Spruch:
Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und gemäß § 288 Abs. 2 Z 3 StPO in der Sache selbst erkannt:
Sinisa A wird von der Anklage, er habe am 22. August 1979 in Wien Michael B durch Versetzen eines Fußtrittes gegen das Gesicht vorsätzlich am Körper verletzt, wobei die Tat eine an sich schwere Körperverletzung, nämlich einen Nasenbeinbruch mit einer Verschiebung der Bruchstelle zur Folge gehabt habe, und hiedurch das Vergehen der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 1 StGB begangen, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 20. Juli 1962 geborene Angeklagte Sinisa A - in Erledigung der gegen ihn wegen des Vergehens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 1 StGB erhobenen Anklage - des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs. 1 und Abs. 4 (erster Fall) StGB schuldig erkannt, begangen am 22. August 1979 in Wien durch einen in fahrlässiger Notwehrüberschreitung dem Michael B versetzten Fußtritt, der einen Nasenbeinbruch mit (geringer) Dislokation der Bruchstücke verursachte.
Das Erstgericht stellte folgenden wesentlichen Sachverhalt fest:
Der Angeklagte, der das sogenannte 'body-building' betreibt, schlank aber kräftig gebaut ist, wurde am 22. August 1979, während er (von seiner Arbeitsstelle am Stephansplatz kommend) mit seiner Freundin (Silvia C) durch die Kärntnerstraße ging, von etwa sechs bis acht alkoholisierten und lärmenden jungen Männern, unter denen sich der mit der Uniform des Bundesheeres bekleidete damalige Präsenzdiener Michael B befand, belästigt und beschimpft, schließlich umstellt, angerempelt und umhergestoßen, bis ein anderer Passant dazwischentrat. Als A, der mehrfach erklärt hatte, er wolle in Ruhe gelassen werden, sich mit seiner Freundin an der Hand einige Schritte entfernte, eilte plötzlich B in der Absicht, ihn tätlich anzugreifen, mit erhobenen Fäusten von hinten auf ihn zu, wobei die anderen Burschen unmittelbar nachfolgten. A, der die Schritte BS hörte, drehte sich um, konnte diesen, noch bevor er von ihm attackiert wurde, am Hemd erfassen und zog ihn derart zur Seite, daß der Genannte das Gleichgewicht verlor und zu Boden stürzte, dabei aber unverletzt blieb. Da die inzwischen herangekommenen Freunde BS im Rücken AS standen, befürchtete dieser einen ernstlichen Angriff, drehte sich um und nahm eine kampfbereite Stellung ein, wobei er während der Körperdrehung einen ungezielten Fersentritt gegen den am Boden liegenden B vollführte, um diesen am Aufstehen und Eingreifen in die zu erwartende Auseinandersetzung zu hindern. Durch den Fußtritt AS, der zwar nicht damit gerechnet hatte, B ins Gesicht zu treffen, sich aber auch nicht vergewissert hatte, wohin er traf, erlitt B, der seine Körperhaltung inzwischen verändert gehabt hatte, die bereits beschriebene Nasenbeinverletzung. Der Fortgang der tätlichen Auseinandersetzung wurde durch das Einschreiten eines Polizeioffiziers unterbunden.
Bei der rechtlichen Beurteilung des Sachverhaltes ging das Erstgericht vom Vorliegen einer Notwehrsituation aus, weil (seinen weiteren tatsächlichen Annahmen nach) der Angeklagte im Hinblick auf die vorausgegangenen Ereignisse (nämlich die mit Tätlichkeiten verbundenen Belästigungen durch B und seine Begleiter) annehmen konnte, daß diese, als jener mit erhobenen Fäusten auf ihn zulief, sich auch an diesem Angriff gegen ihn beteiligen würden, er also einer Übermacht gegenüberstand, welcher er auch mit seinem 'durchtrainierten Körper' nicht gewachsen war. Einen Fortbestand der Notwehrlage, zumindest aber Putativnotwehr, billigte es dem Angeklagten auch für die Zeit nach der ersten Abwehr BS mit der Argumentation zu, dieser sei durch den Sturz keineswegs kampfunfähig und auch nicht anzunehmen gewesen, daß er dadurch seine Aggressivität eingebüßt hatte, sondern eher das Gegenteil; überdies seien inzwischen die Freunde BS herangekommen und hätten den Angeklagten umstellt. Das Erstgericht erblickte jedoch im ungezielten Fußtritt des Angeklagten nach rückwärts gegen seinen am Boden liegenden Widersacher eine aus Furcht, Bestürzung oder Schrecken geschehene Überschreitung des gerechtfertigten Maßes der Verteidigung, für welche der Angeklagte bei gegebener Zumutbarkeit eines leichter dosierten Schlages oder Trittes gegen eine weniger gefährdete Körperstelle im Sinne einer fahrlässigen Notwehrüberschreitung hafte.
Rechtliche Beurteilung
Gegen diese rechtliche Annahme eines fahrlässigen Notwehrexzesses wendet sich der Angeklagte (der Sache nach nur) aus dem Nichtigkeitsgrund der Z 9 lit. b des § 281 Abs. 1 StPO. Entscheidend für die Beantwortung der Frage nach der notwendigen, dh. maßhaltenden Verteidigung bzw. deren schuldhaften - durch § 3 Abs. 2 StGB als fahrlässiger Notwehrexzeß unter der Voraussetzung, daß sie auf einem asthenischen Affekt beruht, sowie (objektiv und subjektiv) ein Fahrlässigkeitsdelikt verwirktlicht, pönalisierten - Überschreitung ist, ob die Verteidigungshandlung aus der Situation des Angegriffenen (' ex ante') gesehen und unter Beachtung objektiver Kriterien zur verläßlichen Abwehr des Angriffes erforderlich war oder dieses Maß überschritt.
Solcherart bildet die Notwendigkeit der Abwehr auch die obere Grenze der von Rechts wegen zulässigen Gegenwehr (vgl. in ÖJZ 1980 Steininger S 230, Burgstaller, S 241).
Nach Lage des Falles kann - entgegen der Ansicht des Erstgerichtes - in dem Fußtritt des Angeklagten (gegen seinen Angreifer) eine das Maß verläßlicher Abwehr überschreitende Reaktion nicht erblickt werden.
Stand nämlich der Angeklagte einer Mehrzahl ihm überlegener Personen gegenüber und mußte er, wie ihm selbst das Urteil zubilligt, einen weiteren Angriff (auf sich) befürchten, dann bedurfte es, nachdem er seinen ersten Widersacher B zunächst auf für diesen relativ gefahrlose Weise zu Boden gebracht hatte, eines sofortigen und energischen weiteren Krafteinsatzes gegen den Genannten, um von dessen Seite ein Eingreifen in den unmittelbar drohenden tätlichen Angriff seiner Begleiter verläßlich zu hindern und sich auf diese Weise gewissermaßen den Rücken freizuhalten. (Vgl. hiezu illustrativ die Angaben des Zeugen Christian D vor der Polizei S 13, wonach die Tathandlung des Angeklagten erfolgte, als B nach dessen Beinen zu greifen trachtete.) So gesehen liegt (unter dem Aspekt der Verläßlichkeit der Abwehrhandlung) in dem kraftvollen Fußtritt nach hinten, der bei der gegebenen Fallkonstellation überhaupt als uno actu mit dem Umwenden gegen die übrigen (zumindest präsumtiven) Angreifer einzig mögliche und daher zweckmäßige Verteidigung wider B angesehen werden kann, keine Notwehrüberschreitung. Die seitens des Erstgerichtes erhobene Forderung, ein an sich zulässiges Abwehrmittel unter detaillierter Berücksichtigung aller denkbaren Folgen für den Angegriffenen graduell abgestuft einzusetzen, ist lebensfremd (vgl. auch Burgstaller, aaO), zumal unzureichende Abwehrhandlungen nach der Lebenserfahrung geeignet sind, die Angriffslust enthemmter Personen nur noch zu steigern und die für den Angegriffenen bestehende Gefahrenlage zu verschärfen (SSt 43/50).
Der Umstand, daß der Fußtritt ungezielt erfolgte, ist bedeutungslos. Denn abgesehen davon, daß angesichts der Übermacht der Angreifer und des Gebotes rascher Reaktion ein gezielter derartiger Tritt, bei dem der Angeklagte von den Begleitern BS abgewendet hätte stehen müssen und jenen hiebei Gelegenheit zu seiner sofortigen Überwältigung gegeben hätte, ihm nicht zumutbar war, hätten auch in diesem Fall eben wegen der Erforderlichkeit entsprechenden Krafteinsatzes beim Auftreffen des Fusses auf einen an sich weniger empfindlichen Körperteil als die Nase das Entstehen graduell ungefähr gleich schwerer (Knochen- oder Weichteil-)Verletzungen nicht ausgeschlossen werden können.
Daß die, vom Erstgericht erst im Rahmen der rechtlichen Beurteilung festgehaltene Konstatierung besonderer Kraftintensität der Abwehrhandlung überhaupt einer ausreichenden Begründung im Urteil entbehrt (§ 281 Abs. 1 Z 5 StPO), sei - mag dieser formelle Mangel vom Beschwerdeführer auch ungerügt geblieben und von Amts wegen nicht wahrnehmbar sein - doch noch der Vollständigkeit halber am Rande vermerkt: Die Nasenbeinfraktur in der konkreten Beschaffenheit indiziert nämlich schon deshalb keine besondere Wucht der traumatischen Einwirkung, weil sie nur mit einer geringen Dislokation verbunden war und (zwar auf Wunsch des Verletzten, wohl aber auch unter Beachtung ärztlicher Grundsätze) eine Reposition der Bruchstückverschiebung unterblieben ist (vgl. die Krankengeschichte S 33). Solche Nasenbeinverletzungen können aber notorisch schon bei verhältnismäßig geringer Wucht eines Schlages, Stoßes oder Trittes erfolgen.
Da somit der Angeklagte die Grenzen angemessener Verteidigung nicht überschritten hat und ihm daher ein fahrlässiger Notwehr-(oder Putativnotwehr-)Exzeß nicht angelastet werden kann, war er in Stattgebung seiner Nichtigkeitsbeschwerde von der wider ihn (wegen des Vergehens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 1
StGB) erhobenen Anklage gemäß § 259 Z 3 StPO freizusprechen.
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