Spruch:
Der Revision wird keine Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 333,12 (darin enthalten EUR 55,52 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen vierzehn Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die am 9. 8. 1948 geborene Klägerin hat in der Zeit vom 9. 2. 1998 bis 2. 2. 2000 die viersemestrige Ausbildung zur Pflegehelferin und zur Altenhelferin mit einer Zusatzausbildung zur Verabreichung subkutaner Insulininjektionen an der Fachschule für Altendienste und Pflegehilfe der Caritas der Diözese St. Pölten erfolgreich absolviert. Diese Ausbildung entspricht den in Niederösterreich bestehenden landesgesetzlichen Ausbildungsrichtlinien und berechtigt die Klägerin zur Führung der Berufsbezeichnung „Altenpflegerin" und „Pflegehelferin". Nach der NÖ Pflegehilfe-Ausbildungsverordnung umfasst die theoretische Ausbildung für Pflegehelfer 800 Stunden. Bei Erweiterung auf Altenhilfe ist eine zusätzliche theoretische Ausbildung im Ausmaß von 400 Stunden vorgeschrieben. Weiters müssen Pflichtpraktika im Ausmaß von insgesamt 1.200 Stunden absolviert werden. Die Klägerin war in der Zeit von März 2000 bis Mai 2005 in verschiedenen Pflegeheimen sowohl als Pflegehelferin als auch als Altenhelferin tätig. Aufgrund des näher festgestellten medizinischen Leistungskalküls ist ihr eine qualifizierte Tätigkeit als Alten- und Pflegehelferin nicht mehr möglich.
Mit Bescheid vom 3. 3. 2006 lehnte die beklagte Pensionsversicherungsanstalt den Antrag der Klägerin auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension ab.
Das Erstgericht gab dem dagegen erhobenen Klagebegehren statt und verpflichtete die beklagte Partei, der Klägerin die Berufsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß ab 1. 9. 2005 zu gewähren. Es ging bei seiner rechtlichen Beurteilung davon aus, dass der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch im Hinblick darauf, dass sie zwar als Angestellte pflichtversichert gewesen sei, aber tatsächlich Arbeitertätigkeiten verrichtet habe, nach dem Invaliditätsbegriff des § 255 ASVG zu beurteilen sei. Die von der Klägerin absolvierte Ausbildung zur Alten- und Pflegehelferin habe zumindest 1.200 Stunden theoretische und weitere 1.200 Stunden praktische Ausbildung umfasst. Der von der Klägerin erlernte Beruf einer Alten- und Pflegehelferin habe somit eine umfangreiche und qualifizierte Ausbildung erfordert und sei daher als erlernter Beruf iSd § 255 Abs 1 ASVG zu qualifizieren. Da die Klägerin diesen Beruf in den letzten fünfzehn Jahren vor dem Stichtag 1. 9. 2005 überwiegend ausgeübt habe, genieße sie Berufsschutz iSd § 255 Abs 1 ASVG. Da sie diesen Beruf nicht mehr ausüben könne, sei sie invalid und habe daher Anspruch auf die von ihr begehrte Berufsunfähigkeitspension.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei keine Folge und bestätigte das Ersturteil mit der Maßgabe, dass es der beklagten Partei die Erbringung einer vorläufigen Zahlung von EUR 200 monatlich ab 1. 9. 2005 bis zur Erlassung des die Höhe der Leistung festsetzenden Bescheides auftrug. Es schloss sich inhaltlich der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichtes an und verwies im Wesentlichen noch auf die Ausführungen des Obersten Gerichtshofes in der nach Ansicht des Berufungsgerichtes einen vergleichbaren Sachverhalt betreffenden Entscheidung 10 ObS 357/00y (= SSV-NF 15/15). Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision gegen seine Entscheidung mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig sei. Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Klägerin beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision als unzulässig zurückzuweisen bzw ihr keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, weil der Frage des Berufsschutzes einer Alten- und Pflegehelferin auch im Hinblick auf die unterschiedlichen landesgesetzlichen Ausbildungsvorschriften eine rechtserhebliche Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO zukommt und eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zu den hier maßgebenden NÖ Ausbildungsvorschriften noch nicht vorliegt. Das Rechtsmittel ist aber nicht berechtigt.
Die beklagte Partei verweist in ihren Rechtsmittelausführungen auf die beiden einschlägigen Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes 10 ObS 357/00y (= SSV-NF 15/15) und 10 ObS 39/05s und meint, die Ausbildungszeit der Klägerin von insgesamt 2.470 Stunden entspreche einer Ausbildungszeit von eineinhalb Jahren und erreiche damit nicht das Ausmaß, welches nach den Ausbildungsvorschriften für einen Lehrberuf gefordert werde. Auch ein Vergleich der (Kern-)Fächer anhand der von der Klägerin für die von ihr absolvierte Ausbildung vorgelegten Stundentafel (vgl das Semester- und Abschlusszeugnis der Klägerin - Beil ./C) mit dem der Entscheidung 10 ObS 357/00y zugrundeliegenden Sachverhalt ergebe, dass gerade in den (Kern-)Fächern, welche den Inhalt der Ausbildung definieren, wesentlich geringere Stundenausmaße vorgesehen seien, als nach den für die Entscheidung 10 ObS 357/00y maßgebenden steiermärkischen Ausbildungsvorschriften.
Diesen Ausführungen ist Folgendes entgegenzuhalten:
In der Entscheidung 10 ObS 357/00y (= SSV-NF 15/15) wurde der Berufsschutz der damaligen Klägerin, die in einer Fachschule für Altendienste und Pflege der Caritas in der Steiermark eine insgesamt zweijährige Ausbildung (1.920 Stunden theoretische Ausbildung und 1.296 Arbeitsstunden Pflichtpraktikum) als Alten- und Pflegehelferin absolviert hatte, iSd § 255 Abs 1 ASVG bejaht, wobei allgemein darauf hingewiesen wurde, dass es sich bei erlernten Berufen iSd § 255 Abs 1 ASVG vor allem um die in der Lehrberufsliste gemäß § 7 BAG angeführten Lehrberufe handle, bei denen die Dauer der Lehrzeit gemäß § 6 Abs 1 BAG innerhalb eines zeitlichen Rahmens von zwei bis vier Jahren in der Regel drei Jahre zu betragen habe. Es gebe jedoch eine Reihe von Lehrberufen mit einer nur zweijährigen Ausbildungszeit (zB Hutmacher, Kosmetiker, Masseur, Modist, Fußpflege usw). Die von der Klägerin im Verfahren SSV-NF 15/15 absolvierte Ausbildungszeit erreiche daher bereits jenes Maß, welches allgemein nach den Ausbildungsvorschriften für einen Lehrberuf gefordert werde. Nicht entscheidend sei, dass es auch (andere) landesgesetzliche Regelungen mit einer zum Teil erheblich kürzeren Ausbildungszeit gebe. Dieser Umstand lasse vielmehr nur den Schluss zu, dass die damalige Klägerin eine im Vergleich dazu qualifizierte Ausbildung genossen habe und daher wohl auch über qualifiziertere Kenntnisse und Fähigkeiten in ihrem Beruf verfüge. Es sei aber nicht nur die Dauer, sondern auch der näher festgestellte Inhalt der von der damaligen Klägerin absolvierten Ausbildung mit der Ausbildung in einem Lehrberuf durchaus vergleichbar. Aufgrund dieser Erwägungen bejahte der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung SSV-NF 15/15 den Berufsschutz der damaligen Klägerin.
Demgegenüber verneint der Oberste Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung bei einer Pflegehelferin im Hinblick auf eine nur einjährige Ausbildungsdauer (1.600 Stunden Ausbildung in Theorie und Praxis) den Berufsschutz nach § 255 Abs 1 und 2 ASVG (vgl SSV-NF 14/61 ua). In der Entscheidung 10 ObS 39/05s (= SSV-NF 19/35 = DRdA 2006/22 [zust Kalb]) gelangte der Oberste Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass auch eine Zusatzausbildung einer Pflegehelferin zur Altenfachbetreuerin im Ausmaß von 250 Unterrichtseinheiten (ca sechs Wochen) keine andere Beurteilung rechtfertige. Es liege vielmehr auf der Hand, dass mit einer insgesamt nur knapp vierzehn Monate dauernden theoretischen und praktischen Ausbildung (im Gesamtausmaß von 1.850 Stunden) ein einem Lehrberuf vergleichbares Ausbildungsniveau nicht erreicht werden könne.
Es wurde bereits in den beiden Entscheidungen SSV-NF 15/15 und 19/35 darauf hingewiesen, dass die Regelung des Berufsbildes, der Tätigkeitsbereiche und der Ausbildung von Altenbetreuern, Familienhelfern und Heimhilfen gemäß Art 15 Abs 1 B-VG in die Zuständigkeit der Länder fällt und daher derzeit keine österreichweit einheitlichen Berufsbilder oder Ausbildungsvorschriften für die genannten Sozialbetreuungsberufe bestehen. In der mit 26. 7. 2005 in Kraft getretenen Vereinbarung gemäß Art 15a B-VG über Sozialbetreuungsberufe, BGBl I 2005/55, kamen Bund und Bundesländer überein, das Berufsbild, die Tätigkeit und die Ausbildung der Angehörigen der Sozialbetreuungsberufe (Diplom-Sozialbetreuer für Alten-, Familien- oder Behindertenarbeit oder Behindertenbegleitung; Fach-Sozialbetreuer und Heimhelfer) im Rahmen ihrer Zuständigkeit nach gleichen Zielsetzungen und Grundsätzen zu regeln. Nach Anlage 1 dieser Vereinbarung sind die Sozialbetreuungs-Berufe in drei Qualifikationsniveaus gegliedert, und zwar in das Helfer/innen-Niveau (Heimhelfer/innen mit 200 Unterrichtseinheiten Theorie und 200 Stunden Praxis), das Fachniveau (Fach-Sozialbetreuer/innen mit 1.200 Unterrichtseinheiten Theorie und 1.200 Stunden Praxis) sowie das Diplomniveau (Diplom-Sozialbetreuer/innen mit 1.800 Unterrichtseinheiten Theorie und 1.800 Stunden Praxis). Die Ausbildung von Fach-Sozialbetreuer/innen umfasst danach neben der praktischen Ausbildung im Ausmaß von 1.200 Stunden auch 1.200 Stunden Theorie (Heimhilfe-Ausbildung miteingerechnet), die auf mindestens zwei Ausbildungsjahre aufzuteilen sind.
Nach § 5 des hier noch anzuwendenden NÖ Alten-, Familien- und Heimhelfergesetzes, LGBl 1996/118, ist der Altenhelfer eine ausgebildete Fachkraft, die befähigt ist, die spezifische Lebenssituation älterer Menschen ganzheitlich zu umfassen, durch gezielte Maßnahmen auf den individuellen Bedarf einzugehen, den Betreuten ein lebenswertes soziales Umfeld zu erhalten und ihnen ein Altern in Würde in der vertrauten Umgebung möglich zu machen. Die Dienste der Altenhelfer können in ambulanter, teilstationärer und stationärer Form erbracht werden. Solche Dienste sind insbesondere:
Eingehen auf die körperlichen, psychischen, sozialen und geistigen Bedürfnisse älterer Menschen; Hilfen zur Wiederherstellung, Erhaltung und Förderung von Fähigkeiten und Fertigkeiten für ein möglichst selbständiges und eigenverantwortliches Leben im Alter; Unterstützung der psychosozialen Bewältigung von Krisensituationen; Begleitung und Anleitung von Angehörigen und Laienhelfern; Zusammenarbeit mit dem sozialen Umfeld (Behörden, freiwillige und berufliche Helfer usw); Hilfe zur Weiterführung des Haushaltes und Sterbebegleitung. Es hat bereits das Berufungsgericht zutreffend darauf hingewiesen, dass die Klägerin - ebenso wie die Klägerin in der Entscheidung SSV-NF 15/15 - eine insgesamt zweijährige Ausbildung an einer Fachschule für Altendienste und Pflegehilfe der Caritas absolviert hat. Auch wenn die zweijährige Ausbildung der Klägerin an der von ihr besuchten Fachschule zeitlich nicht ganz so intensiv war und daher auch in den (Kern-)Fächern eine etwas geringere Stundenanzahl als bei der Klägerin im Verfahren SSV-NF 15/15 aufwies, so muss doch davon ausgegangen werden, dass die Klägerin - anders als die Klägerin im Verfahren SSV-NF 19/35 mit einer insgesamt nur knapp vierzehn Monate dauernden theoretischen und praktischen Ausbildung - Kenntnisse und Fähigkeiten erworben hat, die qualitativ und quantitativ den Anforderungen eines Lehrberufes entsprechen. Dies zeigt sich auch darin, dass nach der bereits zitierten Anlage 1 zur Vereinbarung gemäß Art 15a B-VG über Sozialbetreuungsberufe, BGBl I 2005/55, für die Ausübung der zweifellos qualifizierten Tätigkeit einer Sozialfachbetreuerin eine ebenfalls zweijährige Ausbildungszeit mit
1.200 Stunden Theorie und 1.200 Stunden Praxis verlangt wird. Daraus ergibt sich weiters, dass auch eine theoretische und praktische Ausbildung im Ausmaß von jeweils 1.200 Stunden in diesem Bereich eine insgesamt zweijährige Ausbildungszeit verlangt. Die Beurteilung der Vorinstanzen, die Klägerin habe durch die erfolgreiche Absolvierung ihrer zweijährigen Ausbildung zur Altenhelferin und Pflegehelferin mit 1.200 Stunden Theorie und 1.200 Stunden Praxis einen Berufsschutz nach § 255 Abs 1 ASVG erworben, ist daher zutreffend. Dass die Klägerin ausgehend von diesem Berufsschutz die Voraussetzung für die Gewährung der von ihr begehrten Leistung erfüllt, wird auch in der Revision nicht in Zweifel gezogen.
Der Revision musste daher ein Erfolg versagt bleiben. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG.
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