European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0110OS00125.15I.0928.000
Spruch:
Christian T***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Dem Bund wird der Ersatz der Beschwerdekosten von 800 Euro zuzüglich der darauf entfallenden Umsatzsteuer auferlegt.
Gründe:
Gegen Kurt K***** und Christian T***** wurde von der Staatsanwaltschaft Wels ein Ermittlungsverfahren geführt. Mit am 15. September 2015 beim Landesgericht Wels eingebrachtem Strafantrag (ON 40) legt ihnen die Staatsanwaltschaft als Verbrechen der Schlepperei nach § 114 Abs 1, Abs 3 Z 1 und Z 2 FPG beurteiltes Verhalten zur Last.
Mit Beschluss des Landesgerichts Wels vom 28. August 2015, AZ 31 HR 74/15w (ON 27 S 9; ON 31), wurde die über Christian T***** am 15. August 2015 (ON 8 S 5; ON 10) verhängte Untersuchungshaft aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr gemäß § 173 Abs 1, Abs 2 Z 3 lit a und b StPO fortgesetzt. Seiner dagegen erhobenen Beschwerde (ON 32) gab das Oberlandesgericht Linz mit dem angefochtenen Beschluss vom 8. September 2015, AZ 7 Bs 151/15b (ON 37), nicht Folge und setzte die Haft aus demselben Haftgrund fort.
Dabei erachtete das Beschwerdegericht Christian T***** ‑ in Ansehung des § 114 Abs 4 erster Fall FPG nicht, sonst korrespondierend mit dem Erstgericht ‑ als dringend verdächtig, gewerbsmäßig die rechtswidrige Einreise oder Durchreise einer größeren Zahl von Fremden in oder durch einen Mitgliedsstaat der Europäischen Union mit dem Vorsatz gefördert zu haben, sich durch ein dafür geleistetes Entgelt unrechtmäßig zu bereichern, indem er gegen ein unbekanntes Entgelt „illegal im EU-Raum aufhältige Personen“ (jeweils mit dem Ziel ihrer Weiterreise nach Deutschland) mit dem Taxi von Wien nach H***** bei S***** führte, und zwar
1./ im Juli 2015 in zwei Angriffen jeweils vier bis sechs namentlich nicht bekannte Personen;
2./ im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit Kurt K***** im Juli und August 2015 in fünf Angriffen jeweils insgesamt acht bis zwölf namentlich nicht bekannte Personen sowie am 13. August 2015 insgesamt dreizehn syrische und irakische Staatsangehörige, die über keinen Titel für den Aufenthalt in der Europäischen Union verfügten.
In rechtlicher Hinsicht bejahte das Oberlandesgericht dabei den dringenden Verdacht des Verbrechens der Schlepperei nach § 114 Abs 1, Abs 3 Z 1 und Z 2 FPG und gründete diesen auf die Ergebnisse der Ermittlungen der Autobahnpolizeiinspektion W***** im Zusammenhalt mit der Einlassung der beiden Beschuldigten (BS 2 ff). Da die Bezahlung hoher Schlepperlöhne notorisch sei, sei ein „unrechtmäßiger Bereicherungsvorsatz“ evident. Wiewohl die Höhe des für die inkriminierten Fahrten erhaltenen Entgelts noch nicht feststehe, sei bei lebensnaher Betrachtung davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer an diesen verdient habe und es ihm darüber hinaus darauf angekommen sei, sich durch die Tatwiederholung eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen (BS 4 f).
Gegen die Annahme des dringenden Tatverdachts (nur) in Ansehung des auf unrechtmäßige Bereicherung gerichteten Vorsatzes richtet sich die fristgerecht erhobene Grundrechtsbeschwerde des Angeklagten (ON 41).
Zutreffend zeigt der Beschwerdeführer auf, dass die Annahme des Oberlandesgerichts, er habe ‑ obwohl die Höhe der jeweils von ihm erzielten Entgelte noch unbekannt sei ‑ mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz gehandelt, weil „die Bezahlung hoher Schlepperlöhne notorisch“ sei (BS 4), mit einem Begründungsmangel (§ 10 GRBG iVm § 2 Abs 1 GRBG iVm § 281 Abs 1 Z 5 vierter Fall StPO) behaftet ist.
Willkürfrei werden nämlich gar keine Gründe dafür angeführt, aus welchen Erwägungen davon auszugehen gewesen wäre, dass der Beschwerdeführer bezweckt hätte, ein über das Erhalten eines adäquaten Fuhrlohns für die geleisteten Transportdienste hinausgehendes Entgelt zu erzielen.
Dass der Gesetzgeber nur im Fall unrechtmäßiger Bereicherung gerichtliche Strafbarkeit vorsehen wollte, ergibt sich aus BGBl I 2009/122, womit die wissentliche Förderung (§ 114 Abs 1 idF BGBl I 2005/100) rechtswidriger Ein- oder Durchreisen ohne solche Intention des Täters zur Verwaltungsübertretung wurde (§ 120 Abs 3 Z 1 FPG idF BGBl I 2009/122; dazu EBRV 952 BlgNR 22. GP 11; 13 Os 9/14v; Tipold in WK2 FPG § 114 Rz 12).
Am dargestellten Begründungsdefizit vermag die weitere Annahme des Beschwerdegerichts (BS 5), dass der Angeklagte an den Fahrten „verdient“ habe (und durch weitere Fahrten eine fortlaufende Einnahme erzielen wollte) nichts zu ändern, weil die Konstatierung (des Verdachts) eines auf unrechtmäßige Bereicherung gerichteten Vorsatzes nicht nur voraussetzt, dass der Täter durch die Beförderung ein Entgelt erzielt, sondern dieses den für die jeweiligen Beförderungsleistungen adäquaten Fuhrlohn übersteigt. Nur der auf eine sich daraus allenfalls ergebende Überzahlung (und nicht ein Abstellen auf die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts des Fremden und entgegen daran in Richtung § 879 ABGB geknüpften Überlegungen) gerichtete Vorsatz kann nach dem klaren Willen des Gesetzgebers die auf unrechtmäßige Bereicherung abzielende Willensausrichtung begründen (eingehend dazu 13 Os 9/14v).
Rechtliche Beurteilung
Der aufgezeigte Begründungsmangel verletzt ‑ wie schon die Generalprokuratur zutreffend ausführte ‑ den Angeklagten in seinem Grundrecht auf persönliche Freiheit und zwingt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses.
Der Vollständigkeit halber ist festzuhalten:
Nach dem bisherigen Akteninhalt finden sich (nur) Hinweise für einen von den Angeklagten vereinbarten Fuhrlohn von 500 bis 600 Euro pro Fahrt (ON 3 S 13, 21 sowie 41 bis 45; ON 7 S 3; ON 8 S 3; ON 27 S 3) bzw 100 Euro je beförderter Person (ON 6 S 15, 23, 35, 39 f und 51).
Damit liegen aber unter Bedachtnahme auf die Länge der durch mehrere Bundesländer und daher durch kein einheitliches Tarifgebiet im Sinne des § 14 Abs 1 Gelegenheitsverkehrs‑Gesetz 1996 führenden Wegstrecke im Zusammenhalt mit der ‑ sich infolge des auf den jeweiligen Betriebsstandort (vgl dazu ON 3 S 13) begrenzten Anwendungsbereichs der gesetzlichen Tarifbestimmungen (§ 13 Abs 4 Gelegenheitsverkehrs‑Gesetz 1996; § 1 Abs 1 der Wiener Taxi-, Mietwagen- und Gästewagen‑Betriebsordnung, LGBl Nr 36/2000 idF LGBl Nr 36/2011; vgl auch § 14 Abs 3 Gelegenheitsverkehrs‑Gesetz 1996, §§ 2 f iVm § 4 Abs 1 Wiener Taxitarif 1997, WrABl 1997/48 idF WrABl 2012/42) ergebenden ‑ Zulässigkeit der freien Preisvereinbarung keine hinreichenden, eine dringende Verdachtslage des von § 114 Abs 1 FPG geforderten erweiterten Vorsatzes indizierenden Verfahrensergebnisse vor (insbesondere Unanwendbarkeit des § 5 Abs 4 Wiener Taxitarif 1997; vgl auch § 13 Abs 4 Gelegenheitsverkehrs‑Gesetz 1996 iVm § 39 Abs 2 der Oö Taxi‑ und Mietwagen‑Betriebsordnung, LGBl Nr 94/2003).
Bleibt anzumerken, dass sich diese vom Beschwerdeführer aufgezeigte Grundrechtsverletzung auch auf den Angeklagten Kurt K***** (vgl den von ihm nicht angefochtenen Beschluss des Landesgerichts Wels vom 28. August 2015 [ON 26 S 11; ON 30] auf Fortsetzung der über ihn am 15. August 2015 [ON 7 und 9] verhängten Untersuchungshaft gemäß § 173 Abs 1, Abs 2 Z 3 lit a und b StPO) auswirkt und die sich aus § 7 Abs 2 GRBG ergebende Pflicht des Gerichts zur unverzüglichen Herstellung des der Rechtsanschauung des Obersten Gerichtshofs entsprechenden Rechtszustands mit dem ihm zu Gebot stehenden rechtlichen Mitteln auch auf diesen Angeklagten erstreckt (RIS‑Justiz RS0060960 [T3] = 13 Os 127/07m; Kier in WK2 GRBG § 3 Rz 17 und § 7 Rz 12; Fabrizy, StPO12 § 7 GRBG Rz 2).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 8 GRBG.
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