Spruch:
Der Oberste Gerichtshof stellt den
A n t r a g ,
der Verfassungsgerichtshof wolle gemäß Art 140 Abs 1 B-VG aussprechen, daß die Wortfolge "nach Vollendung des 60.Lebensjahres, die Versicherte" im § 253b Abs 1 ASVG als verfassungswidrig aufgehoben wird.
Text
Begründung
Mit Bescheid vom 14.4.1987 wies die beklagte Partei den Antrag des Klägers vom 29.1.1987 auf Zuerkennung einer vorzeitigen Alterspension bei langer Versicherungsdauer nach § 270 iVm § 253b ASVG ab, weil der am 10.1.1932 geborene Kläger noch nicht das 60. Lebensjahr vollendet hat, so daß nach § 223 Abs 1 Z 1 ASVG der Versicherungsfall mangels Erreichung des Anfallsalters noch nicht eingetreten sei.
Die dagegen erhobene Klage stützt sich ausschließlich darauf, daß § 253b Abs 1 ASVG männliche und weibliche Versicherte ungleich behandle und deshalb verfassungswidrig sei.
Die beklagte Partei beantragte unter Hinweis auf die oben genannten gesetzlichen Bestimmungen die Abweisung der Klage. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte im wesentlichen fest, daß der Kläger bis zum Stichtag, dem 1.2.1987, zwar mehr als 420 Versicherungsmonate erworben, damals aber erst das 55. Lebensjahr vollendet hatte. Deshalb habe er das im § 253b ASVG für männliche Versicherte bestimmte Anfallsalter von 60 Jahren noch nicht erreicht, weshalb ihm die begehrte Leistung nicht zustehe. Das Berufungsgericht gab der Berufung nicht Folge. Es ergänzte zunächst den vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt dahin, daß der Kläger am Stichtag weder selbständig noch unselbständig erwerbstätig war. Nach dem vom Erstgericht verlesenen, den Kläger betreffenden Pensionsakt der beklagten Partei ist auch die Wartezeit erfüllt und sind innerhalb der letzten 36 Kalendermonate vor dem Stichtag 24 Beitragsmonate der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung nachgewiesen, so daß gegen das Vorliegen der im § 253b Abs 1 lit a bis d ASVG genannten Anspruchsvoraussetzungen keine Bedenken bestehen.
Die verfassungsrechtlichen Bedenken des Klägers teilte das Berufungsgericht nicht. Die für männliche und weibliche Versicherte verschiedene Regelung des Anfallsalters im § 253b Abs 1 ASVG, die mit der 8.ASVG-Novelle ab 1.1.1961 eingeführt worden sei, sei sachlich gerechtfertigt. Die Herabsetzung des Anfallsalters für weibliche Versicherte von 65 auf 60 Jahre in der Rentenversicherung ab 1.7.1948 BGBl 80 sei damit begründet worden, daß die körperliche Beschaffenheit der Frauen eher die Annahme rechtfertige, daß bei ihnen bereits mit 60 Jahren die Arbeits(Berufs)unfähigkeit gegeben sei. Eine analoge Regelung für die männlichen Versicherten sollte einem späteren Zeitpunkt vorbehalten werden, "in dem die materielle Auswirkung derselben tragbar erscheint". Die materiellen Mittel für eine Gleichstellung der männlichen Versicherten dürften gerade derzeit nicht zur Verfügung stehen, zumal überlegt werde, das Anfallsalter generell anzuheben. Gegen die vom Kläger behauptete Gleichheitswidrigkeit spreche, daß die überwiegende Zahl der erwerbstätigen Frauen, welche die sonstigen Voraussetzungen des § 253b ASVG erfüllten, einer Doppelbelastung unterlägen, wenn sie verheiratet seien und/oder Kinder erzögen. Diese Doppelbelastung führe dazu, daß die Arbeitskraft solcher weiblicher Versicherter früher unter jenes Maß sinke, das in einer versicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit unabdingbar sei.
Dagegen richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit den Anträgen, "das Verfahren zur Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens gemäß § 140 Abs 1 B-VG zu unterbrechen, damit aus § 253b Abs 1 ASVG die Worte "nach Vollendung des 60.Lebensjahres, die Versicherte" als verfassungswidrig aufgehoben werden und das angefochtene Urteil im klagsstattgebenden Sinn abzuändern.
Die beklagte Partei erstattete keine Revisionsbeantwortung, äußerte sich aber in einem nicht durch einen Rechtsanwalt gefertigten Schriftsatz dahin, daß sie dem auf die Klärung der verfassungsrechtlichen Bedenken gerichteten Antrag des Klägers nicht entgegentrete.
Rechtliche Beurteilung
Der Oberste Gerichtshof hegt aus folgenden Gründen gegen die im anzuwendenden § 253b ASVG enthaltene unterschiedliche Altersregelung für männliche und weibliche Versicherte verfassungsrechtliche Bedenken:
Die Pensionsversicherung trifft nach § 221 ASVG unter anderem Vorsorge für die Versicherungsfälle des Alters, aus denen nach § 222 Abs 1 Z 1 ASVG in der Pensionsversicherung der Arbeiter und in der Pensionsversicherung der Angestellten a) die Alterspension (§§ 253, 270), b) die vorzeitige Alterspension bei Arbeitslosigkeit (§§ 253a, 270) und c) die vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer (§§ 253b, 270) zu gewähren sind. Anfallsalter ist bei der normalen Alterspension für Männer das vollendete 65., für Frauen das vollendete 60.Lebensjahr. Bei den beiden Frühpensionen liegt das Anfallsalter je 5 Jahre darunter (§§ 253, 253a und 253b). Ein unterschiedliches Pensionsanfallsalter für Männer und Frauen wurde in Österreich zum ersten Mal durch die Kaiserliche Verordnung vom 25.6.1914 RGBl 138 betreffend die Pensionsversicherung von Angestellten, mit der das Gesetz vom 16.12.1906 RGBl 1907/1 betreffend die Pensionsversicherung der in privaten Diensten und einiger in öffentlichen Diensten Angestellten novelliert wurde, eingeführt. Nach dem auf § 31 Abs 1 des als "Angestelltenversicherungsgesetz 1928" wiederverlautbarten Angestelltenversicherungsgesetz vom 29.12.1926 BGBl 388 zurückgehenden § 257 Abs 1 GSVG 1938 hatten in der Angestelltenversicherung Anspruch auf die Altersrente im Ausmaß der Invalidenrente ohne Nachweis der Berufsunfähigkeit 1. unmittelbar Versicherte männlichen Geschlechtes, die das 65., solche weiblichen Geschlechtes, die das 60.Lebensjahr vollendet hatten, wenn sie in keinem angestelltenversicherungspflichtigen Dienstverhältnis standen; 2. unmittelbar Versicherte männlichen Geschlechtes, die das 60., solche weiblichen Geschlechtes, die das 55.Lebensjahr vollendet hatten, mindestens 180 anrechenbare Beitragsmonate aufwiesen und in keinem angestelltenversicherungspflichtigen Dienstverhältnis standen. In der deutschen Sozialversicherung war als Altersgrenze für Männer und Frauen seit 1.1.1900 das 70.Lebensjahr, seit 1.1.1913 in der Angestelltenversicherung und seit 1.1.1916 auch in der Invalidenversicherung das 65.Lebensjahr festgesetzt. Diese Rechtslage galt seit 1.1.1939 aufgrund der Verordnung vom 22.12.1938 dRGBl I 1912 (GBlÖ 1938/703) über die Einführung der Sozialversicherung im Lande Österreich auch in Österreich. Anläßlich der Budgetberatung 1946 verlangte ein Abgeordneter die Herabsetzung der Altersgrenze für weibliche Versicherte und Witwen in der gesamten Rentenversicherung von 65 auf 60 Jahre. Bald darauf befaßten sich drei weitere Anträge mit dieser Forderung, wobei der gemeinsame Antrag der Abgeordneten Grubhofer, Krisch und Elser lautete:
"Aus staatsfinanziellen Gründen ist die Herabsetzung des Rentenbezugsalters auf die ursprüngliche Grenze, wie sie in den österreichischen Sozialversicherungsgesetzen festgelegt war (55 Jahre bei Frauen, 60 Jahre bei Männern), zur Zeit nicht tragbar. Um aber doch für die Frauen eine Erleichterung zu verschaffen, wird der Sozialminister aufgefordert, wenigstens vorläufig das für den Bezug aller Altersrenten festgesetzte Alter von 65 Jahren bei allen weiblichen Versicherten auf das vollendete Alter von 60 Jahren herabzusetzen (568 BlgNR 5.GP).
Dieser Aufforderung wurde erst mit dem am 1.7.1948 in Kraft getretenen Bundesgesetz vom 21.4.1948 BGBl 80 über die Herabsetzung der Altersgrenze für weibliche Versicherte und Witwen in der gesetzlichen Rentenversicherung Rechnung getragen. Nach dessen § 1 erhielten weibliche Versicherte, wenn die Wartezeit erfüllt und die Anwartschaft erhalten war, die Altersinvalidenrente, das Altersruhegeld oder die Alters-Knappschaftsvollrente nach Vollendung des 60.Lebensjahres. Diese Renten gebührten nach § 4 leg cit jedoch vor der Vollendung des 65.Lebensjahres nur, wenn die Anspruchsberechtigte weder in einer an sich rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung stand noch einer selbständigen Erwerbstätigkeit nachging. Sie fielen mit dem Ablauf des Monates weg, in dem nachträglich die Berechtigte in eine an sich rentenversicherungspflichtige Beschäftigung eintrat oder eine selbständige Erwerbstätigkeit aufnahm.
In der Regierungsvorlage zu diesem Bundesgesetz (555 BlgNR 5.GP) wurde ua ausgeführt:
"Die 1939 eingeführten und vorläufig noch gültigen reichsrechtlichen Versicherungsvorschriften anerkennen einen Rentenanspruch wegen Alters durchwegs erst vom vollendeten 65. Lebensjahr an. Es ist das Bestreben der österreichischen Verwaltung und der begreifliche Wunsch der Versicherten, wieder zu den günstigeren österreichischen Altersgrenzen zurückzukehren. Der allgemeinen Herabsetzung der Altersschwelle steht die gegenwärtige unzureichende finanzielle Lage der Sozialversicherung entgegen. Das gegenständliche Gesetz soll aber den Willen beweisen, den durch die deutsche Gesetzgebung verursachten sozialen Rückschritt zu beseitigen und der erste Schritt auf diesem Wege sein. In Verfolgung dieser Absicht setzt der § 1 des Entwurfes für die unmittelbar Versicherten weiblichen Geschlechtes in allen Rentenversicherungszweigen die Altersstufe von 65 auf 60 Jahre herunter. Die gleiche Maßnahme für männliche Versicherte muß einem späteren Zeitpunkt vorbehalten bleiben, in dem die materielle Auswirkung derselben tragbar erscheint. Daß der Beginn mit den Frauen gemacht wird, erklärt sich aus deren körperlicher Beschaffenheit, die eher als bei Männern die allgemeine Annahme rechtfertigt, daß bereits mit 60 Jahren Arbeits(Berufs)unfähigkeit gegeben ist".
Das unterschiedliche Anfallsalter für männliche und weibliche Versicherte wurde vom ASVG zunächst für die ordentliche Alterspension, durch die 3.ASVGNov BGBl 1957/294 für die vorzeitige Alterspension bei Arbeitslosigkeit und durch die 8.ASVGNov BGBl 1960/294 für die vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer übernommen.
Hingegen wird bei der Invaliditätspension gemäß § 255 Abs 4 ASVG und der Berufsunfähigkeitspension gemäß § 273 Abs 3 ASVG kein Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Versicherten gemacht und für beide Geschlechter die Vollendung des 55.Lebensjahres gefordert. Dem entsprechen auch die Regelungen des § 133 Abs 2 GSVG und des § 124 Abs 2 BSVG.
Ein unterschiedliches Anfallsalter entsprechend den Bestimmungen der §§ 253, 253a und 253b ASVG enthalten auch die §§ 130 Abs 1, 131 Abs 1 und 131a Abs 1 GSVG sowie die §§ 121 Abs 1, 122 Abs 1 und 122a Abs 1 BSVG. Auch § 1 Sonderunterstützungsgesetz (SUG) sieht unterschiedliche Altersgrenzen für Männer und Frauen vor. In anderen Gesetzen wird hingegen in den Anspruchsvoraussetzungen kein Unterschied zwischen Männern und Frauen gemacht. So gilt gemäß § 51 Abs 1 NVG (ohne daß dies allerdings bisher praktische Bedeutung erlangt hätte) allgemein für den Anspruch auf Alterspension die Vollendung des 65.Lebensjahres als Voraussetzung, gemäß § 50 Rechtsanwaltsordnung für den Anspruch auf Altersversorgung das 68.Lebensjahr und gemäß § 65 Abs 1 Ärztegesetz (dem allerdings durch die Verordnung vom 23.12.1978 BGBl 662 nur mehr eingeschränkte Bedeutung zukommt) das 65. Lebensjahr.
Vor allem aber wird bei den öffentlich Bediensteten in den Anspruchsvoraussetzungen kein Unterschied zwischen Männern und Frauen gemacht. Sowohl nach den §§ 13 und 15 BDG als auch nach den §§ 87 und 99 RDG ist der Übertritt in den Ruhestand (und damit der Anspruch auf Pension) für Männer und Frauen gleich geregelt. Gegen die unterschiedliche Regelung des Pensionsalters wurden schon seit langem von einem Teil der Lehre Bedenken erhoben (Fürböck, Familienrecht und Sozialversicherung RdA 1977, 8; Mentasti, Die gegenwärtige und künftige Stellung der Frau in der Pensionsversicherung in Tomandl, Die Frau in der Sozialversicherung 121; Ivansits, Unterschiedliche Pensionsaltersgrenzen für Männer und Frauen - ein Verfassungsproblem? RdA 1987, 467).
Auch der Oberste Gerichtshof hat Bedenken gegen die Verfassungsgemäßheit der ungleichen Regelung des Pensionsanfallsalters für Männer und Frauen, insbesonders in der hier anzuwendenden Bestimmung des § 253b ASVG.
Nach Art 7 Abs 1 B-VG sind alle Bundesbürger vor dem Gesetz gleich. Vorrechte der Geburt, des Geschlechtes, des Standes, der Klasse und des Bekenntnisses sind ausgeschlossen. Dieser Grundsatz der Gleichheit von Mann und Frau vor dem Gesetz ist sowohl objektiver Wertmaßstab als auch verfassungsgesetzlich gewährleistetes subjektives Recht, das Gesetzgebung und Vollziehung bindet. Nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs verpflichtet der Gleichheitsgrundsatz allerdings nicht zu einer absoluten Gleichbehandlung der Geschlechter, so daß Differenzierungen zulässig sind. Während in älteren Erkenntnissen (VfSlg 651/1926, 2979/1956) als Rechtfertigung für eine ausnahmsweise ungleiche Behandlung ausschließlich die "Natur der Frau" herangezogen wurde, wurden im Erkenntnis Slg 1526/1947 auch "objektive Merkmale oder die Natur und Eigenart der Geschlechter" genannt. Im Erkenntnis 8871/1980, mit dem jene Bestimmungen der Sozialversicherungsgesetze aufgehoben wurden, die unterschiedliche Bedingungen für den Anspruch auf Witwer- bzw. Witwenpension festlegten, stellte der Verfassungsgerichtshof fest, daß nur solche Ungleichheiten (vorübergehend) sachlich sein könnten, die wenigstens in der Richtung eines Abbaues der Unterschiede wirken würden. Ungleichheiten, denen diese Funktion nicht zukomme und die die bestehenden Unterschiede noch vertieften, seien verfassungswidrig. Gesetzliche Bestimmungen würden invalidieren, wenn sich die ihnen zugrunde liegenden tatsächlichen Verhältnisse durch Neuregelung anderer Rechtsgebiete oder aufgrund gesellschaftlicher Entwicklungen änderten (vgl auch VfSlg 5854/1968, 7330/1974, 7844/1976, 7974/1977, 8212/1977). Dem Gesetzgeber sei nicht verwehrt, von einer Durchschnittsbetrachtung auszugehen und auf den Regelfall abzustellen, und zwar auch dann nicht, wenn es dadurch zu einzelnen Härtefällen oder zu einzelnen unsachlichen Begünstigungen komme (vgl VfSlg 7891/1976, 8457/1978), doch hänge die Zulässigkeit einer ungleichen Auswirkung einer generellen Norm auch vom Ausmaß dieser Ungleichheit ab. Das zulässige Maß an Ungleichheiten sei nach den Schwierigkeiten zu beurteilen, die eine nach den verschiedenen Sachverhalten differenzierende Lösung der Vollziehung bereiten würde und nach dem Gewicht der angeordneten Rechtsfolgen (vgl auch Berger, Die Gleichheit von Mann und Frau in Österreich EuGRZ 1983, 614). Der Gesetzgeber hat - wie dargestellt - die unterschiedliche Regelung des Pensionsalters für Männer und Frauen ausschließlich damit begründet, daß die körperliche Beschaffenheit der Frauen eher als bei Männern die Annahme rechtfertige, daß bereits mit 60 Jahren Arbeits(Berufs)unfähigkeit gegeben sei. In der Lehre wurde als weiterer Grund angeführt, daß der Gesetzgeber wahrscheinlich den Umstand berücksichtigt habe, daß Frauen in der Regel in erster Linie mit der Erziehung der Kinder und der Versorgung des Haushalts betraut seien und für sie dadurch im Falle der Berufstätigkeit eine größere Belastung als für die Männer entstehe (Marschall, Gutachten für den 1.Österreichischen Juristentag I/4, 56 f).
Beide Begründungen vermögen nicht voll zu überzeugen. Gegen eine sich aus der körperlichen Beschaffenheit der Frauen ergebende frühere Arbeitsunfähigkeit spricht vor allem die erheblich höhere durchschnittliche Lebenserwartung der Frauen gegenüber jener der Männer. Sie betrug im Jahr 1986 für damals geborene Männer 71 Jahre, für Frauen 77.73 Jahre, für damals 55jährige Männer 21.04 Jahre, für Frauen 25.63 Jahre, für damals 60jährige Männer
17.36 Jahre, für Frauen 21.29 Jahre, für damals 65jährige Männer
13.91 Jahre, für Frauen 17.18 Jahre !Demographisches Jahrbuch Österreichs 1986, 156 f; Statistisches Handbuch für die Republik Österreich 1987, 49, was im Zusammenhang mit dem früheren Pensionsalter zu einer wesentlich höheren Pensionsbezugsdauer der Frauen führt (vgl dazu Ivansits aaO 469). In diesem Zusammenhang ist es bemerkenswert, daß der Gesetzgeber bei den öffentlich Bediensteten keinen Unterschied im Anfallsalter zwischen Männern und Frauen macht. Zwar handelt es sich beim öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis und bei der Materie des Sozialversicherungswesens um tiefgreifend verschiedene Rechtsgebiete (VfSlg 5241/1966; VfGH 16.3.1988, JBl 1988, 442), doch müßte die in den Sozialversicherungsgesetzen angenommene frühere Arbeitsunfähigkeit von Frauen aufgrund ihrer körperlichen Konstitution wohl auch für Frauen im öffentlichen Dienst gelten, bedenkt man, daß in vielen Fällen pragmatisierte Frauen die gleiche Tätigkeit wie Vertragsbedienstete verrichten, jedoch eine unterschiedliche Pensionsregelung besteht. Andererseits hat der Gesetzgeber im § 255 Abs 4 ASVG bei der (erleichterten) Invaliditätspension Männer und Frauen gleich behandelt. Bei beiden Geschlechtern nimmt hier der Gesetzgeber an, daß ein 55 Jahre alter Versicherter nicht mehr auf andere Tätigkeiten verwiesen werden kann als jene, die er in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag in mindestens der Hälfte der Beitragsmonate ausgeübt hat. Dazu kommt, daß die derzeitige gesetzliche Regelung nicht berücksichtigt, welche Tätigkeit eine Frau verrichtet hat, sondern alle Frauen gleich behandelt. Es ist sicherlich denkbar, daß in Berufen, die mit größerer körperlicher Anstrengung verbunden sind, Frauen wegen ihrer körperlich schwächeren Konstitution früher arbeitsunfähig werden als Männer und bezüglich solcher Berufe eine unterschiedliche Pensionsregelung sachlich gerechtfertigt wäre. In zahlreichen Berufen, vor allem auf dem Angestelltensektor, spielt jedoch die körperliche Belastung - wenn überhaupt - nur eine untergeordnete Rolle. Ob die bei ein bis zwei Drittel aller Frauen in der Postmenopause auftretenden klimakterischen Beschwerden (vgl Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch255, 861) für sich allein eine allgemeine Senkung des Pensionsalters von Frauen gegenüber Männern rechtfertigt, kann bezweifelt werden. Gegen die vom Gesetzgeber zur Begründung herangezogenen Argumente bestehen daher jedenfalls wesentliche Bedenken.
Aber auch die von der Lehre zur Begründung herangezogene Doppelbelastung der Frau durch Beruf und Haushalt stellt kein entscheidendes Argument für die unterschiedliche Behandlung dar. Hier berücksichtigt das Gesetz zunächst nicht, daß ein nicht unerheblicher, durchaus ins Gewicht fallender und daher nicht zu vernachlässigender Teil der berufstätigen Frauen alleinstehend ist. Für sie unterscheidet sich die Belastung durch Beruf und Haushalt nicht von jener der alleinstehenden Männer. Wenngleich die in der Revision enthaltene Statistik über den Prozentsatz der kinderlosen Frauen nicht ohne weiteres aussagekräftig ist, weil sie Frauen bereits ab dem 15.Lebensjahr einbezieht, also ab einem Alter, in dem auch Frauen üblicherweise noch nicht verheiratet sind und auch noch keine Kinder haben, kann doch nicht übersehen werden, daß vor allem in der jüngeren Generation die Tendenz, keine familiären Bindungen einzugehen, sowohl bei Männern als auch bei Frauen zunimmt. Auch von den Frauen der älteren Generation, die jetzt in das Pensionsalter kommen, sind aufgrund des durch den Zweiten Weltkrieg verursachten Männermangels viele unverheiratet und ohne Nachkommen geblieben. Auch für sie gilt das Argument von der Doppelbelastung daher nicht allgemein. Dazu kommt aber noch die seit der Neuordnung der persönlichen Rechtswirkungen der Ehe durch das Gesetz BGBl 1975/412 geänderte Rechtslage. Während das seinerzeitige Recht in den §§ 91 und 92 ABGB aF davon ausging, daß der Mann das Haupt der Familie ist, in dieser Eigenschaft das Hauswesen zu leiten hat und die Frau ihm in der Haushaltung und Erwerbung nach Kräften beizustehen hat, ist seither die einvernehmliche Gestaltung der ehelichen Lebensgemeinschaft, besonders der Haushaltsführung und der Erwerbstätigkeit im § 91 ABGB gesetzlich festgelegt. Soweit aber Änderungen im Bereich eines Rechtsgebietes die für ein anderes Rechtsgebiet maßgeblichen tatsächlichen Verhältnisse ändern, ist bei Beurteilung der Verfassungsgemäßheit der Regelung dieses anderen Rechtsgebietes auf die so geschaffenen Verhältnisse Bedacht zu nehmen (VfGH 26.6.1980 RdA 1981, 141). Wenngleich sich sicherlich in der älteren Generation der Grundsatz der partnerschaftlichen Ehe noch nicht in größerem Umfang durchgesetzt hat und bezüglich dieser allenfalls zu berücksichtigen wäre, daß deren jetzt in das Pensionsalter kommende Frauen noch einen Großteil ihres Ehe- und Familienlebens unter der alten Familienrechtslage zugebracht haben, ist gerade in der jüngeren Generation in dieser Richtung sicher ein Umdenken im Gang, was letzten Endes auch mit ein Grund für die Änderung der gesetzlichen Bestimmungen war. Da seit der Änderung der Gesetzeslage immerhin bereits 12 Jahre vergangen sind, kann davon ausgegangen werden, daß sich der Grundsatz der partnerschaftlichen Ehe bereits in einem nicht unerheblichen Ausmaß durchgesetzt hat, so daß die Zahl der nun nicht mehr doppelbelasteten Frauen keine zu vernachlässigende Größe mehr darstellt. Würde der gegenwärtige gesetzliche Zustand unverändert beibehalten, so würde sich die Ungleichbehandlung der Geschlechter weiter verstärken. Es können jedoch nur solche Ungleichbehandlungen (vorübergehend) sachlich sein, die wenigstens in Richtung eines Abbaues der Unterschiede wirken würden (VfGH 26.6.1980 RdA 1981, 141), was hier nicht der Fall wäre. Diesen Umstand übersieht auch die Entscheidung des deutschen Bundesverfassungsgerichtes vom 28.1.1987 (EuGRZ 1987, 291 und NJW 1987, 1541), worin ausgesprochen wurde, es sei mit Art 3 Abs 2 GG vereinbar, daß Frauen Altersruhegeld aus der gesetzlichen Rentenversicherung im Unterschied zu Männern bereits mit Vollendung des 60.Lebensjahres beziehen können. Das Bundesverfassungsgericht meinte in diesem Zusammenhang, der Wandel der tatsächlichen Verhältnisse, der sich schon vollzogen habe und noch vollziehe und die Angleichung der Rechtsordnung an die gebotene Gleichstellung von Frau und Mann ließe erwarten, daß die Umstände, welche die verfassungsrechtliche Prüfung unter dem Gesichtspunkt des Nachteilsausgleiches beeinflussen, im Laufe der weiteren Entwicklung an Einfluß verlieren würden. Wann dies der Fall sein werde und welche Folgerungen daraus zu ziehen seien, habe aber in erster Linie der Gesetzgeber zu beurteilen. Abgesehen davon, daß dadurch im Falle der Untätigkeit des Gesetzgebers die Notwendigkeit entsteht, in regelmäßigen Abständen den Verfassungsgerichtshof anzurufen, wird hiedurch die Ungleichbehandlung laufend weiter verstärkt. Ob der Gesetzgeber durch Übergangsregelungen eine vorübergehende Ungleichbehandlung in sachlich gerechtfertigter Weise aufrechterhalten könnte, ist im vorliegenden Fall nicht zu prüfen, weil solche Übergangsregelungen nicht vorliegen. Der Gesetzgeber hat vielmehr unterschiedslos und ohne Rücksicht auf die auch zahlenmäßig ins Gewicht fallenden Teile der männlichen und weiblichen Versicherten, für die völlig gleiche Voraussetzungen vorliegen, das Pensionsalter der Frauen generell niedriger festgesetzt, als jenes der Männer. Auch die weiteren Ausführungen des Bundesverfassungsgerichtes sind keine zwingende Rechtfertigung der unterschiedlichen Behandlung der Geschlechter im Pensionsrecht. Er meint, würde es sich allein um einen Ausgleich für die Doppelbelastung der Frauen handeln, könnte es zweifelhaft sein, ob eine unterschiedliche Behandlung auch zugunsten von Frauen ohne diese Doppelbelastung und zum Nachteil von Männern mit einer solchen statthaft wäre. Der Gesetzgeber habe aber weitere Umstände in typisierender Betrachtungsweise berücksichtigen dürfen, so zB daß das Ausbildungsdefizit der Frauen, das ihre berufliche Stellung und damit ihr Arbeitsentgelt sowie ihre Rentenerwartung in der Vergangenheit maßgeblich beeinträchtigt habe, in typischen Fällen durch eine Antizipierung der erwarteten Stellung der Frau als spätere Mutter verursacht worden sei. Ähnliche Ursachen dürften auch vielfach die Beschäftigung in unteren Lohngruppen und die geringeren Aufstiegschancen der Frau im Beruf haben. Die typischen Unterbrechungen einer entgeltlichen Tätigkeit durch Zeiten von Schwangerschaft, Geburt und Kindererziehung hätten zudem bei Frauen häufig zur Folge, daß sie im Gegensatz zu Männern von der Inanspruchnahme des (der vorzeitigen Alterspension bei langer Versicherungsdauer vergleichbaren) flexiblen Altersruhegeldes bei Vollendung des 63.Lebensjahres deswegen keinen Gebrauch machen könnten, weil sie die besonderen Voraussetzungen einer 35jährigen Versicherungszeit nicht erfüllten. All das lasse sich aber im Kern auf die Funktion oder jedenfalls die mögliche Stellung weiblicher Versicherter als Ehefrau und Mutter, also auf biologische Umstände zurückführen. Hier wird nach Ansicht des erkennenden Senates übersehen, daß die unbestrittenermaßen bestehenden beruflichen Nachteile der Frauen durch Schwangerschaft und Geburt, die für die jetzt in das Pensionsalter tretenden Frauen noch nicht durch gesetzliche Maßnahmen ausgeglichen wurden !vgl die Verbesserung der Ersatzzeitenregelung in § 227 Abs 1 Z 3 und 4 ASVG sowie Kindererziehung und die aus diesen Gründen vielleicht erfolgte Beschäftigung in unteren Lohngruppen und die geringeren Aufstiegschancen nicht dadurch ausgeglichen werden können, daß den Frauen das Recht zur früheren Pensionierung eingeräumt wird. Denn gerade ein früherer Pensionsantritt verstärkt noch die Benachteiligung der Frauen, da sie hiedurch noch weniger anrechenbare Zeiten erlangen und damit die Höhe der Pension noch geringer wird. Von einer bestehende Benachteiligung ausgleichenden Regelung kann daher in diesem Zusammenhang kaum gesprochen werden. Dagegen, daß der Gesetzgeber durch die unterschiedliche Regelung des Pensionsanfallsalters die durch die Unterbrechung einer entgeltlichen Tätigkeit durch Schwangerschaft, Geburt und Kindererziehung bei Frauen bestehenden schlechteren Versicherungsverläufe ausgleichen wollte, spricht im übrigen auch die durch die 40.ASVG-Novelle getroffene Neuregelung der Wartezeit für Leistungen aus dem Versicherungsfall der verminderten Arbeitsfähigkeit im § 236 ASVG. Diese beträgt bei männlichen Versicherten, wenn der Stichtag vor Vollendung des 55.Lebensjahres liegt, bei weiblichen Versicherten, wenn der Stichtag vor Vollendung des 50.Lebensjahres liegt, 60 Monate. Wenn der Stichtag nach Vollendung des 55.Lebensjahres bei männlichen Vesicherten und nach Vollendung des 50.Lebensjahres bei weiblichen Versicherten liegt, beträgt die Wartezeit je nach Lebensalter des Versicherten für jeden weiteren Lebensmonat jeweils ein Monat mehr bis zum Höchstausmaß von 180 Versicherungsmonaten. Diese Bestimmung bedeutet eine Benachteiligung weiblicher Versicherter. Während etwa für einen Mann mit 55 Jahren eine Wartezeit von 60 Monaten für den Anspruch auf eine Pensionsleistung wegen verminderter Arbeitsunfähigkeit erforderlich ist, gelangt eine Frau gleichen Alters nur dann in den Genuß der Leistung, wenn sie 120 Versicherungsmonate aufzuweisen hat. Mit Recht verweist schließlich die Revision auch auf die zunehmende, bereits nicht unbeträchtliche Zahl von Frauen mit Teilzeitbeschäftigung, bei denen naturgemäß die Doppelbelastung durch Beruf und Haushaltsführung nicht mehr so schwer ins Gewicht fällt.
Da somit gewichtige Bedenken gegen die Verfassungsgemäßheit der derzeitigen gesetzlichen Regelung bestehen, hält es der Oberste Gerichtshof für geboten, dem hiefür ausschließlich zuständigen Verfassungsgerichtshof die Möglichkeit zu geben, die angefochtene Bestimmung auf ihre Verfassungsgemäßheit zu überprüfen. Es wird daher der Antrag gestellt, im § 253b Abs 1 ASVG die Wortfolge "nach Vollendung des 60.Lebensjahres, die Versicherte" als verfassungswidrig aufzuheben. Im Falle der Aufhebung dieser Wortfolge wären beide Geschlechter bezüglich des Anfallsalters für die vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer gleichgestellt.
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