Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.
Den Berufungen wird nicht Folge gegeben.
Gemäß dem § 390 a StPO fallen der Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde die am 29.April 1961 geborene Gabriela (auch Gabriele) K*** aufgrund des Wahrspruches der Geschwornen des Verbrechens der Körperverletzung mit tödlichem Ausgang nach den §§ 83 Abs. 1, 86 StGB (1.) und des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB (2.) schuldig erkannt. Darnach verletzte sie vorsätzlich 1. am 23.November 1985 in Stockerau ihren Lebensgefährten Ernst P*** durch Versetzen mehrerer Stiche mit einem Küchenmesser (Klingenlänge ca. 15 cm), wobei ein Stich das Herz und die Hauptschlagader mehrfach durchsetzte und die Tat den Tod des Geschädigten zur Folge hatte; 2. am 20.November 1985 in Wien den Mohssen A*** durch einen Faustschlag in das Gesicht, wodurch ein peripherer Netzhautdefekt des linken Auges entstand.
Die Geschwornen verneinten die Hauptfrage 1 nach Mord, sowie die Eventualfragen 2 und 3 nach Totschlag und absichtlicher schwerer Körperverletzung mit Todesfolge, hingegen bejahten sie die Eventualfrage 4 nach Körperverletzung mit tödlichem Ausgang; die Zusatzfragen 5 und 6 nach Notwehr bzw. nach Putativnotwehr verneinten sie, sodaß eine Beantwortung der Eventualfragen 7, 8 und 9 (betreffend fahrlässige Annahme einer Notwehrsituation, Notwehrüberschreitung und Putativnotwehrüberschreitung) zu unterbleiben hatte. Die das Urteilsfaktum 2. betreffende Hauptfrage 10 wurde von den Geschwornen bejaht.
Mit ihrer auf den § 345 Abs. 1 Z. 5 und 8 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde bekämpft die Angeklagte Gabriela K*** Punkt 1. des Schuldspruches und den zugrundeliegenden Wahrspruch der Geschwornen.
Aus dem erstbezeichneten Nichtigkeitsgrund rügt die Beschwerdeführerin die Abweisung ihres Antrags auf Verhängung einer Beugestrafe über Ingrid H*** gemäß § 160 StPO und auf Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens über diese Zeugin zum Beweis ihrer Aussagefähigkeit sowie zum Beweis der Richtigkeit der Darstellung der Angeklagten zum Tathergang (vgl. Band II, S. 20; 31, 32; 47).
Ein Fall des § 160 StPO, welcher den Vorsitzenden des Schwurgerichtshofes berechtigt hätte (§ 248 Abs. 1 StPO), die Zeugin Ingrid H*** durch Verhängung einer Beugestrafe bis zu 5.000 S und bei weiterer Weigerung durch Verhängung einer Beugehaft bis zu sechs Wochen zur Ablegung der Zeugenaussage zu verhalten, lag indes nicht vor. Voraussetzung für eine derartige Zwangsmaßnahme ist es, daß ein Zeuge sich ohne gesetzlichen Grund weigert, eine Aussage abzulegen, einen vorgeschriebenen Zeugeneid zu leisten oder einzelne Fragen des Gerichtes zu beantworten. Die Zeugin Ingrid H*** gab zwar auf solche Fragen zum Teil keine klaren und verständlichen Antworten und schwieg zum Teil überhaupt. Sie berief sich zur Erklärung ihres Verhaltens jedoch darauf, sich an den Tathergang nicht mehr oder nicht mehr im Detail erinnern zu können (vgl. Band II S. 12 ff., 22 ff.). Inwieweit sie hiebei selbst wahrgenommene und ihr erinnerliche Tatumstände bewußt verschwieg und falsch aussagte, oblag ausschließlich der Beurteilung der Geschwornen. Es kann jedoch nicht gesagt werden, daß die Zeugin sich ihrer Zeugenpflicht auf eine Weise entzog, welche die Anwendung von Zwangsmitteln nach § 160 StPO gestattete.
Rechtliche Beurteilung
Hinzu kommt, daß nach den §§ 160, 248 Abs. 1 StPO das Gericht zwar das Recht hat, gegen einen ungehorsamen Zeugen Zwangsmaßnahmen zu ergreifen, aber nicht unter allen Umständen verpflichtet ist, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen; vielmehr kann es sich bei unberechtigter Zeugnisverweigerung mit einer Verlesung von Zeugenaussageprotokollen begnügen (§ 252 Abs. 1 Z. 3 StPO). Im vorliegenden Fall ergab eine vom Vorsitzenden des Schwurgerichtshofs angeordnete Untersuchung der Ingrid H*** durch den gerichtspsychiatrischen Sachverständigen Prim.Dr.Heinrich Gross, daß die Zeugin zwar an sich wahrnehmungs- und aussagefähig, aber aufgrund einer hysterischen Schockreaktion nicht in der Lage ist, vor einem größeren Personenkreis zu sprechen und die Ereignisse so wiederzugeben, wie sie dies vor der Sicherheitsdirektion für Niederösterreich, beim Untersuchungsrichter und, inhaltlich übereinstimmend mit ihren Angaben im Vorverfahren, vor dem psychiatrischen Sachverständigen tat (vgl. Band II S. 21 f.). Der Schwurgerichtshof konnte daher mit Grund davon ausgehen, daß eine neuerliche zeugenschaftliche Vernehmung der Ingrid H*** nach Anwendung von Beugemitteln keinen weiteren wesentlichen Beitrag zur Wahrheitsfindung hätte erwarten lassen.
Warum die Erstattung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens nach einer Vertagung der Hauptverhandlung geeignet sein sollte, in der Frage der Wahrnehmungs- und Wiedergabefähigkeit der Zeugin zu einem anderen Ergebnis zu führen oder neue Entscheidungsgrundlagen zur Beurteilung der Richtigkeit der im Vorverfahren gegebenen Sachverhaltsdarstellung zu schaffen, ist auch den Beschwerdeausführungen nicht zu entnehmen. Zudem ist es, wie der Schwurgerichtshof zutreffend erkannte, nicht Aufgabe eines gerichtspsychiatrischen Sachverständigen, durch Befragung eines Zeugen über den Tathergang und durch Mitteilung des Ergebnisses dieser Befragung auf dem Umweg eines Befundes und eines Gutachtens zur Aussagefähigkeit die unmittelbare Beweisaufnahme vor dem erkennenden Gericht zu ersetzen, weil ein Abgehen vom Grundsatz der Unmittelbarkeit nur unter den im § 252 StPO genannten Voraussetzungen zulässig wäre; davon abgesehen stellte der Sachverständige ohnedies klar, daß die Zeugin Ingrid H*** ihm gegenüber von ihrer Schilderung im Vorverfahren nicht abging. Eine Fehlerhaftigkeit der schriftlichen Rechtsbelehrung im Sinn des § 345 Abs. 1 Z. 8 StPO erblickt die Beschwerdeführerin darin, daß bei der Erläuterung des Begriffes der Notwehr weder auf die Möglichkeit einer Notwehrprovokation noch auf das Erfordernis einer ex-ante-Betrachtung der Frage der Notwendigkeit der Verteidigungshandlung eingegangen worden sei; ferner sei die Formulierung, wonach "unter Umständen" die Benützung einer Waffe gegen einen waffenlosen Angreifer erlaubt sein könne, wenn sie nur zur Drohung gebraucht werde, geeignet gewesen, die Geschwornen über die Möglichkeit eines gerechtfertigten Waffengebrauches gegen einen unbewaffneten Angreifer irrezuleiten.
Für die Beurteilung, ob eine Rechtsbelehrung unrichtig ist und zu Mißverständnissen der Geschwornen führen kann, muß die Belehrung nach ihrem gesamten Inhalt und nicht nach einzelnen, aus dem Zusammenhang gelösten Teilen geprüft werden. Unter diesem Aspekt erweist sich die den Geschwornen erteilte schriftliche Rechtsbelehrung jedoch als fehlerfrei:
Bei der Umschreibung der Merkmale der Notwehr genügte der allgemeine Hinweis, daß Notwehr ausschließlich gegen rechtswidrige Angriffe zulässig ist. Auf Notwehrprovokation war in diesem Zusammenhang nicht einzugehen, weil sie (von dem hier nicht in Betracht kommenden Fall der "Absichtsprovokation" abgesehen) lediglich bei Beurteilung der Frage, welches Maß der Verteidigung zur Abwehr eines Angriffes notwendig und angemessen ist, insofern von Bedeutung sein kann, als dann an die Erfordernisse maßvoller Verteidigung strengere Anforderungen als bei Abwehr eines nicht provozierten Angriffes zu stellen sind (vgl. ÖJZ-LSK 1978/274 = SSt 49/39; ÖJZ-LSK 1983/19). Zur Frage der notwendigen Verteidigung wird in der Rechtsbelehrung ausgeführt, daß im Rahmen der Notwehrausübung (durch den Täter) ein Rechtsgut des Angreifers grundsätzlich nur insoweit verletzt werden darf, als es im konkreten Fall zur Abwehr des Angriffes erforderlich ist, und daß es daher stets auf die Umstände des Einzelfalles ankommt, wobei die Notwendigkeit der Verteidigung nach objektiven Kriterien zu beurteilen ist (vgl. Band II, S. 67, 69). Damit wurde aber, ohne daß es in einer für juristische Laien bestimmten Belehrung eines ausdrücklichen Hinweises auf die bezügliche Judikatur (vgl. u.a. ÖJZ-LSK 1981/65, 1983/18, 1984/87) bedurfte, auch hinreichend deutlich klargestellt, daß die Prüfung, ob ein Täter sich zum Zweck der von ihm gewollten Abwehr eines rechtswidrigen Angriffes der notwendigen Verteidigung bediente, eine Betrachtung aus der Situation und Perspektive des Angegriffenen unter Beachtung objektiver Kriterien verlangt. Die Rechtsbelehrung konnte auch nicht dahin mißverstanden werden, daß ein Waffengebrauch gegen einen unbewaffneten Angreifer überhaupt unzulässig wäre; vielmehr wurde im gegebenen Zusammenhang ausdrücklich darauf hingewiesen, daß es bei bewaffneter Abwehr eines Angriffes regelmäßig darauf ankommt, wie die Waffe gebraucht wird (vgl. Band II S. 69).
Im übrigen wurden die von der Angeklagten bemängelten Ausführungen der Rechtsbelehrung zum Notwehrerfordernis der Rechtswidrigkeit des Angriffes, zum Begriff der notwendigen Verteidigung - wie insbesondere die Passage, daß nur die "geringste Beeinträchtigung", die zur Abwehr im konkreten Fall hinreiche, gerechtfertigt sei - und zur Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Waffengebrauch bei Ausübung des Notwehrrechts rechtmäßig sein könne, nahezu wörtlich dem (in diesen Punkten mit der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes im wesentlichen in Einklang stehenden) Kommentar von Leukauf-Steininger zum StGB entnommen (vgl. dortselbst RN 73, 81, 83 zu § 3 StGB).
Aus den aufgezeigten Gründen war die Nichtigkeitsbeschwerde zu verwerfen.
Das Geschwornengericht verhängte über die Angeklagte nach dem § 86 StGB unter Bedachtnahme auf § 28 StGB eine Freiheitsstrafe von sieben Jahren. Es wertete bei der Strafbemessung das Zusammentreffen eines Verbrechens mit einem Vergehen als erschwerend, hingegen als mildernd die Alkoholisierung und die damit verbundene Enthemmung beim Tötungsdelikt sowie das teilweise abgelegte Tatsachengeständnis, dem es allerdings geringen Wert beimaß, weil es meinte, daß nur ein reumütiges Geständnis einen im § 34 Z. 17 vorgesehenen Milderungsumstand zu begründen vermag (II. Band S. 145). Während der öffentliche Ankläger mit seiner Berufung, in der er die Richtigkeit der Annahme der beiden wiedergegebenen Milderungsgründe bezweifelt, auf eine Erhöhung der Freiheitsstrafe abzielt, strebt die Angeklagte mit ihrer Berufung eine Strafreduktion an. Sie reklamiert zusätzlich den Milderungsgrund des § 34 Z. 4 StGB (wegen Furcht beim tätlichen Angriff auf ihren Lebensgefährten) und bestreitet unter Hinweis auf ihren Beitrag zur Wahrheitsfindung die Ansicht des Erstgerichtes, ihrem Tatsachengeständnis komme nur eine geringe Bedeutung zu.
Beide Berufungen sind im Ergebnis nicht berechtigt:
Eine bei Tatverübung empfundene Furcht in der Bedeutung des § 34 Z. 4 StGB ist nach den Verfahrensergebnissen nicht indiziert. Wohl kommt der Angeklagten der Milderungsumstand des § 34 Z. 17 (zweiter Fall) StGB voll zugute, weil ihre Einlassungen bei der Gendarmerie (I. Band S. 31 ff.) und beim Untersuchungsrichter (I. Band S. 14 f.) zum Schuldspruchfaktum 1 ungeachtet der geänderten Verantwortung in der Hauptverhandlung einen wesentlichen Beitrag zur Wahrheitsfindung lieferten (vgl. hiezu u.a. Leukauf-Steininger, Komm. 2 , RN 25 und 26 zu § 34 StGB). Damit sind aber - im Gegensatz zur Meinung des Erstgerichtes und des öffentlichen Anklägers - die vom zweiten Fall des § 37 Z. 17 StGB verlangten Voraussetzungen erfüllt. Nur der - hier ohnehin nicht in Betracht gezogene - erste Fall des § 34 Z. 17 StGB stellt auf ein reumütiges Geständnis ab. Im übrigen war die Angeklagte (in der Hauptverhandlung) auch zum Schuldspruchfaktum 2 geständig (vgl. dazu II. Band S. 3 und 12). Die Alkoholisierung zur Zeit des Angriffs gegen ihren Lebensgefährten kommt der Angeklagten - der Auffassung der Staatsanwaltschaft zuwider - als Milderungsgrund zustatten, weil ihr nach Lage des Falles aus dem Alkoholgenuß kein Vorwurf gemacht werden kann (§ 35 StGB).
Auf der Grundlage der mithin vom Erstgericht im wesentlichen zutreffend aufgezählten, vom Obersten Gerichtshof - insbesondere in Beziehung auf § 34 Z. 17 (zweiter Fall) StGB - richtig gewichteten Strafzumessungsgründe erweist sich die vom Geschwornengericht ausgemessene Freiheitsstrafe nicht als veränderungsbedürftig, sodaß den beiderseitigen Berufungen ein Erfolg zu versagen war. Die Kostenentscheidung stützt sich auf die im Urteilsspruch zitierte Gesetzesstelle.
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