OGH 10ObS67/90

OGH10ObS67/9024.4.1990

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Angst als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dipl.Ing. Walter Holzer und Dr. Eberhard Piso (beide Arbeitgeber) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Georg S***, Pensionist,

4560 Kirchdorf/Krems, Krankenhausstraße 1, vertreten durch Dr. Johannes Grund und Dr. Wolf D. Polte, Rechtsanwälte in Linz, wider die beklagte Partei S*** DER

G*** W***, 1051 Wien, Wiedner Hauptstraße 84-86,

vertreten durch Dr. Michael Graff, Rechtsanwalt in Wien, wegen Hilflosenzuschuß, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 28.November 1989, GZ 12 Rs 190/89-14, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Kreisgerichtes Steyr als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 18. Juli 1989, GZ 8 Cgs 47/89-10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß es zu lauten hat:

"Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, dem Kläger ab Antragstellung den Hilflosenzuschuß im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren, wird abgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger die mit S 6.261,60 (darin S 1.043,60 Umsatzsteuer und keine Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz und der Rechtsmittelverfahren binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Das Erstgericht stellte fest, daß dem Kläger ab 28.9.1988 der Hilflosenzuschuß im gesetzlichen Ausmaß gebührt, und trug der beklagten Partei eine vorläufige Zahlung von 2.345 S monatlich auf.

Es nahm im wesentlichen folgendes als erwiesen an:

Der am 30.3.1917 geborene Kläger erlitt in den Jahren 1987 und 1988 einen Schlaganfall. Als Folge davon blieben eine Ungeschicklichkeit und eine Ataxie der rechten Hand, Sprachstörungen im Sinn einer Aphasie, deretwegen der Kläger sich mit seinen Worten nicht ausdrücken kann, und einen Verlust des Neugedächtnisses. Wegen dieses Verlustes müssen ihm die dreimal am Tag einzunehmenden Medikamente vorgelegt werden, um sicherzustellen, daß er sie wirklich einnimmt.

Der Kläger ist in der Lage, allein zu essen und zu trinken, sich einfache Hauptmahlzeiten selbst zuzubereiten und das Geschirr abzuwaschen. Er kann Elektrogeräte einschalten, jedoch besteht infolge Verlustes des Neugedächtnisses die Gefahr, daß er vergißt, sie auszuschalten. Er kann sich allein waschen, frisieren und elektrisch rasieren. Zum Besteigen und Verlassen der Badewanne benötigt er Hilfe. Er kann allein aufs Klosett gehen, sich allein an- und auskleiden, leichte Aufräumearbeiten verrichten, notdürftig abstauben, aufbetten, die kleine Wäsche in einem Waschgefäß selbst waschen und den täglichen Einkaufsweg zum nächsten Kaufmann zurücklegen. Wegen des Verlustes des Neugedächtnisses ist es allerdings fraglich, ob er in der Lage ist, sinnvoll einzukaufen. In rechtlicher Hinsicht war das Erstgericht der Meinung, daß die Betreuung des Klägers, der insbesondere dreimal täglich zur Einnahme der notwendigen Medikamente des Beistands einer dritten Person bedürfe, einen Aufwand von mindestens zwei Stunden täglich erfordere, weshalb die hiedurch verursachten Kosten bei einem jedenfalls als angemessen anzusehenden Stundenlohn von 70 S im Bereich von 4.000 S im Monat lägen. Da dieser Betrag weit über dem begehrten Hilflosenzuschuß liege, seien die Voraussetzungen für die Gewährung des Hilflosenzuschusses erfüllt.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge, wobei es im wesentlichen die Rechtsansicht des Erstgerichtes teilte.

Gegen dieses Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, es im Sinn der Abweisung des Klagebegehrens abzuändern, oder es allenfalls aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht oder Erstgericht zurückzuverweisen. Der Kläger beantragte, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Die beklagte Partei wendet sich in der Revision zunächst ebenso wie schon in der Berufung gegen die in den Tatsachenfeststellungen des Ersturteils enthaltenen Ausführungen, wonach es "fraglich" ist, ob der Kläger wegen des Verlustes des Neugedächtnisses in der Lage ist, "sinnvoll" einzukaufen. Die Beurteilung, ob etwas sinnvoll ist, gehört zur rechtlichen Beurteilung. Die wiedergegebenen Ausführungen enthalten daher in Wahrheit eine rechtliche Schlußfolgerung, für die allerdings die notwendige Grundlage fehlt. Hiefür hätten Feststellungen darüber getroffen werden müssen, welcher Einschränkung der Kläger beim Einkaufen unterliegt und welche für ihn nachteiligen Ergebnisse daher für ihn zu erwarten sind. Erst dann könnte gesagt werden, ob es "sinnvoll", also ihm noch zuzumuten ist, daß er allein Einkaufen geht. Das Fehlen dieser Feststellungen schadet hier aber nicht:

Der Großteil der Kosten, von denen die Vorinstanzen ausgegangen sind, geht darauf zurück, daß der Kläger die dreimal täglich einzunehmenden Medikamente nicht allein einnehmen kann. Es unterliegt keinem Zweifel, daß die hiebei notwendige Aufsicht und Hilfe gewöhnlich von nahen Angehörigen oder auch von Nachbarn unentgeltlich geleistet wird. Der Oberste Gerichtshof hat hiezu allerdings schon in seiner grundlegenden Entscheidung SSV-NF 1/46 (vgl überdies SSV-NF 2/86) ausgesprochen, der Hilflosenzuschuß gebühre auch dann, wenn die Kosten der ständigen Wartung und Hilfe im konkreten Fall nur deshalb geringer seien als der Hilflosenzuschuß, weil die Pflegeperson für die notwendigen Dienstleistungen nichts oder weniger als üblich verlangt, wie das zum Beispiel bei nahen Angehörigen häufig vorkommt. Der Umstand, daß Angehörige zur Betreuung vorhanden seien, sei nämlich für die Gewährung des Hilflosenzuschusses ohne Bedeutung. Nach Ansicht des erkennenden Senates kann dies aber nur für Hilfeleistungen gelten, die einen ins Gewicht fallenden Aufwand an Zeit oder Mühe erfordern. Andere Hilfeleistungen müssen hingegen außer Betracht bleiben, zumal sie bei Bedarf und nach Möglichkeit gewöhnlich jedermann, also auch jemand, der zum Hilfsbedürftigen in keinem Naheverhältnis steht, unentgeltlich zu leisten bereit ist. Es handelt sich dabei nicht um geldwerte Leistungen. Solange sichergestellt ist, daß der Hilfsbedürftige gegebenenfalls solche Hilfeleistungen in Anspruch nehmen kann, können hiefür daher keine Kosten veranschlagt werden. Dies trifft beim Kläger aber zu, weil ihm die Medikamente nach den Ausführungen des ärztlichen Sachverständigen, die der Kläger insoweit zum Gegenstand seines Parteienvorbringens gemacht hat und die daher in diesem Punkt vom Obersten Gerichtshof berücksichtigt werden dürfen, von seiner Ehefrau verabreicht werden. Läßt man die Hilfe für das Einnehmen der Medikamente außer Betracht, verbleibt noch die Hilfe bei der Benützung der Badewanne, beim gründlichen Reinigen der Wohnung, beim Waschen der Wäsche und (allenfalls) beim Einkaufen. Der Oberste Gerichtshof hat für die Verhältnisse in Österreich schon mehrfach ausgesprochen, daß der Anspruch auf Hilflosenzuschuß nicht besteht, wenn Hilfe nur für das Besorgen der Lebensmittel, das gründliche Säubern der Wohnung und das Waschen der großen Wäsche notwendig ist (zuletzt SSV-NF 3/114-in Druck). Daß die Notwendigkeit der Hilfe beim Baden daran nichts ändert, ergibt sich aus der Entscheidung SSV-NF 2/12, der ein vergleichbarer Sachverhalt zugrundelag. Die Möglichkeit, daß der Kläger vergißt, eingeschaltete Elektrogeräte auszuschalten, fällt schließlich nicht ins Gewicht, weil nicht hervorgekommen ist, daß deshalb eine Gefahr für sein Leben oder seine Gesundheit besteht. Die Voraussetzungen für die Gewährung des Hilflosenzuschusses sind daher beim Kläger entgegen der Ansicht der Vorinstanzen nicht erfüllt.

Der Ausspruch über die Kosten des Verfahrens erster Instanz und der Rechtsmittelverfahren beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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