Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.
Der Berufung des Angeklagten wird Folge gegeben und die Freiheitsstrafe auf 4 (vier) Jahre herabgesetzt.
Die Staatsanwaltschaft wird mit ihrer Berufung auf diese Entscheidung verwiesen.
Gemäß § 390 a StPO. fallen dem Angeklagten die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 1.Mai 1944 geborene Kellner Walter A 1./ des Verbrechens der Körperverletzung mit tödlichem Ausgang nach §§ 83 Abs 1, 86 StGB. und 2./ des Vergehens nach § 36 Abs 1 lit a WaffenG. schuldig erkannt.
Inhaltlich des Schuldspruchs hat er in Wien zu 1./ am 26.Mai 1979 den Johann B durch einen Schuß aus einer Pistole der Marke FN, Nr. 532965, Kaliber 7,65 mm vorsätzlich am Körper verletzt, wobei die Tat den Tod des Geschädigten zur Folge hatte;
zu 2./ von Anfang April 1979 bis 26.Mai 1979 die unter Punkt 1./ bezeichnete Faustfeuerwaffe wiederholt unbefugt besessen und geführt.
Rechtliche Beurteilung
Der Angeklagte bekämpft diesen Schuldspruch mit einer von seinem Verteidiger auf die Z. 1 a, 3, 5, 9
lit a, 9 lit b und 10 des § 281 Abs 1 StPO. gestützten Nichtigkeitsbeschwerde. Auf die (ergänzende Ausführungen zu diesem Rechtsmittel enthaltende) durch den Angeklagten persönlich nach der Benachrichtigung vom Gerichtstag zur öffentlichen Verhandlung an den Obersten Gerichtshof gerichtete und bei diesem am 16.September 1981 eingelangte Eingabe ist - abgesehen davon, daß sie nicht innerhalb der Frist des § 285 Abs 1 StPO. eingebracht wurde und dem Formerfordernis des § 285 a Z. 3 StPO. keine Rechnung trägt - (schon) deshalb nicht einzugehen, weil das Gesetz (§§ 282 Abs 1, 285 Abs 1 StPO.) nur eine Ausführung der Beschwerdegründe durch den Beschwerdeführer vorsieht.
Den ersterwähnten Nichtigkeitsgrund erblickt er darin, daß er bei dem (am Tage der Urteilsfällung) vorgenommenen (ersten) Lokalaugenschein nicht durch einen Verteidiger vertreten gewesen sei. Sein bezügliches Vorbringen ist zwar insoweit zutreffend, als der Lokalaugenschein zunächst tatsächlich in Abwesenheit des Verteidigers - dessen Nichterscheinen übersehen worden war - vorgenommen worden ist. Da aber der betreffende Verfahrensabschnitt nach Eintreffen des Verteidigers sogleich - nunmehr in dessen Anwesenheit - zur Gänze neu durchgeführt worden (und damit der vorher ohne anwesenden Verteidiger vorgenommene Augenschein - faktisch - gegenstandslos geworden) ist, kann entgegen dem Beschwerdevorbringen nicht mit Fug gesagt werden, daß der Beschwerdeführer nicht während der ganzen Hauptverhandlung durch seinen Verteidiger vertreten gewesen wäre.
Der Beschwerdeführer irrt aber auch, wenn er meint, es liege der Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z. 3 StPO.
vor, weil der Verlauf des - zunächst ohne Verteidiger durchgeführten
- Lokalaugenscheins aus dem Hauptverhandlungsprotokoll nicht ersichtlich sei. Denn abgesehen davon, daß inzwischen eine entsprechende Protokollberichtigung erfolgt ist (ON. 133), läge eine
- Nichtigkeit bewirkende - Verletzung der Vorschrift des § 271 StPO. nur bei gänzlicher Unterlassung der Aufnahme der betreffenden Niederschrift vor. Mängel derselben genügen hiefür nicht (SSt 39/29 u. a.); um ihre Behebung kann nur in der Weise angesucht werden, wie dies - hier im Rahmen der Rechtsmittelschrift, und zwar mit Erfolg - ohnehin geschehen ist.
Dem weiteren Beschwerdevorbringen, das Hauptverhandlungsprotokoll sei dem Verteidiger erst nach Urteilszustellung zugängig gemacht worden, ist nicht zu entnehmen, ob allenfalls (wofür nach der Aktenlage jedoch kein Anhaltspunkt vorliegt - vgl. S. 233/II) eine frühere Einsichtnahme überhaupt (vergeblich) angestrebt worden ist. Im übrigen könnte selbst das weder Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z. 3 StPO. noch eine (im Gesetz nicht vorgesehene) 'Nichtigkeit der Urteilszustellung' bewirken; eine Urteilszustellung vor Fertigstellung des Protokolls (vgl. hiezu SSt 9/58) wird nicht einmal behauptet.
In Ausführung des Nichtigkeitsgrundes des § 281 Abs 1 Z. 5 StPO. rügt der Beschwerdeführer, das Urteil sei in Ansehung entscheidender Tatsachen undeutlich, unvollständig und mit sich selbst im Widerspruch. Insofern allein bedeutsame formale Begründungsmängel in Ansehung der damit bekämpften Tatsachenfeststellungen vermag er jedoch nicht aufzuzeigen. Vielmehr unternimmt er nach Inhalt und Zielsetzung seines bezüglichen Vorbringens im wesentlichen nur den im schöffengerichtlichen Verfahren unzulässigen und daher unbeachtlichen Versuch, die gemäß § 258 Abs 2 StPO. insbesondere auf Grund einer Wertung der Verfahrensergebnisse in ihrem Zusammenhang vorgenommene Beweiswürdigung des erkennenden Gerichtes zu bekämpfen. In deren Rahmen hat dieses unter Berücksichtigung aller wesentlichen Beweistatsachen seine hieraus gewonnene Überzeugung entsprechend den Denkgesetzen (schlüssig) begründet. Dazu, im Urteil jedes Verfahrensergebnis bis ins letzte Detail zu erörtern, war es im Interesse der vom Gesetz (§ 270 Abs 2 Z. 5 StPO.) angeordneten 'gedrängten Darstellung' der Urteilsgründe auch dann nicht verbunden, wenn derartige Resultate des Beweisverfahrens - isoliert betrachtet - unter Umständen auch für den Angeklagten günstiger hätten ausgelegt werden können. Der gesetzlichen Begründungspflicht hat demnach das Erstgericht im vorliegenden Fall jedenfalls hinreichend entsprochen.
Daß im Urteil auf Divergenzen in den Aussagen verschiedener Zeugen hingewiesen wird (S. 177/II), zeigt (gerade) deren (gebotene) Beachtung bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft dieser Beweisergebnisse (einzeln wie im Zusammenhalt) und rechtfertigt in keiner Weise den vom Beschwerdeführer gezogenen Schluß, letztere seien keine geeignete Grundlage für die Feststellungen des Erstgerichts über die Situation unmittelbar vor der Schußabgabe, mit denen es seine Verantwortung, er (persönlich) sei dabei von B und C gleichzeitig attackiert worden, als widerlegt ansah (S. 195, 197/II).
Diese Tatsachenannahmen finden vielmehr in den (mit Ausnahme kleiner Detailabweichungen) insoweit übereinstimmenden Aussagen der Zeugen Christa E, Franz E, Gerhard F und Gerhard C, sowie zum Teil auch in der eigenen Verantwortung des Angeklagten ihre mängelfreie Begründung.
Der in der Beschwerde vertretenen Ansicht zuwider steht auch der als erwiesen angenommene Umstand, daß B einen Sessel in Richtung der (Schank-) Vitrine zu schleudern versuchte (S. 197/II), der weiteren Feststellung, daß der Angeklagte, als er deswegen (aus einer Distanz von 2 bis höchstens 4 Metern) auf den Genannten schoß, dabei mit dem Vorsatz handelte, diesen (zumindest) am Körper zu verletzen (S. 197- 201/II), ebensowenig entgegen wie die Konstatierung, daß er bei der Schußabgabe immerhin doch weder einen Tätungsvorsatz noch die Absicht hatte, B schwer zu verletzen (S. 203/II).
Weder dem Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen (vgl. S. 152/II in Verbindung mit ON. 102) noch sonstigen Verfahrensergebnissen ist ein Anhaltspunkt dafür zu entnehmen, daß die körperliche und geistige Widerstandskraft des Beschwerdeführers zur Tatzeit infolge Übermüdung und wegen der - im Urteil ohnedies berücksichtigten (S. 173, 175/II) - Belüftungsverhältnisse am Tatort derart beeinträchtigt gewesen wäre, daß er deswegen die Situation (in dem von ihm behaupteten Sinn) verkannt haben könnte; vielmehr hat der Angeklagte gegenüber dem Sachverständigen selbst angegeben, ein 'Nachtmensch' und in der Früh 'ganz in Ordnung und munter' gewesen zu sein (S. 15 in ON. 102), sowie gleicherweise auch noch in der Hauptverhandlung erklärt, er sei mehr oder weniger 'topfit' gewesen, weil er ein 'Nachtmensch' sei (S. 85/II unten). Zu einer Erörterung seiner physischen und psychischen Verfassung im Tatzeitpunkt bestand daher kein Anlaß. Gleiches gilt für die Schußhöhe, die nach dem Gutachten des Sachverständigen Dr. G nicht objektivierbar ist (S. 151/II) und schon deswegen keinerlei Rückschluß auf das Vorliegen oder Fehlen eines (bloßen) Verletzungsvorsatzes des Angeklagten gestattet.
Das dessen Sehkraft betreffende Gutachten des zuletzt genannten Sachverständigen schließlich (insbesondere S. 151/II), steht mit der Feststellung, daß der Angeklagte trotz des Verlustes seiner Brille aus einer Distanz von 2 bis maximal 4 Metern (zwar keinen gezielten) sehr wohl (aber - mit Verletzungsvorsatz -) einen zielgerichteten Schuß auf die (gleichwohl nur in Umrissen wahrgenommene) Person des Johann B abzugeben in der Lage war (S. 199, 201/II), durchaus im Einklang.
Die Mängelrüge erweist sich daher nicht nur als in keiner Beziehung zielführend, sondern sie läuft sowohl in Ansehung der einzelnen Einwände als auch (und vor allem) im Ergebnis auf einen nicht zu beachtenden Angriff gegen die erstgerichtliche Beweiswürdigung hinaus.
Fehl gehen auch die Rechtsrügen, die zunächst einer gesetzmäßigen Darstellung entbehren, insoweit der Beschwerdeführer unter Anrufung der Nichtigkeitsgründe der Z. 9 lit a und b des § 281 Abs 1 StPO. seine Verurteilung nach §§ 83 Abs 1, 86 StGB. mit der Argumentation als verfehlt bekämpft, daß er einerseits seinen Gegner nicht verletzen wollte und andererseits durch das Erstgericht 'auf die subjektive Seite der Notwehrsituation kein Bedacht genommen und auch nicht die durch Übermüdung entstandene subjektiv als gegeben erscheinende Notwehrsituation beachtet' wurde. Denn die Urteilsfeststellungen, an denen bei (dem Gesetz entsprechender) Ausführung materiellrechtlicher Nichtigkeitsgründe festgehalten werden muß, lassen am Verletzungsvorsatz (vgl. insbesondere S. 197/II) sowie (zumindestens im Zusammenhang gesehen) auch daran keinen Zweifel, daß der Angeklagte die tatsächliche (Notwehr-) Situation zur Tatzeit richtig erkannt und nicht in dem von ihm behaupteten - die Annahme einer auf keinem asthenischen Affekt beruhenden) Notwehrüberschreitung (§ 3 Abs 2 StGB.) in Frage stellenden -
Sinn (§ 8 StGB.) mißverstanden hat (S. 195, 199, 201/II). Daß allerdings klarere und ausdrückliche Feststellungen sowohl über die Notwehrlage (als solche) als auch bezüglich der Notwehrüberschreitung (aus sthenischem Affekt) wünschenswert gewesen wären, sei nur noch der Vollständigkeit halber erwähnt. Soweit aber der Beschwerdeführer unter Geltendmachung des Nichtigkeitsgrundes des § 281 Abs 1 Z. 10 (inhaltlich auch Z. 9 lit b) StPO. eine Beurteilung des ihm zu Punkt 1./ des Urteilssatzes angelasteten Tatverhaltens als Vergehen des Raufhandels nach § 91 (Abs 1) StGB.
sowie Straflosigkeit nach Abs 2 dieser Gesetzesstelle anstrebt, scheidet eine solche Subsumtion von vorneherein schon deshalb aus, weil nach dem im Urteil als erwiesen angenommenen Sachverhalt eine Schlägerei oder ein Angriff mehrerer (die jedoch Tatbestandsvoraussetzung dieses Deliktes wären) gar nicht stattgefunden hat;
außerdem hätte eine Verurteilung des Angeklagten wegen Raufhandels angesichts dessen nicht Platz greifen können, daß er der festgestellte (mit Verletzungsvorsatz handelnde) Urheber des schweren Erfolges war (Leukauf-Steininger, Kommentar zum StGB.2, RN. 5, 16 und 18
zu § 91).
Die Nichtigkeitsbeschwerde war mithin zu verwerfen. Das Erstgericht verurteilte den Angeklagten nach §§ 28, 86 StGB. zu acht Jahren Freiheitsstrafe. Bei der Strafbemessung wertete es als erschwerend die wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden Taten vorangegangenen Verurteilungen und den raschen Rückfall, als mildernd hingegen die Provokation durch Johann B und das Teilgeständnis hinsichtlich des Vergehens nach dem Waffengesetz. Gegen den Strafausspruch richten sich die Berufungen der Staatsanwaltschaft, die eine Straferhöhung anstrebt, und des Angeklagten, der eine Strafermäßigung begehrt.
Nur dem letzteren Rechtsmittel kommt Berechtigung zu. Die vom Erstgericht sonst im wesentlichen zutreffend festgestellten Strafzumessungsgründe bedürfen (bloß) insofern einer Ergänzung, als das Zusammentreffen zweier strafbarer Handlungen verschiedener Art zu den (im Urteil angenommenen) Erschwerungsgründen hinzutritt. Auch diesem Umstand kommt allerdings nicht ein so bedeutendes Gewicht zu, daß die ausgesprochene Strafe als angemessen oder gar - wie die Staatsanwaltschaft (bei der gegebenen Sachlage unverständlicherweise) meint -, als zu milde angesehen werden könnte. Vor allem kann nach den Urteilsgründen von der Annahme einer Absichtsprovokation durch den Angeklagten, wie sie der öffentliche Ankläger in seiner Rechtsmittelschrift anklingen läßt (S. 242/II), nicht ausgegangen werden. Ja es kann zunächst darin, daß der Angeklagte sich, nachdem B ihn tätlich angegriffen und dabei seine Brille zerbrochen hatte, bewaffnete, um seiner Forderung nach einer Ersatzleistung Nachdruck zu verleihen und (ersichtlich außerdem) allfälliger weiterer Aggressivität B vorzubeugen, bei objektiver Betrachtung der Situation ebensowenig ein 'provokantes' Verhalten des Angeklagten gesehen werden, wie darin, daß er später erklärte, 'jetzt mache er ernst', als B, der inzwischen einen Tisch gegen die Vitrine geschleudert hatte, seiner Aufforderung, aufzuhören, sonst werde er schießen, nicht nachkam, sondern abermals einen Sessel in Richtung der Vitrine zu schleudern suchte. Denn der in Rede stehenden Erklärung läßt sich doch wieder nur die (an sich durchaus berechtigte und nunmehr lediglich in energischerer Form ausgesprochene) Ankündigung eines (allfälligen) Waffengebrauchs gegenüber dem Aggressor B für den Fall eines Verharrens in seinem widerrechtlichen Verhalten und dessen Fortsetzung entnehmen (vgl. dazu beispielsweise auch S. 160/I, 131/II). Was aber die weiteren vom Erstgericht als erwiesen angenommenen Äußerungen des Angeklagten in dieser Phase (S. 201/II) anlangt (auf Grund deren es einen asthenischen Affekt ausschloß), so sind diesen inhaltlich der Urteilsgründe - außer der Gewaltanwendung von Seiten des B und von diesem gebrauchten provozierenden Worten (vgl. z. B. S. 54/I) - (wenn schon nicht Angriffe, so doch - zugegebenermaßen: S. 137/II; vgl. auch S. 125/II -) Provokationen der Begleiter B, namentlich solche in massiver Form durch Gerhard C (vgl. S. 187/II) vorangegangen, welche auch diese fraglichen Aussprüche des Angeklagten in einem anderen Licht erscheinen lassen als jenem, in dem sie der öffentliche Ankläger sieht. Unter Zugrundelegung der Gesamtsituation, insbesondere der Vorgangsweise des tödlich verletzten B und hier wiederum der Tatsache, daß der Genannte sich selbst durch den angedrohten Waffengebrauch nicht davon abhalten ließ, seine Aggressionsakte im verstärkten Maß unter Bewaffnung mit Inventargegenständen sowie Zertrümmerung von solchen weiterhin auszuführen, erachtet der Oberste Gerichtshof unter den besonderen Umständen des konkreten Falles trotz der aus dem getrübten Vorleben ersichtlichen Neigung des Angeklagten zu Gewaltdelikten, eine bedeutende Milderung der Strafe für vertretbar und geboten. Sie wurde daher in Stattgebung seiner begründeten Berufung spruchgemäß herabgesetzt und dementsprechend die Staatsanwaltschaft mit ihrem (verfehlten) Rechtsmittel auf diese Entscheidung verwiesen.
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