Spruch:
1. Dem Angeklagten wird wider die Versäumung der Frist zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom 19.November 1980, GZ 20 Vr 531/80-17, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erteilt.
- 2. Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
- 3. Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde der Angeklagte Alois A des 'Vergehens der leichten und schweren Körperverletzung nach den § 83 Abs 1, 84 Abs 1 StGB' (gemeint: der Vergehen der leichten Körperverletzung nach § 83 Abs 1 und der schweren Körperverletzung nach § 83 Abs 1, 84 Abs 1 StGB) schuldig erkannt.
Der Angeklagte meldete sogleich nach Urteilsverkündung (am 19. November 1980) das Rechtsmittel der Nichtigkeitsbeschwerde an; eine Urteilsausfertigung wurde dem Verteidiger des Angeklagten erst am 25.Juni 1985 zugestellt. Die Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde wurde am 23.Juli 1985, somit verspätet, überreicht.
Rechtliche Beurteilung
Mit dieser Rechtsmittelausführung wurde ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wider die Versäumung der Frist zur Ausführung des angemeldeten Rechtsmittels verbunden. Darin wird vorgebracht, daß die seit dem Jahr 1974 in der Kanzlei des Verteidigers Dr. B beschäftigte Kanzleileiterin Rosemarie C, die ihre Aufgaben - darunter auch die Vorlage der einlangenden Post mit dem zugehörigen Akt an Dr. B - bislang gewissenhaft und fehlerfrei erfüllte, die Urteilausfertigung in Empfang genommen habe. Da sie den gegenständlichen Kanzleiakt nicht sofort gefunden habe, habe sie die Urteilsausfertigung zunächst in ein Ablagefach gelegt und in der Folge aus unerfindlichen Gründen vergessen, nach dem Kanzleiakt zu suchen. Ein solcher Fehler sei ihr erstmals unterlaufen. Am 11.Juli 1985 sei der Verteidiger von der Leiterin der Geschäftsabteilung 20 des Landesgerichtes Salzburg angerufen worden, die ihm mitgeteilt habe, daß in der gegenständlichen Strafsache bisher keine Ausführung der angemeldeten Nichtigkeitsbeschwerde eingelangt sei. Durch diesen Anruf habe der Verteidiger erstmals von der Urteilszustellung Kenntnis erlangt. Dieses Vorbringen wird durch die dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beigelegte eidesstattliche Erklärung der Kanzleileiterin Rosemarie C untermauert.
Nach ständiger Judikatur vermag ein vereinzeltes Versehen einer (sonst verläßlichen) Kanzleikraft eines Verteidigers, wie es hier dargetan wurde, ein unabwendbares Hindernis im Sinn des § 364 StPO zu begründen (vgl. Mayerhofer/Rieder, StPO 2 , ENr. 41 bis 45 zu § 364 u.a.); dieses Versehen wird im vorliegenden Fall umsomehr als außergewöhnliches Ereignis erklärlich, als es der Sachlage nach augenscheinlich durch eine geradezu unbegreiflich überlange Säumnis des Vorsitzenden des Schöffensenates in der Zustellung einer Urteilsausfertigung ausgelöst wurde, die es verständlich macht, daß (nahezu 5 Jahre nach der Urteilsfällung) der Kanzleiakt nicht mehr zur Hand war. Es war demnach die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, um die innerhalb der Frist des § 364 Abs 1 Z. 2 StPO angesucht wurde, zu bewilligen.
Aus dem - unklar abgefaßten - Aktenvermerk vom 11.Juli 1985 (S. 1 j) kann unter den Umständen des vorliegenden Falles ein schlüssiger Rechtsmittelverzicht des Verteidigers nicht ersehen werden, vielmehr ist darin bloß eine - dann nicht
verwirklichte - Ankündigung zu erblicken, allenfalls mit einem gesonderten Schriftsatz auf Rechtsmittel zu verzichten. Nach Erteilung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war sogleich in die Entscheidung in der Hauptsache einzugehen (§ 364 Abs 2 letzter Satz StPO).
Mit dem eingangs bezeichneten Urteil wurde der Angeklagte schuldig erkannt, am 2.November 1979 in Bischofshofen Vinzenz D zu Boden gestoßen, mit den Füßen getreten und ihm so einen offenen Unterkieferbruch links, sohin eine an sich schwere Körperverletzung, sowie am 26.August 1979 in St. Johann i.P. Wolfgang E mit der Faust ins Gesicht geschlagen, gegen den am Boden liegenden (nach den Entscheidungsgründen allerdings: stehenden) E mit den Füßen getreten und ihm eine leichte Verletzung, nämlich einen Nasenbeinbruch ohne Verschiebung der Bruchstücke, zugefügt zu haben. Der den Schuldspruch aus der Z. 5, 9 lit a und 10 des § 281 Abs 1 StPO bekämpfenden Nichtigkeitsbeschwerde es Angeklagten kommt keine Berechtigung zu.
Die Feststellung, daß der Beschwerdeführer dem Vinzenz D durch Tritte einen Unterkieferbruch zufügte, findet - der Mängelrüge zuwider - ihre Begründung in den vom Schöffengericht ohne Einschränkungen für glaubwürdig erachteten und der Entscheidung zugrundegelegten Aussagen der Zeugen Josef F, Johanna G und Margot G, aus denen hervorgeht, daß der Angeklagte sein Opfer zu Boden stieß und danach mit den Füßen nach ihm trat. Mit der davon abweichenden Aussage des Verletzten in der Hauptverhandlung beschäftigte sich - entgegen den Beschwerdeausführungen - das Erstgericht und erklärte deren mangelnden Beweiswert denkmöglich mit der damaligen Alkoholisierung oder einer möglichen Gehirnerschütterung des Opfers (S. 110, 111).
Auch zum Faktum 2 stützt sich das Schöffengericht auf die Aussage des Opfers und der unbeteiligten Zeugen H und I (dessen Aussage vor der Gendarmerie), wonach der Angeklagte dem Opfer mehrere Tritte ins Gesicht versetzte und dadurch die festgestellte Verletzung verursachte (S. 112). Mit der Spekulation des Beschwerdeführers, es sei wahrscheinlich, daß E den Nasenbeinbruch bei der 'Ranglerei' im Lokal erlitten habe, bekämpft er unzulässigerweise lediglich die Beweiswürdigung des Schöffengerichtes (dies ganz abgesehen davon, daß auch nach dieser Version der Nasenbeinbruch auf seine Tätlichkeiten zurückzuführen wäre).
Ebenfalls unberechtigt ist das Vorbringen des BeschwerdefühAers, wonach das Erstgericht nicht auf die in beiden Fakten jeweils vorangegangenen Raufereien zwischen den Opfern und dem Angeklagten Bezug genommen habe. Er übersieht dabei die Ausführungen des Urteils, wonach der Angeklagte mit D 'in einen Streit geraten ist' (S. 108) und wonach es vorerst auch mit E eine mit tätlichen Attacken durchsetzte 'Auseinandersetzung' gegeben hatte (S. 109). Die diese Feststellungen vernachlässigende, der Sache nach den Nichtigkeitsgrund der Z. 10 des § 281 Abs 1 StPO behauptende Ausführung der Beschwerde, es liege eine fehlerhafte Subsumtion vor, die Taten seien als Raufhandel zu beurteilen, stellen sich nicht als gesetzmäßige Ausführung eines materiellrechtlichen Nichtigkeitsgrundes dar, weil sie den festgestellten Sachverhalt verlassen (dies ganz abgesehen davon, daß von einem Raufhandel im Sinn des § 91 StGB schon mangels der für eine Schlägerei oder einen Angriff mehrerer erforderlichen Personenmehrheit nicht die Rede sein kann).
Wenngleich das Erstgericht unter der überschrift 'Sachverhalt' keine ausdrücklichen Feststellungen zur subjektiven Tatseite traf - was der Beschwerde zugegeben sei -, weist das Urteil dennoch nicht den in der Rechtsrüge behaupteten Feststellungsmangel auf. Regelungen, an welcher Stelle des Urteils die festgestellten entscheidungswesentlichen Tatsachen anzuführen sind, kennt die Strafprozeßordnung nicht. Das Erstgericht ging lediglich entgegen dem der übersichtlichkeit der Urteilsausfertigung dienenden Gerichtsgebrauch vor, wonach ein Urteil in Feststellungen, Beweiswürdigung und rechtliche Beurteilung gegliedert wird, wenn es - wie hier - erst im Zug der 'rechtlichen Beurteilung' ergänzende Feststellungen über den Verletzungsvorsatz des Angeklagten traf und beweiswürdigend ausführte, aus welchen Erwägungen es hiezu kam (S. 113). Die Rechtsrüge, die diese Feststellungen als solche ausdrücklich negiert, ist somit auch in diesem Punkt nicht gesetzmäßig ausgeführt, weil sie sich (erklärtermaßen) über einen Teil des festgestellten Urteilssachverhaltes hinwegsetzt. Bei der angestrebten Unterstellung der Taten unter § 91 StGB geht der Beschwerdeführer erneut von der - wie schon aufgezeigt - fehlerhaften Annahme aus, es sei ein Verletzungsvorsatz in beiden Fakten nicht festgestellt und daher 'denkbar', daß sich der Vorsatz des Angeklagten auf die Beteiligung an einer Schlägerei gerichtet habe. Auch mit diesen Ausführungen geht er daher nach dem Vorgesagten nicht vom urteilsmäßig festgestellten Sachverhalt aus; die Rechtsrüge ist somit auch insoweit nicht prozeßordnungsgemäß ausgeführt.
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher schon bei der nichtöffentlichen Beratung als teils nicht gesetzmäßig ausgeführt, teils offenbar unbegründet zurückzuweisen (§ 285 d Abs 1 Z. 1 und 2 StPO i.V.m. § 285 a Z. 2 StPO).
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