OGH 10ObS92/90

OGH10ObS92/9012.6.1990

Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Oberten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Jürgen Mühlhauser (Arbeitnehmer) und Dr.Richard Bauer (Arbeitgeber) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Johann P***, 3580 Horn, Im Naturpark 1, vertreten durch Dr.Friedrich Frühwald, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei P*** DER A***, 1021 Wien, Friedrich

Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr.Alfred Kasamas, Rechtsanwalt in Wien, wegen Berufsunfähigkeitspension, infolge Rekurses beider Parteien gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 20. Dezember 1989, GZ 32 Rs 263/89-42, womit das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 26.September 1989, GZ 2 Cgs 40/89-38, aufgehoben wurde, beschlossen und zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Beiden Rekursen wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben und in der Sache selbst zu Recht erkannt:

Das Klagebegehren, die beklagte Parti sei schuldig, dem Kläger die Berufsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß ab 1.12.1987 zu gewähren, wird abgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger die mit S 3.501,84 bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz (darin S 573,64 Umsatzsteuer), die mit S 1.371,84 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin S 228,64 Umsatzsteuer) und die mit S 3.292,80 bestimmten Kosten des Rekursverfahrens (darin S 548,80 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger hat ursprünglich eine Maler- und Anstreicherlehre absolviert und mit der Lehrabschlußprüfung abgeschlossen. Seit dem Jahr 1971 begann er mit dem praktischen Erlernen der Dachdeckerei:

Er gründete in diesem Jahr eine Dachdeckerfirma, für die er einen gewerbeberechtigten Geschäftsführer aufnahm. Ab diesem Zeitpunkt erlernte er das Dachdeckergewerbe. Zu Beginn seiner Tätigkeit als Dachdecker war er überwiegend als Geschäftsführer seines Unternehmens kaufmännisch tätig. Ab dem Jahr 1973 arbeitete er täglich länger auf den Dächern als im Büro. In der Folge begann der Kläger auch mit einer förmlichen Dachdeckerlehre, die er im Jahr 1980 mit der Lehrabschlußprüfung abschloß. Im Jahr 1983 bestand er die Dachdeckermeisterprüfung. In den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag, das ist in der Zeit vom 1.12.1972 bis 30.11.1987 arbeitete der Kläger während der überwiegenden Zeit in seinem erlernten Beruf als Dachdecker. Der Kläger kann noch leichte und mittelschwere Arbeiten in der normalen Arbeitszeit mit den üblichen Pausen verrichten. Arbeiten an erhöhten und exponierten Stellen, auf Leitern und Gerüsten, sind auszuschließen. Eine Arbeitskraft mit den Leistungseinschränkungen des Klägers ist nicht mehr geeignet, als Dachdeckermeister tätig zu sein. Die Tätigkeit des Dachdeckens ist mittelschwer, wird teils stehend, sitzend, hockend, kniend und auf der Seite halbliegend ausgeübt und ist immer mit starker Ausgesetztheit an höhenexponierten Stellen verbunden. Der Dachdeckermeister, der nicht manuell mitarbeitet, hat nur leichte körperliche Arbeit zu leisten, doch hat er bei seiner überwachenden und kontrollierenden Tätigkeit immer wieder erhöht exponierte Stellen zu betreten.

Die beklagte Partei wies mit Bescheid vom 14.3.1988 den Antrag des Klägers vom 3.11.1987 auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension ab.

Das Erstgericht gab der dagegen erhobenen Klage statt und erkannte die beklagte Partei schuldig, dem Kläger eine Berufsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß ab 1.12.1987 "binnen 14 Tagen" zu gewähren. Eine vorläufige Zahlung wurde nicht aufgetragen. Das Erstgericht ging davon aus, daß der Kläger in seinem Betrieb überwiegend als Dachdecker gearbeitet habe, woran nichts ändere, daß er (gleichzeitig) in seiner Eigenschaft als Betriebseigentümer auch kaufmännisch tätig gewesen sei, weil seine Bürotätigkeit weitgehend in den Hintergrund gedrängt worden sei. Der Beruf des Dachdeckers zähle zu den Arbeiterberufen; die Berufsunfähigkeit sei daher nach § 255 Abs 1 und 2 ASVG zu beurteilen. Da der Kläger den Dachdeckerberuf nicht mehr ausüben könne und ein geeigneter Verweisungsberuf nicht existiere, sei dem Klagebegehren stattzugeben.

Das Berufungsgericht gab der von der beklagten Partei aus dem Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobenen Berufung Folge, es hob das erstgerichtliche Urteil auf und verwies die Rechtssache unter Setzung eines Rechtskraftvorbehaltes zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück. Nach den Feststellungen sei von einem Mischberuf auszugehen, der sich aus der Tätigkeit des Klägers als angestellter Geschäftsführer einer GesmbH einerseits und als Dachdecker andererseits ergebe. Dabei sei für die Frage der Berufsunfähigkeit die Feststellung des Überwiegens einer dieser Tätigkeiten während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag maßgebend. Die erstgerichtlichen Feststellungen reichten diesbezüglich für eine abschließende rechtliche Beurteilung nicht aus. Einerseits habe der Kläger während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag während der überwiegenden Zeit der Beitragszeiten in seinem erlernten Beruf als Dachdecker gearbeitet, andererseits habe er die förmliche Dachdeckerlehre 1980 mit der Lehrabschlußprüfung abgeschlossen. Die Lehrzeit sei jedoch für die förmliche Erlernung des Dachdeckerberufes nicht in die Berufszeit einzubeziehen. Sei der Kläger aber bereits vorher, nämlich ab 1973 als Dachdecker angelernt worden, so werde für den Beginn der Berufszeit als Dachdecker jener Zeitpunkt anzusehen sein, in welchem der Kläger alle für diesen Beruf notwendigen und wesentlichen Kenntnisse erworben habe. Sollte ein Überwiegen der Bürotätigkeit des Klägers festgestellt werden, so werde abzuklären sein, inwieweit es auf dem Arbeitsmarkt Arbeitsplätze für gelernte Dachdecker gebe, in denen diese auf reine Büroarbeiten beschränkt seien.

Gegen diesen Beschluß erhoben beide Teile Rekurs. Der Kläger hält die Sache spruchreif im Sinne einer Bestätigung des erstgerichtlichen Urteils, die beklagte Partei hingegen im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens.

Rechtliche Beurteilung

Die Rekurse sind gemäß § 45 Abs 5 ASGG aF ohne die Voraussetzungen des § 46 Abs 2 ASGG aF zulässig. Entgegen der Ansicht des Klägers ist auch der Rekurs der beklagten Partei nicht deshalb unzulässig, weil das Berufungsgericht deren Berufung Folge gegeben hatte (Fasching, Komm IV 414 Anm 11 zu § 519 ZPO; derselbe ZPR2 Rz 1718; stR seit SZ 18/48).

Beide Rekurse sind im Ergebnis insoweit berechtigt, als sie die Spruchreife der Sache geltend machen.

Es entspricht zwar der ständigen Judikatur des Obersten Gerichtshofes, daß der Anspruch eines Pensionswerbers, der trotz seiner Versicherung als Angestellter Arbeitertätigkeiten verrichtet hat, nach dem Invaliditätsbegriff des § 255 ASVG zu beurteilen ist und daß zwischen dem Versicherten und seinem Arbeitgeber darüber getroffene Vereinbarungen, welchem Versicherungszweig eine Tätigkeit zuzuordnen ist, nicht bindend sind (SSV-NF 3/2 mwN, 3/123 ua). Der vorliegende Fall ist aber dadurch gekennzeichnet, daß der Kläger während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag immer Geschäftsführer eines eigenen, im Jahr 1971 gegründeten Dachdeckerunternehmens war, welches in der Form einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung geführt wurde. Die Anwendbarkeit des Angestelltengesetzes auf den geschäftsführenden Gesellschafter einer GesmbH ist umstritten (vgl Martinek-Schwarz, AngG6 31 ff; Schwarz-Löschnigg, Arbeitsrecht4 154 f jeweils mwN); jedoch kann auch ein Gesellschafter-Geschäftsführer nach dem ASVG pflichtversichert sein, wenn trotz seiner Beteiligung an der Gesellschaft die Voraussetzungen des § 4 Abs 2 ASVG vorliegen (dazu Schima, Die Sozialversicherungspflicht des Geschäftsführers einer GmbH, ZAS 1987, 121 ff bes 123; vgl auch Grillberger, Der Fremd-Geschäftsführer einer GmbH als Dienstnehmer? FS Ostheim 541 ff, bes 546). Fehlt die Dienstnehmereigenschaft, kann der Geschäftsführer einer GmbH unter den Voraussetzungen des § 2 Abs 1 Z 3 GSVG nach diesem Bundesgesetz pflichtversichert sein. Mangels entsprechender Feststellungen der Vorinstanzen über die arbeits- und gesellschaftsrechtliche Stellung des Klägers in den von ihm gegründeten Gesellschaften kann die Frage seiner Arbeitnehmerähnlichkeit nicht beantwortet werden; diese Frage kann allerdings aus folgenden Überlegungen dahingestellt bleiben. Ein angestellter kaufmännischer (nicht bloß handelsrechtlicher) Geschäftsführer einer Gesellschaft mbH verrichtet kaufmännische Dienste iS des § 1 Abs 1 AngG. Bei der arbeitsrechtlichen Einstufung eines solchen Geschäftsführers kann es freilich - und das haben die Vorinstanzen übersehen - nicht darauf ankommen, ob und in welchem Ausmaß er tatsächlich allenfalls auch Arbeitertätigkeiten dadurch verrichtet, daß er handwerklich mitarbeitet. Hier steht nämlich in jedem Fall - unabhängig vom zeitlichen Ausmaß - die Angestelltentätigkeit im Vordergrund. Ein nach dem ASVG pflichtversicherter Geschäftsführer kann insoweit nicht anders behandelt werden als ein Selbständiger (hier: selbständiger Dachdeckermeister), der fachlich auch überwiegend Arbeitertätigkeiten verrichtet: in beiden Fällen steht wegen ihrer Bedeutung die Leitungsfunktion im Vordergrund; kraft dieser teilt sich der Geschäftsführer ja auch selbst als Arbeiter ein. Eine sinngemäße Anwendung des § 255 ASVG kommt daher entgegen der Auffassung der Vorinstanzen bei der Beurteilung des Versicherungsfalles der geminderten Arbeitsfähigkeit des Klägers von vornherein nicht in Betracht. Je nach der - von den Vorinstanzen nicht untersuchten - arbeits- und gesellschaftsrechtlichen Stellung des Klägers kann sein Pensionsanspruch nur entweder nach § 273 Abs 1 ASVG oder nach § 133 Abs 1 GSVG geprüft werden. Der in den Entscheidungen SSV-NF 3/2, 3/132 ua ausgesprochene Grundsatz, daß für die Frage, ob der Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit vorliegt und welchem Versicherungszweig eine Tätigkeit zuzuordnen ist, ausschließlich der Inhalt dieser Tätigkeit entscheidend ist, muß nämlich auch gelten, wenn ein Versicherter zu Unrecht der Angestelltenversicherung zugeordnet wurde, obgleich er nach seiner Stellung in der Gesellschaft richtigerweise nach dem GSVG pflichtversichert gewesen wäre. In einem solchen Fall wäre der Pensionsanspruch nicht nach § 273 Abs 1 ASVG, sondern nach § 133 Abs 1 GSVG zu prüfen. Die Frage nach der anzuwendenden Norm kann hier nur deshalb offen bleiben, weil der Pensionsanspruch des noch nicht 55 Jahre alten Klägers nach beiden Gesetzesstellen nicht zu Recht besteht.

Ist § 273 Abs 1 ASVG anzuwenden, so ist bei der Bestimmung des Verweisungsfeldes, also der Summe der Berufe, die der Berufsgruppe des Versicherten zuzurechnen sind und auf die er verwiesen werden darf, weil sie eine ähnliche Ausbildung und gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten verlangen, im allgemeinen von der zuletzt ausgeübten Berufstätigkeit auszugehen (SSV-NF 1/68, 2/73 ua), dies jedoch nur, wenn sie eine Tätigkeit war, die ihrem Inhalt nach gemäß § 14 Abs 1 ASVG die Versicherungszugehörigkeit und damit gemäß § 245 ASVG die Leistungszugehörigkeit zur Pensionsversicherung der Angestellten begründet. Der Versicherte darf nicht auf eine Tätigkeit verwiesen werden, durch deren Ausübung er den Berufsschutz nach § 273 ASVG verlieren würde.

Beim Kläger wäre also die Tätigkeit als kaufmännischer Geschäftsführer eines Dachdeckerunternehmens zur Bestimmung des Verweisungsfeldes heranzuziehen. Daß der Kläger gleichzeitig im Betrieb handwerklich mitarbeite, kann ihm die Qualifikation als Angestellter nicht nehmen. Ein als Geschäftsführer tätig gewesener Versicherter ist aber gemäß § 273 Abs 1 ASVG erst dann berufsunfähig, wenn er weder diese Tätigkeit, noch andere Geschäftsführertätigkeiten oder diesen gleichwertige Tätigkeiten im Rahmen seiner Berufsgruppe zu verrichten imstande ist (SSV-NF 3/40). Nach dem Leistungskalkül kann der Kläger noch leichte und mittelschwere Arbeiten in allen Körperhaltungen verrichten. Ein Ausschluß besteht nur hinsichtlich solcher Tätigkeiten, die an erhöhten und exponierten Stellen wie auf Leitern und Gerüsten zu verrichten sind. Selbst wenn damit die Tätigkeit des Klägers als Geschäftsführer in einem Dachdeckerunternehmen ausscheidet, weil auch ein solcher Dächer besteigen muß, so ist doch nach dem Leistungskalkül nicht zweifelhaft, daß der Kläger zu Geschäftsführertätigkeiten in allen anderen Branchen befähigt ist, die ein Arbeiten auf erhöhten und exponierten Stellen nicht erfordern. Da der Kläger das 55.Lebensjahr noch nicht vollendet hat, ist auf ihn die Bestimmung des § 273 Abs 3 ASVG nicht anzuwenden. Auf die konkreten Erfordernisse an seinem bisherigen Arbeitsplatz kann es daher nicht entscheidend ankommen.

Gemäß § 133 Abs 1 GSVG gilt als erwerbsunfähig der (die) Versicherte, der (die) infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner (ihrer) körperlichen oder geistigen Kräfte dauernd außerstande ist, einem regelmäßigen Erwerb nachzugehen. Das Verweisungsfeld nach dieser Bestimmung ist mit dem gesamten Arbeitsmarkt ident; eine Einschränkung, daß die Verweisungstätigkeit dem Versicherten im Hinblick auf die bisher ausgeübte Tätigkeit auch zumutbar sein muß, besteht hier nicht (SSV-NF 3/91 mwN). Nach dem medizinischen Leistungskalkül des Klägers besteht aber kein Zweifel, daß er noch irgendeinem selbständigen oder unselbständigen Erwerb nachgehen könnte. Auch hier ist die begünstigende Norm des § 133 Abs 2 GSVG mangels Vollendung des 55.Lebensjahres nicht anzuwenden. Die Rechtssache ist daher im Sinne einer Abweisung der Klage spruchreif. Insoweit war beiden Rekursen stattzugeben (Fasching ZPR2 Rz 1983). Gemäß § 519 Abs 2 ZPO konnte der Oberste Gerichtshof durch abweisliches Urteil in der Sache selbst erkennen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Da die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage iS des § 46 Abs 2 Z 1 ASGG aF abhing, entspricht es der Billigkeit, dem unterlegenen Kläger die Hälfte der Kosten seines Vertreters zuzusprechen (SSV-NF 1/66, 2/29, 3/116 ua).

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