OGH 11Os109/02

OGH11Os109/021.10.2002

Der Oberste Gerichtshof hat am 1. Oktober 2002 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kuch als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ebner, Dr. Habl, Dr. Zehetner und Dr. Danek als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Teffer als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Rudolf Franz V***** wegen des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 9. April 2002, GZ 042 S Hv 15/02k-25, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Strafsache an das Erstgericht zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Rudolf Franz V***** des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB schuldig erkannt, weil er zu nicht näher feststellbaren Zeitpunkten in den Jahren 2000 und 2001 in mehreren Angriffen außer dem Fall des § 206 StGB geschlechtliche Handlungen an unmündigen Personen vorgenommen habe, indem er an den Penissen dreier im Spruch angeführter unmündiger Knaben Masturbationshandlungen durchgeführt haben soll.

Gegen dieses Urteil richtet sich die auf die Gründe der Z 3, 4, 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der auch den Strafausspruch mit Berufung anficht.

Rechtliche Beurteilung

Während die Verfahrensrüge (Z 3) insoweit, als der Beschwerdeführer eine undeutliche Protokollierung über die Verlesung von Aktenstücken als Verstoß gegen die Vorschrift des § 271 StPO releviert, deshalb nicht im Recht ist, weil die aufgezeigte Gesetzesverletzung nicht mit Nichtigkeit bedroht ist, kommt dem der Sache nach diesem Nichtigkeitsgrund zuzuordnenden, formell unter § 281 Abs 1 Z 4 StPO vorgebrachten Einwand unzulässiger Verlesung eines Gutachtens Berechtigung zu.

Zutreffend weist die Beschwerde nämlich darauf hin, dass das (im Urteil verwertete) Gutachten der Sachverständigen Dr. Göttling (ON 11) verlesen wurde, ohne dass eine der dafür erforderlichen Voraussetzungen des § 252 Abs 1 StPO vorlag. Nach der hier allein in Betracht kommenden Bestimmung der Z 4 dieser Gesetzesstelle würde hiefür das Einverständnis der Parteien genügen. Im vorliegenden Fall kann indes, wie dem Beschwerdeführer zuzugeben ist, von einem ausdrücklich erklärten Einverständnis ebensowenig die Rede sein wie von einem konkludenten. Dem Hauptverhandlungsprotokoll ist weder eine Zustimmungserklärung noch ein Verhalten des Verteidigers zu entnehmen, woraus sich die Annahme einer solchen Willenserklärung schlüssig begründen ließe. Das Unterlassen eines Widerspruches gegen die Verlesung reicht dafür schon deshalb nicht hin, weil dies die Etablierung einer im Gesetz nicht vorgesehenen Rügepflicht bedeuten würde. Dass der Verteidiger der Aufforderung der Vorsitzenden, allfällige Bedenken zum Gutachten darzulegen, nicht nachkam (S 149 und 151), vermag eine konkludente Zustimmung zur Verlesung im Hinblick auf den unter Hinweis auf den Schriftsatz vom 14. März 2002 (ON 23) protokollierten Beweisantrag, mit welchem ua die Ladung der Sachverständigen zur Erörterung ihres Gutachtens begehrt wurde, erst recht nicht zu begründen.

Das Urteil ist daher mit dem Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 3 (iVm § 252 Abs 1) StPO behaftet, weshalb der Nichtigkeitsbeschwerde, ohne dass es einer Erörterung des weiteren Beschwerdevorbringens bedurfte, bereits in nichtöffentlicher Sitzung sofort Folge zu geben und die Verfahrenserneuerung anzuordnen war (§ 285e StPO). Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf die kassatorische Entscheidung zu verweisen.

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