OGH 10Os77/80

OGH10Os77/8017.6.1980

Der Oberste Gerichtshof hat am 17. Juni 1980 unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Racek in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernardini, Dr. Friedrich, Dr. Hörburger und Dr. Lachner als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Bart als Schriftführer in der Strafsache gegen Franz A wegen des Verbrechens der Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen nach §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 1, 85 Z. 3 StGB. über die vom Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Schöffengericht vom 20. März 1980, GZ. 27 Vr 3449/79- 15, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernardini, der Ausführungen der Verteidigerin Rechtsanwalt Dr. Adler und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Scheibenpflug, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird Folge gegeben und die Freiheitsstrafe auf 9 (neun) Monate herabgesetzt.

Gemäß § 390 a StPO. fallen dem Angeklagten die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 23. Mai 1935 geborene Hilfsarbeiter Franz A des Verbrechens der Körperverletzung nach §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 1 und 85 Z. 3 StGB.

schuldig erkannt, weil er am 9. Juli 1979 in Innsbruck dem Wolfgang B einen Stoß versetzte, wodurch jener zu Boden fiel, mit dem Kopf auf dem Asphalt aufschlug, eine Körperverletzung, nämlich ein kombiniertes Schädelhirntrauma mit offenem Schädelbruch und einer Hirnsubstanzverletzung erlitt; diese Verletzungen hatten sowohl eine mehr als 24 Tage dauernde Berufsunfähigkeit als auch für lange Zeit ein schweres Leiden, nämlich epileptische Anfälle wegen der erlittenen Verletzungen zur Folge.

Der Beschwerdeführer bekämpft diesen Schuldspruch nur in Ansehung der beiden (letzt-)genannten Qualifikationen mit einer auf § 281 Abs. 1 Z. 5 und 10 StPO. gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, deren Vorbringen sohin im Ergebnis auf eine Verurteilung bloß wegen (schlichter) Körperverletzung nach § 83 Abs. 2 StGB. abzielt. Zum erstangeführten Nichtigkeitsgrund wirft er dem angefochtenen Urteil 'gewisse' Begründungsmängel vor. Die von ihm mangels Deckung durch den Akteninhalt der Sache nach als unzureichend begründet bekämpften Urteilsfeststellungen betreffen jedoch mehrfach nicht entscheidende Tatsachen.

Dies gilt sowohl für die Frage, ob sich der Beschwerdeführer vor der Tat an einem Wortwechsel beteiligte (siehe jedoch die den als erwiesen angenommenen Sachverhalt stützende ausführliche eigene Schilderung des Beschwerdeführers vor der Polizei (S. 26, 79), als auch für jene, inwieweit der vom Beschwerdeführer dem Zeugen B versetzte Stoß 'gekonnt' war oder nicht (siehe allerdings S. 75 unten) und ebenso ferner für die Frage, ob B eine offene Schädelfraktur erlitt (die im übrigen ebenfalls in Übereinstimmung mit den Beweisergebnissen bejaht wurde - siehe Hauptverhandlungsprotokoll S. 78) sowie letztlich für jene, ob der Angeklagte bei seiner Vorgangsweise gegenüber B (also bei dem so kräftigen Stoß, daß dieser rücklings auf den Asphalt stürzen mußte, Verletzungsvorsatz (§ 83 Abs. 1 StGB.) oder (bloß) Mißhandlungsvorsatz hatte (§ 83 Abs. 2 StGB.), handelt es sich doch bei den vom dolus her unterschiedlichen Aggressionsakten um auch in bezug auf die Haftung für nicht vom Vorsatz umfaßte schwerere Verletzungsfolgen rechtlich gleichwertige Begehungsformen ein- und desselben Delikts.

Rechtliche Beurteilung

Der Wertung des medizinischen Sachverständigengutachtens im Urteil als mängelfrei, kann schon deshalb nicht mit Aussicht auf Erfolg, so wie dies der Verteidiger in der Rechtsmittelschrift unternimmt, durch Konfrontation mit dem Inhalt eines von ihm (angeblich) nach der Hauptverhandlung mit einem gerichtsmedizinischen Sachverständigen geführten Gespräches, in Zweifel gesetzt werden, weil damit eine unbeachtliche Neuerung ins Treffen geführt wird. Wenn der Beschwerdeführer ferner unter Bezugnahme auf dieses Gespräch der Auffassung Ausdruck verleiht, der vernommene (unfallchirurgische) Sachverständige sei zu einer gutächtlichen Äußerung darüber, ob die Art der eingetretenen Verletzungen für die gegenständliche Tathandlung typisch ist, nicht kompetent gewesen, weshalb das Gericht einen Gerichtsmediziner als Sachverständigen beizuziehen gehabt hätte, so behauptet er der Sache nach keinen Begründungsmangel (§ 281 Abs. 1 Z. 5 StPO.), sondern einen Verfahrensmangel (§ 281 Abs. 1 Z. 4 StPO.), zu dessen Geltendmachung es jedoch schon an der prozessualen Voraussetzung bei der Hauptverhandlung in dieser Richtung gestellten Beweisantrages fehlt. Die sonstigen Beschwerdeeinwände gegen die Urteilsannahme der Vorhersehbarkeit der eingetretenen Verletzungsfolgen für den Angeklagten, welche das Schöffengericht nicht nur auf das eingeholte medizinische Gutachten, sondern auch - mit Fug - auf die Erfahrungen des täglichen Lebens stützt (S. 87), laufen - auch soweit sie sich im als Mängelrüge deklarierten Abschnitt des Rechtsmittels finden, primär auf eine Rechtsrüge (§ 281 Abs. 1 Z. 10 StPO.) hinaus. Sie sind jedoch nicht zielführend:

Gemäß § 7 Abs. 2 StGB. haftet der Täter für eine besondere Folge seiner Tat, wenn er diese wenigstens fahrlässig herbeigeführt hat. Zur Begründung der Fahrlässigkeitsschuld bedarf es dabei vorliegend nur noch einer Bejahung der Komponente der Vorhersehbarkeit des Erfolges, weil ja eine objektiv und subjektiv sorgfaltswidrige Handlung schon durch den mit Verletzungsvorsatz geführten Stoß gegeben ist.

Daß aber ein kräftiger Stoß zu einem Sturz und Aufschlagen des Gestoßenen mit dem Kopf auf den Boden mit daraus resultierenden schwersten (bis zu tödlichen) Verletzungen führen kann, ist für jedermann (und damit auch für jeden Laien) vorhersehbar und war es sohin nach den - von Begründungsmängeln und einem Rechtsirrtum freien - Urteilsannahmen auch für den Beschwerdeführer. Damit ist aber bereits dargetan, daß er die eingetretene Verletzung jedenfalls (zumindestens unbewußt) fahrlässig (§ 6 Abs. 1 StGB.) herbeigeführt hat, mag auch der Aufprall des Opfers mit dem Hinterkopf auf den Boden keine unvermeidbare Folge der Handlung des Angeklagten gewesen sein. Nach Art desselben lag allerdings ein solcher Geschehensablauf durchaus nahe. Er ist dem Angeklagten - ohne daß es noch besonderer Feststellungen in irgend einer Beziehung bedurfte - umsomehr zuzurechnen, als hiefür die Vorhersehbarkeit des (keineswegs atypischen) Kausalverlaufs in allen Einzelheiten nicht erforderlich ist (RZ. 1979/53).

In der Rechtsrüge nach § 281 Abs. 1 Z. 10 StPO. bekämpft der Beschwerdeführer des weiteren die Heranziehung der Qualifikation des § 85 Z. 3 StGB. mit dem Argument, daß ein schweres Leiden, Siechtum oder Berufsunfähigkeit bei dem Verletzten, der in der Hauptverhandlung deponierte, er fühle sich gänzlich wiederhergestellt, gar nicht vorliege.

Nach den auf dem Gutachten des unfallchirurgischen Sachverständigen Dr. Lois-Jörg C beruhenden Konstatierungen des Erstgerichtes erlitt Wolfgang B eine von Hirnsubstanzverlust begleitete Hirnverletzung, die eine gewichtige, einer immerwährenden Folge nahekommende Beeinträchtigung des Daseinswertes bedeutet, weil er jederzeit mit dem Auftreten von epileptischen Anfällen rechnen muß, die plötzliche Bewußtlosigkeit bewirken können, weshalb er auch auf nicht absehbare Zeit zur Einnahme von Medikamenten genötigt ist und vor allem bei körperlichen Belastungen oder Aufregungen besondere Vorsicht aufwenden muß.

Der Auffassung des Beschwerdeführers zuwider decken diese Ausführungen die Annahme der (für immer oder) für lange Zeit eingetretenen Tatfolge eines schweren Leidens:

Leiden ist eine Gesundheitsschädigung von längerer Dauer; ob ein Leiden schwer ist, hängt von der in einer Gesamtschau zu würdigenden Erheblichkeit und Wichtigkeit der Gesundheitsschädigung ab. Im vorliegenden Fall ist dies zu bejahen: Die nach dem Sachverständigengutachten wegen der Hirnverletzung auf unabsehbare Zeit gebotenen Vorsichtmaßnahmen (fortwährende Einnahme von Medikamenten sowie Vermeidung von Anstrengungen und Aufregungen) bei der trotzdem jederzeit gegebenen Möglichkeit des unerwarteten Auftretens epileptischer Anfälle, welche voraussichtlich das gesamte künftige Leben des am 27. Oktober 1943 (so S. 17 und 31 - hingegen 1942 lt. S. 15, 23 und 45) geborenen, sohin noch in der ersten Lebenshälfte stehenden Wolfgang B bestimmen werden, stellen eine schwere Beeinträchtigung seiner beruflichen wie privaten Lebensmöglichkeiten dar. Demgegenüber hat das derzeitige subjektive Wohlbefinden des Zeugen, das dieser in der Hauptverhandlung (S. 75) zum Ausdruck brachte, nichts zu bedeuten, zumal er die Verletzungsfolgen, wie der Sachverständige ausführte (S. 78), unterspielte und die Richtigkeit des Gutachtens gerade durch den vom Zeugen angegebenen, überraschend erst kurz vor der Hauptverhandlung eingetretenen Anfall von Bewußtlosigkeit bestätigt wird. Die sich aus dem tatsächlichen Gesundheitszustand BS zwangsläufig ergebende schwere Beeinträchtigung desselben bedeutet nicht zuletzt infolge der damit notwendig verknüpften ständigen inneren Unsicherheit (dieses Verletzten) für alle Zukunft eine wesentliche und dem Gesetzesbegriff des schweren Leides entsprechende Schädigung der Gesundheit, welche die weitere Lebensführung auf unabsehbare Zeit empfindlichst beeinträchtigen wird (vgl. ÖJZ-LSK. 1979/208 = RZ. 1979/53 = EvBl. 1979/ 178).

Der unbegründeten Nichtigkeitsbeschwerde war daher der Erfolg zu versagen.

Das Erstgericht verurteilte den Angeklagten nach § 85 StGB. zu einem Jahr Freiheitsstrafe. Bei der Strafbemessung wertete es vier Vorstrafen wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden Taten als erschwerend, als mildernd hingegen den Umstand, daß sich der Angeklagte durch die vorangegangene Bezeichnung als 'Opa' verspottet fühlen konnte, und das reumütige Geständnis. Der Berufung, mit welcher der Angeklagte eine Herabsetzung des Strafmaßes anstrebt, kann (gewisse) Berechtigung nicht abgesprochen werden.

Der wiederholt, allerdings schon vor längerer Zeit und überwiegend nicht einschlägig vorbestrafte Angeklagte wurde zuletzt zwischen 1967 und 1974 insgesamt dreimal wegen - teils im Zustand voller Berauschung begangener - Aggressionshandlungen schuldig gesprochen und es wurden damals außerdem über ihn durchwegs jeweils nur verhältnismäßig geringe Geldstrafen verhängt. Angesichts dessen sowie im Hinblick auf die besonderen Umstände des konkreten Falles erscheint die aus dem Spruch ersichtliche maßvolle Minderung der Freiheitsstrafe vertretbar.

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