Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Klägerin hat ihre Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin, eine selbständig erwerbstätige Rechtsanwältin, unterliegt nicht der gesetzlichen Sozialversicherung, sondern ist seit 1. 3. 2006 aufgrund eines „opting-out“ bei der U***** AG krankenversichert. Dabei handelt es sich um eine Gruppenkrankenversicherung für Rechtsanwälte, die ihre Grundlage in der Satzung der Versorgungseinrichtung der Rechtsanwaltskammer für Oberösterreich hat.
§ 1 dieser Satzung lautet wie folgt:
„Verpflichtende Krankenversicherung
(1) Durch das Arbeits- und Sozialrechts-Änderungsgesetz 1997 (ASRÄG 1997) wurde für selbständig erwerbstätige Rechtsanwälte ab 1. 1. 2000 die Pflichtversicherung in der Krankenversicherung nach dem GSVG begründet. Gemäß § 5 GSVG kann die Ausnahme von dieser Pflichtversicherung beantragt werden, wenn die Rechtsanwaltskammer eine Krankenversicherung für ihre Mitglieder schafft und aufrecht erhält, welche auch in einer für alle Rechtsanwälte und deren Angehörige verpflichtend abgeschlossenen vertraglichen Versicherung bestehen kann. Voraussetzung dafür ist, dass alle Rechtsanwälte und deren Angehörige Anspruch auf Leistungen haben, die den Leistungen nach dem GSVG gleichartig oder zumindest annähernd gleichwertig sind.
(2) Die Rechtsanwaltskammer für Oberösterreich errichtet eine Einrichtung zur Versorgung ihrer Mitglieder und deren Angehörigen für den Fall der Krankheit in Form einer vertraglichen Gruppenversicherung. Der Ausschuss der Rechtsanwaltskammer ist berechtigt, zu diesem Zweck mit einer Versicherungsgesellschaft einen Gruppen-Krankenversicherungsvertrag abzuschließen, der die gesetzliche Pflichtversicherung ersetzt und die in § 5 GSVG festgelegten Voraussetzungen für die Ausnahme von der Pflichtversicherung erfüllt.“
Diese am 18. Juni 1999 beschlossene Satzung wurde mit Bescheid des Bundesministeriums für Justiz vom 30. Juli 1999, GZ 16.203/22-I6/1999, genehmigt.
Seit 2009 enthält der vom Ausschuss der Rechtsanwaltskammer für Oberösterreich mit der U***** abgeschlossene Krankenversicherungsvertrag eine Regelung, wonach weibliche Hauptversicherte für die letzten acht Wochen vor der Entbindung, für den Tag der Entbindung und für die ersten acht Wochen nach der Entbindung Anspruch auf ein Wochengeld von 25,57 EUR pro Tag haben.
Die Klägerin gebar am 26. 11. 2009 ihren Sohn L*****. Am 12. 1. 2010 beantragte sie ein einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld der Variante 12 + 2. Aufgrund des Einkommenssteuerbescheids für das Jahr 2008 ergibt sich für die Klägerin ein (ungekürztes) tägliches Kinderbetreuungsgeld von 61,25 EUR. Für den Zeitraum vom 1. 1. 2010 bis 21. 1. 2010 erhielt die Klägerin von den U***** AG aufgrund des oben beschriebenen Versicherungsvertrags ein Wochengeld in Höhe von 25,57 EUR täglich.
Die beklagte Oberösterreichische Gebietskrankenkasse sprach mit Bescheid vom 10. 6. 2010 aus, dass der Klägerin für den Zeitraum vom 1. 1. 2010 bis 21. 1. 2010 ein tägliches Kinderbetreuungsgeld von 35,68 EUR gebühre, und wies den darüber hinausgehenden Antrag der Klägerin auf Auszahlung des (ungekürzten) Kinderbetreuungsgeldes in Höhe von insgesamt 61,25 EUR täglich für den genannten Zeitraum ab.
Das Erstgericht erkannte die beklagte Partei schuldig, der Klägerin für den Zeitraum vom 1. 1. 2010 bis 21. 1. 2010 ein Kinderbetreuungsgeld in der bescheidmäßig zuerkannten Höhe von 35,68 EUR täglich zu gewähren und wies das darüber hinausgehende Begehren der Klägerin auf Zahlung eines weiteren Kinderbetreuungsgeldes von 25,57 EUR täglich für den genannten Zeitraum ab. Es gelangte in rechtlicher Beurteilung des bereits eingangs wiedergegebenen Sachverhalts zu dem Ergebnis, dass es sich bei dem von der Klägerin aus dem Gruppen-Krankenversicherungsvertrag bezogenen Wochengeld um eine dem Anspruch auf Wochengeld gemäß § 102a GSVG gleichartige Leistung nach anderen österreichischen Rechtsvorschriften handle, weshalb in diesem Umfang das von der Klägerin beantragte Kinderbetreuungsgeld gemäß § 6 Abs 1 KBGG ruhe.
Das Berufungsgericht gab der von der Klägerin gegen den abweisenden Teil dieser Entscheidung erhobenen Berufung keine Folge. Es teilte mit ausführlicher Begründung die Rechtsansicht des Erstgerichts, dass das im Wege der Versorgungseinrichtung der Rechtsanwaltskammer für Oberösterreich in Form einer vertraglichen Gruppenversicherung gebührende Wochengeld auf das von der Klägerin geltend gemachte Kinderbetreuungsgeld anzurechnen sei und das Kinderbetreuungsgeld daher im Umfang der erhaltenen Zahlungen gemäß § 6 Abs 1 KBGG ruhe.
Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu der über den Einzelfall hinaus bedeutsamen Rechtsfrage fehle, ob der Bezug von Wochengeld, das nicht unmittelbar aus der Satzung der Versorgungseinrichtung einer Kammer, sondern aus der auf dieser Grundlage errichteten vertraglichen Krankenversicherung gebühre, das Ruhen des Kinderbetreuungsgeldes nach § 6 Abs 1 KBGG zur Folge habe.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer vollinhaltlichen Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern. Die beklagte Partei hat keine Revisionsbeantwortung erstattet.
Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, aber nicht berechtigt.
Die Klägerin macht im Wesentlichen geltend, für sie bestehe kein Anspruch auf Wochengeld aufgrund einer gesetzlichen Anordnung sondern lediglich aufgrund eines privaten Gruppenversicherungsvertrags. Ein Doppelbezug von Kinderbetreuungsgeld und Wochengeld solle nach dem Willen des Gesetzgebers nicht in jedem Fall ausgeschlossen sein, weil die Gewährung einer Betriebshilfe nach dem GSVG oder BSVG (Sachleistung) auf den Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld nicht anzurechnen sei.
Diesen Ausführungen ist Folgendes entgegenzuhalten:
Rechtliche Beurteilung
1. Nach § 5 Abs 1 Z 1 GSVG sind ua Rechtsanwälte von der Pflichtversicherung in der Krankenversicherung nach dem GSVG, der sie aufgrund dieser Tätigkeit an sich nach § 2 Abs 1 Z 4 GSVG unterliegen würden, ausgenommen, wenn sie Anspruch auf gleichwertige Leistungen der Krankenversicherung gegenüber einer Einrichtung der gesetzlichen beruflichen Vertretung haben, der sie angehören. Diese Bestimmung bedeutet, dass eine Rechtsanwältin, wie die Klägerin, in dieser Tätigkeit von der Pflichtversicherung nach dem GSVG ausgenommen ist, da sie aufgrund dieser Tätigkeit (aufgrund eines „opting-out“ nach § 5 GSVG) „kammerversichert“ ist (vgl 10 ObS 197/03y, SSV-NF 18/53).
2. Nach § 6 Abs 1 KBGG idF BGBl I 2009/116 ruht der Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld, sofern ein Anspruch auf Wochengeld gemäß § 162 ASVG oder gleichartige Leistungen nach anderen österreichischen oder ausländischen Rechtsvorschriften oder ein Anspruch auf Wochengeld gemäß § 102a GSVG oder § 98 BSVG besteht, in der Höhe des Wochengeldes.
2.1 Das Ziel der meisten Ruhensbestimmungen besteht darin, Leistungen dann nicht zu gewähren, wenn ein Sicherungsbedürfnis vorübergehend weggefallen ist. Der Grund für diesen Wegfall des Sicherungsbedürfnisses kann auch im Bezug einer anderen funktionsgleichen Leistung liegen. In diesen Fällen dienen die Ruhensregelungen der Vermeidung einer sozialpolitisch unerwünschten „Überversicherung“ durch einen Doppelbezug von Leistungen mit gleicher Zweckbestimmung (vgl 10 ObS 56/99d, SSV-NF 13/37 mwN).
2.2 Ein Ruhen des Anspruchs auf Kinderbetreuungsgeld tritt nach § 6 Abs 1 KBGG während des Bezugs von Wochengeld gemäß den §§ 162 ASVG, 102a GSVG oder 98 BSVG oder gleichartiger Leistungen nach anderen österreichischen oder ausländischen Rechtsvorschriften ein, um eine Mehrfachversorgung aus den Maßnahmen der sozialen Sicherheit hintanzuhalten. Nach der Wertung des Gesetzgebers sollen somit Mutterschaftsleistungen grundsätzlich nicht neben dem Kinderbetreuungsgeld bezogen werden. Nicht als Ruhensgrund angeführt ist der Bezug von Betriebshilfe gemäß § 102a GSVG bzw § 98 BSVG, welche in Form einer Sachleistung die Weiterführung des Betriebs ermöglichen soll.
2.3 Wie bereits das Berufungsgericht dargelegt hat, gelangte der Oberste Gerichtshof in der einen ähnlichen Sachverhalt betreffenden Entscheidung 10 ObS 34/07h (SSV-NF 21/18) zu dem Ergebnis, dass für die Dauer des Bezugs einer Krankengeldhilfe nach den §§ 105 f ÄrzteG der Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld gemäß § 6 Abs 1 KBGG ruht. Der Unterschied zum vorliegenden Fall besteht nach den zutreffenden Ausführungen des Berufungsgerichts darin, dass die Satzung der Rechtsanwaltskammer für Oberösterreich nicht unmittelbar Anspruchsgrundlage für die konkrete Leistung ist, sondern nur die rechtliche Grundlage für den Abschluss einer verpflichtenden (privaten) Krankenversicherung bildet, aus der wiederum ein (vertraglicher) Anspruch auf eine - dem Wochengeld gemäß § 102a GSVG nach Art, Umfang und Dauer vergleichbare - Leistung besteht. Dies ändert aber nach der zutreffenden Beurteilung des Berufungsgerichts nichts daran, dass es sich bei dem aus dem Gruppen-Versicherungsschutz gebührenden Wochengeld um keine freiwillige Leistung handelt, sondern um eine solche, auf die ein Rechtsanspruch aus der vertraglichen Krankenversicherung besteht. Vor dem Hintergrund der Gleichartigkeit der Leistungen kann es auch keinem Zweifel unterliegen, dass die satzungsgemäß verpflichtende Krankenversicherung denselben Zwecken dient wie die gesetzliche Pflichtversicherung in der Krankenversicherung.
3. Bei Berücksichtigung dieser Erwägungen ist auch die weitere Rechtsansicht des Berufungsgerichts, die Voraussetzungen für den Eintritt des Ruhenstatbestands nach § 6 Abs 1 KBGG seien im vorliegenden Fall erfüllt, weil bei der Klägerin ein Anspruch auf eine dem Wochengeld gleichartige Leistung nach österreichischen Rechtsvorschriften bestehe, zutreffend. Bei dieser Beurteilung ist nämlich nach den zutreffenden Ausführungen des Berufungsgerichts nicht am engen Wortsinn des § 6 Abs 1 KBGG zu haften, sondern es ist eine am offenkundigen Zweck der Regelung (Vermeidung einer Mehrfachversorgung aus den Maßnahmen der sozialen Sicherheit) orientierte Auslegung dahingehend geboten, dass von dieser Ruhensbestimmung nicht nur das gesetzliche Wochengeld sondern jede gleichartige Leistung erfasst werden soll, auch wenn sie nicht unmittelbar auf einer österreichischen (oder ausländischen) Rechtsvorschrift beruht, diese Rechtsordnung aber - wie hier § 5 Abs 1 GSVG iVm der Satzung der Versorgungseinrichtung der Rechtsanwaltskammer - den gesetzlichen Rahmen für den (vertraglichen) Leistungsanspruch schafft. Andernfalls würde es nämlich, wie ebenfalls bereits das Berufungsgericht zutreffend aufgezeigt hat, zu einem unüberbrückbaren Wertungswiderspruch kommen, wenn ein und dasselbe einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld, das gemäß § 24 KBGG nur unter der Voraussetzung einer sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit gebührt, zwar regelmäßig in jenen Fällen ruht, in denen die Anspruchsberechtigte das Wochengeld aus der gesetzlichen Krankenversicherung erhält, nicht aber dann, wenn sie im Hinblick auf die Gleichartigkeit der Leistungen aus der Versorgungseinrichtung einer Kammer von der Pflichtversicherung gemäß § 5 Abs 1 GSVG ausgenommen ist und demnach keine sozialversicherungspflichtige Erwerbstätigkeit ausübt, dennoch aber nach § 24 KBGG anspruchsberechtigt ist, weil die nach der Satzung verpflichtende (vertragliche) Krankenversicherung das sonst bestehende Erfordernis der sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit ersetzt. Es führt daher auch das der Klägerin im Rahmen der Versorgungseinrichtung der Rechtsanwaltskammer für Oberösterreich in Form einer verpflichtenden Gruppenversicherung gebührende Wochengeld im Umfang der erhaltenen Zahlungen zu einem (teilweisen) Ruhen des Anspruchs der Klägerin auf Kinderbetreuungsgeld gemäß § 6 Abs 1 KBGG.
Aufgrund dieser Erwägungen musste der Revision der Klägerin ein Erfolg versagt bleiben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.
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