OGH 11Os117/84

OGH11Os117/8420.12.1984

Der Oberste Gerichtshof hat am 20.Dezember 1984 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter, Dr. Walenta, Dr. Friedrich und Dr. Reisenleitner als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Dr. Lengauer als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Friedrich A wegen des Verbrechens der Körperverletzung mit tödlichem Ausgang nach den §§ 83 Abs. 1, 86 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Kreisgerichtes Leoben als Schöffengericht vom 11.Mai 1984, GZ 11 Vr 1.440/83-51, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, des Ersten Generalanwaltes Dr. Nurscher, des Angeklagten und des Verteidigers Dr. Bajc zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird teilweise, und zwar dahin Folge gegeben, daß die über Friedrich A verhängte Freiheitsstrafe auf 3 (drei) Jahre herabgesetzt wird.

Im übrigen wird der Berufung nicht Folge gegeben.

Gemäß dem § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 3.Juni 1916 geborene Pensionist Friedrich A des Verbrechens der Körperverletzung mit tödlichem Ausgang nach dem § 86 (richtig: §§ 83 Abs. 1, 86) StGB schuldig erkannt, weil er am 10.Oktober 1983 in Bruck an der Mur vorsätzlich den Gerhard B durch zwei Revolverschüsse am Körper verletzte, wobei die Tat den Tod des Genannten zur Folge hatte. Dieses Urteil wird vom Angeklagten im Schuldspruch mit einer auf die Z 4, 5, 9 lit. a, 9 lit. b und 10 des § 281 Abs. 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde und im Strafausspruch mit Berufung bekämpft.

Rechtliche Beurteilung

Der Nichtigkeitsbeschwerde kommt keine Berechtigung zu. Einen Verfahrensmangel erblickt der Angeklagte in der Abweisung der von seinem Verteidiger gestellten Anträge auf Durchführung eines Ortsaugenscheines, auf (ergänzende) Vernehmung der Zeugin Liane C und auf Beiziehung eines Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Orthopädie.

Dazu ist zunächst festzuhalten, daß die (ergänzende) Vernehmung der Zeugin Liane C in der Hauptverhandlung vom 11.Mai 1984 gar nicht beantragt wurde, sodaß dem Beschwerdeführer insoweit die Legitimation zur Erhebung einer Verfahrensrüge fehlt (Mayerhofer-Rieder ENr. 1 zu § 281 Z 4 StPO).

Der Ortsaugenschein wurde zum Nachweis dafür beantragt, 'daß die Zeugin Liane C vollkommen Einblick auf die Situation hatte und beurteilen konnte, ob B ein Messer hatte oder einen Gegenstand und überhaupt als einzige in der Lage war, den Vorgang zu beobachten' (Band II S 56 d.A).

Aus der Urteilsbegründung in ihrer Gesamtheit ist unzweifelhaft erkennbar, daß das Schöffengericht dem Angeklagten zubilligte, der überzeugung gewesen zu sein, der ihn bedrohende B sei im Besitz eines Messers. Mehr hätte in Beziehung auf das angeführte Beweisthema auch durch einen Lokalaugenschein für den Angeklagten nicht erreicht werden können, zumal die Zeugin C jenen Gegenstand, der nach ihrer Aussage von Gerhard B in der (wie die Zeugin meinte) herabhängenden linken Hand gehalten wurde, nicht als Messer identifizieren konnte (Band I S 294, Band II S 50 d.A). Im übrigen wurde die Aussage der Zeugin C vom Schöffengericht ohnedies als Feststellungsgrundlage herangezogen (Band II S 65, 75 d.A). Die Beiziehung eines Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Orthopädie, der die Unfähigkeit des Angeklagten, 'solche Laufschritte zu machen, daß er sicher dem Gerhard B davonlaufen hätte können' (Band II S 56), bestätigen hätte sollen, war ebenfalls entbehrlich, weil der gerichtsmedizinische Sachverständige Dr. Maresch, zu dessen Fachgebiet auch die Beantwortung dieser Frage gehört, übereinstimmend mit der gutachtlichen öußerung des Sachverständigen Dr. D bekundete, daß es dem Angeklagten möglich gewesen wäre, den (vier bis fünf Meter entfernten - Band II S 76 d. A) Hauseingang relativ rasch gehend zu erreichen (Band II S 53 d. A). Dazu kommt, daß der Angeklagte selbst einräumte, er könne 'ein paar Schritte laufen, allerdings nicht schnell' (Band II S 56 d.A). Durch die Ablehnung der Beweisanträge wurde daher der Angeklagte in seinen Verteidigungsrechten nicht verkürzt.

Unter dem Gesichtspunkt eines Begründungsmangels rügt der Beschwerdeführer das Urteil deswegen, weil nicht zu erkennen sei, wie das Schöffengericht über Beweisergebnisse, die den getroffenen Feststellungen entgegenstünden, hinwegkam. So gehe aus den Aussagen mehrerer Zeugen hervor, daß der Angeklagte dem Gerhard B, der ihn verbal bedrohte ('Ich lasse dir die Darm heraus, jetzt kommst du mir nicht mehr aus !'), mehrmals aufgefordert habe, das Messer wegzutun. Nach seiner Verantwortung habe der Angeklagte den Gerhard B bloß in die Beine schießen wollen, um ihn bewegungsunfähig zu machen; habe auch zunächst nur gegen den Boden geschossen und zwischen dem ersten und dem zweiten Schuß einen Zwischenraum gelassen. Er habe somit alles getan, um einen weiteren Waffengebrauch, der dann zum Tod des Gerhard B führte, zu vermeiden.

Abgesehen davon, daß das Erstgericht ohnedies annahm, der Angeklagte habe bloß 'in der Absicht auf B geschossen, um diesen bewegungsunfähig zu machen' (Band II S 79 d.A), wird auf solche Weise kein formaler Begründungsmangel aufgezeigt. Der Beschwerdeführer bekämpft damit nur - im Nichtigkeitsverfahren unzulässig und damit unbeachtlich - die Beweiswürdigung des Schöffengerichtes.

Die behauptete Unvollständigkeit bzw. Aktenwidrigkeit der Urteilsbegründung, die in der Vernachlässigung der Angaben der Zeugin C erblickt wird, wonach der zweite und der dritte Schuß unmittelbar nacheinander fielen, der zeitliche Abstand zwischen dem ersten und dem zweiten Schuß aber etwas länger war (Bd. I S 295 d. A), betrifft jedoch, wie noch darzulegen sein wird, keine entscheidende Tatsache.

In seinen Rechtsrügen sucht der Beschwerdeführer ausführlich darzutun, sich in einer (echten) Notwehrsituation befunden, oder doch wenigstens auf Grund eines entschuldbaren Irrtums einen rechtfertigenden Sachverhalt (§ 8 StGB), eben Notwehr, angenommen und maßhaltende Gegenwehr geübt zu haben. Im ungünstigsten Fall könnte sein Verhalten - wie er meint - als Folge eines nicht entschuldbaren Irrtums zu seiner Bestrafung wegen einer Fahrlässigkeitstat führen.

Auch diesem Vorbringen kann nicht gefolgt werden.

Unabhängig von der Frage, ob die Urteilsfeststellungen - entgegen der Auffassung des Erstgerichtes - doch ausreichen, die Annahme einer (realen oder vermeintlichen) Notwehrsituation zu begründen, muß der Beschwerdeführer gegen sich gelten lassen, daß er sich jedenfalls gegen einen von ihm erwarteten rechtswidrigen Angriff des B (auch seiner Situation im Moment der Konfrontation entsprechend, somit bei einer 'ex-ante-Betrachtung' - vgl. 10 Os 22/84) nach den (besonderen) Umständen des Falles nicht in maßhaltender Weise zur Wehr setzte. Er hätte nämlich nach dem angeblichen Warnschuß auch noch die Wirkung des ersten, aus kurzer Distanz gegen die Beine seines schwerst alkoholisierten Widersachers abgefeuerten großkalibrigen Vollmantelgeschosses, durch das B am Oberschenkel (schwer) verletzt wurde, abwarten müssen.

Dies tat er aber nach den Feststellungen des Schöffengerichtes nicht. Vielmehr löste er aus seinem Revolver nach Annahme des Schöffengerichtes alle drei Schüsse gegen Gerhard B, nach seiner eigenen (von Liane C gestützten) Darstellung jedenfalls den zweiten und dritten Schuß in rascher Aufeinanderfolge, wobei - für ihn erkennbar - die Waffe nach oben gerissen wurde, sodaß der letzte Schuß die Brust des Gerhard B durchschlug und zu dessen Tod führte. Damit überschritt er eindeutig ein gerechtfertigtes Maß an Verteidigung (vgl. Nowakowski im WK RN 29 zu § 3).

Für diese Notwehr- oder Putativnotwehrüberschreitung haftet er strafrechtlich voll deshalb, weil sie nicht allein in einem asthenischen Affekt, sondern - entsprechend den vom Schöffengericht getroffenen Feststellungen - auch in einem sthenischen Affekt (vgl.:

'zornig und haßerfüllt', Band II S 69 d.A; sowie: '... nicht allein in panischer Angst, sondern auch aggressiv gehandelt' Band II S 76

d. A) wurzelte.

Daß dem Schöffengericht aber - losgelöst von der Frage, ob dem Angeklagten ein Rechtfertigungs- oder Schuldausschließungsgrund zustatten kommt - bei der rechtlichen Beurteilung des festgestellten Sachverhaltes ein Irrtum unterlaufen wäre, wurde in der Beschwerde gar nicht behauptet; es liegt ein solcher auch nicht vor. Die gänzlich unbegründete Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Das Erstgericht verhängte über den Angeklagten nach dem § 86 StGB eine Freiheitsstrafe in der Dauer von vier Jahren. Es wertete bei der Strafbemessung als erschwerend nichts, als mildernd die bisherige Unbescholtenheit, das Tatsachengeständnis sowie den 'beim Angeklagten sicher vorhandenen Erregungszustand aus der vorhandenen Feindschaft mit Gerhard B bzw. aus der Tatsituation heraus'. Mit seiner Berufung strebt der Angeklagte eine Strafermäßigung und die Gewährung bedingter Strafnachsicht an.

Die Berufung ist teilweise berechtigt.

Die Strafzumessungsgründe bedürfen insoweit einer Ergänzung, als dem Angeklagten auch noch das gewichtige Mitverschulden des Getöteten zugute zu halten ist, der seine massive Provokation ungeachtet der Warnung des Angeklagten fortsetzte, sich unter Einsatz einer Schußwaffe zu verteidigen.

Unter diesem erweiterten Aspekt erscheint aber die in erster Instanz verhängte Strafsanktion überhöht. Die Freiheitsstrafe war daher auf ein schuldadäquates Maß zu reduzieren.

Dagegen konnte dem weiteren Berufungsbegehren schon wegen Fehlens des Primärerfordernisses für eine Anwendung des § 43 StGB (Ausmaß der verhängten Freiheitsstrafe) nicht nähergetreten werden. Die Kostenentscheidung beruht auf der zitierten Gesetzesstelle.

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