OGH 11Os1/08v

OGH11Os1/08v29.1.2008

Der Oberste Gerichtshof hat am 29. Jänner 2008 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp, Dr. Danek, Dr. Schwab und Mag. Lendl als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Wieltschnig als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Mario H***** wegen des Vergehens des versuchten Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 erster Fall StGB und anderer strafbarer Handlungen über die vom Generalprokurator gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 17. September 2007, GZ 072 Hv 76/07h-24, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Mag. Knibbe, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der gemeinsam mit dem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 17. September 2007, GZ 072 Hv 76/07h-24, verkündete Beschluss verletzt, soweit damit gemäß § 494a Abs 1 Z 2 und Abs 6 StPO ausgesprochen wurde, dass aus Anlass der gleichzeitig erfolgten Verurteilung des Beschuldigten Mario H***** vom Widerruf der ihm im Verfahren AZ 042 Hv 95/06f des Landesgerichts für Strafsachen Wien gewährten bedingten Strafnachsicht abgesehen, jedoch die Probezeit auf fünf Jahre verlängert wird, das Gesetz in den Bestimmungen der §§ 494a Abs 1 und 495 Abs 2 StPO sowie § 55 Abs 1 StGB. Der Ausspruch auf Verlängerung der Probezeit wird ersatzlos aufgehoben.

Text

Gründe:

Mit (auch Teilfreisprüche enthaltendem, unbekämpft gebliebenem) Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 5. April 2007, GZ 042 Hv 95/06f-30, wurde Mario H***** mehrerer Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB sowie des Vergehens der versuchten Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB schuldig erkannt und unter Anwendung der §§ 28 Abs 1 sowie 43a Abs 2 StGB nach § 105 Abs 1 StGB zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen á 20 EUR sowie zu einer unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Mit in gekürzter Form ausgefertigtem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 17. September 2007, GZ 072 Hv 76/07h-24, wurde Mario H***** wegen der (durchwegs am 2. März 2007 begangenen) Vergehen des Betruges nach § 146 StGB, der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB und des versuchten Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 erster Fall StGB gemäß §§ 31, 40 StGB unter Bedachtnahme auf das zuvor genannte Urteil vom 5. April 2007 zu einer (Zusatz-)Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Mit einem zugleich gefassten Beschluss wurde (unter anderem) „gemäß § 53 Abs 1 StGB iVm § 494a Abs 1 Z 2 StPO" vom Widerruf der im Verfahren AZ 042 Hv 95/07f dieses Gerichts gewährten bedingten Strafnachsicht abgesehen und „gemäß § 53 Abs 3 StGB iVm § 494a Abs 6 StPO" die damals bestimmte Probezeit auf fünf Jahre verlängert.

Rechtliche Beurteilung

Der zuletzt genannte Beschluss steht - wie die Generalprokuratur in ihrer deshalb zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt - mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Da § 494a Abs 1 StPO ausdrücklich auf die Verurteilung wegen einer strafbaren Handlung abstellt, die vor Ablauf der Probezeit nach einer bedingten Strafnachsicht begangen worden ist, § 31 StGB aber nur für Taten gilt, welche (wie auch hier) vor der früheren Verurteilung begangen wurden, kommt eine Zuständigkeit des zuletzt erkennenden Gerichts zur Beschlussfassung über den Widerruf bei nachträglicher Verurteilung nach § 55 Abs 1 StGB gemäß § 494a Abs 1 StPO bei Beachtung der Wortlautgrenze dieser Bestimmung nicht in Betracht (Jerabek in WK2 § 55 [2006] Rz 5; RIS-Justiz RS0111521). Gemäß § 495 Abs 2 StPO obliegt - nach nunmehr gefestigter Judikatur - die Beschlussfassung über einen Widerruf bei einer nachträglichen Verurteilung jenem Gericht, dessen Urteil eine bedingte Nachsicht enthält. Es hätte demzufolge das Landesgericht für Strafsachen Wien im Verfahren AZ 042 Hv 95/06f über einen allfälligen Widerruf der bedingten Strafnachsicht entscheiden müssen.

Die Verlängerung der Probezeit findet im Gesetz keine Deckung. Werden - wie vorliegend - mehrere Straftaten eines Rechtsbrechers, die nach der Zeit ihrer Begehung Gegenstand eines Urteils hätten sein können, in verschiedenen, im Verhältnis des § 31 StGB zueinander stehenden Erkenntnissen abgeurteilt, so ist anlässlich der zeitlich nachfolgenden Verurteilung zu prüfen, ob eine im zeitlich vorangegangenen Verfahren ausgesprochene bedingte Strafnachsicht auch bei gemeinsamer Aburteilung gewährt worden wäre. Wird dies verneint, so ist die bedingte Strafnachsicht gemäß der diese Fallgestaltung abschließend regelnden Bestimmung des § 55 Abs 1 StGB zu widerrufen; andernfalls bleibt die im vorangegangenen Urteil gewährte Strafnachsicht mit der dort bestimmten Probezeit unberührt. Eine Verlängerung der Probezeit tritt gemäß § 55 Abs 3 StGB (ex lege) nur dann ein, wenn Probezeiten zusammentreffen, also sowohl im Vorurteil als auch im Nachurteil eine bedingte Nachsicht ausgesprochen wurde; nicht jedoch, wenn - wie hier - im zeitlich späteren Urteil eine unbedingte Freiheitsstrafe verhängt wird. Eine Verlängerung der im Verfahren AZ 042 Hv 95/06f des Landesgerichts für Strafsachen Wien bestimmten Probezeit war daher, weil gesetzlich nicht vorgesehen, unzulässig (Jerabek in WK2 § 55 [2006] Rz 10; Fabrizy StGB9 § 55 Rz 5; RIS-Justiz RS0090596).

Der sich zum Nachteil des Verurteilten auswirkende Ausspruch auf Verlängerung der Probezeit war aufzuheben (§ 292 letzter Satz StPO).

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