OGH 11Os138/10v

OGH11Os138/10v16.11.2010

Der Oberste Gerichtshof hat am 16. November 2010 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher, Dr. Schwab, Mag. Lendl und Dr. Bachner-Foregger als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Fries als Schriftführer, in der Strafsache gegen Andreas K***** wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs 2 SMG und anderer strafbarer Handlungen, AZ 072 E Hv 9/10k des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 29. Juni 2010, GZ 072 E Hv 9/10k-32, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Seidl, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 29. Juni 2010, GZ 072 E Hv 9/10k-32, verletzt in dem wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgift nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs 2 SMG ergangenen Schuldspruch (I./) § 37 SMG iVm § 35 Abs 1 SMG.

Dieses - im Übrigen unberührt bleibende - Urteil wird im Umfang des Schuldspruchs I./, demgemäß auch in seinem Strafausspruch samt dem unter einem gefassten Beschluss auf Verlängerung der Probezeit aufgehoben und dem Erstgericht aufgetragen, das Verfahren nach §§ 35 Abs 1, 37 SMG durchzuführen.

Text

Gründe:

Mit - in gekürzter Form ausgefertigtem - Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 29. Juni 2010, GZ 072 E Hv 9/10k-32, das auch Teilfreisprüche vom Vorwurf strafbaren Verhaltens im Sinne des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 (ergänze: achter Fall), Abs 3, Abs 4 Z 1 SMG sowie des Vergehens des sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen nach § 207b Abs 2 StGB enthält, wurde der Angeklagte Andreas K***** des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs 2 SMG (I./) sowie des Vergehens der falschen Beweisaussage nach § 288 Abs 1, Abs 4 StGB (II./) schuldig erkannt und nach § 288 Abs 1 StGB zu einer gemäß § 43 Abs 1 StGB unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen zehnmonatigen Freiheitsstrafe verurteilt. Zugleich wurde vom Widerruf der zu AZ 14 U 24/09i des Bezirksgerichts Josefstadt gewährten bedingten Strafnachsicht abgesehen, jedoch deren Probezeit auf fünf Jahre verlängert. Infolge allseitigen Rechtsmittelverzichts erwuchsen diese Entscheidungen in Rechtskraft (ON 32 S 9).

Der Schuldspruch nach dem Suchtmittelgesetz erfolgte, weil Andreas K***** von einem nicht mehr festzustellenden Zeitpunkt im Jahre 2007 bis zum 18. Dezember 2009 in Wien vorschriftswidrig Suchtgift, nämlich Marihuana erworben und bis zum Eigenkonsum besessen hat.

Rechtliche Beurteilung

Dieser Schuldspruch steht - wie die Generalprokuratur gemäß § 23 Abs 2 StPO zutreffend ausführt - mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Nach § 35 Abs 1 SMG hat die Staatsanwaltschaft unter den in Abs 3 bis Abs 7 leg cit genannten Voraussetzungen und Bedingungen von der Verfolgung einer Straftat nach § 27 Abs 1 und Abs 2 SMG, die ausschließlich für den eigenen persönlichen Gebrauch - wie hier - oder den persönlichen Gebrauch eines anderen begangen worden ist, ohne dass der Beschuldigte daraus einen Vorteil gezogen hat, unter Bestimmung einer Probezeit von einem bis zu zwei Jahren vorläufig zurückzutreten. Unter den gleichen Voraussetzungen hat das Gericht das Strafverfahren nach einem bereits eingebrachten Strafantrag (mit Beschluss) einzustellen (§ 37 SMG).

Im Hinblick auf den Freispruch vom Vorwurf des gewerbsmäßigen Überlassens von Suchtgift an einen Minderjährigen und mit Rücksicht darauf, dass das Urteil (vgl zum Bezugspunkt der Anfechtung Ratz, WK-StPO § 292 Rz 6) keine der Anwendung des § 35 Abs 1 (§ 37) SMG entgegenstehende Umstände erkennen lässt, hätte das Landesgericht für Strafsachen Wien gemäß § 37 SMG nach Einholung der Auskünfte und Stellungnahmen nach § 35 Abs 3 SMG das Vorliegen der Diversionsvoraussetzungen nach § 35 Abs 1 SMG prüfen müssen. Der ohne diese Prüfung erfolgte Schuldspruch steht daher mit dem Gesetz nicht im Einklang, er ist sogar mit Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 10a StPO belastet.

Daran vermögen die gleichzeitige Verurteilung wegen des (mit dem Suchtmittelgesetz nicht im Zusammenhang stehenden) Vergehens der falschen Beweisaussage sowie der Umstand, dass im Tatzeitraum die hinsichtlich der Vorverurteilung durch das Bezirksgericht Josefstadt vom 12. Mai 2009 ausgesprochene Probezeit noch nicht abgelaufen war, nichts zu ändern (RIS-Justiz RS0113621; 15 Os 142/09k mwN).

Aufgrund der aufgezeigten Gesetzesverletzung zum Nachteil des Angeklagten sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst (§ 292 letzter Satz StPO), mit Aufhebung des Schuldspruchs I./, des Strafausspruchs sowie des Beschlusses gemäß § 494a Abs 6 StPO vorzugehen und dem Erstgericht die Durchführung des Verfahrens nach §§ 35 Abs 1, 37 SMG aufzutragen (vgl § 288 Abs 2 Z 2a StPO).

Einer formellen Aufhebung der von den aufgehobenen rechtslogisch abhängigen Entscheidungen und Verfügungen bedurfte es nicht (Ratz, WK-StPO § 292 Rz 28; RIS-Justiz RS0100444).

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