrage sein (Fabrizy, StPO11 § 314 Rz 4).
Soweit die Instruktionsrüge (Z 8) moniert, es fehle in der Rechtsbelehrung ein „Hinweis darauf, dass der Beitragstäter seine Beitragshandlungen mit dem Vorsatz erbringen muss, dass der unmittelbare Täter die strafbare Handlung begeht“, orientiert sie sich nicht an der Gesamtheit der den Geschworenen erteilten Information (siehe allgemein zum Vorsatzerfordernis S 1 und im Zusammenhang mit der Beteiligung an einer Straftat S 7 f) und verfehlt somit eine prozessordnungsgemäße Darstellung des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes (Ratz, WK-StPO § 345 Rz 56; 11 Os 107/10b uva). Die Kritik, „die Flucht des Angeklagten mit den übrigen Beteiligten nach der Ermordung des Umar I*****“ sei „rechtlich nicht mehr als Tatbeteiligung am Mord“ zu qualifizieren, übergeht den aus den Hauptfragen 1 und 4 ersichtlichen Tatplan, der auch auf die vor der Tat vereinbarten Modalitäten der vom Angeklagten D***** durch Bereithalten zur Aufnahme der anderen Beteiligten geförderten Flucht nach - mit Blickrichtung auf diese - verübtem Verbrechen gerichtet war (dazu Rechtsbelehrung S 6; vgl Fabrizy in WK² § 12 Rz 87).
Der Hinweis der Tatsachenrüge (Z 10a) auf die Einlassung des Angeklagten D*****, es sei zur Durchsetzung einer Geldforderung eine Entführung des Umar I***** nach Tschechien (und nicht Tschetschenien) geplant gewesen und gäbe es keine Beweise für die Richtigkeit der Angaben des Zeugen (richtig:) Ku*****, dabei habe es sich bloß um einen Vorwand gehandelt, vermag beim Obersten Gerichtshof keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der im Wahrspruch der Geschworenen festgestellten entscheidenden Tatsachen zu erwecken.
Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285 Abs 1, 344 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§§ 285i, 344 StPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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