OGH 11Os128/96

OGH11Os128/965.11.1996

Der Oberste Gerichtshof hat am 5. November 1996 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Lachner als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Massauer, Dr. Schindler, Dr. Mayrhofer und Dr. Schmucker als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Riedler als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Günter L***** wegen des Verbrechens der gleichgeschlechtlichen Unzucht mit Personen unter achtzehn Jahren nach § 209 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 8. Februar 1996, GZ 8 a Vr 14.898/93-42, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

I. Der Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das im übrigen (hinsichtlich der Inlandstaten) unberührt bleibt, im Schuldspruch, wonach der Angeklagte als bereits Erwachsener gleichgeschlechtliche Unzucht mit Personen, die das vierzehnte, aber noch nicht das achtzehnte Lebensjahr vollendet hatten, auch im Ausland (Ungarn, Tschechien, Slowakei, Italien und Niederlande) begangen habe, sowie demgemäß auch im Strafausspruch aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Erstgericht verwiesen.

II. Im übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde zurückgewiesen.

III. Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf die Entscheidung zu

I verwiesen.

IV. Dem Angeklagten fallen auch die auf den erfolglos gebliebenen Teil seiner Nichtigkeitsbeschwerde entfallenden Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Günter L***** des Verbrechens der gleichgeschlechtlichen Unzucht mit Personen unter achtzehn Jahren nach § 209 StGB schuldig erkannt. Darnach hat er ab dem Jahre 1989 bis zum 18.Mai 1994 in Wien sowie im Ausland (Ungarn, Tschechien, Slowakei, Italien und Niederlande) als Person männlichen Geschlechtes nach Vollendung des neunzehnten Lebensjahres in nicht näher feststellbarer, jedenfalls häufiger Wiederholung mit einer nicht näher feststellbaren Vielzahl nicht ausforschbarer Personen, die das vierzehnte, aber noch nicht das achtzehnte Lebensjahr vollendet hatten, gleichgeschlechtliche Unzucht getrieben, indem er mit ihnen teils Handverkehr, teils Mundverkehr durchführte.

Rechtliche Beurteilung

Diesen Schuldspruch bekämpft der Angeklagte mit Nichtigkeitsbeschwerde, die er (nominell) auf die Z 3, 4, 5, 5 a und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO stützt.

Soweit sich der Angeklagte gegen den Schuldspruch wegen gleichgeschlechtlicher Unzucht mit Personen unter achtzehn Jahren im Ausland unter Geltendmachung der Nichtigkeitsgründe nach Z 4 und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO wendet, ist die Beschwerde im Recht.

Wegen dieser Straftaten kann nämlich der Angeklagte als österreichischer Staatsbürger im Inland nur nach Maßgabe des § 65 StGB strafrechtlich verfolgt werden, somit nach Lage des Falles nur dann, wenn die Taten auch nach den Gesetzen des Tatorts mit Strafe bedroht sind und die Strafbarkeit der Tat nach den Gesetzen des Tatorts noch nicht erloschen ist. Diese im § 65 Abs 1 und Abs 4 Z 1 StGB genannten Voraussetzungen hat das Erstgericht ersichtlich nicht geprüft und demnach dazu auch keine Feststellungen getroffen. Der Hinweis auf eine - allenfalls die Beweiserhebung ersetzende - "diesbezügliche Gerichtskundigkeit" vermag angesichts der notorisch unterschiedlichen Strafrechtsregelungen homosexuellen Umgangs erwachsener Männer mit jüngeren gleichgeschlechtlichen Unzuchtspartnern in Österreich und den hier in Rede stehenden Staaten, insbesonders auch in Ansehung des jeweiligen Schutzalters betroffener Jugendlicher, die insoweit fehlenden, einer Nachprüfung zugänglichen Feststellungen nicht zu ersetzen (vgl Foregger/Kodek, StPO6 § 258 Erl VII).

Wegen dieses Feststellungsmangels ist daher hinsichtlich des Schuldspruchs wegen gleichgeschlechtlicher Unzucht des Angeklagten mit Personen unter achtzehn Jahren in den im Urteilsspruch genannten fünf Staaten eine Verfahrenserneuerung unumgänglich.

Insoweit war daher der Nichtigkeitsbeschwerde Folge zu geben und mit teilweiser Urteilsaufhebung sowie Rückverweisung an die erste Instanz vorzugehen (§ 285 e StPO).

Im übrigen kommt der Nichtigkeitsbeschwerde jedoch keine Berechtigung zu.

Aus den Nichtigkeitsgründen der Z 3 und 4 des § 281 Abs 1 StPO wendet sich der Angeklagte gegen die Verlesung der bei ihm sichergestellten "tagebuchartigen Kalenderaufzeichnungen" und deren Verwertung im Urteil.

Mit seinen - auf deutsche Judikatur gestützten - Beschwerdeausführungen, wonach Tagebuchaufzeichnungen vom Gericht außer zur Aufklärung schwerster Straftaten nicht verwertet werden dürfen, stellt der Beschwerdeführer nicht auf die österreichischen Prozeßgesetze ab. Vielmehr übersieht er, daß Kalenderaufzeichnungen (mögen sie auch in tagebuchartiger Form gehalten sein) nicht zu den im § 252 Abs 1 StPO aufgezählten amtlichen Protokollen und Schriftstücken gehören, in denen Aussagen festgehalten sind und die bei sonstiger Nichtigkeit (nach § 281 Abs 1 Z 3 StPO) nur in den dort genannten und hier nicht vorliegenden Ausnahmsfällen verlesen werden dürfen, sondern als Urkunden und Schriftstücke anderer Art, die für die Sache von Bedeutung sind, gemäß § 252 Abs 2 StPO sogar vorgelesen werden müssen, wenn nicht beide Teile darauf verzichten. Tagebuchaufzeichnungen fallen somit auch nicht unter ein Beweismittelverbot und können daher, wenn sie in der Hauptverhandlung vorgelesen worden sind (§ 258 Abs 1 StPO), auch im Urteil verwertet werden.

Die Bekämpfung der Verwertung der Tagebuchaufzeichnungen des Angeklagten aus dem Grund des § 281 Abs 1 Z 4 StPO scheitert überdies daran, daß sich der Angeklagte der Verlesung nicht widersetzt hat (438), sodaß es schon an der prozessualen Voraussetzung dieser Verfahrensrüge, nämlich an einem gegen den Antrag oder Widerspruch des Beschwerdeführers gefällten Zwischenerkenntnis des Erstgerichtes gebricht.

In der Mängelrüge (Z 5) vertritt der Angeklagte vorerst mit Bezugnahme auf § 260 StPO die Ansicht, daß mangels konkreter Bezeichnung der Tatopfer das Urteil nicht deutlich ausspreche, welcher Tat er schuldig befunden worden sei. Der damit der Sache nach geltend gemachte Nichtigkeitsgrund nach § 281 Abs 1 Z 3 iVm § 260 Abs 1 Z 1 StPO (vgl Mayerhofer/Rieder, StPO3 § 281 Z 3 E 41), liegt jedoch nicht vor. Denn die Bezeichnung der Tat im Urteilsspruch dient nur ihrer Individualisierung, um solcherart eine nochmalige Verfolgung des Angeklagten wegen dieser Tat auszuschließen. Bei der im gegenständlichen Fall vorliegenden Straftat durch gleichgeschlechtliche Unzucht mit Personen unter achtzehn Jahren ist aber mangels weiterer Aufklärungsmöglichkeit dem Erfordernis der Individualisierung schon dann entsprochen, wenn die gleichartigen Taten im Urteil örtlich (in Wien) und zeitlich (ab dem Jahre 1989 bis zum 18. Mai 1994) umgrenzt und die Art ihrer Ausführung (teils Hand-, teils Mundverkehr) sowie die Deliktsobjekte generell bezeichnet werden, zumal deren namentliche Anführung für die rechtliche Beurteilung der Tat ohne Belang ist (vgl Mayerhofer/Rieder, aaO, § 260 E 32 und 42 ff). Demgemäß entspricht der Urteilsspruch den Kriterien des § 260 Abs 1 Z 1 StPO, weil danach eine nochmalige Verfolgung des Angeklagten wegen gleichgeschlechtlicher Unzuchtshandlungen mit männlichen Jugendlichen im Alter unter achtzehn Jahren während des im Urteilsspruch angegebenen Tatzeitraumes ausgeschlossen ist.

Dem Urteil haftet aber auch im Ausspruch, daß es im Tatzeitraum in Wien zu einer Vielzahl, zahlenmäßig allerdings nicht genau feststellbarer homosexueller Handlungen des bereits erwachsenen Angeklagten mit Jugendlichen unter achtzehn Jahren gekommen ist, kein Begründungsmangel in der Bedeutung des § 281 Abs 1 Z 5 StPO an:

Bei Würdigung der Kalendereintragungen, in denen der Angeklagte in hunderteinundsechzig Fällen homosexueller Kontakte das Alter der Unzuchtsopfer mit unter achtzehn Jahren festhielt, hat das Erstgericht - dem Beschwerdevorbringen zuwider - ohnehin der Verantwortung des Angeklagten Rechnung getragen, wonach ihm hinsichtlich dieser Altersangaben fallweise ein Irrtum unterlaufen sein könnte und es sich auch teilweise um "konstruierte" Kalenderaufzeichnungen handle, indem es nicht von insgesamt hunderteinundsechzig Tathandlungen des Angeklagten im In- und Ausland ausging, sondern von einer numerisch nicht erfaßbaren, an die Kalendereintragungen aber heranreichenden Vielzahl derartiger Handlungen, und zwar überwiegend im Inland und in wenigen Fällen im Ausland (vgl US 4 bis 6). Diese den Denkgesetzen und der allgemeinen Lebenserfahrung entsprechende Begründung ist im Hinblick auf das grundsätzliche Eingeständnis des Angeklagten in der Hauptverhandlung, homosexuelle Beziehungen mit Burschen "im Alter zwischen vierzehn und achtzehn Jahren" gehabt (376 oben, 433 ff) und nur in Einzelfällen erfundene Tathandlungen in seinen Kalendern eingetragen zu haben (435), zureichend im Sinn des § 270 Abs 2 Z 5 StPO.

Die Feststellung, wonach vom Vorsatz (§ 5 Abs 1 StGB) des Angeklagten auch das Alter seiner jugendlichen Unzuchtsopfer umfaßt war (US 4), hat das Erstgericht dem weiteren Inhalt der Mängelrüge zuwider keineswegs nur mit der vom Angeklagten zugestandenen gleichgeschlechtlichen Neigung begründet, sondern mit dem zutreffenden Hinweis auf dessen diesbezüglich geständige Verantwortung (US 6, vgl nochmals 376 oben, 433). Diese Begründung ist im Zusammenhang mit den vom Erstgericht gleichfalls in den Kreis seiner Überlegungen einbezogenen Altersangaben in den Kalenderaufzeichnungen des Angeklagten mängelfrei.

In der Tatsachenrüge vermag der Angeklagte Bedenken im Sinn der Z 5 a des § 281 Abs 1 StPO gegen die Richtigkeit der erstgerichtlichen Feststellungen nicht zu erwecken. Insbesondere ist nicht nachvollziehbar, weshalb die sich zu seinen Gunsten auswirkende Annahme des Erstgerichtes, wonach er in einem Fall (Kalenderaufzeichnungen am 11. und 17. Oktober 1989) das Alter eines bereits mündigen Unzuchtspartners irrtümlich mit bloß dreizehn Jahren eingeschätzt habe, die Tatrichter zur Schlußfolgerung hätte zwingen müssen, daß der Angeklagte daher in allen vom Urteilsspruch umfaßten Straftaten das Alter seiner nach der Beschwerdeannahme bereits älteren homosexuellen Partner irrtümlich als unter achtzehn Jahren gelegen angenommen habe. Aufgrund der Kalenderaufzeichnungen vom 11. Oktober 1989 ("Hallenbad Floridsdorf, Martin 13 J., 2mal, absolute Spitzenklasse, vgl 377) bestehen zudem keine Bedenken gegen die erstgerichtliche Feststellung, daß der Angeklagte auch mit diesem - wie das Gericht hinsichtlich des Alters zugunsten des Angeklagten angenommen hat - bereits mündigen Unzuchtspartner Mund- oder Handverkehr vorgenommen und diesen nicht bloß (wie vom Angeklagten in der Hauptverhandlung behauptet, vgl 436) beim Handverkehr beobachtet hat.

In diesem Umfang war daher die Nichtigkeitsbeschwerde gemäß § 285 d Abs 1 StPO gleichfalls schon bei einer nichtöffentlichen Beratung zurückzuweisen.

Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390 a StPO.

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