OGH 11Os132/02

OGH11Os132/0222.10.2002

Der Oberste Gerichtshof hat am 22. Oktober 2002 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kuch als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ebner, Dr. Habl, Dr. Zehetner und Dr. Danek als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Teffer als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Johann St***** wegen des Verbrechens der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 19. März 2002, GZ 22 Hv 2/02i-44, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil in der Unterstellung der zu A./1./ bezeichneten Tatsachen auch unter Abs 2 zweiter Fall des § 202 StGB sowie im Strafausspruch und im Zuspruch an die Privatbeteiligte Petra W***** gemäß § 290 Abs 1 StPO aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht verwiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Gemäß § 390a StPO fallen ihm die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Johann St***** der Verbrechen (zu A./1./) der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 (richtig: Abs 1 und) Abs 2 zweiter Fall StGB und (zu A./2./) des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB, sowie (zu B./) des Vergehens des Diebstahls nach § 127 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er in Graz

A./ in der Zeit vom 11. März 2001, 23.00 Uhr, bis 12. März 2001, 01.00 Uhr, im Lokals "Tenniscenter Sunshine" Petra W***** l./ außer den Fällen des § 201 StGB mit schwerer gegen sie gerichteter Gewalt zur Duldung geschlechtlicher Handlungen genötigt und hiedurch längere Zeit in einen qualvollen Zustand versetzt, indem er

a./ ihr ein Messer an den Hals ansetzte, sie von der Theke zu einem Sessel zerrte, sie in diesen hineindrückte, ihre Brüste entblößte und betastete, wobei er das Messer in der Hand hielt;

b./ sie von der Theke in Richtung Herrengarderobe zerrte, dort aufforderte, sich zu entkleiden, mit einem mitgeführten großen Küchenmesser auf die jeweils abzulegenden Kleidungsstücke zeigte, einen Stich in Richtung ihres Oberkörpers andeutete, und, als sie nackt war, ihre Brüste betastete;

c./ sie von der Theke zur Squash-Box zerrte, ihren Oberkörper entkleidete, sie mit beiden Händen fest an den Brüsten betastete, ihre Hose öffnete, mit einer Hand in ihre Unterhose zu ihren Schamlippen fuhr und diese betastete, während er sie mit der anderen Hand am Oberarm festhielt;

d./ sie zur Tür der Damengarderobe drängte, im Bereich der Brust und der Scheide über der Kleidung berührte, wobei er sie im Bereich des Oberarmes festhielt;

2./ mit Gewalt zur Herausgabe der Tageslosung des "Tenniscenters Sunshine" in der Höhe von ca 2.400 S (174,41 EUR) genötigt, indem er sie nach der zu Punkt l./c./ angeführten Tat, sohin unter dem Eindruck der unmittelbar vorangegangenen Gewalt, nachdrücklich aufforderte, ihm nun das Geld des Tenniscenter zu übergeben und sie zum Aufbewahrungsort des Geldes drängte;

B./ am 10. November 2000 Brigitte K***** ein Mobiltelefon der Marke Nokia 3210 im Wert von 3.000 S (218,02 EUR) mit dem Vorsatz weggenommen, sich durch dessen Zueignung unrechtmäßig zu bereichern. Er wurde hiefür nach §§ 28, 142 Abs 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe und gemäß § 369 Abs 1 StPO zur Bezahlung von 2.000 EUR "Teilschmerzensgeld" an die Privatbeteiligte Petra W***** sowie von 200 EUR an die Privatbeteiligte Brigitte K***** verurteilt. Gegen den Schuldspruch richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5, 5a, 9 lit b und 10 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

Rechtliche Beurteilung

Die Mängelrüge (Z 5) behauptet zu A./ eine unzureichende Begründung der Feststellungen zur Zurechnungsfähigkeit des Angeklagten. Das Schöffengericht hat dem zuwider seine Annahme, dass die vom Angeklagten vor der Tat eingenommene Antabus-Tablette in Zusammenhang mit dem konsumierten Alkohol keinen die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Rauschzustand herbeigeführt hat, eingehend begründet und sich dabei ohne Verstoß gegen die Grundsätze logischen Denkens insbesonders auf das vom Tatopfer beschriebene objektive Verhalten des Angeklagten im Tatzeitraum und das Gutachten des medizinischen Sachverständigen gestützt (US 15 ff), aber auch die Aussagen der Zeugen L*****, O***** und L***** sowie die Verantwortung des Angeklagten berücksichtigt (US 17). Die Beschwerde kritisiert mit dem Herausstellen einzelner Zitate aus der Verantwortung des Angeklagten, der Aussage des Zeugen L***** und dem Gutachten des Sachverständigen demgemäß lediglich in unzulässiger Form die Beweiswürdigung des Kollegialgerichts.

Die Tatsachenrüge (Z 5a) lässt zu A./ mit dem Verweis auf die Angaben des Zeugen O***** über das Verhalten des Angeklagten nach seiner Festnahme die Urteilsannahmen eines "erheblichen Nachtrunks" (US 17) gänzlich außer Acht und vermag auch mit eigenen beweiswürdigenden Promille-Berechnungen keine sich aus den Akten ergebenden erheblichen Bedenken des Obersten Gerichtshofs gegen die Richtigkeit der die Zurechnungsfähigkeit betreffenden Tatsachenfeststellungen zu wecken. Zu B./ bekämpft die Beschwerde unter dem genannten Nichtigkeitsgrund wiederum unverhohlen die Beweiswürdigung nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung, indem sie fordert, die Tatrichter hätten aus der Aussage der Zeugin K***** (zum alleinigen Gelegenheitsverhältnis) den Schluss ziehen sollen, dass für die Täterschaft des Angeklagten "kein eindeutiger Beweis erbracht werden konnte" (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 491). Die Rechtsrüge nach Z 9 lit b orientiert sich (zu A./1./) nicht an den Urteilsfeststellungen zur Zurechnungsfähigkeit (US 14), sondern bestreitet diese, sodass es ihr mangels Vergleichs des angefochtenen Urteils mit dem darauf anzuwendenden Gesetz an einer prozessordnungsgemäßen Ausführung fehlt (Ratz aaO Rz 593; Mayerhofer StPO4 § 281 E 30).

Ebenso vernachlässigt die Beschwerde (Z 10) zu A./2./ mit der Forderung nach Unterstellung der Tat unter § 142 Abs 2 StGB die Urteilsfeststellungen über den (nicht geringen) Wert der Beute in der Höhe von ca. 2.400 S, entsprechend 174,41 EUR.

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde war festzustellen (§ 290 Abs 1 StPO), dass das Urteil zur Qualifikation nach Abs 2 zweiter Fall des § 202 StGB einen - in dieser Form nicht geltend gemachten - Rechtsfehler mangels Feststellungen (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 605, 611) enthält. Die bloße Verwendung der verba legalia, das Tatopfer sei "längere Zeit" in einen "qualvollen" Zustand versetzt worden, lässt im konkreten Fall die getroffene rechtliche Beurteilung noch nicht zu, zumal sich der im Urteil konkret angeführte Zeitraum von etwa zwei Stunden nur auf Beginn und Ende der (insgesamt vier) Angriffshandlungen des Angeklagten iSd § 202 Abs 1 StGB bezieht, zwischen denen aber auch mehrere Gespräche desselben mit seinem Opfer stattfanden, wobei der Angeklagte zeitweise "wieder einen völlig geordneten Eindruck" (US 10) machte.

Ein qualvoller Zustand iSd angenommenen Qualifikation sind Schmerzen, Leiden, Angstzustände oder Depressionen von besonderer Intensität - zB Todesangst - (Schwaighofer in WK2 § 106 Rz 10), also wenn das Opfer peinigende, schwere körperliche oder seelische Beeinträchtigungen erleidet (Schick in WK2 § 201 Rz 45; vgl auch Eder-Rieder in WK2 § 145 Rz 4). Der Begriff "längere Zeit" wiederum lässt sich nicht exakt zeitlich bestimmen, sondern ist in Relation zum Ausmaß der Qual zu sehen (Judikaturbeispiele bei Schwaighofer aaO Rz 11).

Es war daher das Urteil mangels hinreichender Tatsachenfeststellungen im angeführten Umfang (wegen des unmittelbaren Sachzusammenhangs auch in seinem auf die psychische Beeinträchtigung des Opfers gestützten [US 22] Privatbeteiligtenzuspruch) aufzuheben und die diesbezügliche Verfahrenserneuerung anzuordnen.

Im Übrigen war die Nichtigkeitsbeschwerde teils als offenbar unbegründet, teils als nicht gesetzmäßig ausgeführt, zurückzuweisen (§ 285 d Abs 1 StPO).

Das Erstgericht wird im zweiten Rechtsgang - erforderlichenfalls nach Beiziehung eines Sachverständigen - Feststellungen darüber zu treffen haben, ob und bejahendenfalls welche peinigende schwere Beeinträchtigung physischer oder psychischer Natur die Zeugin W***** durch die Tat des Angeklagten erlitten und für welchen Zeitraum diese angehalten hat.

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