OGH 10ObS74/13z

OGH10ObS74/13z25.6.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Zeitler (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Harald Kohlruss (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A*****, Rumänien, vertreten durch Dr. Georg Minichmayr, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1200 Wien, Adalbert‑Stifter-Straße 65, vertreten durch Dr. Josef Milchram und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen Elternrente, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 30. Jänner 2013, GZ 11 Rs 6/13a‑34, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Linz als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 7. September 2012, GZ 31 Cgs 70/10m‑30, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei zu Handen des Klagevertreters 187,92 EUR (darin 31,32 EUR USt) an Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 18. 9. 1951 geborene Kläger ist der Adoptivvater der bei einem Arbeitsunfall am 2. 7. 2008 in Österreich tödlich verunglückten S*****. Die Adoptivtochter des Klägers war zur Unfallszeit als Arbeiterin in Österreich beschäftigt. Der Kläger ist rumänischer Staatsbürger und hat ebenfalls ungefähr drei Jahre lang in Österreich gearbeitet.

Mit Bescheid vom 16. 6. 2010 lehnte die beklagte Allgemeine Unfallversicherungsanstalt den Antrag des Klägers vom 31. 3. 2010 auf Zuerkennung einer Elternrente aus der Unfallversicherung nach der am 3. 7. 2008 verstorbenen Adoptivtochter mit der Begründung ab, dass für Adoptiveltern kein Anspruch auf Elternrente bestehe und beim Kläger überdies aufgrund des Bezugs von Pensionsleistungen aus mehreren Staaten eine Bedürftigkeit nicht vorliege.

In der im ersten Rechtsgang gefällten Entscheidung 10 ObS 51/11i (SSV‑NF 25/55 = EF‑Z 2011/119, 192 [ Leitner ]) gelangte der Oberste Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass auch Adoptiveltern zum Kreis der Anspruchsberechtigten auf Elternrente nach § 219 Abs 1 ASVG gehören.

Das Erstgericht wies das auf Zuerkennung der Elternrente im gesetzlichen Ausmaß gerichtete Klagebegehren auch im zweiten Rechtsgang ab. Es stellte fest, dass der Kläger zum Zeitpunkt des Todes seiner Adoptivtochter in Spanien lebte und dort seit 12. 2. 2008 bis jedenfalls 12. 8. 2008 eine Berufsunfähigkeitspension in Höhe von 6,75 EUR monatlich zuzüglich einer Ausgleichszahlung, insgesamt 410,58 EUR netto, bezog. Außerdem bezog er seit 21. 12. 2005 in Rumänien eine Invaliditätspension in Höhe von 317 Lei (ca 130 EUR) netto monatlich sowie eine Pension aus Österreich in Höhe von ca 45 EUR netto monatlich. Der Kläger erzielte somit ein monatliches Nettoeinkommen von insgesamt 585 EUR.

In rechtlicher Hinsicht vertrat das Erstgericht die Ansicht, die Elternrente nach § 219 Abs 1 ASVG setze Bedürftigkeit des Klägers und ein überwiegendes Erhaltenwerden durch das versicherte Kind voraus. Der zum Zeitpunkt des Todes seiner Adoptivtochter in Spanien lebende Kläger habe sich angesichts seines damaligen Nettoeinkommens von 585 EUR monatlich in keiner Notlage befunden und sei daher nicht bedürftig iSd § 219 Abs 1 ASVG gewesen. Selbst wenn diese Einkommenssituation eine Notlage des Klägers darstellte und er entsprechend seinem Vorbringen von seiner Adoptivtochter zusätzlich 700 EUR bis 750 EUR monatlich an weiterer Unterstützung für seinen Lebensunterhalt erhalten haben sollte, obwohl diese selbst nur ein Einkommen von knapp 1.000 EUR monatlich gehabt habe, wären die Voraussetzungen für die Gewährung einer Elternrente nach § 219 Abs 1 ASVG nicht erfüllt. Nach der Intention des Gesetzes könne nur jener Teil der (behaupteten) Zahlungen der Adoptivtochter angerechnet werden, der zur Vermeidung der Bedürftigkeit notwendig sei. Wenn also der Kläger mit seinem damaligen Nettoeinkommen von 585 EUR monatlich noch als bedürftig anzusehen sein sollte, so wäre zur Vermeidung einer Notlage seitens seiner Adoptivtochter nur mehr ein geringer Betrag erforderlich gewesen. In diesem Fall habe sie ihn aber mit diesem geringen Betrag iSd § 219 Abs 1 ASVG nicht „überwiegend“ erhalten, weshalb auch in diesem Fall die Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung einer Elternrente nicht erfüllt wären. Es sei daher die Frage, in welchem Ausmaß die Adoptivtochter tatsächlich Überweisungen an den Kläger getätigt habe, nicht mehr näher zu prüfen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers keine Folge. Es teilte im Wesentlichen die Rechtsansicht des Erstgerichts und führte insbesondere aus, die Elternrente solle unter anderem den bedürftigen Elternteil die Grundlage für die Sicherung seines notwendigen Lebensunterhalts bieten. Der notwendige Unterhalt einer Person sei dann sichergestellt, wenn sie über Einkünfte in der Höhe des Ausgleichszulagenrichtsatzes verfüge. Um in den Genuss einer Elternrente zu kommen, müsse der Versicherte vor seinem Tod tatsächlich zur überwiegenden ‑ zu mehr als der Hälfte erforderlichen ‑ Bestreitung des Lebensunterhalts des Anspruchswerbers beigetragen haben. Die Rechtsansicht des Erstgerichts, es könne daher nur jener Teil der Zahlungen des Kindes angerechnet werden, der zur Vermeidung der Bedürftigkeit notwendig sei, stehe damit im Einklang.

Gehe man daher von dem für den Kläger günstigsten Fall aus, indem man die in Österreich zum Zeitpunkt des Todes seiner Adoptivtochter geltenden Richtsatzwerte für einen Erwachsenen in Höhe von 747 EUR sowie für einen im Haushalt lebenden Sohn in Höhe von 78,29 EUR, also einen Gesamtrichtsatz von 825,29 EUR, heranziehe, der die Höhe des notwendigen Unterhalts repräsentiere, könne angesichts des vom Kläger erzielten Eigeneinkommens in Höhe von 585 EUR der fehlende, allenfalls von der Adoptivtochter geleistete Differenzbetrag auf den Richtsatzwert von 825,29 EUR nie zu einem überwiegenden Bestreiten des notwendigen Lebensunterhalts durch die Versicherte führen. Es komme daher nicht darauf an, ob die Adoptivtochter den Kläger regelmäßig zwischen 700 EUR und 750 EUR monatlich zugewendet habe.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage, inwieweit für das Vorliegen der Voraussetzungen nach § 219 ASVG auf die überwiegende Bestreitung des notwendigen Lebensunterhalts abzustellen sei, vorliege.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei beantragte in ihrer Revisionsbeantwortung sinngemäß, die Revision als unzulässig zurückzuweisen bzw ihr keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, aber nicht berechtigt.

Der Kläger macht im Wesentlichen geltend, der Richtsatz für die Ausgleichszulage sei nur für die Klärung der Frage der Bedürftigkeit heranzuziehen, wobei bei einem unter dem Richtsatz für die Ausgleichszulage gelegenen Einkommen in der Regelbedürftigkeit angenommen werde. Ob der Versicherte den Lebensunterhalt des Anspruchswerbers überwiegend bestritten habe, ergebe sich rechtlich aus dem Vergleich der Mittel, welche der Anspruchswerber aus eigenem für seinen Lebensunterhalt aufgewendet habe, mit jenen Mitteln, die die Verstorbene hiefür beigesteuert habe. Es komme daher hinsichtlich der überwiegenden Bestreitung des Lebensunterhalts auf den konkreten Lebensunterhalt des Klägers und nicht auf den Ausgleichszulagenrichtsatz an. Die Verstorbene habe mit ihren monatlichen Zahlungen in Höhe von durchschnittlich 700 EUR bis 750 EUR überwiegend den Lebensunterhalt des Klägers bestritten. Das Verfahren sei daher mangelhaft geblieben, weil das Erstgericht trotz der entsprechenden Beweisanträge des Klägers die von ihm zum Beweis seines Vorbringens, dass ihm die Verstorbene regelmäßig Geldbeträge in der Höhe von 700 EUR bis 750 EUR (monatlich) zugewendet habe und mit diesen Zahlungen seinen Lebensunterhalt überwiegend bestritten habe, beantragten Zeugen nicht vernommen habe. Auch die Parteienvernehmung des Klägers zu diesem Beweisthema sei nicht erfolgt.

Diesen Ausführungen ist Folgendes entgegenzuhalten:

1. Nach § 219 Abs 1 ASVG haben unter anderem bedürftige Eltern des Versicherten, dessen Tod durch einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit verursacht wurde, Anspruch auf Elternrente von zusammen jährlich 20 vH der Bemessungsgrundlage, wenn der Versicherte ihren Lebensunterhalt überwiegend bestritten hat. Den Eltern gebührt die Rente für die Dauer ihrer Bedürftigkeit (Abs 3).

1.1 Die Elternrente verfolgt unter anderem den Zweck, den infolge des Todes des Versicherten weggefallenen Unterhaltsanspruch der Eltern gegen ihr Kind zu ersetzen. Die Elternrente soll ganz allgemein an die Stelle der bisher vom Kind gewährten Unterstützung treten und dem bedürftigen Elternteil die Grundlage für die Sicherung des notwendigen Lebensunterhalts bieten (10 ObS 51/11i, SSV‑NF 25/55).

1.2 Eine Elternrente ist daher nur bei Bedürftigkeit des Anspruchswerbers und unter der Voraussetzung, dass der nunmehr verstorbene Versicherte den Lebensunterhalt der Eltern überwiegend bestritten hat, zu gewähren. Bedürftigkeit iSd § 219 ASVG liegt nach der Rechtsprechung dann vor, wenn der Anspruchswerber im Zeitpunkt des Todes des Versicherten weder durch eigenes Vermögen oder durch eigenes Einkommen noch durch eine zumutbar gewesene Beschäftigung im Stande gewesen ist, den notwendigen Unterhalt selbst zu erwerben. Maßgebend für das Vorhandensein dieser Umstände ist, dass beide Voraussetzungen im Zeitpunkt des Todes des Versicherten bestehen. Es ist daher auch bezüglich der überwiegenden Bestreitung des Lebensunterhalts auf die Zeit vor dem Tod des Versicherten abzustellen, da nur bis dahin Unterhaltsleistungen des Versicherten denkbar sind (10 ObS 100/97x, SSV‑NF 11/107 mwN).

1.3 Beide genannten Anspruchsvoraussetzungen (Bedürftigkeit der Eltern und überwiegende Bestreitung des Lebensunterhalts durch den Versicherten) stehen aber nach zutreffender Rechtsansicht der Vorinstanzen in einem engen Zusammenhang, denn nur für den Fall, dass die Eltern bereits bis zum Tod des Versicherten bedürftig, dh in so ungünstigen Vermögens‑ und Einkommensverhältnissen waren, dass sie zur Deckung ihres notwendigen Unterhalts auf die Unterstützung durch den Versicherten wesentlich (überwiegend) angewiesen waren, kann durch den Tod des Versicherten eine wirtschaftliche Notlage der Eltern des Versicherten hervorgerufen werden, die in einem Kausalzusammenhang mit den Versicherungsfall steht. Nur unter diesem Gesichtspunkt wollte offenbar der Gesetzgeber eine Versicherungsleistung gewähren (vgl OLG Wien SSV 6/138).

2. Die Elternrente soll, wie bereits erwähnt, dem bedürftigen Elternteil die Grundlage für die Sicherung des notwendigen Lebensunterhalts bieten. Der notwendige Unterhalt einer Person ist dann sichergestellt, wenn sie über Einkünfte in der Höhe des Ausgleichszulagenrichtsatzes verfügt (RIS‑Justiz RS0103123). Die Ausgleichszulage soll nämlich jenen Betrag sicherstellen, der über die Bezüge an Pension, Unterhalt und sonstigem Einkommen hinaus für die Lebensführung unbedingt notwendig ist (RIS‑Justiz RS0107526).

3. Nach den Feststellungen des Erstgerichts lebte der Kläger zum Zeitpunkt des Todes seiner Adoptivtochter in Spanien und bezog damals Pensionsleistungen in Höhe von insgesamt 585 EUR netto monatlich. Es muss im vorliegenden Fall zu der Frage, ob bei der Beurteilung der Bedürftigkeit bei im Ausland lebenden Eltern auf die dort notwendigen Lebenshaltungskosten abzustellen sei, weil nur so vermieden werden könne, dass Personen in Ländern mit niedrigeren Lebenshaltungskosten als in Österreich gegenüber in Österreich lebenden Personen begünstigt werden, nicht inhaltlich Stellung genommen werden. Denn selbst wenn man im vorliegenden Fall im Sinne der Ausführungen des Berufungsgerichts von den österreichischen Verhältnissen und somit davon ausgeht, dass der Kläger mit seinem monatlichen Nettoeinkommen von 585 EUR seinen notwendigen Unterhalt im Sinne des Ausgleichszulagenrichtsatzes nicht zur Gänze decken konnte, ist doch darauf hinzuweisen, dass der Kläger nach zutreffender Rechtsansicht der Vorinstanzen im Zeitpunkt des Todes seiner Adoptivtochter nicht überwiegend auf deren Unterstützung zur Deckung seines notwendigen Unterhalts angewiesen war. Zutreffend hat das Berufungsgericht darauf hingewiesen, dass ein notwendiger Kausalzusammenhang mit dem eingetretenen Versicherungsfall nur im Umfang jener Zahlungen liegen kann, mit denen die Differenz zwischen dem Einkommen des Anspruchswerbers und dem durch den Ausgleichszulagenrichtsatz repräsentierten notwendigen Unterhalt abgedeckt wurde. Ein Anspruch auf Elternrente kommt somit im Wesentlichen nur dann in Betracht, wenn das Eigeneinkommen des Anspruchswerbers unter der Hälfte des maßgeblichen Richtsatzbetrags liegt, was beim Kläger unbestritten nicht der Fall ist.

3.1 Der Kläger war daher im Zeitpunkt des Todes seiner Adoptivtochter nicht überwiegend auf deren Unterstützung zur Deckung seines notwendigen Unterhalts angewiesen und erfüllt somit nicht die Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung einer Elternrente nach § 219 Abs 1 ASVG (vgl in diesem Sinne auch OLG Wien SSV 6/138; SVSlg 21.682 ua).

3.2 Damit kommt dem Vorbringen des Klägers, seine Adoptivtochter habe ihm regelmäßig Geldbeträge in Höhe von 700 EUR bis 750 EUR (monatlich) zugewendet, keine entscheidungswesentliche Bedeutung mehr zu. Die in diesem Zusammenhang gerügte Mangelhaftigkeit des Verfahrens infolge unterbliebener Beweisaufnahme liegt somit nicht vor.

Aufgrund dieser Erwägungen musste die Revision erfolglos bleiben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Da die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO abhängt, entspricht es der Billigkeit, dem unterlegenen Kläger angesichts seiner angespannten Einkommensverhältnisse den Ersatz der Hälfte der Revisionskosten zuzusprechen (RIS‑Justiz RS0085871).

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