European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E130807
Rechtsgebiet: Strafrecht
Spruch:
Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerden wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in den Schuldsprüchen beider Angeklagten, demgemäß in den Strafaussprüchen (einschließlich der Vorhaftanrechnungen) und in dem die Angeklagte G* S* belastenden Verfallsausspruch aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Wiener Neustadt verwiesen.
Mit ihren Nichtigkeitsbeschwerden und Berufungen werden die Angeklagten auf die kassatorische Entscheidung verwiesen.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil, das einen rechtskräftigen (Teil‑)Freispruch der M* N* von gleichartigen Vorwürfen enthält, wurden G* S* des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 „Abs 2 und“ (vgl jedoch Kirchbacher/Sadoghi in WK2 StGB § 147 Rz 61) Abs 3, 148 zweiter Fall, 15 StGB (I und II) und M* N* eines solchen Verbrechens nach §§ 146, 147 (richtig:) Abs 3, 148 zweiter Fall StGB (I) schuldig erkannt.
[2] Danach haben sie „mit dem Vorsatz, durch das Verhalten des Getäuschten sich unrechtmäßig zu bereichern, K* F* durch Täuschung über Tatsachen, nämlich die Vorspiegelung ihrer Rückzahlungsfähigkeit und Rückzahlungswilligkeit sowie unter Vorspiegelung erfundener Notsituationen, in zahlreichen Angriffen zu Handlungen, die diesen am Vermögen schädigten,
I) verleitet, und zwar im Zeitraum 16. September 2013 bis zum 17. Juli 2015 G* S* alleine und in der Folge G* S* und M* N* im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter bis zumindest 18. Jänner 2020 in O* und anderen Orten zur Übergabe von Bargeld und Durchführung einer Vielzahl von Überweisungen an sie in mehrfach jeweils 5.000 Euro übersteigender Höhe,
II) zu verleiten versucht, und zwar G* S* zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt zu Beginn des Jahres 2020 von Rumänien aus zur Überweisung von weiteren Geldbeträgen in nicht mehr feststellbarer Höhe, wobei es beim Versuch blieb, weil K* F* der Aufforderung nicht nachkam,
wobei sie durch die Tat einen insgesamt 300.000 Euro übersteigenden Schaden herbeiführten und den schweren Betrug nach § 147 Abs 2 StGB gewerbsmäßig begingen bzw zu begehen suchten“.
Rechtliche Beurteilung
[3] Dagegen richten sich jeweils auf Z 3, 5, 5a, 10, von G* S* zusätzlich auf Z 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerden beider Angeklagten.
[4] Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerden überzeugte sich der Oberste Gerichtshof (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO), dass den Schuldsprüchen nicht geltend gemachte, zum Nachteil der Angeklagten wirkende, daher amtswegig wahrzunehmende materielle Nichtigkeit anhaftet:
[5] Neben der in § 70 Abs 1 StGB umschriebenen Absicht (vgl US 6) erfordert die rechtliche Annahme gewerbsmäßiger Begehung das Vorliegen einer Variante der in § 70 Abs 1 Z 1 bis Z 3 StGB normierten Kriterien, wobei fallbezogen ausschließlich § 70 Abs 1 Z 3 erster Fall StGB in Betracht zu ziehen ist.
[6] Z 3 erster Fall des § 70 Abs 1 StGB verlangt, dass der Täter bereits zwei solche Taten begangen hat, wobei – soweit hier wesentlich – eine frühere Tat außer Betracht bleibt, wenn seit ihrer Begehung bis zur folgenden Tat mehr als ein Jahr vergangen ist (§ 70 Abs 3 erster Satz StGB in der zufolge § 61 StGB auch auf Taten vor dem 1. Jänner 2016 anzuwendenden Fassung des StRÄG 2015; RIS‑Justiz RS0130850 [T1]).
[7] Nach den Feststellungen zum Schuldspruchpunkt I „überwies bzw übergab“ K* F* „im Zeitraum zwischen 16. September 2013 und 18. Jänner 2020“ „die in ON 2 auf den AS 17, AS 19, AS 21, AS 23 und AS 26 und AS 27 genannten Geldbeträge an G* S*, wobei es sich regelmäßig auch um 5.000 Euro übersteigende Beträge und insgesamt einen Betrag in der Höhe von 496.213,80 Euro, der selbst im Zeitraum beginnend mit der Beteiligung von M* N* mit 17. Juli 2015 einen Betrag in der Höhe von 300.000 Euro überstieg, handelte“ (US 5 f).
[8] Diese Feststellungen lassen mangels Angabe konkreter Zeitpunkte und Anzahl der Tathandlungen keine Aussage hinsichtlich der maßgeblichen Jahresfrist zu (§ 70 Abs 3 StGB).
[9] Bleibt im Übrigen anzumerken, dass bei Beteiligung mehrerer nur jene diese Qualifikation erfüllen, die in der Absicht handeln, sich selbst durch die wiederkehrende Begehung längere Zeit hindurch ein nicht bloß geringfügiges fortlaufendes Einkommen zu verschaffen (Kirchbacher/Sadoghi in WK2 StGB § 148 Rz 2 – vgl demgegenüber US 6, wonach die Angeklagten „wussten, dass sie sich dadurch bzw zumindest [der] G* S* einen ihnen nicht zustehenden Vermögensvorteil verschaffen“).
[10] Der aufgezeigte Rechtsfehler mangels Feststellungen führt zur Aufhebung der rechtlichen Unterstellung der zum Schuldspruch I angelasteten Taten unter die Qualifikation nach § 148 zweiter Fall StGB (§ 281 Abs 1 Z 10 StPO) und zieht zudem die gänzliche Kassation dieses Schuldspruchs nach sich:
[11] Strafbarkeitsvoraussetzungen wie (hier:) das Nichtvorliegen der Verjährung sind bei Tatmehrheit für jede Tat gesondert zu prüfen, woran auch die Anwendung des Zusammenrechnungsgrundsatzes nach § 29 StGB nichts ändert (RIS‑Justiz RS0132829; RS0128998; Marek in WK² StGB § 57 Rz 12). Ob eine Tat verjährt ist, richtet sich grundsätzlich nach dem im Entscheidungszeitpunkt geltenden Recht, nach früherem Recht nur dann, wenn Verjährung bereits unter dessen Geltung eingetreten war, der Täter also bereits nach früherem Recht straflos wurde (Marek in WK² StGB § 57 Rz 23; RIS-Justiz RS0072368; RS0116876).
[12] Nach den oben wiedergegebenen Konstatierungen veranlassten die Angeklagten im Zeitraum zwischen 16. September 2013 und 18. Jänner 2020 im Zuge einer Mehrzahl von – darunter auch auf Beträge von über 5.000 Euro gerichteten – Einzelakten K* F* betrügerisch zur Überweisung bzw Übergabe von insgesamt 496.213,80 Euro.
[13] Die Frage der Verjährung ist demnach in Ansehung einer ungewissen Zahl von den Vergehen des Betrugs nach § 146 StGB und des schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 2 StGB mit (seit dem Tatzeitraum unveränderten) Strafdrohungen von Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen (Verjährungsfrist nach § 57 Abs 3 StGB: ein Jahr) bzw von bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe (Verjährungsfrist nach § 57 Abs 3 StGB: fünf Jahre) subsumierbaren Taten zu prüfen.
[14] Das Fehlen von Feststellungen zu den konkreten Zeitpunkten der betrügerischen Angriffe und zum Ausmaß der jeweils täuschungsbedingt veranlassten Vermögensschäden sowie von – deshalb erforderlichen – Konstatierungen zu die Verjährung im Ablauf (§ 58 Abs 2 StGB) oder im Fortlauf (§ 58 Abs 3 Z 2 StGB) hemmenden Umständen (Marek in WK² StGB § 58 Rz 1 f) macht die (implizite rechtliche) Annahme der Beseitigung dieses Ausnahmesatzes unschlüssig (Z 9 lit b; vgl RIS‑Justiz RS0122332 [T1 und T6, T11]).
[15] Dem Schuldspruch II haftet ebenso ein Rechtsfehler mangels Feststellungen (Z 9 lit a) an, weil das Urteil diesbezüglich keine Konstatierungen zur subjektiven Tatseite der G* S* enthält.
[16] Die aufgezeigten Konstatierungsdefizite erfordern – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – die Aufhebung der Schuldsprüche, demzufolge der Strafaussprüche (einschließlich der Vorhaftanrechnungen) und des die Angeklagte G* S* belastenden Verfallsausspruchs hinsichtlich 300.000 Euro (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall iVm § 285e StPO).
[17] Im Umfang der Aufhebung war die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Wiener Neustadt zu verweisen (§ 288 Abs 2 Z 3 zweiter Satz StPO). Damit erübrigt sich ein Eingehen auf das Beschwerdevorbringen.
[18] Mit ihren Nichtigkeitsbeschwerden und Berufungen waren die Angeklagten auf die kassatorische Entscheidung zu verweisen. Eine Kostenersatzpflicht entfällt (Lendl, WK-StPO § 390a Rz 12).
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