European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2012:0110NS00009.12F.0207.000
Spruch:
Für die Durchführung des Strafverfahrens ist das Landesgericht für Strafsachen Wien zuständig.
Gründe:
Rechtliche Beurteilung
Am 4. Februar 2011 brachte die Staatsanwaltschaft Wien beim Einzelrichter des Landesgerichts für Strafsachen Wien einen Strafantrag gegen Georg T***** und sechs weitere Angeklagte, darunter auch Walter M*****, ein (ON 13). T***** wird zur Last gelegt, er habe am 14. September 2009 als Zeuge bei seiner förmlichen Vernehmung zur Sache vor der Kriminalpolizei, und zwar vor den Beamten des Bundeskriminalamts, Sonderkommission Doping, Franz S***** und Thomas Sc*****, durch die Behauptung, Gerlinde M***** habe ihm nie „Blutbeutel“ bei der T***** übergeben, falsch ausgesagt. Dem gegenüber betreffen die Vorwürfe gegen fünf andere Angeklagte, darunter den Angeklagten M*****, Vergehen nach dem Arzneimittelgesetz und dem Anti‑Doping‑Bundesgesetz 2007, jener gegen einen weiteren Angeklagten wiederum ebenfalls eine falsche Beweisaussage.
Mit Beschluss vom 13. Juli 2011, GZ 161 Hv 69/11i‑16, schied die Einzelrichterin das Verfahren gegen Georg T***** „mangels Konnexität und aus Gründen der Verfahrensökonomie“ aus und trat es ‑ ohne vorangegangene Beschlussfassung gemäß § 485 Abs 1 Z 1 StPO oder Anordnung einer Hauptverhandlung ‑ an das als zuständig bezeichnete Landesgericht Innsbruck ab.
Der Einzelrichter des Landesgerichts Innsbruck erachtete sich ebenfalls für nicht zuständig und übermittelte den Akt daraufhin dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung über den negativen Kompetenzkonflikt.
Mit Beschluss des Obersten Gerichtshofs vom 6. Oktober 2011, 11 Ns 55/11v (ON 22 des Hv‑Aktes), wurden die Akten dem Landesgericht für Strafsachen Wien zur Vornahme der im Verfahren vor dem Landesgericht als Einzelrichter gemäß § 485 Abs 1 StPO notwendigen Prüfung des Strafantrags zurückgestellt.
Mit unbekämpft gebliebenem Beschluss vom 9. November 2011, GZ 161 Hv 69/11i‑23, sprach die Einzelrichterin des Landesgerichts für Strafsachen Wien sodann ihre örtliche Unzuständigkeit gemäß § 485 Abs 1 Z 1 erster Fall StPO aus und trat nach Rechtswirksamkeit desselben die Sache erneut an das als zuständig bezeichnete Landesgericht Innsbruck ab.
Der Einzelrichter des Landesgerichts Innsbruck erachtete sich mit unangefochten gebliebenem Beschluss vom 3. Dezember 2011, GZ 27 Hv 135/11f‑24, zur Durchführung des Strafverfahrens wiederum für örtlich unzuständig und trat dieses neuerlich dem Landesgericht für Strafsachen Wien ab, welches den Akt nun zum zweiten Mal zur Entscheidung über den Kompetenzkonflikt vorlegte.
Gemäß § 37 Abs 1 zweiter Satz StPO ist das Hauptverfahren vom selben Gericht gemeinsam zu führen, wenn mehrere Personen gleichzeitig (iSv einmalig, 15 Ns 38/09w; Oshidari , WK‑StPO § 37 Rz 3) angeklagt sind, deren Taten (abgesehen vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 12 StGB) sonst in engem sachlichen Zusammenhang stehen. Nicht in diesem Sinn (und in jenem des Abs 1 erster Satz leg cit) konnexe, jedoch dennoch gleichzeitig angeklagte Taten mehrerer Personen haben somit nicht Gegenstand eines gemeinsam geführten Hauptverfahrens zu sein, vielmehr sind die Verfahren diesfalls zu trennen. Die örtliche Zuständigkeit richtet sich dann für jedes dieser Verfahren nach § 36 Abs 3 StPO, ohne dass die ‑ eine Ausscheidung aus einem gesetzmäßig (§ 37 Abs 1 StPO) gemeinsam geführten Verfahren voraussetzende ‑ Zuständigkeitsnorm des § 36 Abs 4 StPO greift (der zufolge ein Gericht auch dann für das Hauptverfahren örtlich zuständig bleibt, wenn es ein Verfahren gegen einen Angeklagten oder wegen einer Straftat ausscheidet, es sei denn, dass ein Gericht mit Sonderzuständigkeit ein Verfahren wegen einer allgemeinen strafbaren Handlung oder ein Landesgericht eine Strafsache ausscheidet, für deren Verhandlung und Entscheidung das Bezirksgericht zuständig ist).
Ein enger sachlicher Zusammenhang mehrerer Taten iSd § 37 Abs 1 StPO ist ua dann gegeben, wenn es in mehreren Verfahren auf dieselben Beweismittel, insb auf die Aussagen derselben Zeugen oder jeweils des einen Angeklagten im Verfahren gegen den anderen ankommt. Die Ausweitung des Konnexitätsbegriffs seit dem StrafprozessänderungsG 1993 (BGBl 1993/526) dient der Verfahrensökonomie, der Förderung der Wahrheitsfindung und der einheitlichen Erfassung und Aburteilung zusammengehöriger Sachverhalte. In diesem Sinn kann auch die falsche Beweisaussage einer Person in einer bestimmten Sache als konnex zu dieser Sache selbst anzusehen sein (vgl Nordmeyer , WK‑StPO § 26 Rz 4).
Vorliegend ist ein enger sachlicher Zusammenhang schon deshalb zu bejahen, weil die Frage, ob die Ehefrau des Walter M*****, Gerlinde M*****, dem Angeklagten Georg T***** „Blutbeutel“ bei der T***** übergeben habe (V./ des Strafantrags), beweiswürdigungsmäßig für die Beurteilung der gegen den Mitangeklagten Walter M***** erhobenen Vorwürfe des Inverkehrsetzens sowie Anwendens von Arzneimitteln und verbotenen Wirkstoffen zu Zwecken des Dopings im Sport in Bezug auf zahlreiche Spitzensportler (III./ und IV./ des Strafantrags) von Bedeutung sein kann. Zutreffend wurde daher der Georg T***** zur Last gelegte Sachverhalt gleichzeitig mit den Vorwürfen gegen Walter M***** unter Strafantrag gestellt.
Daher gilt nach der durch die Einzelrichterin erfolgten Trennung iSd § 37 Abs 1 StPO konnexer Verfahren die Zuständigkeitsnorm des § 36 Abs 4 StPO, weshalb das Landesgericht für Strafsachen Wien (mangels Vorliegens einer Sonderzuständigkeit oder eines in die bezirksgerichtliche Zuständigkeit ressortierenden Verfahrens) örtlich zuständig bleibt.
Zur Klarstellung wird bemerkt, dass ein Verlust des Verfolgungsrechts der Staatsanwaltschaft iSd § 485 Abs 2 StPO ungeachtet dessen, dass die Anklagebehörde nach Rechtswirksamkeit des Beschlusses, mit dem die Einzelrichterin des Landesgerichts für Strafsachen Wien ihre örtliche Unzuständigkeit aussprach (§ 485 Abs 1 Z 1 erster Fall StPO), keinen weiteren Antrag gestellt hat, nicht eintreten konnte.
Gemäß § 485 Abs 2 StPO hat zwar der Ankläger, sobald ein Beschluss gemäß § 485 Abs 1 Z 1 oder Z 2 StPO rechtswirksam geworden ist, binnen einer Frist von drei Monaten, bei sonstigem Verlust des Verfolgungsrechts, „die für die Fortführung des Verfahrens erforderlichen Anträge oder Anordnungen zu stellen“.
Erforderlich in diesem Sinn ist im Fall des beschlussmäßigen (bloßen) Ausspruchs örtlicher Unzuständigkeit, bei dem somit anders als etwa in den Fällen des § 485 Abs 1 Z 2 StPO der Strafantrag vom Einzelrichter nicht zurückgewiesen wird, und daher ‑ als in dieser Hinsicht per se mängelfrei (vgl § 484 iVm § 210 Abs 1 StPO, wonach die Bezeichnung des örtlich zuständigen Gerichts nicht notwendiger Bestandteil des Strafantrags ist) ‑ unberührt bleibt, jedoch weder die Einbringung eines neuen Strafantrags noch die Stellung eines anderen Antrags, wie etwa auf Abtretung der Strafsache an ein anderes Gericht. Denn § 38 StPO verpflichtet das Gericht, das sich für unzuständig hält ‑ den Einzelrichter im Stadium vor Anordnung der Hauptverhandlung erst nach Rechtswirksamkeit eines darüber gefassten Beschlusses nach § 485 StPO ‑, die Sache (von Amts wegen) dem zuständigen Gericht zu überweisen.
Weil somit kein Antrag des Anklägers zur Fortführung des ‑ durch die bloße Erklärung örtlicher Unzuständigkeit nicht beendeten ‑ Verfahrens erforderlich ist, kann auch kein Verlust des Verfolgungsrechts eintreten (in diesem Sinn bereits, jedoch die genannte Konsequenz nur für eine als zulässig angesehene Überweisung durch das Oberlandesgericht im Rahmen seiner Entscheidung über eine Beschwerde gegen den Beschluss nach § 485 Abs 1 erster Fall StPO bejahend, im Übrigen aber noch ‑ nicht konkretisierte ‑ „Anträge oder Anordnungen“ des Anklägers fordernd, RIS‑Justiz RS0125311).
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