OGH 11Os104/82

OGH11Os104/8220.10.1982

Der Oberste Gerichtshof hat am 20. Oktober 1982 unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska und in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter, Dr. Walenta, Dr. Schneider und Dr. Reisenleitner als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Krausam als Schriftführers in der Strafsache gegen Elisabeth A wegen des Verbrechens des Mordes nach dem § 75 StGB über die von der Angeklagten gegen das Urteil des Geschwornengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Graz vom 19. Mai 1982, GZ 12 Vr 3.215/81-40, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrates des Obersten Gerichtshofes Dr. Reisenleitner, der Ausführungen des Verteidigers Dr. Stöhr und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwaltes Dr. Hauptmann, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Gemäß dem § 390 a StPO fallen der Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde die am 27. September 1932 geborene Hausfrau Elisabeth A auf Grund des Wahrspruchs der Geschwornen schuldig erkannt, am 5. Oktober 1981 in Pichla das Kind der Monika A (ihrer damals 17-jährigen Tochter) während des Geburtsvorganges (einer Steißgeburt) durch Durchtrennen der Nabelschnur mit einer Schere vorsätzlich getötet und hiedurch das Verbrechen des Mordes nach dem § 75 StGB begangen zu haben. In ihrer gegen dieses Urteil gerichteten Nichtigkeitsbeschwerde macht die Angeklagte Elisabeth A die Nichtigkeitsgründe der Z 6 und 8 des § 345 Abs. 1 StPO geltend.

Sie bringt vor, es hätte eine Eventualfrage in der Richtung des Verbrechens des Schwangerschaftsabbruches ohne Einwilligung der Schwangeren nach dem § 98 Abs. 1 StGB gestellt werden sollen; die den Geschwornen erteilte Rechtsbelehrung sei unrichtig, weil sie unterschiedslos mehrere Lehrmeinungen über den strafrechtlich relevanten Zeitpunkt des Beginnes des Menschenlebens im Sinn des § 75 StGB dargeboten habe; unrichtig sei die Belehrung auch in dem Punkt, in dem ausgeführt werde, daß die Gefährlichkeit des Geburtsvorganges mit dem Austritt eines Körperteils des Kindes aus dem Mutterleib überwunden sei.

Rechtliche Beurteilung

Der Beschwerde kommt im Ergebnis keine Berechtigung zu. Gemäß dem § 314 Abs. 1 StPO ist - von hier nicht in Betracht kommenden Fällen abgesehen - eine Eventualfrage nur dann zu stellen, wenn in der Hauptverhandlung Tatsachen vorgebracht wurden (hervorkamen), wonach die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat unter ein anderes Strafgesetz fiele, das nicht strenger ist als das in der Anklageschrift angeführte.

Die in der Beschwerde vermißte Eventualfrage in der Richtung des Schwangerschaftsabbruches ohne Einwilligung einer Schwangeren nach dem § 98 Abs. 1 StGB war aber nach den Verfahrensergebnissen nicht geboten.

Die Angeklagte hatte sich in ihren vor Gendarmeriebeamten und vor dem Untersuchungsrichter abgelegten Geständnissen, die zum Gegenstand von Erörterungen in der Hauptverhandlung gemacht wurden (siehe S 278 und 303 in Verbindung mit S 57 bis 59 und 134 bis 136 d. A), vorgebracht, sie habe deshalb, weil sie befürchtete, das zur Welt kommende Kind werde letztlich ihr zur Last fallen, die aus der Scheide ihrer Tochter Monika A schon ausgetretene Nabelschnur zu einem Zeitpunkt durchtrennt, als bereits zwei Zehen (des Kindes aus dem Mutterleib) 5 bis 10 cm herausstanden (S 57 und 134). Die Zeugin Monika A bekundete bei ihren wiederholten Vernehmungen im Vorverfahren und in der Hauptverhandlung, daß sie bereits zu einem Zeitpunkt, ehe die Angeklagte zu ihr kam, in der Küche mit einem Spiegel beobachtete, daß zwei Zehen des Kindes (aus der Scheide) 'herausschauten' (S 73, 123, 235, 237, 281 d.A). Ebenso erklärte die Zeugin Anna B (eine weitere Tochter der Angeklagten) in der Hauptverhandlung, daß sie zu jenem Zeitpunkt, als die Angeklagte bei Monika A war, Zehen des Kindes (aus dem Mutterleib) 'herausschauen' sah (S 286 d.A).

Der Tod des Kindes trat nach dem Gutachten des Sachverständigen Dr. C durch Ersticken, bewirkt durch Sauerstoffmangel zufolge Durchtrennung der Nabelschnur ein (S 299 d.A).

Die Angeklagte stellte in den Hauptverhandlungen vom 10. März 1982 und vom 19. Mai 1982 (ON 31 und 39 d.A) ihre Täterschaft sinngemäß mit der Behauptung in Abrede, eine andere Person müsse die Tathandlung verübt haben, brachte jedoch nichts vor, das den Schluß darauf zuließe, die Tathandlung sei zu einem Zeitpunkt vorgenommen worden, in dem noch nicht ein Teil des Körpers des Kindes aus dem Mutterleib ausgetreten gewesen wäre.

Angesichts dieser Verfahrensergebnisse war die Fragestellung an die Geschwornen nur in bezug darauf indiziert, ob die Angeklagte die ihr zur Last gelegte Tathandlung zu einem Zeitpunkt beging, als bereits Teile des Körpers des Kindes aus dem Mutterleib ausgetreten waren. Jedenfalls in diesem Stadium des Geburtsvorganges ist aber das zur Welt kommende Kind Mensch im Sinn des § 75 StGB und damit Objekt eines durch diese Gesetzesstelle verpönten deliktischen Angriffes. Die zur Rechtslage vor Inkrafttreten des Strafgesetzbuches vertretene Meinung, daß von einem Menschen (und nicht von einer Leibesfrucht) erst dann gesprochen werden könne, wenn das Lebewesen sich bereits zur Gänze außerhalb des Mutterleibes befinde (Altmann-Jakob, Kommentar, I S 356) oder wenn die Lungenatmung beginne (Lammasch-Rittler, Grundriß5 S 213) oder wenn der Kopf des Kindes aus dem Mutterleib austritt (Heimberger, Österr. Zeitschrift für Strafrecht, Band 1, S 169), wurde angesichts der Bestimmung des § 79 StGB, die als privilegiertes Tötungsdelikt und keineswegs als qualifiziertes Abtreibungsdelikt konzipiert wurde (Dokumentation zum Strafgesetzbuch, S 122, 123) obsolet, ergibt sich doch daraus, daß nach der nun geltenden Rechtslage das Lebewesen bereits 'während der Geburt' als Mensch und nicht mehr als Leibesfrucht anzusehen ist (vgl Leukauf-Steininger, Komm zum StGB2, RN 6 zu § 79 und RN 3 zu § 75; Kienapfel, Grundriß, Besonderer Teil I, RN 2

und 3 zu § 75 StGB; Moos in Strafrechtliche Probleme der Gegenwart 4 S 36). Folgerichtig wurde vom Gesetzgeber auch der zweite Fall der Abtreibung des § 144 StG 1945 (die Bewirkung der Entbindung auf solche Art, daß das Kind tot zur Welt kommt), der auch noch während des Geburtsvorganges begangen werden konnte, in den zweiten Abschnitt des besonderen Teiles des StGB nicht übernommen. Ragt somit bereits - wie hier bei einer Steißgeburt - ein Teil des Körpers des Kindes aus der Scheide der gebärenden Mutter heraus, dann handelt es sich um einen Vorgang 'während der Geburt' eines Kindes im Sinn des § 79 Abs. 1

StGB; denn der Austritt aus dem Mutterleib gehört unzweifelhaft zum Geburtsvorgang.

Daß im vorliegenden Fall die mit einem scharfkantigen Werkzeug vorgenommene Durchtrennung der Nabelschnur (vgl S 299 d.A) zu einem früheren Zeitpunkt geschehen wäre, wurde - wie dargelegt - im Verfahren nicht 'vorgebracht' (in der Bedeutung des § 314 StPO). Es verbot sich demnach die von der Beschwerde monierte Fragestellung in der Richtung des § 98 Abs. 1 StGB Auch den auf die Z 8 des § 345 Abs. 1 StPO gestützten Ausführungen der Beschwerde kann kein Erfolg beschieden wenn.

Wenngleich diese Gesetzesstelle einen absoluten Nichtigkeitsgrund normiert, für den die Einschränkungen des § 345 Abs. 3 und 4 StPO keine Geltung haben, bleibt eine Fehlerhaftigkeit einer Rechtsbelehrung dennoch als Nichtigkeit außer Betracht, wenn diese Fehlerhaftigkeit einen überflüssigen Teil betrifft, der für den Wahrspruch der Geschwornen von vornherein gar nicht Bedeutung erlangen konnte (vgl SSt 43/3 = EvBl 1972/217 = RZ 1972, 165; EvBl 1973/309;

EvBl 1982/80).

In der vom Vorsitzenden des Schwurgerichtshofes den Geschwornen auf Grund des Beschlusses des Schwurgerichtshofes erteilten Rechtsbelehrung finden sich zwar - an sich nicht den Grundsätzen des § 321 Abs. 2 StPO entsprechend (vgl erneut SSt 43/3 und EvBl 1973/309) - zwei unterschiedliche Rechtsansichten über den Beginn des Menschenlebens, die ersichtlich durch Kompilation mehrerer Lehrmeinungen gewonnen wurden, die in der übersicht bei Leukauf-Steininger (Kommentar zum StGB2, RN 2 zu § 75) dargestellt werden. Diese den Geschwornen dargebotenen unterschiedlichen Rechtsauffassungen differieren darin, was den frühestmöglichen Zeitpunkt der Menschwerdung betrifft, stimmen aber soweit (bereits) überein, daß bei einer Regelgeburt mit Austritt des Kopfes und bei einer regelwidrigen Geburt (wie einer Steißgeburt) mit Austritt eines Teiles des Körpers des Kindes Menschenleben (im strafrechtlichen Sinn) beginnt.

Da vorliegend - wie schon oben dargelegt - allein eine Tathandlung zu beurteilen war, die zu einem Zeitpunkt begangen wurde, als bei einer Steißgeburt (also einer regelwidrigen Geburt) bereits Zehen des Kindes aus der Scheide der Geärenden ausgetreten waren, waren Rechtsausführungen über den Beginn des Menschenlebens in einem früheren Stadium des Geburtsvorganges an sich nicht geboten und es schadet daher die allein diese Phasen betreffende Divergenz der den Geschwornen mitgeteilten Rechtsansichten nicht; es muß daher auch jetzt nicht darauf eingegangen werden, ob bereits mit dem Einsetzen der Eröffnungswehen oder erst mit Austritt des Kopfes (bei einer Regelgeburt) oder Austritt irgend eines anderen Körperteils (bei regelwidriger Geburt) Menschenleben im strafrechtlichen Sinn beginnt.

Soweit die Beschwerde zuletzt unter Bezugnahme auf die Ausführungen des in der Hauptverhandlung vernommenen Sachverständigen Dr. C, nach denen bei einer komplizierten Geburt wie einer Steißgeburt, wenn sie mit einem Nabelschnurvorfall einhergeht, die Möglichkeit einer Abklemmung der Nabelschnur während des Geburtsvorganges in Rechnung gestellt werden müsse, gelegentlich noch die Vornahme eines Kaiserschnittes (während dieser Geburtsphase) erforderlich und daher eine Gefährdung des Lebens des Kindes auch in diesem Stadium möglich sei, ableitet, die in der ersten Version der Rechtsbelehrung angeführte 'unmittelbare Gefährlichkeit' umfasse bei einem Geburtsvorgang mit Komplikationen auch eine Phase nach Austritt eines Körperteils des Kindes bis zur vorzunehmenden Schnittentbindung, ist ihr entgegenzuhalten, daß die vom Sachverständigen aufgezeigte Möglichkeit weiterer Komplikationen - die von einem vorsorglichen Geburtshelfer gewiß zu beachten sind - auch nach den Ausführungen des Sachverständigen keineswegs mit jeder regelwidrigen Geburt einhergehen. Wenn daher die erste in der Rechtsbelehrung enthaltene Rechtsauffassung den Begriff der 'unmittelbaren Gefährlichkeit' mit dem Austritt des Kopfes (bei einer normalen Geburt) oder dem Austritt irgend eines anderen Körperteils (bei regelwidriger Geburt) begrenzt und mögliche weitere, auch bei regelwidriger Geburt nur in Sonderfällen auftretende nach diesem Stadium mögliche Zwischenfälle nicht unter diesem Begriff miteinschloß, so kann darin eine Unrichtigkeit der Rechtsbelehrung nicht erblickt werden.

Aus den angeführten Erwägungen war daher die Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten zu verwerfen.

Die Kostenentscheidung ist in der im Spruch genannten Gesetzesstelle verankert.

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