OGH 11Os106/11i

OGH11Os106/11i6.10.2011

Der Oberste Gerichtshof hat am 6. Oktober 2011 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab, Mag. Lendl, Mag. Michel und Dr. Oshidari als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Sommer als Schriftführer, in der Strafsache gegen Austine F***** wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall und Abs 4 Z 3 SMG über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 8. April 2011, GZ 61 Hv 118/10h-214, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Ausspruch über die Abschöpfung der Bereicherung aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht verwiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten vorerst dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Austine F***** des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall und Abs 4 Z 3 SMG schuldig erkannt.

Danach hat er in Wien Suchtgift in einer das 25-fache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge, nämlich Kokain mit einer Reinsubstanz von durchschnittlich 10,85 % anderen überlassen, und zwar

1. im Juni 2010 dem Thomas K***** 0,6 Gramm,

2. von Juni 2010 bis 26. Juli 2010 dem Erich Kn***** 7,4 Gramm,

3. am 26. Juli 2010 dem Aaron D***** 0,2 Gramm,

4. von März 2010 bis 25. Juli 2010 dem Mario B***** zumindest 16 Gramm,

5. von Mai 2010 bis Juni 2010 dem Hannes S***** zumindest 11,2 Gramm,

6. von Juni 2010 bis 26. Juli 2010 dem Günther W***** zumindest 6 Gramm,

7. von September 2009 bis Mitte Juni 2010 der Rebecca T***** 3.200 Gramm,

8. von Februar 2010 bis 26. Juli 2010 dem Marian Fi***** zumindest 350 Gramm,

9. von Mai 2010 bis Juli 2010 der Sabine P***** und der Ingeborg A***** zumindest 38,4 Gramm,

10. von Mai 2010 bis 26. Juli 2010 dem Alexander G***** zumindest 120 Gramm.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen vom Angeklagten aus Z 3 und 5 des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde verfehlt ihr Ziel.

Nach dem ungerügt gebliebenen Protokoll über die Hauptverhandlung (ON 213 S 21) erfolgte der zusammenfassende Vortrag des gesamten Akteninhalts im Einvernehmen. Entgegen der Rüge ergibt sich daraus zweifelsfrei, dass sich das Einverständnis der Prozessparteien nicht nur auf den resümierenden Vortrag (§ 252 Abs 2a StPO), sondern auch auf die Verlesung der angesprochenen Vernehmungsprotokolle (§ 252 Abs 1 Z 4 StPO) bezog. Im Übrigen wurde das vom Beschwerdeführer reklamierte Gutachten über die Reinsubstanz (ON 63) ausdrücklich einverständlich verlesen (ON 213 S 23) und mit Blick auf die erfolgte Vernehmung der Zeugen in der Hauptverhandlung kein durch § 252 Abs 1 StPO verpöntes Unmittelbarkeitssurrogat geschaffen (RIS-Justiz RS0110150).

Mit Bezugnahme auf die Angaben der Rebecca T*****, mit denen sich das Erstgericht eingehend auseinandersetzte (US 7 f), zeigt die gegen das Urteilsfaktum 7./ gerichtete Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) keine unberücksichtigt gebliebenen Verfahrensergebnisse auf. Indem sie eigene Beweiswerterwägungen anstellt, verkennt sie den von einer Schuldberufung verschiedenen Anfechtungsrahmen.

Schließlich kann auch keine Widersprüchlichkeit (Z 5 dritter Fall) darin erkannt werden, dass die Tatrichter einerseits von einem Gewicht von 0,6 Gramm pro großer Kugel, andererseits von einer Überlassung von 3.200 Gramm Kokain an Rebecca T***** ausgingen (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 439). Die von Rebecca T***** bezeichneten Suchtgiftmengen bezogen sich im Übrigen auf Gramm und nicht auf Kugeln (ON 19 S 13, ON 36 S 5), sodass die Einwände schon deshalb ins Leere gehen.

Das weitere Vorbringen zum Aussageverhalten dieser Zeugin bekämpft unzulässig die tatrichterliche Beweiswürdigung.

Die Behauptung, wonach sich aus dem Gutachten ON 63 eine Nettomenge von 0,2 Gramm bei kleinen und 0,5 Gramm bei großen Kugeln errechne, erschöpft sich in einer bloßen Spekulation und übergeht, dass die Kriminaltechniker zwischen den Kugelgrößen gar nicht differenzierten.

Aktenwidrigkeit im Sinn der geltend gemachten Nichtigkeit (Z 5 fünfter Fall) liegt nur dann vor, wenn das Urteil den eine entscheidende Tatsache betreffenden Inhalt einer Aussage oder Urkunde in seinem wesentlichen Teil unrichtig oder unvollständig wiedergibt (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 467).

Nach den Entscheidungsgründen variierten die Angaben zum Gewicht der großen Kugel von 0,4 Gramm über 0,7 Gramm bis 1 Gramm (Erich Kn*****), weshalb zu Gunsten des Angeklagten von einem Gewicht von 0,6 Gramm pro großer Kugel ausgegangen wurde (US 7). Mit dem Einwand, wonach sich Kn***** auf die Angaben des Angeklagten bezogen habe, zeigt er den Nichtigkeitsgrund nicht auf.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

Die Entscheidung über die Berufungen kommt somit dem Oberlandesgericht zu (§ 285i StPO).

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde hat sich der Oberste Gerichtshof jedoch mit Blick auf das Fehlen von Feststellungen zur eingetretenen Bereicherung (§ 20 Abs 1 Z 1 StGB aF) von einer nicht geltend gemachten, dem Angeklagten aber zum Nachteil gereichenden und demnach von Amts wegen aufzugreifenden (§§ 285e erster Fall, 290 Abs 1 zweiter Satz StPO) Nichtigkeit betreffend das - offenkundig nach alter Rechtslage ergangene - Abschöpfungserkenntnis überzeugt (§ 281 Abs 1 Z 11 erster Fall StPO).

Die Kostenersatzpflicht des Angeklagten gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO. Kosten für das amtswegige Einschreiten des Obersten Gerichtshofs fallen ihm nicht zur Last (Lendl, WK-StPO § 390a Rz 12).

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