Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß die Entscheidung der ersten Instanz wiederhergestellt wird.
Text
Entscheidungsgründe:
Die am 16.10.1963 geborene Klägerin beantragte am 2.5.1986 bei der Beklagten eine Waisenpension nach ihrer am 9.4.1986 verstorbenen, bei der Beklagten versichert gewesenen ehelichen Mutter, Almut K***.
Die Beklagte anerkannte mit Bescheid vom 18.8.1986 den Anspruch der Klägerin auf Waisenpension gemäß § 270 iVm § 260 ASVG nur vom 9.4. - 31.5.1986 und setzte die Leistung mit S 1.929,70 monatlich fest.
In der dagegen am 30.10.1986 erhobenen, in der Tagsatzung vom 17.2.1987 ergänzten Klage behauptete die Klägerin, täglich nur 4 Stunden an der Universität (als Studienassistentin) zu arbeiten und auch während dieser Stunden, wenn es ihre Arbeit zulasse, ihr (Doktorats)Studium zu betreiben, das den überwiegenden Teil ihrer Arbeitskraft beanspruche. Sie beantragte, die Beklagte zu verurteilen, ihr die Waisenpension "bis zum 26.Lebensjahr" zu gewähren.
Die Beklagte beantragte, dieses Begehren abzuweisen und wendete ein, daß die Klägerin zwar im Sommersemester 1986 an der Universität Wien die Studienrichtung Rechtswissenschaften inskribiert habe, aber auch vom 1.5.1986 bis 31.1.1987 am (dortigen) institut für Strafrecht und Kriminologie als halbbeschäftigte Studienassistentin mit 20 Wochenstunden beschäftigt sei, dafür ein monatliches Bruttoentgelt von S 7.867,50 erziele und deshalb selbsterhaltungsfähig sei.
Das Erstgericht verurteilte die Beklagte, der Klägerin die Waisenpension im gesetzlichen Ausmaß über den 31.5.1986 hinaus weiterzugewähren.
Es legte seiner Entscheidung folgende Tatsachen zugrunde:
Die Klägerin studiert Rechtswissenschaften nach der "neuen Studienordnung für Juristen" (gemeint ist die auf Grund des Bundesgesetzes vom 2.3.1978, BGBl. Nr.140, über das Studium der Rechtswissenschaften iVm dem Allgemeinen Hochschul-Studiengesetz, BGBl. Nr.177/1966, erlassene Rechtswissenschaftliche Studienordnung, BGBl. Nr.148/1979). Im Mai 1986 wurde ihr der (akademische Grad) "Magister der Rechtswissenschaften" verliehen. Seit 1.5.1986 ist sie am Institut für Strafrecht (und Kriminologie) der Universität Wien wöchentlich 20 Stunden als "Halbtagsassistentin" tätig. (Dadurch) erzielt sie monatlich etwa S 6.500,- netto. Als Studentin besucht sie wöchentlich 8 Stunden Seminare, Konversatorien und Privatissima und arbeitet darüber hinaus täglich, und zwar auch an den Wochenenden, 3 bis 4 Stunden an ihrer Dissertation, von der sie schon Teile fertiggestellt und dem zuständigen Professor vorgezeigt hat. Sie beabsichtigt, die Dissertation bis Herbst 1987 fertigzustellen und sodann "die Rigorosen zur Erlangung eines Doktorates der Rechtswissenschaften nach der neuen Studienordnung" (nach § 22 der Rechtswissenschaftlichen Studienordnung ist nur ein Rigorosum vorgesehen) abzulegen. Die Schulausbildung nimmt die Arbeitskraft der Klägerin überwiegend in Anspruch.
In der rechtlichen Beurteilung berief sich das Erstgericht auf den klaren Wortlaut des § 252 Abs 2 Z 1 ASVG, wonach die Kindeseigenschaft auch nach Vollendung des 18.Lebensjahres längstens bis zur Vollendung des 26.Lebensjahres weiterbestehe, wenn und solange das Kind sich in einer Schul- oder Berufsausbildung befinde, die seine Arbeitskraft überwiegend beanspruche. Zur Schul- oder Berufsausbildung zähle auch ein angemessener Zeitraum für die Vorbereitung auf die Ablegung der entsprechenden Abschlußprüfungen und auf die Erwerbung eines akademischen Grades. Die Kindeseigenschaft gehe durch eine Erwerbstätigkeit dann nicht verloren, wenn diese nur der Verbesserung der bescheidenen Einkommensverhältnisse diene und die verfügbare Arbeitskraft überwiegend zur Ausbildung diene. Eine als Halbtagsassistentin beschäftigte Studentin im Dissertationsstadium sei noch keine selbsterhaltungsfähige Akademikerin. Deshalb befinde sich auch die Klägerin noch in Ausbildung, weshalb ihre Kindeseigenschaft weiterbestehe.
Dagegen erhob die Beklagte Berufung, in der sie unrichtige rechtliche Beurteilung der Sache geltend machte und die Abänderung durch Abweisung des Klagebegehrens beantragte.
Die Klägerin beantragte, der Berufung nicht Folge zu geben. Das Berufungsgericht änderte das erstgerichtliche Urteil durch Abweisung des Klagebegehrens ab.
Die anstelle der Unterhaltsleistung des verstorbenen Versicherten gewährte Waisenpension solle auch nach Vollendung des 18. Lebensjahres der Waise deren Lebensunterhalt und eine entsprechende Schul- oder Berufsausbildung bis zur Selbsterhaltungsfähigkeit gewährleisten. Die 29.ASVG-Novelle habe daher nicht bezweckt, den tatsächlichen Einkommensverhältnissen der Waise jede rechtliche Bedeutung zu nehmen. Werde die Arbeitskraft der Waise durch die Schul- oder Berufsausbildung überwiegend beansprucht, werde die verbleibende Zeit im allgemeinen für den Erwerb des Lebensunterhaltes nicht ausreichen. Werde aber neben der Schulausbildung eine Erwerbstätigkeit ausgeübt, welche die Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung gewährleiste und durch die das Ausmaß einer bloßen Entschädigung übersteigende, die Selbsterhaltungsfähigkeit sichernde Bezüge erzielt würden, stehe eine Hinterbliebenenpension nicht zu. Dafür spreche auch die im § 94 Abs 1 ASVG enthaltene Ausnahme der Waisenpension vom Ruhen beim Zusammentreffen mit Erwerbseinkommen, die in den Materialien damit begründet worden sei, daß hiebei nur kleine Verdienste in Betracht kommen könnten. Daß die Klägerin wegen der seit Juni (richtig Mai) 1986 erzielten Bezüge als Universitätsassistentin selbsterhaltungsfähig sei, ergebe sich auch aus einem Vergleich dieser Bezüge mit dem Ausgleichszulagenrichtsatz. Deshalb habe die Klägerin keinen Anspruch auf Weitergewährung der Waisenpension über den 31.5.1986 hinaus.
Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache mit den Anträgen, das angefochtene Urteil im klagestattgebenden Sinn abzuändern, allenfalls die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben und die Sache zur Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen. Die Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben. Das in einem Verfahren über eine wiederkehrende Leistung in einer Sozialrechtssache erhobene Rechtsmittel ist nach § 46 Abs 4 ASGG ohne die Beschränkungen des Abs 2 dieser Gesetzesstelle zulässig.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist berechtigt.
Anspruch auf Waisenpension haben nach dem Tode des (der) Versicherten die Kinder im Sinne des § 252 Abs 1 Z 1 bis 4 und Abs 2 (Paragraphen, bei denen die Rechtsquelle nicht angegeben ist, sind solche des ASVG). Über das vollendete 18.Lebensjahr hinaus wird Waisenpension nur auf besonderen Antrag gewährt (§ 260). Die Waisenpension beträgt für jedes einfach verwaiste Kind 40 vH, für jedes doppelt verwaiste Kind 60 vH der Witwen-(Witwer)pension nach § 264 Abs 1, auf die nach dem verstorbenen Elternteil Anspruch besteht oder bestünde (§ 266 1. Halbsatz).
Als Kinder gelten bis zum vollendeten 18.Lebensjahr ua die ehelichen Kinder der Versicherten (§ 252 Abs 1 Z 1). Die Kindeseigenschaft besteht auch nach der Vollendung des 18. Lebensjahres, wenn und solange das Kind sich in einer Schul- oder Berufsausbildung befindet, die seine Arbeitskraft überwiegend beansprucht, längstens bis zur Vollendung des 26.Lebensjahres; zur Schul- oder Berufsausbildung zählt auch ein angemessener Zeitraum für die Vorbereitung auf die Ablegung der entsprechenden Abschlußprüfungen und auf die Erwerbung eines akademischen Grades (§ 252 Abs 2 Z 1 Satz 1).
Wird neben einem Pensionsanspruch aus der Pensionsversicherung mit Ausnahme der Ansprüche auf Knappschaftspension und Knappschaftssold sowie Waisenpension noch Erwerbseinkommen aus einer gleichzeitig ausgeübten Erwerbstätigkeit erzielt, so ruhen 40 vH der Pension mit dem Betrag, um den das im Monat gebührende Erwerbseinkommen S 3.442,-- (1986) bzw. S 3.583,-- (1987) übersteigt, höchstens jedoch mit dem Betrag, um den die Summe aus Pension zuzüglich Hilflosenzuschuß und Erwerbseinkommen im Monat S 7.527,-- (1986) bzw. S 7.836,-- (1987) übersteigt (§ 94 Abs 1). Nach der Urfassung des § 252 Abs 2 Z 1 war als Kind auch über die Vollendung des 18.Lebensjahres hinaus anzusehen, wer wegen wissenschaftlicher oder sonstiger regelmäßiger Schul- oder Berufsausbildung sich noch nicht selbst erhalten konnte, bis zur ordnungsmäßigen Beendigung der Ausbildung, jedoch bis längstens bis zur Vollendung des 24.Lebensjahres.
Nach der geltenden Fassung des § 252 Abs 2 Z 1 kommt es für das Bestehen der Kindeseigenschaft auch nach der Vollendung des 18. Lebensjahres nur darauf an, ob sich das Kind in einer Schul- oder Berufsausbildung befindet, die seine Arbeitskraft überwiegend beansprucht.
Wenn und solange diese Voraussetzung zutrifft, besteht die Kindeseigenschaft bis zur Vollendung des 26.Lebensjahres, im Falle des § 252 Abs 2 Z 1 2.Satz sogar darüber hinaus weiter. Neben der die Arbeitskraft überwiegend beanspruchenden Schul- oder Berufsausbildung erzielte Einkünfte jeglicher Art berühren daher weder den Grund noch die Höhe des Anspruchs auf Waisenpension, sondern wirken sich allenfalls darauf aus, ob das waisenpensionsberechtigte Kind Anspruch auf eine Ausgleichszulage zur Pension hat (§§ 292 ff).
Die Waisenpension beträgt für ein einfach verwaistes Kind nur 40 vH, für ein doppelt verwaistes Kind nur 60 vH der Witwen-(Witwer)pension, auf die nach dem verstorbenen Elternteil Anspruch besteht oder bestünde. Eine solche Waisenpension wird daher in der Regel zur Deckung der angemessenen Bedürfnisse eines Kindes, welches das 18.Lebensjahr vollendet hat und sich in einer seine Arbeitskraft überwiegend beanspruchenden Schul- oder Berufsausbildung befindet, nicht ausreichen. Das gilt auch für den für solche Kinder bis zur Vollendung des 24.Lebensjahres geltenden Ausgleichszulagenrichtsatz, der für Halbwaisen S 1.805,--, für Vollwaisen S 2.712,-- beträgt (§ 293 Abs 1 lit c sublit aa). Diese Kinder werden daher in der Regel neben der Waisenpension andere Einkünfte brauchen.
Solche zusätzliche Einkünfte können z.B. ein Unterhaltsbeitrag, die Familienbeihilfe, Studienbeihilfen, Einkünfte aus Kapitalvermögen, aber auch aus einer neben der die Arbeitskraft überwiegend beanspruchenden Schul- oder Berufsausbildung ausgeübten selbständigen oder unselbständigen Erwerbstätigkeit sein. Bei den Hinterbliebenenpensionen handelt es sich um keine nur bei sozialer Bedürftigkeit der Witwen (Witwer) oder Waisen zustehenden Sozialleistungen, sondern um aus dem Versicherungsfall des Todes zu gewährende Leistungen der Pensionsversicherung. Der Anspruch einer Witwe (eines Witwers) auf Witwen-(Witwer)Pension hängt daher nicht davon ab, ob ihr (ihm) gegen den Versicherten ein Unterhaltsanspruch zustand. Auch dem hinterbliebenen Ehepartner, dessen Einkünfte so hoch waren, daß er seinem versicherten Gatten Unterhalt zu leisten hatte, gebührt eine Witwen-(Witwer)Pension, die allerdings beim Zusammentreffen mit Erwerbseinkommen aus einer gleichzeitig ausgeübten Erwerbstätigkeit allenfalls nach § 94 teilweise ruhen kann. § 94 Abs 1 Satz 1 nimmt jedoch Ansprüche auf Knappschaftspension und Knappschaftssold sowie Waisenpension ausdrücklich vom teilweisen Ruhen wegen eines aus einer gleichzeitig ausgeübten Erwerbstätigkeit erzielten Erwerbseinkommens aus. Knappschaftspension und Knappschaftssold wurden nach der Begründung der Regierungsvorlage zum ASVG (599 BlgNR 7. GP) vom Ruhen ausgenommen, weil sie auf Grund der Annahme geringer bemessen seien, daß neben ihnen ein anderes, sonst das Ruhen herbeiführendes Einkommen bestehe. Die Ausnahme hinsichtlich der Waisenpension begründeten diese Materialien damit, daß hiebei nur kleine Verdienste in Betracht kämen.
Die letztgenannte Begründung ist im Hinblick auf die geltende Fassung des § 252 Abs 2 Z 1 Satz 1 nicht mehr schlüssig, weil jemand durch eine neben der seine Arbeitskraft überwiegend beanspruchenden Schul- oder Berufsausbildung ausgeübte Erwerbstätigkeit ein Erwerbseinkommen erzielen kann, das zu einem teilweisen Ruhen der Waisenpension führen würde, falls die Ausnahme des § 94 Abs 1 Satz 1 nicht bestünde. Mit Recht stellt Binder bei der Kommentierung der Entscheidung ZAS 1979/34 in diesem Zusammenhang die Frage, warum es nicht durch entsprechende Ausnützung von Marktvorteilen möglich sein soll, die für den Lebensunterhalt erforderlichen Mittel mit einem relativ geringen Anstrengungsaufwand zu erwerben (S 234), und merkt Ivansits zur Entscheidung RdA 1986/20 an, durch größere Arbeitsanstrengung oder bessere Berufungskenntnisse könne auch in einer kürzeren Arbeitszeit mitunter sehr viel verdient werden (S 332).
Hingegen trifft die für die Ausnahme der Knappschaftspension und des Knappschaftssoldes von dieser Ruhensbestimmung gegebene Begründung, diese beiden Leistungen seien wegen der Annahme geringer bemessen worden, daß daneben ein anderes, sonst das Ruhen herbeiführendes Einkommen bestehe, nunmehr auch auf die Waisenpension zu, von der allein ein in Schul- oder Berufsausbildung stehender Über-18-Jähriger üblicherweise nicht leben kann. Daß die im § 94 Abs 1 Satz 1 enthaltene Ausnahme der Waisenpensionen trotz der erwähnten Novellierung des § 252 Abs 2 nicht beseitigt wurde, rechtfertigt daher folgenden Größenschluß:
Wenn ein neben einer Waisenpension erzieltes Erwerbseinkommen aus einer gleichzeitig ausgeübten Erwerbstätigkeit nicht einmal zum teilweisen Ruhen der Waisenpension führt, kann ein solches Erwerbseinkommen schon gar nicht den Anspruch auf Waisenpension beeinflussen.
Da im vorliegenden Fall feststeht, daß sich die Klägerin auch seit Juni 1986 durch ihr Doktoratsstudium im Sinne der §§ 12 f RwStudG bzw. der §§ 16 f RwStudO in einer Schulausbildung befindet, die ihre Arbeitskraft überwiegend beansprucht, hat sie ungeachtet des aus der gleichzeitig ausgeübten, ihre Arbeitskraft aber geringer beanspruchenden Erwerbstätigkeit als halbbeschäftigte Studienassistentin erzielten Einkommens weiterhin Anspruch auf die Waisenpension.
Die gegenteilige Rechtsansicht des Berufungsgerichtes findet in den geltenden Bestimmungen des ASVG keine Deckung.
Anders wäre es, wenn diese z.B. eine dem § 5 Abs 1 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 vergleichbare Vorschrift enthielten, wonach kein Anspruch auf Familienbeihilfe für Kinder besteht, die das 18.Lebensjahr vollendet haben und selbst Einkünfte gemäß § 2 Abs 3 EinkommensteuerG 1972 in einem S 2.500,-- monatlich übersteigenden Betrag beziehen.
Das angefochtene Urteil war daher durch Wiederherstellung der Entscheidung der ersten Instanz abzuändern.
Kosten des Reviisonsverfahrens wurden nicht verzeichnet.
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